Im Verhältnis zwischen Sport und Politik stellt der Sportausschuss des Deutschen Bundestages eine besonders eigenartige Institution dar. Idealtypisch gedacht müsste dieser Ausschuss ein kritisches Korrektiv der jeweiligen Bundesregierung in sportpolitischen Fragen sein. Mit seiner Arbeit müsste er sicherstellen, dass dem Sport eine ausreichende gesellschaftspolitische Bedeutung zukommt und dass der Sport seine vielfältigen politischen Funktionen erfüllen kann. Wenn sich die Sportentwicklung auf Irrwegen befindet, müsste dieser Ausschuss eine mahnende Kontrollinstanz sein, sich für notwendige Sanktionen einsetzen und Lösungswege für zukünftige Entwicklungen empfehlen. Der Sportausschuss wäre dabei in gewisser Weise immer notwendige Lobby zugunsten des autonomen Sports, doch gleichzeitig auch distanziert kritischer Begleiter, der sich gegenüber dem autonomen Sport als unabhängig erweist. Idealtypisch gedacht ist die Konstruktion des Sportausschusses eine interessante Herausforderung. In der Realität kann dieser Ausschuss diesen Ansprüchen jedoch so gut wie gar nicht genügen. Begegnet man als junger Funktionär, der neu in ein Amt gewählt wurde, dem Sportausschuss des Deutschen Bundestages, so bringt man ihm zunächst den gleichen Respekt entgegen, der für alle Ausschüsse des Deutschen Bundestages angebracht ist. Ist man länger dabei, so verkehrt sich dieser Respekt jedoch in sein Gegenteil. Zunächst war es für mich eine Ehre und eine Anerkennung meiner Arbeit, wenn ich zu einer Anhörung des Sportausschusses des Deutschen Bundestages eingeladen wurde. Damals noch fanden die Anhörungen in Bonn statt und die Mitglieder des Sportausschusses und seine Vorsitzenden waren während der Bonner Jahre meist auch anerkannte Politiker innerhalb ihrer Parteien. Sehr schnell musste ich jedoch erkennen, dass das kritische Potenzial des Sportausschusses äußerst gering ist, viele Mitglieder sich eher als Sportfan und nur ganz selten als Experte des Sports auszeichnen. Mit dem Umzug des Parlaments nach Berlin hat sich diesbezüglich nur wenig verändert. Einerseits war im Sportausschuss Kameraderie angesagt, andererseits wurde immer häufiger die Unabhängigkeit des Ausschusses dadurch in Frage gestellt, dass mehrere Mitglieder, einschließlich der Vorsitzenden, Ämter im Sport ausübten und damit ihr parteipolitisches Engagement dem Vorwurf der Befangenheit aussetzten. Besonders unglaubwürdig war auf diese Weise das Engagement des Sportausschusses im Anti-Doping-Kampf. Markige Worte durch die Vorsitzenden des Sportausschusses gegenüber der Presse gehören dabei zum üblichen Spiel. Gleichzeitig sind sie begeisterte Zuschauer bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen auf Kosten der Steuerzahler. Die Repräsentanten des Sportausschusses übernachten dann im „Traumschiff Deutschland“, so bei den Olympischen Spielen in Sydney und Athen. Sie sind Dauergäste im Deutschen Haus, sitzen auf Ehrentribünen und sind in vorderster Front bei Empfängen. Der Opportunismus der Sportausschussmitglieder scheint grenzenlos zu sein. Wenn es um Menschenrechtsfragen geht so werden diese gegenüber der deutschen medialen Öffentlichkeit lautstark erörtert. Sind die Sportvertreter jedoch bei den Sportereignissen in jenen Ländern, in denen die Menschenrechtsverletzungen beklagt werden, so kann man sich regelmäßig darauf verlassen, dass mit der Einreise der Bundestagsabgeordneten des Sports in das betroffene Land deren Engagement zur Einhaltung der Menschenrechte in gleicher Weise erlahmt, wie dies bei Athleten, Trainern und Funktionären der Fall ist. Sportausschussvorsitzender Dankert von der SPD war in gleicher Weise ein Meister der sportpolitischen Empörung