Jeder erfolgreiche olympische Athlet hat seinen Erfolg auf den Schultern von Riesen erreicht. Die eigene Familie ist meist das solide Fundament auf dem sich eine olympische Karriere aufbauen lässt. Oft waren Mutter oder Vater die ersten Übungsleiter und Trainer, die das talentierte Kind und den talentierten Jugendlichen trainiert haben und ihn bei seinen ersten Erfolgen begleiteten. Der engagierte Sportlehrer muss genannt werden, der ein Talent im öffentlichen Schulwesen entdeckt und fördert. Der sogenannte Heimtrainer ist nicht selten die eigentliche Keimzelle für den olympischen Erfolg. Mancher Olympiasieger wurde von seinem Heimtrainer vom Anfang bis zum Ende seiner Karriere begleitet. Es gibt aber auch naheliegende Gründe warum während einer Leistungssportkarriere dem Heimtrainer weitere Trainer folgen. Die Gründe können in der unterschiedlichen Qualifikation der Trainer liegen, Vereinswechsel können ausschlaggebend sein oder auch eine bessere finanzielle und personelle Unterstützung kann zu einem Trainerwechsel führen. Der Einfluss von Sponsorengeldern kann dabei eine Rolle spielen und immer häufiger spielen dabei auch sogenannte Athletenmanager eine durchaus fragwürdige Rolle. Grundsätzlich ist der Wechsel von einem Trainer zu einem anderen ebenso legitim, wie der Vereinswechsel. Entsprechend ist dies auch in den Regularien der Verbände vorgesehen. Manche Athleten wechseln auch aus Studiengründen zu Universitäten in anderen Ländern, was ebenfalls meist einen Trainerwechsel auf Zeit zur Folge hat.
Beim Weg vom Kind zum Jugendlichen und zum Erwachsenen kann es in der Beziehung von Trainern und Athleten vielfältige Einschnitte und Veränderungen geben. Für eine erfolgreiche Karriere können diese manchmal sehr gefährlich sein. Sie erweisen sich oft aber auch als eine große Chance, denn ein Wechsel kann zu wichtigen neuen Erfahrungen und zu neuen Möglichkeiten des Lernens führen.
Im Deutschen Leichtathletikverband hat es in jüngster Zeit mehrere Trainerwechsel durch erfolgreiche Athleten gegeben, die allerdings eine etwas anders geartete Beurteilung nahelegen.
Da ist zunächst Constanze Klosterhalfen, die von ihrem früheren Trainer Sebastian Weiss (Leverkusen) in das sogenannte Oregon Project wechselte und dort nun von Pete Julian, dem Assistenten des Startrainers Alberto Salazar trainiert wird. Sie gehört zur Weltklasse über 3000m und 5000m und sie gewann bei der letzten WM in Doha eine Bronzemedaille.
Ihr folgte Gina Lückenkemper, die sich der Trainingsgruppe von US Coach Lance Brauman anschloss. Sie ist Vize-Europameisterin über 100m und kann noch auf eine Reihe weiterer Erfolge verweisen.
In diesen Tagen wechselt nun Weitsprung-Weltmeisterin Malaika Mihambo zu Carl Lewis und Leroy Burell nach Houston (Texas). Im letzten Jahr hat sie die Weitsprungszene weltweit dominiert und ist zudem eine gute Sprinterin.
Alle drei Athletinnen sind ohne Zweifel Weltklasse und sie gehören der Weltspitze in den Disziplinen an, in denen sie bei den nächsten Olympischen Spielen starten möchten. Ihre bisherigen Erfolge sind auf eine gute Betreuung durch Heimatvereine, durch Heimtrainer und Trainer des DLV zurückzuführen. Vermutlich haben auch weitere Personen sie bei ihrer bislang sehr erfolgreichen Karriere unterstützt. Dies gilt vor allem auch für deren Familien. Nun sind die Athletinnen in amerikanische Zentren gewechselt, die sich in der internationalen Leichtathletik nicht nur durch eine positive Reputation auszeichnen. Gegen zahlreiche Athletinnen und Athleten und gegen mehrere Trainer in diesen Zentren gab es in der Vergangenheit vielfältige Dopingvorwürfe. Mancher Athlet, der in diesen Zentren trainiert hat, wurde des Dopings überführt. Gegen andere bestehen berechtigte Verdachtsmomente. Gegen einen Trainer, der ehemals Olympiasieger war, konnten die Dopingvorwürfe während seiner aktiven Zeit bis heute nicht ausgeräumt werden.
