Der Weltsport hat ein Demokratiedefizit

Die Weltsportorganisationen stehen schon seit längerer Zeit im Zentrum öffentlicher Kritik. Im asiatischen Olympischen Komitee wird ein Scheich durch den nächsten ersetzt, obgleich die Ethik- Kommission des IOC den Ersteren ausgeschlossen hatte und die Wahl des zweiten nicht anerkennt. Im Internationalen Skiverband FIS hat sich ein schwedisch/englischer Unternehmer und Milliardär zum Weltpräsidenten küren lassen, ohne die Unterstützung der wichtigsten alpinen Ski- Sportnationen zu haben. FIFA- Präsident Infantino zeichnet sich durch eine Intrige nach der anderen aus. Bei Wahlen in die höchsten Ämter wird immer wieder beklagt, dass ganz offensichtlich bei den Wahlkongressen ein „Stimmenkauf“ stattgefunden hat, um die Mehrheiten für die Wahl von machtgierigen Menschen zu sichern, für die der Sport nur ein Spielball und ihr „Spielzeug“ ist.
Betrachten wir die Organisationen des Weltsports etwas genauer, verfolgen wir deren Entwicklung über mehrere Jahrzehnte, so ist in der Tat zu erkennen, dass die Führungspositionen in den internationalen Sportfachverbänden begehrte Objekte der Begierde sind für Menschen, die auf der Suche nach Macht sind. Die Begierde nach Macht geht dabei mit einer Vielzahl von eigenen Interessen einher, die man mittels des Sports befriedigen möchte. Mittlerweile ist es immer weniger wahrscheinlich, dass Persönlichkeiten in die leitenden Positionen des Sports gewählt werden, die ausschließlich an der Sache selbst orientiert sind und die sich auch durch eine entsprechende Fachkompetenz auszeichnen. 

Stellt man die Frage, warum und wie solch eine Entwicklung in den Sportorganisationen möglich werden konnte, so hat man einen Blick auf die Satzungen der Weltsportorganisationen zu werfen und die Regularien zu betrachten, die die Wahlen in die höchsten Ämter des Sports leiten. Noch in den fünfziger und sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts waren fast sämtliche Olympische Sportarten eine Angelegenheit von europäischen Sportnationen. Die große Mehrheit der olympischen Sportarten wie Hockey, Reiten, Handball, Leichtathletik oder Schwimmen wurden über Jahrzehnte überwiegend in Europa bzw. in den Vereinigten Staaten von Amerika und einige wenige auch noch in Japan betrieben, und es war dabei üblich, dass man ein Delegierungsprinzip für die Führungsgremien des Sports beachtete, bei dem vor allem die Interessen der wirklich die jeweilige Sportart betreibenden Athletinnen und Athleten repräsentiert wurden. Verbände, die über viele Aktive verfügten, hatten deshalb mehr Stimmen im Vergleich zu jenen Mitgliedsverbänden, die nur wenige Aktive aufzuweisen hatten. Im Vergleich zu heute war die Gesamtzahl der Mitgliedsverbände in den Olympischen Fachverbänden vergleichsweise sehr gering und die Mitgliedsverbände aus Kontinenten außerhalb Europas und Nord Amerikas waren nahezu ohne Einfluss. Eine Ausnahme machten lediglich Australien und Japan. Heute ist dieses Delegierungsprinzip eher die Ausnahme als die Regel. Es lässt sich noch bei Wahlen in einigen Sportfachverbänden europäischer Nationen, so auch in Deutschland finden. Auch bei den Wahlen zum Deutschen Olympischen Sportbund folgt man noch diesem Prinzip der Stimmenverteilung. Bei der Hauptversammlung des DOSB verfügt deshalb der Deutsche Fußballbund über wesentlich mehr Stimmen als ein Fachverband der vergleichsweise sehr wenige Mitglieder¹ aufzuweisen hat. Dieses auf nationaler Ebene berücksichtigte und wertgeschätzte Prinzip der demokratischen Delegierung wurde in den sechziger und siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts zunehmend auf internationaler Ebene infrage gestellt.
Nicht mehr die Zahl der aktiven Mitglieder sollte die Basis der demokratischen Struktur innerhalb einer Sportorganisation sein. Als demokratisch höherwertiges Prinzip wurde die Maxime „ein Land – eine Stimme“ zur Mitbestimmungsforderung vor allem all jener Nationen, die nach langer kolonialer Fremdbestimmung endlich ihre Unabhängigkeit erreicht hatten. Ihr berechtigtes Begehren nach mehr Mitbestimmung blieb in den internationalen Sportorganisationen lange Zeit ungehört. Ihre Anträge auf Änderung der Wahlordnungen und der Satzung der Olympischen Verbände hatten angesichts der Mehrheitsverhältnisse in den Entscheidungsgremien lange Zeit keine Chance auf eine Annahme. 
Entscheidend für die Veränderung war der Sachverhalt, dass zunehmend machtgierige Europäer1 sich dieses neuen demokratischen Prinzips bedienten, um sich ihre Macht möglichst lebenslang zu sichern. Sie konnten sich darauf berufen, dass dieses Prinzip auch in anderen Weltorganisationen bereits Beachtung gefunden hatte.  Autoritäre Persönlichkeiten wie der verstorbene Präsident des Welt- Leichtathletikverbandes IAAF, der ehemalige Präsident des Welt- Fußballverbandes FIFA und noch eine Reihe weiterer Präsidenten benutzten dabei das „hehre Ideal der Demokratie“, um auf Dauer ihre Macht zu zementieren. All ihre heutigen Nachfahren handeln und wandeln auf demselben Pfad. Aus der Sicht von heute kann man feststellen, dass der demokratische Paradigmenwechsel in den siebziger und achtziger Jahren unter dem Aspekt „sportfachliche Kompetenz“ verhängnisvolle Folgen aufzuweisen hatte und noch immer hat. 

