Reflexive Lehr-Lern-Situationen im Sport – Ein Beitrag zur Verbesserung der Beziehung zwischen didaktischer Theorie und sportlicher Praxis

Vorbemerkungen

Eine Kluft zwischen didaktischer Theorie und realer Lehr-Lernpraxis ist kein sportspezifisches Problem, sie ist vielmehr in der Beziehung von Theorie und Praxis in allen Wissenschaften zu beobachten. Spezifisch sportlich und besonders verdienstvoll ist hingegen, dass gerade im Sport diese Kluft immer wieder zur Kenntnis genommen und kritisiert wird und dass beständig Bemühungen unternommen werden, die zu einer Reduzierung der Kluft beitragen sollen. Vergleicht man in dieser Beziehung den Sport mit anderen Hochschuldisziplinen, so sind solche Bemühungen geradezu vorbildlich. „Selbstbeweihräucherung“ scheint aber besonders in der aktuellen bildungspolitischen Situation wenig angebracht zu sein. Vielmehr müsste gerade wegen dieser günstigen Situation im Sport die Verbesserung der Beziehung zwischen didaktischer Theorie und sportlicher Praxis eine vorrangige sportwissenschaftliche und sportpraktische Fragestellung und Aufgabe sein. Für die meisten Sportlehrer¹ ist die Kluft, die zwischen didaktischen Zielbestimmungen und der sportunterrichtlichen Wirklichkeit liegt, noch immer unüberwindbar und wird deshalb zu Recht beklagt. Nimmt man solche Klagen ernst, so wird es notwendig sein, zunächst nach den Ursachen zu suchen, die diese Kluft bedingt haben. Erst dann lassen sich Maßnahmen ergreifen, die zur Verringerung der Kluft beitragen bzw. die die Kluft „begehbar“ werden lassen. Beides soll im Folgenden versucht werden.
Über die Ursachen der Kluft zwischen didaktischer Theorie und sportlicher Praxis gibt es verschiedene Annahmen. Einerseits wird angenommen, dass es an einer noch ausstehenden Unterrichtstheorie des Sports, an der ungenauen Beschreibung von Lernzielen, an den schlecht ausgebildeten oder unengagierten Lehrern und an den unzureichenden Ausbildungsstätten liegt. Andererseits wird eher vermutet, dass die Unterrichtsinhalte des Sports von den Didaktikern überstrapaziert werden, dass dem Sport Wirkungen zugeschrieben werden, die von ihm gar nicht oder nur begrenzt zu erreichen sind. Es werden aber auch die unzureichenden organisatorischen Bedingungen wie zu wenig Zeit, zu kleiner Raum, zu große Klassen, die ungenügende Ausstattung und die sich negativ auswirkende außerschulische (Sport-)Umwelt angeführt, die diese Kluft bedingen.
Solche Vermutungen über die Ursachen gehen meist mit Verbesserungsvorschlägen einher, von denen angenommen wird, dass sie zu einer Verringerung der angezeigten Kluft führen. Versucht man nun gerade diese Verbesserungsvorschläge zusammenfassend zu bewerten, so könnte man pessimistisch und resignativ feststellen, dass mit solchen Analysen und Vorschlägen wohl eine Menge Literatur produziert wurde, die Schulpraxis bis auf wenige Veränderungen aber immer noch die alte geblieben ist.
Derartige Resignation ist aber weder hilfreich noch verantwortbar. Schon die wenigen positiven Veränderungen der Schulpraxis wie die Erweiterung der Möglichkeit des koedukativen Unterrichts, die vermehrte Spiel,- Tanz- und Musikerziehung in einigen Schulen, die Vergrößerung der Disziplinvielfalt und die Verbesserung der räumlichen Voraussetzungen könnten als gewichtige Gegenargumente dienen. Aber auch über eine Analyse der bislang vorgelegten sportdidaktischen Vorschläge lassen sich meines Erachtens noch Empfehlungen ableiten, die sich als kleine Schritte zur Reduktion der Kluft herausstellen könnten. Dies möchte ich im Folgenden versuchen.
