Im öffentlichen Diskurs über das weltweit zu beobachtende Dopingproblem des internationalen Hochleistungssports ist es längst üblich geworden, ein Bild vom armen verführten Athleten zu zeichnen, der aus sich selbst heraus keinen Ausweg aus der Dopingfalle findet, in die ihn bösartige Funktionäre hineingetrieben haben. Die Funktionäre, die internationalen Sportfachverbände, allen voran das IOC, manchmal auch noch die WADA, werden dabei als die eigentlich Bösen beschrieben, die den umfassenden Dopingbetrug zu verantworten haben. Auch das unmittelbare Umfeld der Athleten steht am Pranger – ihre Manager, Ärzte, Trainer und pharmazeutischen Experten. Der Athlet selbst wird hingegen, obgleich er ohne Zweifel der eigentliche Täter beim Dopingbetrug ist, als armes Opfer beschrieben, für den man eigentlich Verständnis haben sollte. Betrachtet man die vielen Dopingfälle etwas genauer und wirft man dabei auch einen Blick auf die Aussagen, die Athleten selbst zu ihren Dopingvergehen gemacht haben, so sind hingegen ganz andere Schlussfolgerungen angebracht. Die Gründe, die Athleten für ihre positiven Dopingbefunde vorgetragen haben, legen eine ganz andere Kennzeichnung dopender Athleten nahe. Dopende Spitzensportler sind nicht selten unverschämte Lügner, treten mit einer unverfrorenen Frechheit auf, sind in vieler Hinsicht in ihrer Dummheit nicht zu übertreffen und sie machen vor allem deutlich, dass der dopende Athlet kein verführtes Opfer ist, sondern absichtsvoll handelnder Geschäftsmann, der sich auf unlautere Weise bereichern möchte.
Manche der dopenden Athleten sind mittlerweile legendär geworden. In diesen Tagen ist eine neue Geschichte hinzugekommen, die von Kenias Olympiasieger Kiprop vorgetragen wurde. Wie so viele Athleten kann er sich nicht erklären, wie eine verbotene Substanz in seinen Körper gekommen ist, warum seine Dopingprobe positiv getestet wurde und über die Abgabe seiner Probe weiß er abenteuerliches zu berichten. Zwischen der Abgabe und der Versiegelung der Probe hätten die Kontrolleure ihn aufgefordert, eine Barzahlung vorzunehmen, der er auch nachgekommen sei. Er nehme jedoch an, dass seine Überweisung an die Kontrolleure zu gering ausgefallen sei und deshalb die Probe von den Kontrolleuren gefälscht wurde. Zunächst, so Kiprop, habe er keinen Zusammenhang zwischen der Zahlung und Probe erkannt, doch sei er später informiert worden, dass bei ihm das Blutdopingmittel EPO entdeckt worden sei. Diese Aussage legt nahe, dass Kiprops Dummheit möglicherweise grenzenlos ist oder es ist im kenianischen System längst üblich geworden, dass korrupte Kontrolleure Geld verlangen, um die Proben gedopter Athleten unschädlich zu machen. Das russische Schema, in das der ehemalige IAAF-Präsident Diack mit einer kleinen Gruppe seiner Günstlinge eingebunden war, hat offensichtlich demnach Schule gemacht. Das Staunen über Kiprops eigenartige Zeugenaussage kann nur noch dadurch erhöht werden, dass er ferner behauptet, dass die IAAF von ihm ein Geständnis gefordert und ihm im Gegenzug für ein Geständnis den Posten eines IAAF-Botschafters im Anti-Doping-Kampf versprochen habe. Für die Integrity Unit der IAAF war es ein leichtes, diese Behauptung zurückzuweisen. Kiprop hat damit ein neues Kapitel in der Geschichte der skurrilsten Dopingausreden geschrieben. Es lohnt sich, sich an einige dieser Geschichten auch heute noch zu erinnern.