Zunächst ist dabei festzustellen, dass mit der damaligen Veränderung eine Rückkehr zur mitgliederbezogenen Demokratie für immer verstellt wurde. Mit der Einführung des Systems „ein Land – eine Stimme“ wurde bewusst oder unbewusst entschieden, dass dieses System nicht mehr umkehrbar ist. Die für eine Rücknahme dieser Entscheidung notwendige Zwei- Drittel- Mehrheit, wie es in allen Satzungen der internationalen Sportorganisationen festgeschrieben ist, ist angesichts der Mehrheit der sog. „kleinen Nationen“ prinzipiell nicht mehr erreichbar. Mittlerweile ist im vergangenen Jahrzehnt nahezu in allen Olympischen Sportfachverbänden deren Mitgliederzahl auf über 150 nationale Mitgliedsverbände angestiegen, wobei die große Mehrheit der Mitglieder oft nur ganz wenige Athleten und Athletinnen aufweisen, die die betreffende Sportart betreiben.
In gewisser Weise existieren manche dieser Mitgliedsverbände nur „auf dem Papier“, haben aber einige Funktionäre aufzuweisen, für die es äußerst angenehm ist, dem internationalen „Reisezirkel“ des jeweiligen internationalen Fachverbandes anzugehören, doch die Sportart selbst wird in ihren Ländern so gut wie nicht ausgeübt. 

Eine sehr viel weiter reichende Folge des neuen Wahlprinzips ist darin zu sehen, dass mit diesem mathematischen Kalkül der „kleinen“ und meist auch „jungen Nationen“ in vielerlei Hinsicht vorhersagbar ist, dass zunehmend in den Weltsportorganisationen auch Kandidaten an die Macht kommen können, die aus diesen jungen Nationen stammen und von der Gruppe der kleinen und jungen Nationen unterstützt werden. Schon seit längerer Zeit ist somit zu beobachten, dass auf diese Weise bestimmte Weltregionen zu einer außergewöhnlichen Macht in Bezug auf die Führungsentscheidungen gelangen, die Ihnen von der Sache selbst her kaum zusteht. 50 afrikanische Stimmen werden so beispielsweise zu einem entscheidenden Faktor bei der Vergabe nahezu jeder wichtigen sportpolitischen Position. Immer wahrscheinlicher ist es deshalb auch, dass eigene Kandidaten aus diesen Regionen in Machtposition gelangen, so u.a. Lamine Diack mit seiner Wahl zum Präsidenten des Weltleichtathletikverbandes oder Hassan Mustafa bei seiner Wahl zum ersten nicht- europäischen Präsidenten des Internationalen Handballverbandes.  Kandidaten der großen Sportnationen haben hingegen zukünftig immer geringere Chancen, entscheidende Führungspositionen in der Welt des Sports zu erreichen.
Dieser Prozess wird begünstigt durch eine Konkurrenzsituation, die zwischen den großen Sportnationen existiert, was in der Regel dazu führt, dass in fast allen Olympischen Sportfachverbänden die Repräsentanten Europas nur selten einig sind und sich meist nicht einmal gegenseitig unterstützen, wobei auch für Europa hinzuzufügen ist, dass mittlerweile der europäische Sport ebenfalls immer intensiver von den „kleinen Nationen“ Europas dominiert wird. So kann es nicht überraschen, dass der Europäische Leichtathletikverband, (EAA), der über Jahrzehnte von Präsidenten aus den führenden Leichtathletiknationen geführt wurde, seit einigen Jahren von einem bulgarischen Präsidenten geleitet wird, dessen Leichtathletikverband mit Blick auf dessen sportliches Leistungsvermögen in der europäischen und der Welt- Leichtathletik so gut wie keine Bedeutung hat.