Gewiss muss bei allen Verdächtigungen zunächst die Unschuldsvermutung gelten. Jene Fälle, bei denen aber bereits in der Vergangenheit gegenüber Athletinnen, Athleten und Trainer aus diesen Zentren Dopingstrafen vollstreckt wurden, müssen Zweifel zugelassen sein. Es stellt sich somit die Frage, ob in diesen Zentren das Fair-Play-Ideal des Hochleistungssports angemessen gewürdigt wird.
Für den Deutschen Leichtathletikverband stellt sich die Frage, wie eine Verbandsphilosophie, die sich derzeit mit dem Amerikanismus „TrueAthletes“ nach außen präsentiert, damit vereinbart werden kann. Auch kann man fragen, wie man derartige Trainerwechsel von deutschen Spitzenathletinnen mit den viel zu oft geäußerten Verdächtigungen deutscher Athleten gegenüber ihren internationalen Konkurrenten verbinden kann.
In ganz grundsätzlicher Weise stellt sich aber vor allem die Frage, ob die implizite Kritik, die durch die Trainerwechsel an der Qualität deutscher Trainer zum Ausdruck gebracht wird, berechtigt ist. Zwei der Athletinnen haben ihren Wechsel damit begründet, dass in ihren neuen Zentren sehr viel härter trainiert wird als das in Deutschland üblich ist. Wer den Zusammenhang von hartem Training und Dopingmissbrauch kennt, der wird eher in seinem Zweifel über die Integrität der amerikanischen Zentren bestätigt. Einen Beleg für die schlechtere Qualität deutscher Trainingskonzeptionen können solche Aussagen ganz gewiss nicht sein. Wissenschaftlich anerkannte Befunde, dass amerikanische Trainer im Vergleich zu deutschen Trainern die besseren sind, gibt es nicht. Auch beim Erfahrungsaustausch und bei Kongressen können sich deutsche Trainer mit der internationalen Konkurrenz messen lassen.
Will der deutsche Hochleistungssport international konkurrenzfähig sein, so muss die Überprüfung der Qualität seiner Trainer ein ständiger Auftrag werden. Gleiches gilt für die Ausbildungsstätten für Trainer, für die Trainerakademie in Köln und für die Übungsleiterausbildung der Verbände.
Für den DLV stellt sich auch die Frage, was diese Trainerwechsel für die Fortführung seiner Arbeit in der Internationalen Trainerakademie des DLV in Mainz bedeuten. Diese Akademie konnte sich in der Vergangenheit und bis heute durch eine außergewöhnlich hohe Reputation auszeichnen. Wenn nun aber deutsche Athletinnen und Athleten in Trainingszentren anderer Nationen abwandern, so könnte gefragt werden, warum man seine Trainer in Deutschland ausbilden lassen soll, wenn angeblich oder tatsächlich die Ausbildungsarbeit in ihrer Qualität internationalen Ansprüchen nicht mehr genügt.
Generell stellt sich für die Verantwortlichen im deutschen Leistungssport die Frage, was zu tun ist, wenn mit den Trainerwechseln auch die deutsche Leistungssportförderstruktur mit seinen Olympiastützpunkten und Leistungszentren infrage gestellt wird. Für den Steuerzahler stellt sich die Frage, warum Millionen von Fördermitteln für den Leistungssport zur Verfügung gestellt werden, die ganz offensichtlich einigen Athleten nicht ausreichend würdigen. Zu fragen ist auch, wer für die Trainingsaufenthalte und die Arbeit der amerikanischen Trainer die Kosten trägt. Es bleibt nur zu hoffen, dass die Deutsche Sporthilfe und der DOSB mit seinem neuen Spitzensportförderkonzept eine akzeptable Antwort auf diese wichtige Frage kennt.
Schließlich muss auch die Frage nach der Betreuungsqualität deutscher Athletinnen und Athleten gestellt werden. Der Aussage des DLV-Präsidenten, dass man Athletinnen und Athleten, die eine neue Herausforderung suchen, nicht aufhalten kann, ist zuzustimmen. Die Frage nach der angemessenen Betreuung der Athleten durch die Bundestrainer und nach den Formen und Inhalten der Kommunikation zwischen Athlet und Verband stellt sich aber dennoch.
Verfasst: 05.06.2020