Da ist der Radprofi Tylor Hamilton, der des Blutdopings überführt wurde und seine positive Probe folgendermaßen erklärte: „Ich bin ein Mischwesen. Die fremden Zellen in meinem Körper werden von den Stammzellen meines vor der Geburt gestorbenen Zwillingsbruders produziert.“
Salbutamol und andere Asthmamittel haben sich längst als wirkungsvolle Dopingsubstanzen erwiesen. Ihre anabole Wirkung ist wissenschaftlich gesichert. Schon seit den ersten Clenbuterol-Fällen weiß man, dass dieses Substanzen effektive Fettverbrenner sind, die auch beim Aufbau von Muskelmasse helfen. In diesen Tagen ist der Tour de France Sieger Chris Froome vom Vorwurf des Dopingmittels Salbutamol betroffen und wie so viele Athleten weist er darauf hin, dass er unter Asthma leidet und dass sein Arzt ihm kontrolliert das Asthmamittel verabreicht, ohne dass er dabei die erlaubten Grenzen überschreitet. Bei der Spanien Rundfahrt wurde dieser Grenzwert jedoch von ihm überschritten und er kann bis heute keine Erklärung liefern.
Die Mountainbikerin Yvonne Kraft, die sich ebenfalls einer dieser verbotenen Substanzen bediente, hatte für ihre positive Probe hingegen eine äußerst skurrile Erklärung aufzuweisen. Der Asthmainhalator ihrer Mutter soll in ihrem Beisein explodiert sein. Vor Schreck hätte sie „Huch“ gesagt und wohl versehentlich etwas dabei inhaliert. Angesichts der Tatsache, dass sich die Öffentlichkeit zu Recht darüber wundert, wie viele „arme Athleten“ mit Asthmaerkrankung Hochleistungssport betreiben müssen, kann man die Erklärung von Kraft nur als kabarettreif bezeichnen.
Radsportler scheinen sich in Bezug auf Dopingausreden als besonders kreativ zu erweisen. Radprofi Christian Henn führt seinen positiven Befund auf einen Tee seiner Schwiegermutter zurück. Sie habe ihm diesen Tee zur Stärkung der Zeugungskraft empfohlen und Floyd Landis führt seinen überhöhten Testosteronbefund auf zu viel Alkohol zurück. Er meinte, dass er nach einem Leistungseinbruch zu viel Whiskey getrunken habe.
Das Phänomen der anzutreffenden Dummheit bei dopenden Sportlern hat Jan Ullrich auf den Punkt gebracht. Nachdem er der Einnahme von Amphetaminen überführt wurde meinte er, „irgendwer hat mir in der Disco zwei Pillen angedreht – keine Ahnung was da drin war, aber ich habe sie halt in meiner Dummheit geschluckt“. Radprofi Frank Vandenbroucke hingegen erklärt die Anabolika und das EPO, die bei ihm angetroffen wurden, als veterinäre Hilfsmittel, die für seinen Hund bestimmt gewesen seien. Sein Hund hat Asthma, sagte der Belgier.
Nicht weniger „einfallsreiche“ und skurrile Geschichten lassen sich auch in anderen Sportarten beobachten. Sprinter Dennis Mitchell erklärt seinen erhöhten Testosteronwert mit seinen Sex-Abenteuern und er meinte, dass er selbst zu viel Sex gehabt hätte – „Die Lady hatte Geburtstag. Sie verdiente was Besonderes“. Fußballprofi Muto nahm Kokain, um seine Potenz zu steigern: „der einzige Grund, weshalb ich dies gemacht habe, war der Wunsch meine sexuelle Leistung zu verbessern“. Im Dopingfall Dieter Baumann war es der Laborchef des IOC-Labors in Köln, Prof. Schänzer, der die These aufstellte, dass der Athlet die verbotene Substanz Nandrolon mit dem Zähneputzen in seinen Körper aufgenommen hat. Dies führte zu der These, dass mittels einer kriminellen Handlung ein unbekannter Täter die verbotene Substanz in die Zahnpasta Baumanns gemischt hatte.