Die eigentliche Gefahr des demokratischen Ideals ein Land – eine Stimme kommt bei den Wahlen in den Sportorganisationen meist dadurch zum Ausdruck, dass angesichts dieses Prinzips für machtgierige Menschen es sehr leicht geworden ist, jene Stimme, über die jedes Mitgliedsland verfügt, im Interesse der eigenen Macht zu manipulieren. Betrachten wir die große Mehrheit der Mitgliedsverbände in den Weltsportorganisationen, so müssen wir erkennen, dass z.B. von den 210 Mitgliedsverbänden der FIFA oder von World Athletics nur ein Drittel über intakte Verbandsstrukturen verfügt. Viele Delegierte, die bei den Wahlen ihren nationalen Verband vertreten, sind in ihrer großen Mehrheit mit den Problemen und Fragestellungen ihrer Sportart nur wenig, oft auch gar nicht vertraut. Immer häufiger geschieht es auch, dass Delegierte über die Zukunft einer Sportart abstimmen, die in ihrem eigenen Nationalverband über so gut wie keine Athleten verfügen. Hinzukommt, dass immer häufiger Delegierte bei den Wahlkongressen der internationalen Sportfachverbände über Sitz und Stimme verfügen, über deren Delegierung die vor dem Zeitpunkt des Wahlkongresses in ihrem Heimatland herrschende staatliche Regierung entschieden hat. In vielen Ländern ist es auch üblich, dass die jeweilige Regierung und das für den Sport zuständige Ministerium entscheiden welche Kandidaten für Führungspositionen in den internationalen Sportorganisationen kandidieren und welche Rolle sie dabei in diesen Führungsgremien spielen dürfen. Das Qualifikationskriterium „sportfachliche Kompetenz wird dabei sträflich missachtet. Für die diktatorische und angeblich kommunistische Führung Chinas ist es üblich, dass jeder internationale Repräsentant Chinas in internationalen Sportorganisationen äußerst genau kontrolliert wird und das Führungspersonal dabei nach Belieben ausgetauscht werden kann. Ein Kandidat, der jahrelang China in der Sportart Leichtathletik in dessen Welt-Council repräsentiert hat, kann deshalb von heute auf morgen in eine andere Sportart abgestellt werden und er wird sofort in das internationale Council der neuen Sportart gewählt, weil es der Logik der internationalen Sportorganisationen und deren kommerziellen Interessen entspricht, dass in jedem Council eines Olympischen Fachverbandes ein Vertreter aus China Sitz und Stimme haben sollte. Ähnliche sportfachfremde Qualifikationskriterien für internationale Positionen lassen sich auch in Japan beobachten, wo man annimmt, dass ausgeschiedene Mitglieder aus dem japanischen diplomatischen Korps angesichts ihrer einigermaßen ausreichenden englischen Sprachkenntnisse, kompetent genug sind, um den japanischen Sport in internationalen Sportgremien zu repräsentieren. Auch solche Kandidaten werden angesichts der hohen sportpolitischen Bedeutung Japans immer in die Führungsgremien der Olympischen Verbände gewählt. Sie zeichnen sich durch eine außergewöhnliche Höflichkeit aus. Doch von den sportlichen Belangen haben Sie häufig keine Ahnung. Auch in Japan wird somit von der politischen Führung entschieden, wer Japan in den internationalen Gremien des Sports vertritt und wie dort zu votieren ist. Vergleichbare Delegierungsprinzipien gibt es in all jene Nationen, in denen demokratische Wahlen“ ein Fremdwort ist. Folgt man der hierbei zu beachtenden Statistik, so sind nahezu die Hälfte aller Mitgliedsnationen der UN, Nationen, in denen keine demokratischen Verhältnisse herrschen. 

