Die Massenmedien, allen voran das Fernsehen, haben sich schon seit langem einem besonderen selbst gestellten Auftrag verpflichtet. Sie definieren sich als Teil der Unterhaltungsindustrie. Unterhaltung ist zu ihrer höchsten Maxime geworden, dies auch dann noch, wenn man dem Auftrag des Informierens nachzukommen versucht. Von Infotainment ist dann sie Rede. Sie versuchen auf diese Weise jene Kundschaft an sich zu binden, die sie im Sinne einer sich selbsterfüllenden Prophezeiung gesucht und erzeugt haben. Massenmedien treffen auf Massen und die Massen sind an jenen Medieninhalten interessiert, deren Darstellung sich die Medien zum Ziel gesetzt haben.
Gewiss dürfen dabei nicht alle Medien über einen Kamm geschoren werden; insbesondere die Presse unterscheidet sich dabei vom Hörfunk und vom Fernsehen. Auch das Internet als neues Medium zeichnet sich durch eigene Qualitäten aus. Dennoch lässt sich eine Tendenz in der Entwicklung der massenmedialen Berichterstattung erkennen. Die Unterhaltungsmaxime dominiert nahezu alle Medien. Die Frage, was dabei als berichtenswert gilt, wird immer monotoner und gleichartiger beantwortet, Prinzipien eines kritischen Journalismus treten in den Hintergrund. „Kleine Häppchen Berichterstattung“, sprachlich nachlässige Darstellungen, mangelhafte Recherchen, moralische Doppelbödigkeit, Überschreiten ethischer Grenzen und eine immer entschiedenere Ausrichtung an den gleichen Selektionsregeln werden zur Normalität: Die Großen sind wichtig, die Kleinen unbedeutend, das Böse rangiert vor dem Guten, Skandale und Krisen werden gesucht, „human touch“ und das, was als neu gilt, ist wichtig: Dies kann an der Berichterstattung über viele Themen gezeigt werden, z.B. an der Auswahl der Sportarten, die Eingang im Fernsehen finden: An der Spitze Fußball, aufgeblasene Wintersportergüsse, Autorennen (die eigentlich gar nicht zum Sport gehören). Alle werden zu „events“ aufgemotzt, von Werbeblöcken unterbrochen, mit Bierreklame eingeleitet und beendet. Manche Sportarten müssen dafür bezahlen; andere sind höchst interessant, haben aber keine Chance.
Besonders nachhaltig wird dies am Beispiel der Dopingberichterstattung über internationale Sportereignisse, die sich durch einen spektakulären Dopingfall auszeichnen, wie z.B. 2019 bei den Nordischen Ski-Weltmeisterschaften in Seefeld. ARD und ZDF gemeinsam mit den lokalen und die überregionalen Medien ernennen sich dabei zu Vorreitern des Doping-Kampfes, obgleich sie selbst bei dem sich über Jahrzehnte ereignenden Dopingdrama des modernen Hochleistungssports eine äußerst aktive und undurchsichtige Rolle eingenommen haben und ihre Hände keineswegs in Unschuld waschen können.
Das Politiksystem, das sich in der Bundesrepublik für das massenmediale System als besonders resonanzfähig erwiesen hat, reagiert dabei immer sehr prompt. Der Bundesminister des Innern, die Vorsitzende des Sportausschusses des Deutschen Bundestages, Abgeordnete des Bundestages und die politischen Führer der Bundesländer und der betroffenen Städte schließen sich den spektakulären Medienattacken an und werden damit selbst Teil des Spektakels. Eine eigenartige Partnerschaft ist auf diese Weise entstanden. Für beide Partner ist es leicht, sich jeweils die „Öffentlichkeit“ zu sichern und die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Sie spielen dabei ausgeprägte Rollen in einer spektakulären Auseinandersetzung, bei der es jedoch nicht angebracht ist, dieser das Attribut „Anti-Doping“ zuzuerkennen. Große Teile der Medien zeigen vielmehr, dass sie ganz offensichtlich die seit Jahrzehnten vorliegenden Befunde und Fakten zum Problem des Dopingbetrugs nicht zur Kenntnis genommen und schon gar nichts daraus gelernt haben. Sie folgen vielmehr ihrer effekthascherischen Unterhaltungskonzeption, präsentieren Mutmaßungen wie Tatsachen, lancieren Gerüchte, behaupten und erfinden Skandale, ohne dass auch nur annähernd tragfähige Befunde zur Verfügung stehen.
Fast alle Repräsentanten der Politik folgen den Interpretationen der Medien vorschnell und ohne Zwang, glaubt man doch mit ihnen Volltreffer erzielen zu können. Erst im Nachhinein muss erkannt werden, dass dies alles nur zu Bauchlandungen führt. Eine Politik, die auf Gerüchte aufbaut, stellt sich selbst in Frage und wird selbst zum Gerücht. Eine Politik, die rechtliche Prinzipien verlässt, wird prinzipienlos. Und eine Politik, die sich nur selbst in den Medien wiederfinden möchte und fragwürdige Medienpartnerschaften eingeht, bis hin zur engen Verknüpfung mit Lokalzeitungen, wird selbst Teil der Unterhaltungsindustrie. Sie verlässt in jedem Fall den Boden seriöser Politik.
