Erwartungen der Sportpolitik an eine Sportökonomie

In unserem Alltagssprachgebrauch hat sich beispielsweise eingebürgert, dass der Innenminister gleichzeitig auch unser Sportminister ist, dass es auf Landesebene Sportminister gibt mit unterschiedlichen Hoheitsbereichen, und dass es auch auf kommunaler Ebene sogenannte Sportbürgermeister gibt, die den Sport politisch verantworten. Sportpolitik hat dabei etwas mit hauptamtlicher Arbeit zu tun, sie ist eingebunden in den Parlamentarismus und folgt zumindest indirekt Parlaments- und Parteitagsbeschlüssen. Wird hingegen ehrenamtlich in leitenden Positionen sportli­cher Institutionen und Organisationen gehandelt, so spricht man von den Funktionä­ren des Sports, die nur sehr selten für sich in Anspruch nehmen, dass sie Sportpoliti­ker sind.

Der Begriff des Politischen ist in den üblichen Debatten über den Sport nicht notwen­digerweise positiv besetzt. Ja, es wird vielfach und nach wie vor das heuchlerische Spiel des Unpolitischen gespielt. Der Sport wird dabei absichtsvoll oder auch unbe­dacht ideologisch als Nebensächliches etikettiert und das Politische wird zu etwas Marginalem degradiert. Wenn ich im Folgenden Erwartungen an eine Sportökonomie richten werde, so tue ich dies aus Distanz zu diesem falsch verwendeten Begriff des Politischen (vgl. Digel 1975). Ich gehe vielmehr davon aus, dass gerade angesichts der bedeutsamen Rolle, die das System des Sports in Industriegesellschaften spielt und die dieses System vermutlich auch im Übergang zur Wissens- und Informations­gesellschaft spielen wird, ein weiter Begriff des Politischen notwendig und zwingend ist. Der Begriff des Politischen muss dabei als notwendiger Bestandteil zur Selbster­haltung des Systems des Sports betrachtet werden. Ein aktives politisches Bewusstsein ist dabei zwingend notwendig sollten jene Ziele, die sich die Sportorganisationen auf ihre Fahnen geschrieben haben, gesellschaftlich durchgesetzt werden. Es muss dabei um die Stabilisierung, um den Ausbau und die Entwicklung des sportpolitischen, institutionellen und administrativen Handlungsrahmens gehen, in dem sich derzeit die Vielfalt des Sports ereignet. Es muss aber auch um die kompetente Bearbeitung von Aufgaben gehen, um die verantwortliche Problembewältigung unter Beachtung sportpolitisch verbindlicher Ziele, Werte und Grundsatzorientierungen. Das sportpolitische Handeln muss sich durch bestimmte Maximen, Strategien und Programme auszeichnen. Zu einem weiten Begriff des Sportpolitischen gehört aber auch, dass man sich klar wird, dass es gerade auch in den Organisationen und Institutionen des Sports um eine sachorientierte, auf Konsens und Solidarität bedachte Durchsetzung sportpolitischer Interessen und Ziele gehen muss. Deshalb gibt es auch im System des Sports einen Kampf um Macht innerhalb von Sportorganisationen und außerhalb derselben. Es gibt interne Konflikte und Konflikte mit anderen gesellschaftspolitischen Kräften. Folgt man diesem weiten Begriff des Politischen, so werden bedeutsame Politikbereiche des Sports erkennbar. Neben der Vereins- und Verbandspolitik, gewinnen angesichts der aktuellen Veränderungen in unserer Gesellschaft die Medienpolitik, die Markt- und Finanzpolitik und die Beschäftigungspolitik zunehmend an Bedeutung. Nicht weniger relevant ist die Gesundheitspolitik und die Integrationspolitik, die der Sport verfolgt. Solch ein Verständnis von Sportpolitik macht es möglich, dass wir auf eine etwas systematischere Weise die Erwartungsbereiche unterscheiden können, denen eine kompetente Sportpolitik gerecht werden sollte.

Die Mehrdeutigkeit des deutschen Begriffs führt dabei unter Zuhilfenahme der engli­schen Sprache zu einem dreidimensionalen Politikbegriff (vgl. Heidenheimer 1986). Mit dem Terminus „polity“ wird dabei die Organisationsform, das Normengefüge und damit vor allem die Ordnung des politischen Systems gekennzeichnet. Mit dem Begriff „policy“ kommt es zur Kennzeichnung der Inhalte, der Art und Weise der Bearbeitung der öffentlichen An­gelegenheiten und Aufgaben, der Problemlösung, der Aufgabenerfüllung. Im Zen­trum steht dabei die Gestaltung im politischen System. Als dritte Dimension des Poli­tikbegriffs wird die Bezeichnung „politics“ unterschieden. Neben der Form und dem Inhalt kommt dabei das Prozesshafte des Politischen in den Blick. Es geht um Inter­essen, Konflikte und Kampf; Macht und Konsens sind die Merkmale und es geht zen­tral um Durchsetzung. Die drei Dimensionen dieses weiten Politikbegriffs liegen eng zusammen; sie sollten deshalb nicht unabhängig voneinander betrachtet werden.