Dazu soll von der „Sportdidaktik“, von „Lernzielen“ und von „unterrichtlichem Handeln“ die Rede sein. Alle drei Begriffe werden weder einheitlich noch klar in der sportwissenschaftlichen Diskussion verwendet. Die Diskussion, ob „Sportcurriculum“, „Sportdidaktik“, „Sportpädagogik“ oder „Leibeserziehung“ die geeignete Bezeichnung für eine Sporttheorie ist, die sich mit Fragen der Er-ziehung, des Lernens, des Lehrens im und durch Sport befasst, soll dabei nicht aufgegriffen werden, sie scheint ohnehin müßig zu sein, zumindest ist ihr Zweck nur selten zu erkennen.
Ich möchte im Folgenden mit dem Begriff „Sportdidaktik“ ein wissenschaftliches Teilgebiet der Sportwissenschaft bezeichnen, das sich deskriptiv und präskriptiv mit Fragen und Problemen der Erziehung, des Lehrens und Lernens im Sport beschäftigt. Dabei kommen ihr andere Wissenschaften mit ihren Theorien, Erkenntnissen und Methoden zur Hilfe. Sportdidaktik bezieht sich so verstanden nicht nur auf die Situationen „Sportunterricht“ oder „Schulsport“, wie dies bislang in der sportdidaktischen Diskussion stillschweigend, aber kaum einsichtig angenommen wurde. Eine „Sportdidaktik des Schulsports“ ist nur eine Teiltheorie der allgemeinen Sportdidaktik, andere Teiltheorien könnten eine Sportdidaktik „des Vereinssports“, „des Freizeitsports“ oder „des Alterssports“ sein. Eine so festgelegte „Sportdidaktik“ darf sich aber auch nicht nur auf die „Handlungsprobleme des Lehrens“ beschränken, wie dies in einigen didaktischen Ansätzen der Fall ist, sie hat auch die wichtige Frage nach der Auswahl der Inhalte, nach der gesellschaftlichen Wirklichkeit, die in die jeweilige Lehr-Lern-Situation hineingenommen wird, zu beantworten.
Der Begriff des „Lernziels“ soll im Folgenden ebenfalls eher naiv umgangssprachlich verwendet werden. Er soll so verwendet werden, wie man ihn im Alltag gebraucht. Wenn es ein Ziel des Sportunterrichts ist, Fußball zu spielen, so ist dieses Ziel erreicht, wenn die Schüler Fußball spielen, wenn hingegen das Ziel ist, Fußball spielen zu lernen, so setzt man voraus, dass diejenigen, die es lernen sollen, das Spiel noch nicht spielen können, dass es sinnvoll ist, dass sie Fußball spielen kön-nen und (eventuell) dass sie selbst wollen, Fußball spielen zu können. Weiter nimmt man an, dass sich das Spiel lernen lässt und dass man Kriterien kennt, nach denen man beurteilen kann, ob einer das Spiel gelernt hat. Das Beispiel sollte erläutern, wie im Folgenden der Begriff des Lernziels verwendet wird.
Der Begriff des „unterrichtlichen Handelns“ möchte ich ebenfalls durch eine Setzung festlegen, d.h. dass die umfangreiche und immer noch andauernde Diskussion um Handlungstheorien und deren Eignung für den Sport nicht dargestellt werden soll. Im Folgenden soll vielmehr mit „Handeln“, jenes Handeln bezeichnet werden, das auf seine Absichten hinterfragt werden kann. Für das unterrichtliche Handeln heißt das, dass man von ihm nur sinnvoll reden kann, wenn den im Unterricht Handelnden unterstellt werden kann, dass sie begründbare Erziehungsabsichten verfolgen. Das Handeln steht dabei immer auch in einem sozialen Zusammenhang, wird von diesem mitbestimmt und ist aus diesem Zusammenhang heraus verstehbar.
Bedeutsam wird das menschliche Handeln für das unterrichtliche Interaktionsgefüge in erster Linie dadurch, dass menschliches Handeln verstehbar ist. Verstehbarkeit ist das wesentlichste Merkmal menschlichen Handelns. Verstehbarkeit bedeutet dabei nicht, dass jeder für sich eine private Interpretation über sein Handeln vornehmen kann, sondern, dass man im Handeln Regeln befolgt, die sozial bedingt sind. Das Verstehen einer Handlung beruht darauf, dass sich zwei Individuen auf die gleiche oder eine ähnliche Regel berufen.