Es mag zu Recht bezweifelt werden, dass ein Politik- und Mediensystem, das sich in einer derart engen Beziehung befindet, sich noch als lernfähiges System erweisen kann. Will man in einem Anti-Doping-Kampf vorankommen, der diesen Namen verdient, so muss für das weitere Vorgehen jedoch genau eine solche Lernfähigkeit vorausgesetzt werden. Nur deshalb macht es auch Sinn, noch einmal jene Merkmale zu akzentuieren, durch die sich ein glaubwürdiger Anti-Doping-Kampf auszeichnen muss:
- Allen Merkmalen voran ist vor allem darauf hinzuweisen, dass ein Anti-Doping-Kampf nicht auf Vermutungen und Gerüchten basieren darf, dies auch dann nicht, wenn es sich um solche handelt, die den Medien besonders gut gefallen.
- Ein Anti-Doping-Kampf darf Vorverurteilungen nicht zur Grundlage haben. Er muss sich vielmehr durch Objektivität, Transparenz, Neutralität und Verlässlichkeit im Verfahren selbst, gleichzeitig aber auch durch eine entschiedene Parteilichkeit zu Gunsten der sauberen Athletinnen und Athleten auszeichnen.
- Anstelle von Mutmaßungen müssen nachvollziehbare und belegbare Fakten zur Grundlage der notwendigen Entscheidungen gemacht werden.
- Ein Anti-Doping-Kampf darf sich nicht in moralischen Appellen erschöpfen. Sie sind aus der Sicht jener wohl verständlich, die sich auf die Moral berufen, haben sich jedoch längst als stumpfe Waffe im Anti-Doping-Kampf erwiesen. Ethik und Moral begründen zwar die entscheidenden Grundsätze des Sports, an denen sich jeder Anti-Doping-Kampf zu orientieren hat. Allen voran ist dabei das Prinzip des Fairplay zu nennen. Sie können sich jedoch gerade in der Welt des Sports sehr schnell in ihr Gegenteil verkehren. Eine „Zeigefinger-Moral“ ist nicht zuletzt deshalb unglaubwürdig, weil der ausgestreckte Finger immer auch auf die Moralisten selber zeigt.
- Die Unschuldsvermutung hat auch in der Welt des Sports eine grundlegende Bedeutung. Die öffentliche Diskussion über mögliche Täter sollte diesem Prinzip zwingend folgen. Auch Funktionäre sollten so lange als unschuldig gelten, so lange nicht das Gegenteil bewiesen ist. Ein Beweis für die Schuld eines Funktionärs ist dann erbracht, wenn die Beweise vor einem Sportgericht oder einem ordentlichen Gericht präsentiert werden und durch eine richterliche Entscheidung Anerkennung erhalten. Ein Athlet ist erst dann von einem Wettkampf zu suspendieren, wenn entsprechende juristische Bedingungen erfüllt sind, die schriftlich niedergelegt sein müssen und die zeitlich bereits vor den zu beurteilenden Ereignissen codifiziert wurden. Dies hat auch für russische Athleten und Athletinnen zu gelten, selbst wenn das Handeln und Gebaren russischer Politiker und Funktionäre Ablehnung und Verärgerung hervorrufen.
- Ehrenerklärungen, die nicht sanktioniert werden können und nicht Bezug nehmen auf vereinbarte Regeln innerhalb des Sports, müssen sich als untauglich erweisen und haben deshalb allenfalls ideologische oder propagandistische Funktion.
- Wer sich wirklich und ernsthaft einem Anti-Doping-Kampf verpflichtet fühlt, der muss auch dem Prinzip der Gleichbehandlung folgen. Eine Turnweltmeisterschaft, ein Weltfinale der Leichtathletik, ein Boxkampf bei ARD oder ZDF am Samstagabend, eine Radweltmeisterschaft: Sie alle müssen an den gleichen moralischen Grundsätzen orientiert und gemessen werden, möchte man einen glaubwürdigen Anti-Doping-Kampf führen.
- Wer ankündigt, Kontrollen zu verschärfen, der sollte sich auch des Problems der Kontrollierbarkeit von Betrugshandlungen bewusst sein. Er sollte die Grenzen kennen, die jedes Kontrollsystem aufweist, und er sollte wissen, dass man mit Kontrollen allein dem Problem des Dopings nur bedingt gerecht werden kann. Wer vermehrte Kontrollen fordert, sollte sich auch die Frage der Finanzier- und Durchsetzbarkeit eines weltweit gleichwertigen Kontrollsystems stellen. Kontrollen, die auf die Schnelle vereinbart werden, ohne dass man über das geeignete Kontrollpersonal, ausgebildete Anti-Doping-Ärzte und das erforderliche Begleitpersonal verfügt, dem wird zu Recht der Vorwurf der Effekthascherei gemacht. Genau dies war bei fast allen internationalen Sportveranstaltungen in jüngster Zeit der Fall, bei denen ein Dopingskandal aufgedeckt wurde.
- Ein aussichtsreicher Anti-Doping-Kampf bedarf des langen Atems und fundierter fachlicher Kompetenz.
- Er bedarf vor allem auch der Kooperation zwischen Sport und Staat. Dabei ist Bescheidenheit geboten.
- Er bedarf schließlich auch der Vertraulichkeit der beteiligten Partner. Nicht immer ist Öffentlichkeit angesagt. Öffentlichkeit ist gerade im Anti-Doping-Kampf zwar ein demokratisches Gebot, doch sie hat zum richtigen Zeitpunkt zu erfolgen und sie hat den Schutz der Individuen zu gewährleisten. Auch dieser Rechtsanspruch besteht zu Recht in der Welt des Sports und muss beachtet werden.
Letzte Überarbeitung: 04.06.2021