„Mein Sportteil“

Tageszeitungen unterscheiden sich. Die Unterschiede sind naheliegend. Jede hat ihren eigenen Namen. Sie unterscheiden sich meist auch im Seitenformat und nicht selten auch im Schriftbild. Die Gliederung nach Ressorts kann sehr unterschiedlich sein und in Bezug auf das Können der Journalisten, die täglich für die Zeitungen schreiben, können gravierende Unterschiede bestehen.

Den Unterschieden stehen jedoch auch viele Gemeinsamkeiten gegenüber. Alle Zeitungen wollen aktuell und informativ sein, sie möchten möglichst umfassend über das berichten, was sich in der Welt an den Tagen zuvor ereignet hat, sie möchten unterhaltend sein und sie möchten vor allem auch die Leser an sich binden. Eine gute Auflage kann den Bestand der Zeitung sichern. Jede Tageszeitung muss sich täglich an einem aggressiven Medienmarkt bewähren.

Dabei spielt die Berichterstattung über den Sport eine wichtige Rolle. Neben dem Lokalteil gehört der Sportteil einer Tageszeitung zur beliebtesten Lektüre der Abonnenten. Die Qualität des Sportteils trägt erheblich zu einer erfolgreichen Auflage bei.

Dieser gemeinsame Nenner wird allerdings auf äußerst unterschiedliche Weise von den Sportredaktionen der Tageszeitungen wahrgenommen. Dabei wirkt sich nicht zuletzt die Größe der Sportredaktionen aus. In jüngster Zeit wurden viele Redaktionen kleingeschrumpft und auch die Sportredaktionen waren dabei sehr häufig mitbetroffen. Es macht einen erheblichen Unterschied aus, ob ein Sportteil von zehn Redakteuren verantwortet wird oder ob sich lediglich drei Personen diese verantwortungsvolle Aufgabe teilen. Für den Leser können dabei die Unterschiede erheblich sein und so kann es informativ sein, wenn wir uns in die Rolle von fiktiven Lesern begeben, denen jeweils nur eine Tageszeitung zur Verfügung steht. Vergleichen wir mehrere Tageszeitungen miteinander, so können wir die Versorgungsunterschiede beobachten, die für den Leser durch die Entscheidung zugunsten einer besonderen Tageszeitung entstehen können.

Vor wenigen Jahren habe ich mich auf einer Dienstreise von Deutschland über die Schweiz nach Frankreich befunden. Acht verschiedene deutschsprachige Tageszeitungen, sechs aus Deutschland und zwei aus der Schweiz, waren mir dabei zugänglich und machten es mir möglich, die eben angedeutete Idee von einem Vergleich in die Realität umzusetzen.

Am schnellstens fallen die Unterschiede in Bezug auf den Umfang der Tageszeitungen auf und welchen Anteil dabei der Sportteil hat. Die Süddeutsche Zeitung hatte an diesem Tag einen Umfang von 32 Seiten, davon machten drei Seiten den Sportteil aus. Die Stuttgarter Nachrichten hatten ein Verhältnis von 28 zu drei, die Stuttgarter Zeitung von 32 zu drei, das Schwäbische Tagblatt von 36 zu drei, die Bild Zeitung von 16 zu vier, die Welt von 20 zu zwei, die FAZ von 30 zu zwei, der Züricher Tagesanzeiger von 40 zu drei und die Neue Züricher Zeitung von 52 zu zwei. Der Vergleich legt die Vermutung nahe, dass Schweizer Leser noch sehr viel mehr Lesestoff über ihre Tageszeitungen erhalten im Vergleich zu deutschen Lesern. Die Redaktionen und der Umfang ihrer Zeitungen unterliegen offensichtlich nicht der gleichen Kürzung wie dies in den vergangenen Jahren in der Bundesrepublik der Fall war. Der Vergleich zeigt aber auch, dass der Sportteil in allen Zeitungen eine wichtige Rolle spielt. Je stärker die Zeitung zum Boulevard neigt, desto höher wird ihr Anteil. Der Sportteil der Bild Zeitung macht immerhin ein Viertel des Gesamtumfanges aus. Besonders knapp bemessen scheint der Sportteil in der Süddeutschen Zeitung, in der Welt und in der FAZ zu sein.