Zur aktuellen Beziehung zwischen sportdidaktischer Theorie und sportlicher Praxis

Ich möchte mich nun in einem ersten Schritt damit befassen, inwieweit das, was sich in der didaktischen Diskussion des Sports als Didaktiktheorie zu bezeichnen weiß, tatsächlich dem entspricht was den Zusammenhang zwischen Sport und Didaktik ausmacht. Wenn ich dabei auf zwei Richtungen pointiert abhebe, so geschieht das nicht vor dem Hintergrund einer fundierten theoretischen Auseinandersetzung. Die folgende Aufteilung beruht eher auf einer bildungspoli-tischen Einschätzung der bislang geführten sportdidaktischen Diskussion.
Da ist einmal die Gruppe derjenigen Didaktiker, die ich als Vertreter einer „reduzierten Didaktik“ bezeichnen möchte, man könnte sie auch als „technologisch-orientierte Didaktiker“ bezeichnen. Sie sehen die Aufgabe der Schulsportdidaktik nicht in der Bestimmung übergeordneter, ihrer Meinung nach eher sportfremder, Lernziele. Ausgehend von einer Sachanalyse des Unterrichtsgegenstandes „Sport“ und seiner Wesensbestimmung und von sogenannten sportimmanenten Lernzielen, die eigentlich nicht zu begründen sind, sehen sie ihre Aufgabe lediglich darin, den Lernenden ausgewählte Methoden bereitzustellen, mit denen die Lehr-Lern-Handlungen im Sportunterricht verbessert werden können. Sie sind also gleichsam „didaktische Methodiker“. Ihre Einschränkung rechtfertigen sie z.T. damit, dass Lernziele Setzungen seien, was bei ihren üblichen Formulierungen in den Lehrplänen durch das Verb „sollen“ zum Ausdruck kommt. Setzungen seien aber mit wissenschaftlichen Methoden (wobei nur an naturwissenschaftliche gedacht wird) nicht zu ermitteln. Dahinter lässt sich die Auffassung vermuten, dass Wissenschaft jenes wertfrei zu beschreiben habe, was der Fall ist. Diese Auffassung kann jedoch für die Sozialwissenschaften nicht akzeptiert werden. Soziale Tatsachen werden durch Regeln bestimmt, und Regeln beruhen auf sozialen Konventionen.
Die Begründung für die vorgenommene didaktische Einschränkung ist also nicht korrekt, und schon gar nicht können ihre Konsequenzen akzeptiert werden. Einmal wäre dieses Verfahren sehr unökonomisch, denn der technologisch orientierte Sportdidaktiker müsste doch sinnvollerweise Methoden für alle denkbaren Sportinhalte entwickeln, es müssten also alle möglichen Lernsequenzen für alle möglichen Lernziele bereitgestellt werden, von denen aber ein großer Teil unnötig wäre, weil niemand sie zu Lernzielen erheben würde. Es sei denn der Sportlehrer würde jede eigene Wertung aufgeben und rein „dienend“ unterrichten, was immer man ihm auch als Lernziel vorsetzt. Für uns vor allem wichtig ist aber, dass die technologisch orientierte Konzeption immer noch die Frage offenlässt, wer über die Lernziele entscheidet.
Den technologisch orientierten Sportdidaktikern stehen jene gegenüber, die die Aufgabe der Sportdidaktik besonders darin sehen, den gesellschaftlichen Bildungswert von Lerninhalten zu beschreiben und über Lernziele und deren Auswahl zu entscheiden. Wie in allen Fachdidaktiken gibt es dabei im Sport innerhalb dieser Gruppe zwei Untergruppen. Da gibt es die eine, die an eher traditionellen Theorien festhält und Ansichten weitergibt, die meist nur noch von den Vertretern der eigenen Gruppe akzeptiert werden. Die andere Gruppe zeichnet sich dadurch aus, dass sie nach neuesten Entwicklungen der Sozialwissenschaften greift und sie in ihre didaktische Theorie miteinbringt.