Stellt sich uns das Problem der begrifflichen Unklarheit beim Begriff der Sportpolitik in mehrfacher Hinsicht, nicht zuletzt auch durch die Möglichkeit der Unterscheidung in praktisches Handeln auf der einen Seite und in die Kennzeichnung einer Teildiszi­plin der Sportwissenschaft mit dem Begriff der Sportpolitik auf der anderen Seite, so lassen sich für den Begriff der Sportökonomie bzw. der Sportökonomik ähnliche Schwierigkeiten erkennen. Die Sportökonomie kann sich nicht durch einen eng be­grenzten Gegenstandsbereich ausweisen. Es ist deshalb nahe liegend, dass zu­nächst festgelegt wird, welches Verständnis von Sportökonomie den folgenden Aus­führungen zugrunde gelegt werden soll.

Sportökonomie kann als diejenige Wissenschaft verstanden werden, die sich mit den Zusammenhängen zwischen Sport und Wirtschaft befasst. Dabei scheint es mir sinnvoll zu sein, ähnlich wie beim Begriff des Politischen einen möglichst weiten Be­griff der Ökonomie zu gestatten. Zumindest scheint mir zwingend notwendig zu sein, dass Sportökonomie nicht mit Sportmanagement gleichgesetzt werden darf. Schon gar nicht sollte sich eine Sportökonomie durch einen pseudowissenschaftlichen An­glizismus auszeichnen, wie er derzeit leider – zum Schaden einer ernsthaften Sport­ökonomie – viele Marketing- und Sponsoring-Debatten in der Welt des Sports prägt. In Lehre und Forschung sollte eine Sportökonomie möglichst zwei Anwendungsgebiete des Sports unterscheiden: Der gewerbliche Sport bedarf dabei ebenso einer spezifi­schen Beschreibung und Erklärung wie der nicht gewerblich angebotene Sport.

Um die Begriffe „Sportpolitik“ und „Sportökonomie“ genauer zu bestimmen, ist ferner zu klären, welches Feld mit dem Terminus „Sport“ abgesteckt werden soll. Die viel­fach beschriebene und hinlänglich bekannte Differenzierung des traditionellen Sportmodells hat dazu geführt, dass das Sportsystem seine innere Einheit und Ein­deutigkeit verloren hat und sich gegenwärtig als ein überaus differenziertes, nicht klar abgrenzbares Handlungssystem darstellt. Versucht man die ausdifferenzierten Ele­mente auf einer höheren Ebene – in heuristischer Absicht – zu synthetisieren, so können mindestens fünf voneinander unabhängige Sportmodelle unterschieden wer­den: der organisierte Wettkampfsport, der Sport ohne organisierten Wettkampf, der als soziale Dienstleistung organisierte instrumentelle Sport, der Alternativ- sowie der Berufssport. Eine weiterführende Unterscheidung könnte darüber hinaus hilfreich sein, wenn Erwartungen der Sportpolitik an die Sportökonomie gerichtet werden. Die Sportorganisationen in ihren vielfältigen Erscheinungsformen haben im weitesten Sinne vielfältige ökonomische Aufgaben zu erfüllen, die sich zumindest in zweifacher Weise klassifizieren lassen:

Es gibt dabei Leistungen für systemimmanente ökonomische Aufgaben, hierzu gehö­ren z.B. solide und sachgerechte Haushaltsführungen in Vereinen, kompetente Ko­sten-Nutzen-Analysen für Dienstleistungsangebote und größerer Investitionen, z.B. Großveranstaltungen im makroökonomischen Bereich oder für den Neubau von Sportanlagen und die Beschäftigung von Arbeitskräften.

Zum Zweiten gibt es Leistungen für ökonomische Aufgaben, die sich auf die Umwelt des Sportsystems beziehen. Hierzu gehören vor allem der Güter- und Dienstlei­stungsverkauf, die Marketing- und Sponsoring- sowie Spiel- und Wettkampfangebo­te, die Akquirierung staatlicher und mäzenatischer Unterstützungsgelder, aber auch bestimmte Effekte von Sportangeboten, wie Imagetransfer durch Sportevents für ei­ne Stadt oder eine Region oder die Kosten der daraus folgenden Umweltbelastun­gen.

