Der Einfluss von Lebenspartnerschaften auf die Entwicklung sportlicher Höchstleistungen

Sportlicher Erfolg hat viele Mütter und Väter. Dies gilt für eine besondere Leistung in der Leichtathletik gleichermaßen wie für die Leistung eines Nationalspielers im Fußball, für eine Spitzenleistung im Gewichtheben, für einen Olympiasieg im Reiten oder beim Skisport. Sucht man aus wissenschaftlicher Perspektive nach den Ursachen sportliche Höchstleistung, so ergibt sich meist ein multifaktorielles Beschreibungs- und Erklärungsmodell, in dem viele Faktoren zusammenspielen müssen, um eine sportliche Höchstleistung zu gewährleisten.

Der Frage nach dem Talent der Athletinnen und der Athleten ist dabei an erster Stelle zu nennen.  Der betreuende Trainer bzw. die betreuende Trainerin spielen eine nicht weniger bedeutsame Rolle. Aus einer sozialisationstheoretischen Perspektive kommt auch der Herkunftsfamilie der Spitzensportler eine wichtige Bedeutung zu. In nahezu allen Sportarten können die Trainingsmittel, die Beschaffenheit der Wettkampfgeräte und der Sportanlagen, die den Athleten oder der Athletinnen zur Verfügung stehen, entscheidend sein. Immer häufiger wird auch der Ernährung der Athletinnen und Athleten eine wichtige Funktion für das Erreichen eines sportlichen Erfolgs zugesprochen. Neben guten körperlichen Voraussetzungen spielen auch psychische Dispositionen eine zentrale Rolle. Die Anzahl der Faktoren, die in einem multifaktoriellen Leistungssportmodell eine Rolle spielen können, sind vielfältig und von Sportart zu Sportart unterschiedlich (vgl.Abb.1).

Abbildung 1:Einflussfaktoren sportlicher Höchstleistungen:

Ein Aspekt scheint mir dabei in der Diskussion über die Bedingungsfaktoren sportlicher Höchstleistungen häufig vernachlässigt zu werden. Oft wird er in seiner Bedeutung auch gar nicht erkannt. Gemeint sind die Lebenspartnerschaften, die ein Athlet oder eine Athletin während seiner bzw. ihrer Leistungssportkarriere   eingeht. Betrachten wir diese Fragestellung etwas genauer, so können wir erkennen, dass zu Beginn einer Leistungssportkarriere, als Kind oder Jugendlicher, eine solche Partnerschaft zunächst nur eine geringe Auswirkung auf das Training und den Wettkampf des Athleten bzw. der Athletin hat. Als Schüler oder Schülerin hat man seinen Freundeskreis, man hat engere und weniger enge Freunde und Freundinnen, gleichgeschlechtlich oder anders geschlechtlich. Während der ersten Schritte in einer Leistungsportkarriere haben diese Beziehungen allenfalls eine indirekte Auswirkung auf das Training und den Wettkampf. Vielmehr ist der Einfluss der Familie in dieser Phase von entscheidender Bedeutung.

Meist in der Pubertät, wenn Athletinnen und Athleten zum ersten Mal ihre erste Freundin bzw. ihren ersten Freund kennengelernt haben und zu diesen Partnern engere Beziehungen eingehen, kann diesbezüglich bereits eine entscheidende Veränderung eintreten. Die Auswirkungen solcher Beziehungen auf die Entwicklung der sportlichen Karriere können dabei höchst unterschiedlich sein. Probleme in den Beziehungen können dabei die Wettkampf- und Trainingsleistungen beeinträchtigen, „günstige“ Beziehungen können die Leistungsportkarriere in positiver Weise unterstützen. Aber auch mancher Karriereabbruch lässt sich auf diese Weise erklären. Eine Beschleunigung der sportlichen Leistungskarriere ist aufgrund einer besonderen biografischen Verschränkung ebenfalls möglich. So kann die Entscheidung zu Gunsten einer dauerhaften Partnerschaft oder zur Heirat einer Partnerin bzw. eines Partners ein unterstützender (fördernder), aber auch ein durchaus hemmender Einschnitt in der Karriereentwicklung von erfolgreichen Athletinnen und Athleten sein.

Die Frage nach der Bedeutung von Ehepartnern oder Lebenspartnern bei der Begleitung einer sportlichen Leistungskarriere ist meines Erachtens aus wissenschaftlicher Sicht derzeit noch immer nahezu unbeantwortet. Wenn überhaupt so wurde und wird die Frage nach dem Einfluss von Lebenspartnern auf die Entwicklung sportlicher Höchstleistungen in der nationalen und internationalen Sportwissenschaft völlig unzureichend untersucht. Dabei könnte es durchaus sein, dass die Lebensabschnittspartnerschaften eine grundlegende Bedeutung und zentrale Rolle für die Intensität und die Dauer einer sportlichen Karriere ebenso wie für den Erfolg der Karriere selbst spielen.