Die italienische Tennisspielerin Sara Errani hat erst in jüngster Zeit ein weiteres interessantes Kapitel im Buch der Dopingausreden geschrieben. Sie erklärt ihren Dopingtest mit kontaminierter Tortellinibrühe. Der Internationale Tennisweltverband ITF hatte in Erranis Urin im Februar 2017 Letrozol aufgespürt, ein Medikament, dass gegen Brustkrebs eingesetzt wird. Zur Anhörung brachte Errani ihre gesamte Familie mit. Mama Fulvia, Papa Giorgio, Bruder Davide und ihre Ärztin Dottoressa Favretto. Errani erzählte, dass ihre Mutter zwei Krebsoperationen hinter sich habe und seit fünf Jahren Medikamente gegen Rückfälle einnehme. Darunter auch Letrozol. Das habe sie aber der Tochter aus Scham nicht erzählt. Sie bewahre die Medizin in der Küche auf. Die tägliche Essenszubereitung erinnere sie daran, das Mittel regelmäßig zu nehmen. Dabei sei es ihr schon öfter passiert, dass sie zu viele Pillen aus der Packung drückte. Eine davon müsse wohl in die Brühe mit den Tortellini gelangt sein und so in Erranis Körper.
Solche Ausreden haben mittlerweile eine lange Tradition, wenn Athleten bemüht sind, ihre positiven Proben infrage zu stellen. Einmal sind es die Appetitzügler der schwangeren Frau, bei anderen waren es Rachegelüste von Familienangehörigen oder Eifersucht, deren Opfer der arme und unschuldige Athlet bzw. die Athletin geworden ist. Errani hatte mit ihrer Geschichte Glück gehabt. Der internationale Verband folgte Errani nicht in allen Punkten. Das Tortelliniexperiment wurde nicht anerkannt, doch die Geschichte fand die ITF so glaubwürdig, dass Errani lediglich für zwei Monate gesperrt wurde. Dies muss Erstaunen hervorrufen angesichts der Tatsache, dass man weiß, dass bei Bodybuildern die verbotene Substanz längst zur Szenesubstanz geworden ist. Doping-Experte Sörgel meint hierzu, dass dieses Mittel sehr beliebt sei, weil es leistungsfördernde Effekte von Steroiden verstärke und Nebenwirkungen verhülle, wie z.B. Akne.
Dass es etwas im Essen war, das dem Athleten untergeschoben wurde, ist längst zum Klassiker der Dopingausreden geworden. Einen besonders berühmten Fall brachte der spanische Radprofi Alberto Contador auf die Agenda, als er bei der Tour de France positiv auf Clenbuterol getestet wurde. Dabei war ein Stück Fleisch angeblich für diesen Regelbruch verantwortlich. Zum Glück funktionierte die Argumentation Contadors nicht, weil hinterher bekannt wurde, dass ihn spanische Radsportfunktionäre persönlich auf diese Verteidigungsstrategie hingewiesen hatten.
Im Kapitel der Radsportbetrüger bietet Mario De Clercq eine beinahe als originell zu bezeichnende Geschichte. Ihm wurde nicht nur ein positiver Dopingtest vorgehalten, man fand bei ihm auch Notizbücher mit Trainingsplänen und Hämatokritwerten. Der belgische Radsportler erklärte dies damit, dass er an einem Roman zum Thema arbeite und deshalb diese Unterlagen benötige. Sein Roman ist bis heute nicht erschienen. Eine zweijährige Sperre und eine Geldstrafe in Höhe von 10.000 CHF durfte er jedoch über sich ergehen lassen.