Auf der Grundlage des von mir hier skizzierten Verständnisses der Begriffe des Poli­tischen bzw. der Sportpolitik und der Sportökonomie lässt sich nunmehr beschreiben, was die Sportpolitik von der Sportökonomik erwarten kann. Neun Erwartungen möch­te ich dabei besonders hervorheben:

  1. Versteht man unter Sportpolitik eine Trias aus Polity, Policy und Politics, ist Sportpolitik also die entscheidende Instanz der Organisationsführung, so muss eine Sportökonomie unter dem Primat der Sportpolitik eingeordnet werden. Sportökonomie kann wohl als bedeutsamer Strategienkomplex zur Verwirkli­chung bzw. Umsetzung einer Sportpolitik aufgefasst werden. Ihr Wirkungsraum ist zwar der monetäre Bereich. Doch ist gerade dieser aufgrund seiner beliebig einsetzbaren Möglichkeiten für oder gegen bestimmte Inhalte uneingeschränkt nutzbar. Geld ist auch eine wirkungsvolle Währung der Macht. Die Politik liefert dazu permanent den Beweis. Auch wenn derzeit in vielen Sportorganisationen nicht mehr das Primat der Politik vorherrscht, so muss – auch aus logisch zwin­gende Gründen – festgehalten werden, dass das, was ökonomisch richtig und gut ist, nicht notwendigerweise politisch richtig und gut sein muss, und was für den Sport wichtig und gut ist, muss weder ökonomisch noch politisch richtig und gut sein.
  2. Die Sportökonomik sollte gemäß der organisatorischen Struktur des Sports auf lokaler, regionaler, nationaler und globaler Ebene Planungs- und Entscheidungsprozesse der sportpolitisch verantwortlich handelnden Personen mit öko­nomischem Beratungswissen begleiten.
  3. Eine mikroökonomisch orientierte Sportökonomie, die sich mit Entscheidungen und Wechselbeziehungen in und zwischen Haushalten, Unternehmen und Staat befasst, könnte betriebswirtschaftliche Erkenntnisse bereitstellen, um die Ent­scheidungen und das wirtschaftliche Verhalten in den Organisationen der Sportanbieter zu optimieren. Bei personalwirtschaftlichen Problemen ehrenamt­licher und hauptamtlicher Mitarbeit, bei Fragen der Angebotsgestaltung, der Fi­nanzierung und des Rechts sowie bei der Festlegung von Marketingstrategien könnte die Sportökonomie Beratungsleistungen übernehmen.
  4. Auf einer mittleren Ebene käme einer Sportökonomie u.a. die Aufgabe zu, aus­gehend von der Erfassung spezifischer Koordinations- und Steuerungsmecha­nismen, beratende Erkenntnisse zu den vielfältigen Netzwerkverflechtungen zwischen Vereinen und Verbänden sowie erwerbswirtschaftlich ausgerichteten Unternehmen, z.B. im Hinblick auf das Sportsponsoring bereitzustellen. Dar­über hinaus kann die Sportpolitik von Angebots- und Nachfrageanalysen in sportrelevanten Märkten profitieren und diese bei sportpolitischen Planungs-­und Entscheidungsprozessen berücksichtigen.
  5. Auf einer Makroebene könnte die Sportökonomie das sportpolitische Handeln der Verantwortlichen in den Organisationen des Sports ebenfalls beratend be­gleiten und durch entsprechende Erkenntnisse Entscheidungshilfen bereitstel­len, so z.B. bei Kosten-Nutzen-Analysen über sportliche Großveranstaltungen oder im Hinblick auf Veränderungen der Siedlungs- und Infrastruktur, z.B. bei der Planung von Sportstätten oder großer sportlicher Ereignisse.
  6. Eine Sportökonomik sollte Ursache und Wirkungszusammenhänge aufzeigen, wie sie sich zwischen dem System der Wirtschaft und dem System des Sports ergeben, so z.B. in Bezug auf die Frage nach der Popularität von Sportarten oder Sportlern in der Bevölkerung und bei der Wirtschaft. Sie sollte Nachfrage­potentiale erforschen etwa im Bereich der Mitglieder und der Wirtschaftspartner, und sie sollte grundsätzliche Analysen des Marktes vornehmen (Angebot, Nachfrage und Konkurrenz), z.B. im Bereich Fernsehmarkt oder im Verhältnis zu Wirtschaftsunternehmen und anderen Sportverbänden.
  7. Eine Sportökonomie sollte auch beratende Leistungen in Bezug auf die Aus-und Weiterbildung von Führungskräften erbringen, so dass das Führungsper­sonal in den Organisationen und Institutionen des Sports den ökonomischen Herausforderungen gerecht werden kann.
  8. Eine Sportökonomie sollte Unterstützungsarbeit gewährleisten bei der Entwick­lung von Konzeptionen und Strategien, z.B. im Bereich des Marketings, der Public Relation Aufgaben, der Promotion etc. Dabei wären Kooperationsmodel­le mit Vereinen und Verbänden erwünscht.
  9. Schließlich muss die Sportökonomie bezogen auf das wohl schwierigste Pro­blem unserer Gesellschaft in die Pflicht genommen werden. Immer offensichtli­cher wird es, dass im Zuge der sich aktuell ereignenden Modernisierungspro­zesse es immer entschiedener zu einer Kommerzialisierung aller Lebenswelten einschließlich jenen im Sport kommt. Hierzu bedarf es geeigneter Lösungshil­fen. Diese sich dadurch ständig neu stellenden Problem- und Aufgabenfelder im Bereich des Sports müssen wissenschaftlich begleitet werden, d.h., es müsste eine praxisnahe Erforschung des Sports stattfinden, wobei eine derartige Sportökonomie eingebunden sein muss in einen nationalen, europäischen und globalen Zusammenhang.

