Die Leichtathletik-Weltmeisterschaften von London im August diesen Jahres haben es einmal mehr gezeigt: England ist ohne Zweifel die Heimat des modernen Sports und England ist Mutternation vieler interessanter Sportarten. Wie in keinem anderen Land der Welt gibt es in Großbritannien eine aktiv gelebte Sportkultur und es gibt wohl kaum ein anderes Publikum, das vergleichbar fachkundig ist. Die Idee des Fair Play wird dabei gerade vom englischen Publikum in ganz besonderer Weise gelebt. Es weiß die Leistungen der Athletinnen und Athleten der eigenen Nation besonders wertzuschätzen. Die Gegner werden dabei immer hochgeachtet. Nur wenn es um Fragen des Dopings geht, ist auch das englische Publikum gegen eine besondere Form der Heuchelei nicht gefeit, insbesondere dann, wenn die Massenmedien, die angeblich Guten und die Bösewichte in der internationalen Leichtathletik mit zweierlei Maß messen.
Der englische Sport weist eine faszinierende Geschichte auf, die bis in das 15. Jahrhundert reicht. Von wilden und spannenden fußballähnlichen Spielen zwischen verschiedenen Dörfern, die mehrere Tage dauern, wird dabei berichtet und nach der Erfindung der Uhr ist sehr bald auch von spektakulären Rekorden bei Wettläufen die Rede.
Während meines jüngsten Besuches der Leichtathletik-Weltmeisterschaft in London wurde ich mit einem weiteren interessanten Kapitel der englischen Sportgeschichte konfrontiert. Im Hampton Palace, im Süden Londons, konnte ich eine Rechnung einsehen, die John Web als Tennisinstruktor seinem Schüler, seiner Majestät King Charles I, im Jahr 1623 gestellt hat. Gleichzeitig war es mir möglich, den Royal Tenniscourt im Hampton Palace zu besichtigen und dem Royal Tennisspiel von vier älteren Herren im wohl schönsten Royal Tenniscourt der Welt beizuwohnen. Während einer Auszeit war es der älteste Spieler, elegant in weiß gekleidet, dem es vorbehalten war, mich in die Besonderheiten des besonderen Spiels einzuführen. Das Tennisspiel, das wir in Deutschland spielen, so wurde mir erklärt, ist „lawn Tennis“ und wurde im Jahr 1873 erfunden. „Real Tennis“, das wirkliche Tennis also, das als „Royal Tennis“ zu bezeichnen ist, reicht hingegen zurück in das 15. Jahrhundert. Das Spiel ist vermutlich im 13. Jahrhundert als adeliges Freizeitspiel vom Land in die Stadt gekommen und hatte seinen Vorläufer im französischen „jeu de paume“.
Der moderne Court hat seine Form von den Straßen, in denen damals das Spiel gespielt wurde. Der erste Tenniscourt war aus Holz gebaut und hatte noch kein Dach. Die späteren Tenniscourts wurden hingegen aus Backstein gebaut und mit einem Dach versehen. Die damaligen Tenniscourts waren sehr teuer und waren deshalb nur für die Königsfamilie und für den Adel zugänglich. Es gab aber auch einige Gasthöfe, die für die Öffentlichkeit Tenniscourts eingerichtet hatten. „Real Tennis“ war besonders während der Zeit der Tudors beliebt. Unter dem Einfluss der Könige aus Hannover war ein Niedergang des Spiels zu beobachten. Wiederbelebt wurde das Spiel in der Viktorianischen Zeit, in der die meisten Courts gebaut wurden, so wie sie heute noch existieren.
Seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts kam es zu einer Wiederbelebung des „Royal Tennis“. Alte Courts wurden restauriert und einige neue wurden noch gebaut. Heute gibt es in England 26 Courts. Das Spiel wird auch in Australien gespielt. In Frankreich gibt es eine kleine Elite, die sich dem „joeu de paume“ gewidmet haben und die Vereinigten Staaten weisen ebenfalls einen Court-Tennisclub auf. Die Weltmeisterschaft im „Royal Tennis“ ist die älteste Weltmeisterschaft aller Sportarten. Die erste wurde im Jahr 1740 ausgetragen. Insgesamt hat es lediglich 24 Weltmeister gegeben und der Hampton-Court im Süden Londons ist stolz darauf, dass zwei dieser Weltmeister, George Lambert während der viktorianischen Zeit und Chris Ronaldson in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, diesen Titel tragen konnten. Chris Ronaldson ist heute noch der Head Professional des Royal Tennisclubs von Hampton.