Die Leichtathletik ist wie der Radsport besonders vom Dopingbetrug betroffen und so überrascht es nicht, dass es viele Leichtathleten sind, die im Buch der Dopingausreden ihre eigenen Kapitel hinterlassen haben. Besonders umfangreich ist dabei das Kapitel von Justin Gatlin. Er ist der 100m-Star der Leichtathletik – Weltmeister und Olympiasieger – wurde aber gleich zweimal wegen Dopings gesperrt. 2001, nachdem er positiv auf Amphetamin getestet worden war, hatte er als Begründung zu Protokoll gegeben, dass er seit seiner Kindheit an ADHS leide und er deshalb entsprechende Medikamente einzunehmen habe. 2006 wurde er erneut positiv getestet und Gatlin beschuldigte einen Masseur der Sabotage, da er sich von diesem Masseur getrennt habe. Gleichzeitig bot sich Gatlin als Kronzeuge den amerikanischen Anti-Doping-Behörden an, was zu einer erheblichen Reduktion seiner Strafe führte. Längst ist er wieder zurück in den internationalen Arenen der Leichtathletik.
Der Hinweis auf heftigen Geschlechtsverkehr hat ebenfalls eine gewisse Tradition. So wies beispielsweise Stabhochspringer Shawn Barber vor den Olympischen Spielen 2016 bei einem positiven Kokaintest darauf hin, dass er am Vorabend Sex mit einer Prostituierten gehabte habe. Durch intensives Küssen sei das Kokain in seinen Körper gelangt. Der Sportgerichtshof glaubte ihm, er durfte starten, wurde aber nur Drittletzter. Im April letzten Jahres outete er sich übrigens als schwul.
Das Buch der Dopingausreden wird gewiss fortgeschrieben. Wer es liest kommt nicht umhin, der Persönlichkeit des dopenden Athleten unter ethisch-moralischen Gesichtspunkten ein alarmierendes Zeugnis auszustellen. Die Lüge und der Betrug gehören ganz offensichtlich zum internationalen Geschäft des Hochleistungssports. Wer Einblick in die Statistiken des Anti-Doping-Kampfes hat, wer weiß, wie oft ein Athlet im Training und bei Wettkämpfen pro Jahr kontrolliert wird, der musste sich schon immer wundern, warum Athleten bei Pressekonferenzen zur Übertreibung neigen oder gar leichtfertig lügen. Sie sprechen dabei von mehr als zehn Kontrollen, denen sie selbst angeblich im letzten halben Jahr unterworfen waren, obgleich die offizielle Statistik der WADA bzw. der NADA lediglich zwei tatsächlich durchgeführte Kontrollen aufweist. Sie stellen das Kontrollverfahren von Kontrolleuren infrage, obgleich eine genauere Betrachtung ergeben würde, dass der betroffene Athlet mehrfach bei unangemeldeten Kontrollen nicht anzutreffen war und seine Angaben im Meldeverfahren unvollständig und nicht verlässlich gewesen sind. Athleten bezeichnen sich immer selbst als die bestkontrolliertesten Athleten. Ihren Gegnern hingegen wird unterstellt, dass deren Anti-Doping-Systeme unzureichend sind. Die öffentliche Rede der Athletinnen und Athleten über den Anti-Doping-Kampf ist damit nicht selten von Heuchelei geprägt und vor Lügen und falschen Behauptungen wird nicht zurückgeschreckt. Betrachtet man die hier skizzierten Ausreden von überführten Athleten über ihren eigenen Dopingbetrug, so ist Dummheit ein nicht selten anzutreffendes Merkmal dopender Athleten. Doch Dummheit ist meist gepaart mit ökonomischem Kalkül, mit Egoismus und Unverfrorenheit. Das Wissen um eine gemeinsame Verantwortung für den Hochleistungssport, die Einsicht in die Notwendigkeit des Prinzips des Fair Play ist hingegen nicht anzutreffen. Werden solche Athletinnen und Athleten in der öffentlichen Diskussion als arme Opfer stilisiert, so ist dies verantwortungslos aber gleichzeitig auch äußerst folgenreich. Die wirklich mündigen Athleten werden dadurch infrage gestellt. Die notwendige Ächtung der Betrüger findet nicht statt.
Verfasst: 17.05.2018