Für Sportinteressierte interessanter ist die Frage über welche Inhalte in den Sportteilen berichtet wird. Fußball tauchte in jedem der acht Sportteile auf, die in dieser kleinen Studie miteinander verglichen wurden. Ebenso die aktuell stattfindende Schwimmweltmeisterschaft. Der juristische Fall Hoeneß fand ebenfalls in nahezu allen Sportteilen Berücksichtigung. Ansonsten können sich die Sportteile in ihrer Vielfalt erheblich unterscheiden.

Das Schwäbische Tagblatt berichtete über „Pep“ Guardiola, über die DTM Serie, über Formel-1-Pilot Alonso, gab eine Vorschau auf die Leichtathletik-WM und behandelte in zwei Beiträgen Dopingprobleme des Hochleistungssports.

Die Stuttgarter Zeitung hatte im Zentrum die Anklage der Staatsanwaltschaft gegen „Uli“ Hoeneß, beschäftigte sich in zwei Geschichten mit „Berti“ Vogts und VfB-Manager Fredi Bobic, interviewte einen BMX-Fahrer, berichtete vom Comeback von Martina Hingis und von der Schwimm-WM, sowie über die Folgen des Dopinggeständnisses von Erik Zabel.

Für die Neue Züricher Zeitung war die Anklage gegen Hoeneß ebenfalls einen Beitrag wert, ansonsten war man auf Schweizer Fußballmannschaften, auf die Schwimm-WM und die Schweizer Tennisliga ausgerichtet.

Der Konkurrent, der Züricher Tagesanzeiger, berichtete von den Grasshopper Zürich, vom FC Zürich, vom FC Basel und im Sinne eines Alleinstellungsmerkmals über Dopingprobleme bei der französischen Fußball-Nationalmannschaft. Ebenso wurde über Swiss Ski berichtet, in dem der Alpin-Chef der Schweizer Nationalmannschaft interviewt wurde und der Schwimm-WM wurde angemessen Aufmerksamkeit gewidmet.

Die FAZ berichtete als einzige von der „Schonung für Schwule“ bei den Olympischen Winterspielen in Sotschi, porträtierte einen NBA-Professional. Fernando Alonso war einen Artikel Wert und ansonsten stand die Schwimm-WM im Aufmerksamkeitszentrum. Wie es für die FAZ üblich ist, wurden sportpolitisch relevante Themen dargestellt, so die Kandidatur Moses als WADA-Chef und die Kritik von Lamine Diack an der Olympiabewerbung Istanbuls.

Für die Welt waren Guardiola, Hoeneß und Klitschko jeweils einen Artikel Wert. Außerdem wurde der Fußballprofi Jermaine Jones in einem Interview porträtiert.

Reißerisch wie üblich berichtete die Bild Zeitung vom Klitschko Zoff auf Ibiza, präsentierte den schönsten Sturzflug beim Klippenspringen bei der Schwimm-WM, behandelte Doping und Formel-1 mit Schlagzeilen. Ansonsten stand der Fußball mit vollen zwei Seiten im Mittelpunkt der Bild-Berichterstattung.

Die Stuttgarter Nachrichten hatte auf ihren drei Seiten eine außergewöhnliche Vielfalt aufzuweisen. Es wurde das VfB-Talent Timo Werner porträtiert, Sebastian Schweinsteiger wurde bei Bayern München in Frage gestellt, Klitschko war der Sportfreund des Tages, ein BMX-Profi wurde interviewt, bei Ferrari läuteten die Alarmglocken, die DLV-Mannschaft für die Leichtathletik-WM wurde vorgestellt, und es wurde von der Schwimm-WM berichtet. Klettern wurde als Freizeitsport porträtiert und die Dopingprobleme wurden ebenfalls dargestellt, sowohl in Bezug auf die Olympiabewerbung in Istanbul, als auch in Bezug auf den Radsport.

Für die Süddeutsche Zeitung war der Fußball eine ganze Auftaktseite Wert, die Schwimm-WM hatte jedoch ebenfalls große Aufmerksamkeit zur Folge und im Sinne eines Alleinstellungsmerkmals berichtete die Süddeutsche von einem Kampfrichterskandal in der Rhythmischen Sportgymnastik. Die Leichtathletik wurde in einer Vorschau auf die WM dargestellt, Moses WADA-Bewerbung wurde berücksichtigt, der Dopingskandal in Deutschland, ausgelöst durch die „Testspritzen in Freiburg“, wurde in einem Kommentar gewürdigt und Formel-1-Pilot Alonso konnte es bis zu einem Vierspalter bringen.