Will man diesen Gruppen Namen geben, so könnte vielleicht die erste als die bildungstheoretische, die zweite als die emanzipatorische Sportdidaktik bezeichnet werden. Die Charakterisierung der ersten Gruppe stimmt heute freilich nur noch bedingt, hat sie sich doch zunehmend auch der Methode der zweiten Gruppe bedient, nämlich alle ihr hilfreich erscheinenden sozialwissenschaftlichen Theorien in ihr Theoriegebäude zu integrieren. Die vorgenommene Zuordnung ist ohnehin eher als willkürlich zu bezeichnen. Insbesondere wurde die durch die Curriculumdiskussion entwickelte Differenzierung der Sportdidaktik nicht berücksichtigt. Da sich aber die Didaktik- und Curriculumforschung auch im Sport seit einigen Jahren boomartig im Ansteigen befindet und es nahezu unmöglich ist, diese vielfältigen Informationen mit wissenschaftlicher Akribie zu sichten und ausreichend kritisch zu referieren, scheint solch eine Grobzuordnung zur Orientierung und zur Einschätzung geleisteter Vorschläge hilfreich zu sein. Interessanter ist meines Erachtens die Frage, wie sich diese Didaktiken in der Lehr-Lern-Praxis des Sports auswirken.

Im Lehr-Lern-Geschäft des Sports lassen sich schon seit längerer Zeit zwei zentrale Interessenrichtungen beobachten, die selten direkt, meist indirekt sich einer dieser beiden didaktischen Hauptströmungen zuordnen lassen und auf deren Grundlagen Vorschläge für die Praxis des Sportunterrichts und für die Sportlehrerausbildung entwickelt wurden. Allzu oft wurden diese Richtungen dogmatisch gegeneinander ausgespielt, obgleich es offensichtlich ist, dass man sie kaum sinnvoll voneinander trennen kann. Bei der im Folgenden getrennten Darstellung dieser Richtungen sollte dies beachtet werden.
Einmal lässt sich jene Gruppe von Sportpädagogen ausmachen, die mit Argwohn der Diskussion um eine „Politisierung des Lernens“ im Sport entgegentritt, die am liebsten den Begriff des emanzipatorischen Lernens aus den Sportlehrplänen gestrichen wissen möchte (insbesondere auch deshalb, weil der Einfluss von sog. „linken“ Sportpädagogen schon längst im Abnehmen begriffen ist). Ihr pädagogisches Interesse ist an dem Begriff der Leistung orientiert, und konsequenterweise geht es in ihren Vorschlägen mehr oder weniger um Optimierung von Leistung. Ihre Beiträge handeln von „Arbeitskarten zur Intensitätssteigerung sportlicher Übungs- und Trainingsprozesse“, von der „Fundierung und Optimierung des Lern- und Übungsprozesses im Sportunterricht“, vom „Sportunterricht effektiv und vielseitig“. Es wird nach „pädagogischen Wettkampfformen im Sportunterricht“ gesucht, „Prinzipien effektiver Unterrichtsgestaltung“ werden vorgeschlagen. „Trotz Mehrfachbelegung in Turnhallen“ soll es „intensiven Sportunterricht“, geben. Man macht sich Gedanken zur „Intensität im Sportunterricht“ und die „Verbalisierung beim Bewegungslernen“ sollte unter dem Aspekt der Lernoptimierung gezielt eingesetzt werden. Begründet wird solches Optimierungsinteresse meist im Zusammenhang mit sog. sportimmanenten didaktischen Zielen wie „Wetteifer“, „Gesundheit“, „Prävention“, „Erfahrung der Vielfalt sportlicher Bewegungen“, „Entwicklung von Bewegungsfertigkeiten“, „Bereitstellen von Könnenserlebnissen“, „Entwicklung der Leistungsfähigkeit“. Meist liegt solchem Bemühen auch die praktische Erfahrung zugrunde, wie wenig effektiv ein zweistündiger Sportunterricht in der Schule ist, wie wenig sich die Schüler dabei bewegen und wie unwahrscheinlich es ist, dass tatsächlich Wirkungen in Bezug auf das Herz-Kreislaufsystem der Jugendlichen eintreten. Dies sind gewichtige Argumente, die ein verantwortlicher Sportpädagoge gewiss nicht aus den Augen verlieren darf.
