Sepp B. – oder die Gier nach Macht

Der Weltfußball wurde über Jahrzehnte von einer Person geführt, die sich durch eine nahezu unbegrenzte Macht auszeichnete. Als mächtigster Mann des Sports begegnete der FIFA-Präsident allen übrigen Mächtigen aus Politik und Wirtschaft zumindest auf Augenhöhe. Aus ökonomischer Sicht hatte sein Verband das Volumen eines internationalen Konzerns und unter politischen Gesichtspunkten reichte sein Einfluss bis in die letzten Winkel des Erdballs. Wie ist es möglich, dass ein Mensch in der Welt des Sports einen derartigen Weg zur Macht gehen kann? Ist dies typisch für die Welt des Sports und was sind die Mechanismen, die eine derartige Macht ermöglichen? Vergleicht man die FIFA mit den übrigen internationalen Sportfachverbänden so kann man sehr schnell erkennen, dass es in der Welt des Hochleistungssports ganz offensichtlich üblich ist, dass die Präsidenten der Fachverbände mit einer außergewöhnlichen Machtfülle ausgestattet sind. Dies gilt für die FIFA gleichermaßen wie für die IAAF und die FINA und für die IHF in ähnlicher Weise wie für die FIBA. In olympischen Fachverbänden scheint es so zu sein, dass mit der Wahl des Präsidenten ein Freibrief zur Ausübung einer außergewöhnlichen Macht vergeben wird, der nahezu in allen Verbänden einen Machtmissbrauch nahelegt. Viele Verbände unterliegen keiner öffentlichen Kontrolle. Die Haushaltspolitik der Verbände ist fast immer nur Chefsache. Transparente Haushaltsstrukturen sind selten anzutreffen. Die Aufwendungen für den Präsidenten und sein Präsidialbüro unterliegen meist keiner Kontrolle. Finanzämter, die für jeden Arbeitnehmer eine Normalität darstellen sind für manchen internationalen Sportverband ein Fremdwort, ganz gleich ob sie ihren Sitz in Monaco oder in Lausanne haben. Die FIFA hat dabei das Führungsmodell für den internationalen Sport vorgegeben. Fast alle anderen Verbände, insbesondere deren Präsidenten folgen dieser Vorgabe in großer Ergebenheit. Das Modell kommt vor allem den Präsidenten zugute und in der Regel profitieren diese von ihren Ämtern auch dann, wenn sie nach außen hin die ehrenamtliche Selbstlosigkeit postulieren. Wer sind diese Menschen, die nach dieser Macht streben, die diese Macht ausüben und sich dabei wohl fühlen? Auch hier gibt die FIFA das geeignete Rollenmodell. Waren früher Präsidenten der internationalen Sportfachverbände nicht selten Adelige, Vermögende, finanziell Unabhängige, die es sich leisten konnten ein Führungsamt in der Welt des Sports auszuüben, so sind längst Karrieristen an deren Stelle getreten, für die der Sport eine ideale berufliche Aufstiegsbühne eröffnet. Sepp B. hat dabei den Weg vorgegeben. Über eine sportliche Sozialisation, vielleicht sogar über einen Olympiasieg geht man den Weg in die Angestelltenstrukturen einer Sportorganisation. Dort erkennt man sehr schnell die Bedeutung, die die Mitglieder einer Sportorganisation und deren Präsident haben. Wie unsere gesamte Welt ist auch die Welt des Sports eine Welt mit einem „Oben und Unten“, eine reiche und eine arme Welt – eine durch Norden und Süden gekennzeichnete Welt. Europa und Nordamerika werden dabei nach wie vor als Imperialisten wahrgenommen; Südamerika, Afrika und Asien sind die Kontinente, die für sich den Anspruch erheben, dass es für sie als ehemals Kolonisierte nun endlich an der Zeit ist, dass ihre Anliegen nun auch ganz oben auf der Tagesordnung des Weltsports zu stehen haben. In einem jahrzehntelangen Kampf haben diese Kontinente den Europäern das „one-vote-one-country“-Wahlsystem abgerungen. Das kleine Mitglied einer Südseeinsel, das möglicherweise nur über ganz wenige Sportler verfügt, hat nun mit seiner Stimme denselben Einfluss wie die große Sportnation in Europa, die mit ihren Wettkämpfen und ihren Leistungen die finanzielle Basis der Weltsportorganisation bereitstellt. Unter Demokratiegesichtspunkten scheint die „one-vote-one-country“-Regel einem Demokratie- Ideal zu entsprechen, das höher zu bewerten ist als die ehemals quotierten Abstimmungsverhältnisse. Betrachtet man hingegen die Folgen dieses neuen Wahlsystems, so kann man sehr schnell erkennen, dass es gerade dieses System ist, das Qualitätskriterien einer verlässlichen Demokratie in erheblichem Maße gefährdet und in Frage stellt. Wem es um Macht in der Welt des Sports geht, der wird sich um diesen Sachverhalt kaum kümmern und so ist es auch nicht überraschend, dass es vor allem machtgierige europäische Präsidenten waren, die sich des neuen „one-vote-one-country“-Systems bedient haben, um sich selbst außergewöhnliche Machtoptionen zu eröffnen.

