Die Kritik am Hochleistungssport ist so alt wie auf der anderen Seite der Sport in seinen Vorzügen gelobt wird. Am entschiedensten wurde die Kritik Ende der 60er Jahre von der Neuen Linken vorgetragen, während heute eher eine unbekümmerte Einstellung gegenüber dem Hochleistungssport verbreitet ist. Die Kritik damals beruhte in erster Linie auf einer vergleichenden Analyse der Systeme Sport und Arbeit. Dieser Analyse zufolge spiegeln sich im Hochleistungssport die Zwänge der Arbeitswelt wider. Hochleistungssport sei demnach Arbeit und bedeute eine Verdoppelung der Arbeitswelt. Wie in der Welt der Arbeit der Berufstätigen würde auch in der Welt des Sports der Athlet unmündig gehalten, indem er von außen gesteuert und geleitet wird. Die angebliche Freiwilligkeit sei eine Scheinfreiwilligkeit. Durch diese Merkmale trüge der Spitzensport zur Stabilisierung des jeweiligen gesellschaftlichen Systems bei, in dem er betrieben wird. Nach außen hin ermögliche dieser Sport die gefahrlose Kanalisierung von am Arbeitsplatz aufgestauten Aggressionen. Er sei Ersatz und Ventil zugleich. Heroenkult und nationaler Chauvinismus seien ebenso seine Merkmale wie säkulare Religiosität und Flucht vor sozialem und politischem Engagement. Er symbolisiere ein inhumanes, rigides Leistungsmodell, es würde in ihm einem Leistungsfetischismus gehuldigt, in dem die Leistung zum „Gott“ erklärt wird. Wer im Wettbewerb des Hochleistungssports nicht mithalten kann, sei es aus sozialen oder aus natürlichen Gründen, der würde abgewertet und zum Außenseiter gestempelt. Damit würde der Hochleistungssport zu einer modernen Ideologie. Der Sport selbst würde durch diese Ideologie seiner sozialen Möglichkeiten beraubt. Der Spitzensport fördere vielmehr die Gewöhnung an den Betrug. Er entspräche dem „aktiven praktischen Beutegeist“ auf der einen und dem Gehorchen und der Bereitschaft zu leiden auf der anderen Seite. Damit gehöre der Hochleistungssport ins Reich der Unfreiheit, wo immer man ihn organisiert.
Solch harter Kritik steht auf der anderen Seite ein nicht minder engagiertes Plädoyer für den Hochleistungssport gegenüber. Unter Zurückweisung der meisten Vorwürfe wird auf die positiven sozialen und individuellen Funktionen verwiesen. Dem Vorwurf, dass der Spitzensport ein Disziplinierungsinstrument sei, wird entgegengehalten, dass gerade dies sein besonderer Nutzen ist. Der Hochleistungssport besitze demnach die geistig-moralische Kraft der Selbstzucht. Überhaupt sei der Spitzensport ein ideales Mittel zur Selbstverwirklichung und Persönlichkeitsentfaltung von jungen Menschen. In ihm sei es möglich, individuelle Grenzen und Möglichkeiten am eigenen Leibe zu erfahren, selbstgesetzte Herausforderungen anzunehmen, sich selbst zu behaupten. Hier könne man Selbstbewusstsein und Selbstsicherheit entwickeln, ohne gleich bürgerliche Sicherheit ohne jegliches Risiko zu suchen. Die überragende sportliche Leistung sei demzufolge ein Mittel zur Emanzipation, zur Körpererfahrung und Selbstbestätigung. Aber auch in politischer und kultureller Sicht habe der Hochleistungssport seinen Nutzen. So ermögliche er nationale Selbstdarstellung und Repräsentation auf eine friedliche Weise. Er bewirke internationale Verständigung und Völkerfreundschaft und sei daneben auch ein wichtiges nationales Integrationsinstrument. Der Spitzensport sei Anlass, damit Menschen miteinander sprechen und Zusammenhalt finden, er stifte sozialen Sinn. Somit sei der Spitzensport zu einem Reservat wichtiger demokratischer Prinzipien geworden, in dem Gleichheit, Durchsichtigkeit von Leistung und Konkurrenz ihren sicheren Platz haben. Man streite sich und hielte doch die Regeln ein. Konfessionelle und Rassenunterschiede würden negiert. Hinzu komme die herausragende kulturelle Bedeutung des Spitzensports. In ihm seien menschliche Möglichkeiten sichtbar. Auf eine leicht zugängliche Weise würde dort menschliches Mittelmaß überwunden, würden Leistungsgrenzen berührt und all dies ereigne sich durch selbst auferlegte Anstrengung mit dem eigenen Körper. Der Spitzensport stehe in diesem Sinne als ein wichtiges Symbol für zentrale Werte und Handlungsmuster unserer Kultur.
Kritik und Lob, die gegenüber dem Hochleistungssport geäußert wurden und werden, sind in vieler Hinsicht pauschal und meines Erachtens basieren beide nur zum Teil auf einer sachlichen Grundlage. Vielmehr wird durch sie ein verzerrtes und unvollständiges Bild der Wirklichkeit gezeichnet. Es wird nicht streng sachlich informiert, sondern der Informationsvorgang ist durch zwei sich widersprechende ideologische Interessen beeinflusst. Nur selten hat sich somit die Kritik am Hochleistungssport als fundiert erwiesen, und viel zu oft ist zu beklagen, dass es zu kritischen Aussagen über den Hochleistungssport kommt, die von jeglicher Sachkenntnis ungetrübt sind.
Nicht zuletzt deshalb sollten sich Wissenschaftler sehr viel intensiver mit den Chancen und Problemen des Spitzensports in Deutschland auseinandersetzen. Ich selbst hatte in den letzten drei Jahrzehnten als Funktionär die Möglichkeit, Einblick in ein System des Hochleistungssports zu nehmen, wie es mir als Wissenschaftler zuvor nicht erlaubt war. In meiner Wahrnehmung hat sich dabei die Komplexität des Systems von Jahr zu Jahr gesteigert, mein Wissen um Teilaspekte wurde erheblich erweitert, doch gleichzeitig wurde mir in vielfältiger Weise auch meine Unwissenheit bewusst. Mir wurde aber vor allem bewusst, wie notwendig es wäre, dass der Hochleistungssport kritisch systematisch begleitet würde, dass er sich auf engagierte Berater stützen könnte, dass er Experten hat, die von außen auf ihn schauen und die damit jenes sehen, was man im System selbst angesichts der eigenen Blindheit nicht erkennen kann.