Die Verbindung des Hampton Court Palace mit dem königlichen Tennissport reicht zurück in das Jahr 1520, als Kardinal Wolsey das Spiel am Hof einführte und Heinrich der Achte sich sehr schnell als ein äußerst gekonnter „Royal Tennis“-Spieler erwies. Die Legende erzählt, dass bei der Exekution von Königin Anne Boleyn, Heinrich der Achte Tennis im Hampton Court Palace spielte und dass Anne Boleyn auf Tennisspiele gewettet hatte, bevor sie verhaftet und in den Tower gebracht wurde. Auch Charles I war ein großer Anhänger des „Royal Tennis“-Sports.
Zur Gründung eines Tennisclubs am Hampton Court Palace kam es allerdings erst im Jahr 1818. Seit dieser Zeit musste der Club viele Krisen meistern, auch Konkurse waren angesagt. Heute befindet sich der Club jedoch in einer Blütezeit, er weist eine große Warteliste auf und die Anlage wird intensiv genutzt. Die Königin ist die Schirmherrin des Royal Tenniscourt und der Earl of Essex ist einer der eifrigsten Spieler und Unterstützer des Spiels. Im Clubabzeichen des berühmtesten Tennisclubs Englands werden die zwei typischen „Real Tennis“-Schläger miteinander gekreuzt und es zeigt darüber hinaus die Rose der Tudors und die königliche Krone.
Im Gegensatz zum „lawn Tennis“ ist beim „Royal Tennis“ jeder Tenniscourt einzigartig in seinen Dimensionen. Seine Länge, seine Breite und sein Gefälle können sich jeweils unterscheiden. Der Hampton Court Palace ist beispielsweise als ein sehr langer Court zu bezeichnen. In der Regel haben die Spielfelder ein Ausmaß von 33,53×11,89m aufzuweisen, die kleineren Courts erreichen hingegen lediglich eine Größe von 29,26×9,75m. Beim „Royal Tennis“ erfolgt der Aufschlag immer von der gleichen Seite des Platzes (service side). Der Ball muss zur Angabe auf das Dach zur seitlich befindlichen Galerie (Penthouse) geschlagen werden, in der die Zuschauer sitzen. Die retournierende, angreifende Mannschaft, muss nun versuchen den Ball am Gegner vorbei auf die Galerie zu schlagen. Neben der Seitengalerie gab es auch Quergalerien hinter den Aufschlägern, auf die die angreifende Mannschaft ebenfalls zielen kann. Der Ball wird entweder Volley oder nach dem ersten Aufspringen gespielt. Das Netz teilt den Court in eine „Service-Seite“ zur Rechten und in eine „hazard end“ zur Linken. Im Hampton Court wird das Spielfeld von drei Penthouses umgeben, die jeweils zwei Meter lang sind. Die vierte Seite ist die sogenannte „main wall“, die von einer Säule geteilt wird, die den Namen „Tambour“ trägt.