Folgt man der von mir vorgelegten Differenzierung des aktuellen Sportsystems in sogenannte Sportmodelle, so könnte sich die Sportökonomie in ihren Unterstützungsleistungen durch folgende Matrix kennzeichnen lassen:

Mikro-, meso- und makroökonomische Aspekte werden dabei den fünf zu unter­scheidenden Sportmodellen zugeordnet. Die Beratungsleistungen selbst könnten in einem weiteren Schritt in lokale, regionale, nationale und internationale Aufgabenbe­reiche der Sportökonomie und der Sportpolitik unterschieden werden.

Wurden bislang die Erwartungen von mir nur höchst allgemein formuliert, so lassen sich aber auch eine Reihe von sehr spezifischen Erwartungen an eine Sportökono­mie postulieren, so wie sie sich heute aus den Problemlagen der Sportverbände er­geben. Dabei wird freilich deutlich, dass die Sportökonomie in ihrem beratenden Charakter von vielen derzeit überschätzt wird und auch die Sportökonomie sich, wie andere Teildisziplinen der Sportwissenschaft, in der latenten Gefahr befindet, bereits stattfindende ökonomische Veränderungen im Nachhinein theoretisch zu rekonstruie­ren, ohne dass dabei entscheidende Erkenntnisgewinne zu verzeichnen wären. Sol­che Defizite werden deutlich, wenn sich Vereine und Verbände hilfesuchend an sportkompetente Experten wenden: Sollen Vereine oder Verbände an die Börse ge­hen? Welche wirtschaftlichen Risiken ergeben sich dabei? Wie lassen sich diese Ri­siken verantworten? Welches „Vermarktungspotential“ haben kleine Vereine und wie kann dieses optimal – im Sinne der Marktlogik – genutzt werden? Wie lassen sich Vorschaltgesellschaften in Vereinen und Verbänden steuerrechtlich angemessen platzieren, ohne dass die Interessen der Sportorganisationen aus dem Blick geraten? Welche Vor- und Nachteile ergeben sich durch die Vermarktung von Lizenz- und Fernsehrechten durch Dritte? Welche ökonomischen Chancen und Risiken sind in der Entwicklung des Internets für die Vereine und Verbände zu erkennen? Wie las­sen sich die notwendigen Investitionen auf diesem Sektor relativ risikoarm beantwor­ten? Können sogenannte Trendsportarten durch entsprechende, durch Vereine for­cierte Vermarktung „erzeugt“ werden? Solche Fragen sind für Vereine und Verbände derzeit von höchster Relevanz.

Die Antworten auf diese Fragen müssen die Vereine und Verbände meist selbst su­chen. Die Gefahr des Dilettantismus ist dabei allenthalben zu beobachten. Doch ei­genes Unvermögen ist dabei nur eine Ursache. Eine in fragwürdiger Weise sich selbst kommerzialisierende Sportökonomie ist eine nicht weniger wichtige Ursache. Sportverbände benötigen ohne Zweifel eine kompetente sportökonomische Bera­tung. Kompetent ist eine solche Beratung jedoch nur dann, wenn sie im besten Sinne des Wortes wissenschaftlich fundiert ist und wenn sie sich ihrer eigenen Grenzen bewusst ist.

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