Die große Mehrheit der Delegierten ist von dem eigentlichen Geschäft der internationalen Sportverbände nur indirekt betroffen. Die Ausrichtung von Weltmeisterschaften oder sonstigen sportlichen Großereignissen sind für viele der Delegierten irrelevante Themen. Diskussionen über WADA, NADA, Marketing und Sponsoring oder über den Verkauf von Fernsehrechten bleiben für die Repräsentanten der kleineren Verbände vielfach abstrakt. Vor diesem Hintergrund ist es nicht überraschend, dass die Stimme, die sie bei den Kongressen abzugeben haben, sehr schnell zur Manövriermasse von Manipulationen werden kann. Jene, die die Macht anstreben, haben dabei ein leichtes Spiel. Warum sollte ein Delegierter, der weiß, dass er eigentlich nie etwas zu sagen hat, seine Stimme nicht zur „Ware“ werden lassen, wenn er gleichzeitig erkennt, dass seine Stimme aus der Sicht derer, die die Macht begehren, „Warencharakter und damit einen Wert hat? Stimmen werden so immer häufiger gegen Geschenke ausgetauscht, und es wird wahrscheinlicher, dass Stimmen ihren Preis haben. Dabei gibt es für die Mächtigen freilich das Risiko, dass Stimmen mehrfach verkauft werden. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn in geheimer Abstimmung über die Machtposition im Weltsport entschieden wird. 