Versuche ich mich selbst an meinen Sozialisationszeitraum im engeren System des Hochleistungssports zu erinnern und habe ich dabei auch meine Mitspieler in meiner ehemaligen Bundesligamannschaft im Blick, so fällt für mich zu meiner eigenen Überraschung auf, dass die sog. „Spielerfrauen“ von unserem Trainer und von uns selbst lediglich als eine gern gesehene Begleiterscheinung unserer eigenen Leistungssportkarriere betrachtet wurden. Wie die Partnerinnen auf jeden einzelnen von uns eingewirkt haben, war für uns keine (bewusst) relevante Frage. Unser Trainer, der auch gleichzeitig einer der erfolgreichsten deutschen Nationalspieler war, war in seinem Handeln voll und ganz auf den sportlichen Erfolg fokussiert, selbst sein Beruf spielte dabei eine nachgeordnete Rolle. Durch seine Heirat wurde diese Prioritätensetzung nicht beeinflusst. Nach der Geburt seiner beiden Kinder konnte man ebenfalls keine Verhaltensänderungen feststellen. Für das Familienleben und für die Erziehung der Kinder war seine Frau zuständig. Er selbst war hingegen in seinem Handeln bis zum Abstieg unserer Mannschaft aus der ersten Bundesliga voll und ganz auf seine Leistungssportkarriere und die seiner Bundesligamannschaft ausgerichtet. Gleiches galt nahezu für den gesamten Kader unserer Mannschaft. Die weibliche Begleitperson wurde allenfalls unter dem Aspekt ihres Aussehens und ihrer Intelligenz beurteilt. Die Annahme, dass diese Begleitpersonen auch einen Einfluss auf unsere Leistungsentwicklung haben könnten, war uns hingegen fremd. Aus der Sicht von heute ist für mich jedoch wahrscheinlich, dass bei jedem Spieler eine spezifische Beziehungssituation existierte, die durchaus Einfluss auf seine sportliche Leistung haben konnte und vermutlich auch gehabt hat.

Erst in jüngster Zeit wurde mir bewusst, dass der Einfluss von Ehepartnern bzw. Lebenspartnern und Lebenspartnerinnen eine Intensität erreichen kann, von der der gesamte Erfolg einer sportlichen Karriere abhängen kann. Diese Einsicht wurde durch ein beeindruckendes Interview der Ehefrau von Fußballstar Lewandowski in der Süddeutschen Zeitung bestätigt. Frau Lewandowski legt demnach nicht nur den Ernährungsplan ihres Mannes fest. Sie ist auch seine Mentaltrainerin und Leistungspsychologin in einer Person. Ihre beruflichen Fähigkeiten korrelieren dabei mit der positiven Entwicklung der Leistungssportkarriere ihres Ehegatten. Seine Erfolge scheinen zu einem großen Teil auch u aus der Zielstrebigkeit ihrer „Betreuungsarbeit“ zu resultieren. Das Interview legt die Annahme nahe, dass bei diesem Beispiel für die Entwicklung der Spitzensportkarriere von Lewandowski dem Lebenspartner eine mindestens genauso große Bedeutung zukommt wie den Trainern und Betreuern von Bayern München. Vermutlich ist das Beispiel Lewandowski kein Einzelfall. Frauenbilder und die Rolle der Frau haben sich im letzten Jahrhundert in allen Gesellschaften ganz wesentlich verändert und betrachten wir die Feminismusbewegungen der letzten Jahrzehnte, so kann angenommen werden, dass sich dabei auch die aktiven und passiven Rollen, die Frauen im System des Sports spielen, ganz wesentlich verändert haben. „Nur-Hausfrauen“ als Lebenspartner von Leistungssportlern sind eher selten geworden. Hingegen haben heute die Lebenspartner meist eigenständige Berufe mit unterschiedlichsten Bildungsvoraussetzungen. Deren Einflüsse auf die sportliche Leistung können von Athlet zu Athlet bzw. von Athletin zu Athletin sehr verschieden sein. Das Beispiel „Lewandowski“ zeigt, dass dabei positive Einflüsse möglich sind. Bei anderen Athleten erweisen sich die Lebenspartner eher als „Störfaktor“ und führen im Extremfall zur Beendigung sportlicher Karrieren. Auch das Verhältnis von Athletinnen und Athleten zu ihrem Lebenspartner unterliegt einem kontinuierlichen sozialen Wandel. So wie sich die Rolle und das Selbstbild des Hochleistungssportlers bzw. der Hochleistungssportlerin in den letzten 50 Jahren gravierend verändert haben, so haben sich auch die Rolle, das Selbstbild und der Einfluss der Lebenspartner von Athletinnen und Athleten verändert. Davon betroffen ist vermutlich auch die Wirkweise wie die Lebenspartner auf die Leistungsentwicklung in den unterschiedlichen Sportkarrieren Einfluss nehmen.