wie seine Nachfolgerin Freitag – über lautstarke und sich ständig wiederholende Äußerungen und vielfältige rituelle Ankündigungen, die jedoch nie umgesetzt wurden, ist ihr sportpolitisches Engagement kaum hinausgekommen. Ihre intellektuelle Bescheidenheit traf sich mit all jenen Mitgliedern, die von ihren Parteien in diesen besonderen Ausschuss geschickt wurden. Die CDU Mitglieder Rieger und Gienger konnten und können über ein Jahrzehnt ihren eigenen Nutzen aus ihrer Mitgliedschaft im Sportausschuss des Deutschen Bundestages ziehen, ohne das auch nur irgendeine sportpolitische Leistung auf ihre Person zurückzuführen wäre. Gienger’s Einbindung in das Präsidium des Deutschen Olympischen Sportbundes war dabei besonders problematisch. Nicht weniger fragwürdig war auch die Rolle von Freitag, die sowohl Vizepräsidentin des Deutschen Leichtathletik-Verbandes als auch Vorsitzende des Sportausschusses war und damit in gewisser Weise sich selbst zu beaufsichtigen hatte. Den Amtsinhabern scheinen dabei in dieser Hinsicht moralische Skrupel fremd zu sein, die meisten der Ausschussmitglieder glauben sogar, ihre Doppelrolle verteidigen zu müssen. Allenfalls als eine Belustigung kann dabei der Antrag der CDU betrachtet werden, die Öffentlichkeit aus den Sitzungen des Sportausschusses auszuschließen. Angesichts der Folgenlosigkeit der Sitzungen dieses Ausschusses ist solch ein Ausschluss naheliegend. Schließlich muss man sich selbst bei seinem Dämmerschlaf schützen, an dem die Öffentlichkeit nun wahrlich kein Interesse zeigen sollte.
Es wäre ungerecht, wenn bei einer derart pauschalen Kritik nicht auch erwähnt würde, dass nicht nur der Sportausschuss des Deutschen Bundestages seine Fragwürdigkeiten aufweist. Auch die Leistungen anderer Ausschüsse des Deutschen Bundestages sind zweifelhaft und auch in diesen Ausschüssen sitzen Mitglieder, deren Kompetenz fragwürdig ist. Hinzukommt, dass in den nunmehr 18 Wahlperioden des Deutschen Bundestages, dem Sportausschuss durchaus auch allseits anerkannte Politiker angehörten. So unter anderem die Abgeordneten Kinkel, Ramsauer, Mischnick, Baum, Schäuble, durch deren Präsenz die politische Relevanz des Sports nachdrücklich unterstützt wurde. Auch wichtige Debatten haben in diesem Ausschuss stattgefunden und zu Empfehlungen geführt, die durchaus richtungsweisend gewesen sind. Dies gilt vor allem für die Jahre vor den Olympischen Spielen 1972, als der Sonderausschuss für Sport und Olympische Spiele, der Vorläufer des Sportausschusses, die Olympischen Sommerspiele in München politisch möglich gemacht hat. Auch die Fußball-Weltmeisterschaft 1974 wurde in diesem Ausschuss sorgfältig vorbereitet. Für die Parteien selbst hatte dieser Ausschuss nach dieser Zeit allerdings mehr und mehr an Bedeutung verloren. Die Vorsitzenden Kraske, Evers, Tillmann, Beucher, Rauen, Danckert und Freitag gaben sich wohl alle sehr viel Mühe. Ihre Arbeit war jedoch selbst in der jeweilig eigenen Partei eher als nachgeordnet zu bezeichnen und für die Sportorganisationen wurden die Hearings dieses Ausschusses immer mehr zu einer Last, als dass sie eine wirkliche Chance bedeutet hätten.
Der Sportausschuss hat in jüngster Zeit wie so viele Ausschüsse auf unfreiwillige Weise einen empirischen Beleg für seine äußerst nachgeordnete Bedeutung erbracht. Seit Juni des vergangenen Jahres hatte er zwangsweise nicht mehr getagt und hat auf diese Weise gezeigt, dass ein Verlust dieses Ausschusses von der Öffentlichkeit so gut wie gar nicht wahrgenommen wird. Die regierungslose Zeit war gewiss nicht für alle Bereiche in unserer Republik ein Segen, für den Bereich des Sports war sie aber gewiss auch kein Schaden.
Verfasst: 03.04.2018