Mit dem Prinzip „Anzahlung vor der Abstimmung“ und „Erfolgsprämie nach erfolgreicher Wahl“ versuchen dies nunmehr die Machtgierigen zu steuern. Doch auch damit lässt sich das Marktkalkül nur begrenzt absichern. Vielmehr ist die Situation zunehmend dadurch geprägt, dass Betrüger die Betrüger betrügen und Betrug zum kennzeichnenden Merkmal pseudo- demokratischer Wahlentscheidungen im Sport wird. Nahezu alle Wahlen für die Führungspositionen der internationalen Sportfachverbände sind deshalb in jüngster Zeit mit Gerüchten verbunden gewesen, und Bestechlichkeit scheint eine „strukturelle Qualität“ im System des internationalen Sports zu besitzen. Bestechlichkeit kann dabei vielfältige Varianten aufweisen, und dass die Delegierten den Mächtigen wohl gesonnen sind, muss nicht notwendigerweise mit finanziellen Bezahlungen verbunden sein. Die Gewährung bestimmter Privilegien, die Bereitstellung von Sponsoren, die Zusicherung von sportlicher Entwicklungshilfe, der Nutzen durch Beziehungsnetzwerke, die Vergabe von Stipendien oder die Hilfe beim Bau von Sportstätten bis hin zur Bereitstellung von Sportausrüstung und Fahrzeugen können dabei die entscheidenden geldwerten Vorteile ausmachen. Bei Japans Bewerbung um die Olympischen Sommerspiele 2020 und bei deren Durchführung im Jahr 2021 konnten einmal mehr nahezu alle Formen der Einflussnahme und Bestechung in „eindrucksvoller“ und erschreckender Weise beobachtet werden. Man musste dabei ein weiteres mal auch erkennen, welche fatale Rolle sog. Lobbyisten bzw. Berater zu Gunsten von Ländern und Städten besitzen, die sich für eine Weltmeisterschaft oder für Olympische Spiele bewerben.
Das „Schindluder“, das in den Olympischen Sportorganisationen mit dem Ideal der Demokratie betrieben wird, ist beklagenswert. Der Missbrauch dieses Ideals hat jedoch noch sehr viel weitreichendere Folgen. Zunächst und vor allem bewirkt dieser Missbrauch, dass die Wahrscheinlichkeit, dass fachfremde Persönlichkeiten den Sport führen, ständig größer wird. Dies bewirkt, dass immer größere Risiken eingegangen werden in Bezug auf die Steuerung der Sportentwicklung in den Sportarten selbst. Dies hat auch zur Folge, dass nahezu in allen Sportarten deren internationale Sportwettbewerbe in maßloser Weise ausgeweitet werden, weil nur noch wirtschaftliche Interessen das sportpolitische Handeln dieser Organisationen prägen. Weltmeisterschaften werden deshalb immer öfter nicht unter sportlichen Gesichtspunkten oder, was nicht weniger wichtig ist, unter verantwortbaren wirtschaftlichen Gesichtspunkten vergeben, sondern es prägen zunehmend fremdgesteuerte politische Interessen die Entscheidungen. Kommissionen und Komitees werden zu teuren, gleichzeitig aber folgenlosen Foren sportpolitischer Partizipation. Die Führungsspitzen der internationalen Sportverbände werden zu Oligarchien und entziehen sich immer häufiger jeder Kontrolle. Viele der Weltverbände agieren finanzwirtschaftlich in einem rechtsfreien Raum. Sie unterliegen so gut wie keiner nachvollziehbaren Aufsicht. Bei den an sie von außen herangetragenen Managementprinzipien der „Good Governance“ und der „finanziellen Transparenz“ werden wohl nach außen hin unter PR- Gesichtspunkten und mit dem in internationalen Sportorganisationen üblichen Instrument der Einsetzung von  „Kommissionen“ nach außen hin durchaus werbewirksam vertreten. Die Realität spricht jedoch eine andere Sprache. Mit Ausnahme des IOCs gibt es so gut wie keinen internationalen Sportfachverband, der seine Einnahmen und Ausgaben detailliert im Internet offenlegt. Wozu auch gehören müsste, dass Aufwandsentschädigungen, Gehälter, Honorare, Sitzungstagesgelder und Erstattung von Reisekosten zumindest für die Gruppe der hauptamtlichen und ehrenamtlichen Mitglieder der jeweiligen Vorstände offengelegt werden. Erst dann könnte man von einer wirklichen finanziellen Transparenz sprechen. Was die Gewinne betrifft, die mittels des Weltsports erwirtschaftet werden, so partizipieren jene, die mit ihren „Stimmen- Paketen“ die Macht der Mächtigen, d.h. in der Regel die Wahl und Wiederwahl der Präsidenten sichern, mit relevanten Ausschüttungen an diesen Einnahmen. Unter der Etikette der „Entwicklungspolitik“ werden dabei vor allem die Verbände Afrikas begünstigt. Die europäischen Verbände müssen hingegen vermehrt erkennen, dass von ihnen allenfalls erwartet wird, dass sie als erfolgreiche Veranstalter die Einnahmen sichern und dafür Sorge tragen, dass auch genügend Sponsoren die jeweiligen sportlichen Großereignisse unterstützen. Ihr Einfluss auf die relevanten Entscheidungen hat sich jedoch erheblich verringert.
Die Gefahr, dass die Sportarten zum Spielball von Mächtigen geworden sind, die vorrangig ihren eigenen Interessen bedienen, hat sich in den letzten Jahren noch einmal erheblich gesteigert. Bereits heute ist abzusehen, dass auf diese Weise die wirtschaftlichen Grundlagen vieler Olympischer Fachverbände gefährdet werden. Notwendige Investitionen in die Modernisierung der Sportarten werden nur selten getätigt, und die Olympischen Verbände geraten in eine immer intensivere Abhängigkeit zum IOC. Die große Mehrheit dieser Verbände ist sich mit ihren Führungsgremien dieser Gefahren nur im Ausnahmefall bewusst. Selbst die weltweit zu beobachtende Wirtschaftskrise führt nur bei wenigen Verbänden zu einer Besinnung. Dabei ist es offensichtlich, dass die Unzufriedenheit in den Weltsportorganisationen wächst. Diese Unzufriedenheit wird vor allem von den Athletinnen und Athleten zum Ausdruck gebracht, die immer mehr von der fatalen Entwicklung der Organisationen betroffen sind, da die aktuelle Führungspolitik vor allem zu Lasten der Athleten und deren Wettkämpfe geht. Es kann auch kaum überraschen, dass jene die vorrangig im Sport unter ökonomischen Gesichtspunkten partizipieren, anstelle der politischen Ranküne ökonomische Professionalisierung setzen möchten und einige Mitgliedsverbände, die sich ungerecht behandelt fühlen, schon öffentlich die Gründung von „Gegenorganisationen“ diskutieren. All dies sind Zeichen einer kritischen Entwicklung des Weltsports dessen Zukunft in vielerlei Hinsicht offen und unsicherer denn je ist. 

¹ Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf „gendergerechte“ Sprachformen – männlich weiblich, divers – verzichtet. Bei allen Bezeichnungen, die personenbezogen sind, meint die gewählte Formulierung i.d.R. alle Geschlechter, auch wenn überwiegend die männliche Form steht.

Letzte Bearbeitung: 3. 8. 2023