Acht Tageszeitungen, acht Sportteile dieser Tageszeitungen aus einer vergleichenden Perspektive betrachtet. Der Vergleich legt die Vermutung nahe, dass man als Leser der nur eine einzige Tageszeitung zur Verfügung hat, höchst unterschiedlich über die Welt des Sport informiert wird, wenn man sich mit einem Leser einer anderen Zeitung vergleicht. Die Frage die sich dabei stellt ist jene, in wie fern die Sportwirklichkeit in angemessener Weise durch die Selektion der Redakteure der verschiedenen Tageszeitungen wiedergegeben wird. Der Selektionsdruck ist prinzipiell. Der Sportteil ist nicht unendlich groß, es muss entschieden werden was aus Sicht der Redakteure für ihre Leser wichtig ist, was weniger wichtig ist, was man möglicherweise vernachlässigen kann, über was nicht zu berichten ist und was ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt wird. Diese Entscheidung scheint ganz offensichtlich schwierig zu sein. Die Agenturen, die den Tageszeitungen täglich Berichte liefern, spielen dabei eine zentrale Rolle. Ihre Selektion und Gewichtung ist besonders bedeutsamen und deshalb kann es auch kaum überraschen, dass manche hochgewichteten Artikel in allen acht Tageszeitungen zu finden sind, andere hingegen so gut wie gar nicht oder nur in einer einzigen Zeitung zur Darstellung gebracht werden. Kritisch scheint dabei zu sein, dass durch die Verkleinerung der Redaktion die Tageszeitungen immer stärker in die Abhängigkeit zu den Agenturen geraten sind. Dies wird deutlich wenn man die einzelnen Artikel in Bezug auf ihre Autorenschaft prüft. Immer weniger Artikel werden von den Redakteuren der jeweiligen Tageszeitungen selbst geschrieben. Der größte Anteil der Berichterstattung an diesem Tag kam dabei der Agentur dpa zu. Manche Tageszeitungen sind auf bis zu 70% ihrer Beiträge auf diese Agentur angewiesen. Es gibt Beiträge, die aus der Kombination von Meldungen verschiedener Agenturen entstehen, in der Regel werden dabei Informationen von sid und dpa in einem einzigen Beitrag miteinander kombiniert. Nur wenige namentlich gekennzeichnete Beiträge prägen den Sportteil. Immer häufiger gibt es die Tendenz zur Kombination eines Kürzels mit Agenturkürzeln, das heißt Agenturbeiträge werden von einem Mitarbeiter der Redaktion umgeschrieben und lediglich mit dem Kürzel des Mitarbeiters gekennzeichnet.

Es ließen sich noch viele Auffälligkeiten aus einer vergleichenden Perspektive betrachten, so die Frage wie die Sportteile von Interviews geprägt werden, welche Textsorten bevorzugt und welche eher vernachlässigt werden. Das Essay scheint immer seltener Berücksichtigung zu finden, Kommentare hingegen gewinnen an Bedeutung. Die Tabellenteile und die Ergebnisberichterstattung sind immer noch relevant, die Anteile der Bilder in Relation zum Text werden in der Sportredaktionen sehr unterschiedlich definiert, doch die Sportfotografie hat eine zentrale Bedeutung für die Qualität das Sportteils, was für alle Redaktionen offensichtlich ist.

Treibt man selbst Sport, ist man vom Sport begeistert, so ist der Sportteil der Tageszeitung etwas Besonderes, er ist „mein Sportteil“ und jeder verfügt über seinen eigenen Sportteil. Dass Leser zwei verschiedene Tageszeitungen lesen ist eher selten. Will man sich selbst über seinen Sportteil ein Urteil bilden, so ist es hilfreich, wenn man sich immer wieder auch aus einer vergleichenden Perspektive die Sportberichterstattung anderer Tageszeitungen zu Rate zieht. Der hier vorgenommene Vergleich soll genau dazu einladen.

letzte Überarbeitung: 25.04.2018

Erstveröffentlichung: In: Digel, H. (2014). Gefährdeter Sport. Schorndorf: Hofmann.