Fragt man nach den Gemeinsamkeiten und Unterschieden zum heutigen Tennis, so werden beide Spiele mit Schlägern und Bällen gespielt, die Zählweise ist ähnlich, 15-30-40-Deuce-Advantage kommen bei beiden Spielen zur Anwendung, ein Satz wird dann gewonnen, wenn der erste Spieler sechs Spiele gewonnen hat und zwei Aufschläge sind für jeden Punkt erlaubt. Der Aufschlag hat in einem bestimmten Feld zu landen. Die Unterschiede beider Spiele sind jedoch gewichtiger. Im „Royal Tennis“ ist das Spielfeld größer und die Spieler dürfen sowohl die Wände als auch das Spielfeld für ihr Spiel benutzen. Der Schläger beim „Royal Tennis“ ist aus Holz und weist einen asymmetrischen mit Nylon gespannten Kopf auf. Die Schläger sind für das gekonnte „Royal Tennis“-Spiel von grundlegender Bedeutung. Jeder Schläger ist handgemacht und es wird dabei das beste und teuerste Material verwendet. „Gold Leaf Athletics“, der derzeit bedeutsamste Hersteller von Tennisschlägern verwendet für seine Topmodelle drei verschiedene Holzarten. Die Steinlinde, die weiße Esche und das kanadische Ahorn. Die Steinlinde bildet das Material für den Stil, die weiße Esche bildet die Grundlage für den Schlägerkopf, die äußeren Schichten werden mit kanadischem Ahorn verleimt. Der derzeit beste Schläger trägt den Namen „The Model 355“ und wird von Camden Riviere und Chris Chapman gespielt. Camden Riviere hat bei den letzten Weltmeisterschaften Robert Fahey, der den Titel 22 Jahre gehalten hatte, geschlagen – er ist nun amtierender „Royal Tennis“-Weltmeister. Chris Chapman ist ebenfalls „Professional Royal Tennis“-Spieler, stammt aus Australien und nimmt in der Weltrangliste den fünften Platz ein. Die Schläger von „Gold Leaf Athletics“ machen ihrem Namen alle Ehre. Das Logo und alle weiteren Details am Schläger sind mit 24 Karat Gold ausgestattet. Jeder Spieler kann dabei seinen eigenen Schläger grafisch gestalten. Club-Logo, Monogramm oder der vollständige Name kann erwünscht sein – alles wird in Gold gestaltet.
Nicht weniger wichtig sind die handgearbeiteten Bälle. Heute wird meist mit handgenähten Filzbällen mit einem Korkkern gespielt, der Durchmesser muss zwischen 61,9 und 65,1mm und das Gewicht zwischen 70,9 und 78g sein. Das Netz hängt in der Mitte des Spielfeldes durch.
Das „Royal Tennis“ wird noch von sehr viel weiteren schwierigen Regeln geprägt. Ist man selbst Tennisspieler des modernen Tennisspiels, ist man von der Kompliziertheit der Regeln überrascht. Man muss auch sehr schnell erkennen, dass das „Royal Tennis“ zu Recht als das wohl schwierigste Ballspiel der Welt zu bezeichnen ist. Ein Korrespondent der „Times“ hat es deshalb als „running, jumping and hitting chess“ bezeichnet. Das Spiel gilt deshalb als besonders schwer, weil der Ball mit unterschiedlicher Härte in alle Richtungen geschlagen werden kann und weil der Ball von den Wänden und vom Spielfeld in den unterschiedlichsten Winkeln und Flugkurven geschlagen werden kann, ohne dass dies Vorhersehbar ist. Der Schlägerkopf ist sehr klein, was exakte und kontrollierte Schläge sehr schwierig macht. Gute Spieler spielen dabei vor allem geschnittene Bälle. Topspin-Schläge hingegen sind eher ungebräuchlich. Da die Courts jeweils ihren spezifischen Charakter haben, gibt es bei diesen Spielen einen besonderen Heimvorteil. Für jüngere Spieler ist das „Royal Tennis“ eine besondere Herausforderung wegen des geringen Gewichts des Schlägers und einem Ball, der nur eine geringe Sprungkraft aufweist. Man braucht deshalb eine sehr lange Praxis, um die vielen Möglichkeiten durch die Winkel und Unregelmäßigkeiten eines jeden Courts optimal nutzen zu können. Deshalb sind auch die Weltmeister im „Royal Tennis“ meist älter als 30 Jahre. Sehr oft können ältere Spieler noch jüngere Spieler schlagen. Das Spiel kann auch von sehr alten Menschen noch außergewöhnlich erfolgreich gespielt werden. Hat man einmal das Spiel gespielt, so möchte man es niemals mehr missen. Nach Meinung meines besonderen Lehrers, der mich in die Geheimnisse des „Royal Tennis“ eingeführt hat, wird das Spiel zu einer Sucht, das man auch noch als 80-Jähriger spielen kann. Er selbst war dabei der lebende Beweis.