Es könnte also durchaus wichtig sein, dass jene Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die Interesse an der Erforschung der sportlichen Höchstleistung haben, sich zukünftig einmal intensiver den Fragen nach der Rolle der Lebenspartnerschaften für die Entwicklung der sportlichen Höchstleistung zuwenden. Für die Steuerung und Betreuung sportlicher Höchstleistungen könnten diesbezüglich neue Erkenntnisse von grundlegender Bedeutung sein.

Allein das Phänomen der „Spielerfrauen“ in den Mannschaftssportarten bedarf schon längst einer genaueren Betrachtung. Im massenmedialen Bewusstsein gibt es „Spielerfrauen“ nur beim Bundesligafußball. Aus Anlass der Fußball-Europameisterschaft in diesem Jahr werden für diese Frauen sogar von einer seriösen Zeitung sechs Verhaltensregeln formuliert, damit die „Spielerfrauen“ des Fußballs den „undankbarsten Job der Welt“ meistern können. (Süddeutsche Zeitung 12./13. Juni 2021, S.57). Von den „Spielerfrauen“ im Handball ist nur ganz selten die Rede. In anderen Mannschaftsportarten wie Volleyball oder Hockey scheinen sie im Bewusstsein der Öffentlichkeit gar nicht zu existieren. Würde man die Trainer dieser Sportarten befragen, so würde man sehr schnell einen ganz anderen Einblick erhalten. Sie wissen von vielen Fällen zu berichten, wo ihre Spieler von sog. Spielerfrauen beeinflusst werden und damit die mannschaftliche Leistung in positiver, aber auch in negativer Weise beeinflussen.

Dabei ist auffällig, dass man in Bezug auf den Mannschaftssport der Frauen ein vergleichbares Phänomen in Bezug auf die männlichen Begleitpersonen der Spielerinnen auf den ersten Blick nicht erkennen kann. Von „Spielerinnenmänner“ ist nirgendwo die Rede. Es ist jedoch anzunehmen, dass männliche Lebenspartner auf die Leistungsentwicklung von Spielerinnen in den unterschiedlichsten Mannschaftssportarten einen ebenso intensiven Einfluss haben wie dies für weibliche Lebenspartner der Fall ist.

Beim Einfluss von „Spielerfrauen“ auf die Leistung der Spieler scheinen erhebliche Unterschiede von Mannschaftssport zu Mannschaftssport zu bestehen. Schichtspezifische Unterschiede zwischen den Sportarten sind dabei ebenso zu beachten wie auch der Einfluss der Präsenz der Spielerfrauen in den sozialen Medien und damit in der kommunikativen Öffentlichkeit der Spieler selbst. In den meisten Einzelsportarten ist die öffentliche Präsenz der Lebenspartner der Athleten und Athletinnen eher gering oder gar nicht vorhanden. In Abhängigkeit vom sozialen Status der Lebenspartner muss jedoch erwartet werden, dass auch in diesen Sportarten erhebliche Einflüsse in Bezug auf die Entwicklung der sportlichen Höchstleistung bestehen.

Immer häufiger leben Hochleistungssportlerinnen und Hochleistungssportler mit Lebenspartnern des eigenen Geschlechts zusammen. Es kann angenommen werden, dass sich auch homosexuelle und lesbische Beziehungen oder Ehen von Hochleistungssportlern durch eigenständige Muster in Bezug auf die Beeinflussung der sportlichen Höchstleistung auszeichnen.

In einem ersten Schritt könnten qualitative Studien unter Einbeziehung der Lebenspartnerschaften bei der Frage nach der Bedeutung der Lebenspartner für die Entwicklung sportlicher Höchstleistungen bereits wichtige Erkenntnisse hervorbringen. Weiterführende quantitative Erhebungen wären wünschenswert. Eine sportartspezifische Betrachtung ist dabei ebenso wie eine geschlechts-aber auch altersspezifische naheliegend. Interessant wären auch vergleichende Studien über unterschiedliche nationale Leistungssportsysteme, denn es darf angenommen werden, dass zum Beispiel asiatische Leistungssportkarrieren unter dem Aspekt der Beeinflussung durch Lebenspartnerschaften ganz anders verlaufen als dies z.B. für europäische Karrieren der Fall ist. Ein weiterführender und interessanter Aspekt wäre auch ein Vergleich von Athletinnen und Athleten, die als Single leben mit Athleten und Athletinnen, die in ihrer Leistungsentwicklung durch eine Partnerschaft beeinflusst werden. Die hier vorgelegte Forschungsskizze ist ganz offensichtlich in vieler Hinsicht offen und kann durch weitere interessante Fragen ergänzt werden.

Verfasst: 16.06.2021