Kommen wir zurück zu Sepp B. Als kleiner Angestellter der FIFA hatte er sehr schnell erkannt, dass Macht jenem zugebilligt wird, der die kleinen Nationen auf seiner Seite hat und dass Entwicklungshilfe das entscheidende Sprungbrett zur Macht darstellen kann. Ein Development Department und eine Development Commission, sind mittlerweile in allen internationalen Sportorganisationen anzutreffen. Wer immer der Development-Politik vorsteht, kann als ein Kandidat zu einer weiterführenden Machtposition betrachtet werden. Wer über das Development Ressort verfügt, verfügt über den größten Einzeletat der internationalen Sportfachverbände. Den Mitgliedern der internationalen Sportverbände werden sogenannte Grants übermittelt, um die Situation an der Basis zu verbessern. Administration Grant, Competition Grant, IT Grant, Education Grant – so und ähnlich können die Instrumente heißen, die in der Realität immer das gleiche bedeuten. Den Mitgliedsverbänden werden finanzielle Zuschüsse überwiesen, die nicht zuletzt auch dem Präsidenten der jeweiligen Mitgliedsverbände zugutekommen. Dessen Dankbarkeit gegenüber dem internationalen Verband ist grenzenlos, wenn dieser seinen Entwicklungswünschen entspricht. Die große Mehrheit der kleinen Verbände ist auf die finanzielle Hilfe des internationalen Verbandes angewiesen, der größte Teil ihrer Einnahmen resultiert aus Zuschüssen des internationalen Verbandes. Der Development Direktor des internationalen Verbandes verteilt aus dem Füllhorn der internationalen Einnahmen – oft ist dies mehr als ein Viertel des gesamten Haushaltes der internationalen Sportorganisation. Man darf sich deshalb nicht wundern, dass sich viele Mächtige im Sport des Developmentinstruments bedient haben. Selbst dann, wenn sie in die Funktion des Direktors oder Generalsekretär aufgestiegen sind, haben sie sich in der Regel das Instrument der Entwicklungshilfe nicht aus der Hand nehmen lassen. Aufgestiegen zum Präsidenten haben sie darauf bestanden, den Vorsitz der Entwicklungskommission auszuüben oder zumindest noch die Kontrolle über diese Kommission zu behalten. Nebiolo hat dies in der Weltleichtathletik gleichermaßen getan wie dessen Nachfolger Lamine Diack. Blatter hat seine Rolle als Generalsekretär ebenso seinem Engagement für die Entwicklungshilfe zu verdanken, wie seine spätere Wahl zum FIFA-Präsidenten. Betrachtet man den Wahlkampf um die Nachfolge von IAAF-Präsident Diack, so hatten beide Kandidaten das Thema der Entwicklungshilfe in das Zentrum ihrer Kampagnen gerückt. Neue Grants werden erfunden, was immer nur so viel bedeutet, dass man den Mitgliedern Geld verspricht und derjenige, der am meisten verspricht und dies auch hält, dem ist die Macht am Ende sicher.

Sepp B. hat das Karriere-Modell zur Macht beispielhaft vorgelebt. Schläue und Cleverness haben in diesem Modell ebenso ihren Platz wie Kaltschnäuzigkeit und Prinzipienlosigkeit. Was gestern gegolten hat muss heute schon lange nicht mehr gelten. Opportunismus ist viel mehr angesagt. Macht auszuüben heißt sich den Bedingungen des Zeitgeistes optimal anzupassen. Präsident eines internationalen Verbandes wird man nicht, weil man über einen guten Charakter verfügt. Bildung oder eine besondere berufliche Qualifikationen sind dafür ebenfalls nur bedingt ausschlaggebend. Auf die Töne des Zeitgeistes ist zu hören, eine schnelle Anpassungsfähigkeit ist hilfreich und auf einen Zug ist immer dann aufzuspringen, wenn man weiß, dass die Richtung alternativlos geworden ist, in die der Zug zu fahren hat. Je mächtiger der Führer in den Organisationen des Sports ist, umso einsamer wird er. Er ist umgeben von vielen Ja-Sagern und einem devoten hauptamtlichen Personal – richtiges Vertrauen schenkt er jedoch keinem. Alles bedarf der Kontrolle des Mächtigen. Als „Alleswisser“ und „Alleskönner“ sieht er sich selbst als unverzichtbar. Deshalb sind Rücktritte bei Positionen, die sich durch große Macht auszeichnen höchst unwahrscheinlich. Wer sich an Macht gewöhnt hat, der erfreut sich an seiner Macht. Es bereitet Lust, wenn man mit Menschen spielen kann. Dabei geht es meist weit weniger um Geld, wie so oft vermutet wird. Das Handeln eines Sepp B. war nur noch bedingt von materiellen Interessen geprägt. Fast muss ihm geglaubt werden, dass er selbst an der umfassenden FIFA-Korruption gar nicht beteiligt war. Ein Mächtiger wie Sepp B. ist vielmehr ein Arbeitstier. Sein Leben ist voll und ganz dem Fußball gewidmet, um private Bereicherung geht es dabei nur am Rande. Für Sepp B. unterliegt sein Handeln höheren Zielen. Wenn er von Frieden spricht so meint er Frieden, wenn er von Hilfe für die Armen spricht, so meint er die Armen, so glaubt er, dass sein Handeln zu dieser Hilfe beiträgt. Seine Vision vom Fußball ist jene von einer besseren Welt. Deshalb ist er empört, dass diese böse Welt ihn nicht verstehen kann und will, dass sein Handeln nicht mit Anerkennung belohnt wird. Sepp B. hat sein Leben und Handeln voll und ganz dem Phänomen der Macht verschrieben. Ohnmacht ist dabei ohne Zweifel der größte Schrecken, dem er sich stellen muss.

Ist Sepp B. ohne Macht, so ist gewisser Weise seine Existenz zu Ende.

letzte Überarbeitung: 04.12.2017

Erstveröffentlichung: Das Modell Sepp Blatter. In: Stuttgarter Zeitung, 23.10.2015