Die andere Gruppe sieht im Sport Möglichkeiten, die weit über das hinausgehen, was man unter „Sport lernen“ im alltagssprachlichen Sinn versteht. Meist haben sich diese Möglichkeiten für die Sportpädagogen dieser Gruppe erst durch ein Studium anderer Wissenschaften vor allem der Sozialwissenschaften bzw. über eine bewusste Auseinandersetzung mit anstehenden sozialen und politischen Problemen der Gesellschaft, in der sie leben, eröffnet. Vom Sport wird dabei angenommen, dass er ein geeignetes Feld ist, das einen Teilbetrag auch zur Lösung außersportlicher
Probleme beitragen kann. Dass Sport daneben auch für das Handeln im Sport qualifizieren soll, ist für viele Vertreter dieser Gruppe selbstverständlich.
In solchen Auffassungen geht es dann um „Selbstverwirklichung“, um „Kooperation“ der Schüler, der Schwerpunkt liegt auf der „kommunikativen Seite“, „unerwünschte Einstellungen“ der Schüler sollen dabei „verändert“ werden, „soziale Erziehung“ hat gerade auch im Sportunterricht stattzufinden. Es wird nach den „sozialen Faktoren eines sportlichen Klimas“ an der Schule gefragt, „gruppendynamische Probleme“ treten ins Blickfeld, die „Transfertendenzen sozialer Verhaltensweisen“ werden untersucht, mehr „Aufmerksamkeit der bewussten Mitarbeit aller Schüler“ wird geschenkt, „Koedukation“ wird „zum Prinzip“ erhoben, „Kreativem Handeln“ der Schüler ist Vorschub zu leisten, der „persönlichkeitsbildende Wert im Sportunterricht“ wird hervorgehoben. Im „Mittelpunkt soll tätigkeitszentriertes und handlungsorientiertes“ Lernen stehen, „Sport ist Sozialisationsinstanz“, der einen Beitrag zur „politischen Sozialisation“, zur „Emanzipation“ und zur „Mündigkeit“ leisten kann.
Solche Interessen, die als eher sachunabhängig, gesellschaftspolitisch und sozial zu bezeichnen sind, werden meist in Verbindung zu traditionellen Lehrplanzielen und neueren meist sachunabhängigen Curriculumprinzipien gebracht wie „Hilfsbereitschaft“, „Kameradschaft“ „Fairness“ oder „soziale Sensibilität“, „Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit“ oder „Handlungsfähigkeit“. Auf praktische Erfahrungen kann auch diese Gruppe zur Begründung zurückgreifen (obgleich nur ein Teil dieser Vertreter solche Erfahrungen selbst gemacht hat). Es kann dabei auf die sozialen Handlungsdefizite vieler Schüler verwiesen werden, die aggressiv, egoistisch, leistungsbesessen oder konkurrenzorientiert sind. Schichtbedingte Ungleichheiten und aktuelle gesellschaftliche – von jedermann beobachtbare – Probleme wie Angstzunahme, Leistungsstress, individuelle Isolierung, Einsamkeit, Altersfürsorge, Jugendarbeitslosigkeit, Zunahme der Gewalt, können ebenfalls genannt werden. Dass für solche Probleme Lösungen gesucht werden müssen, wenn möglich auch mittels Sport, ist einsichtig. Die Argumente sind zumindest so gewichtig, wie die der ersten Gruppe. Ein verantwortlicher Sportpädagoge darf sie also gewiss ebenso wenig aus den Augen verlieren wie die der anderen.

Zur Notwendigkeit einer verbesserten Lehr-Lern-Praxis im Sport

In der aktuellen Situation scheint mir freilich eine Prioritätsentscheidung erforderlich zu sein, d.h. es kann kein gleichberechtigtes „Nebeneinander“ dieser skizzierten Positionen geben. Der Sportpädagoge hat sich einer Position intensiv zuzuwenden, ohne freilich dabei die andere völlig aus den Augen zu verlieren.
Die Entscheidung zugunsten der zweiten Position, also zugunsten der Auffassung, dass man mit Sport nicht nur für den Sport lernt, sondern auch für das Leben, für das Handeln in allen denkbaren gesellschaftlichen Situationen gleichsam lernen muss, scheint mir dabei unaufschiebbar zu sein. Ich möchte das begründen.
Einmal sind es die aktuellen gesellschaftlichen Probleme, die jeden ermahnen, seinen Beitrag zu erbringen, der geeignet ist, wenigstens teilweise zur Lösung dieser Probleme beizutragen. Die Probleme sind dabei z.B. die Arbeitslosigkeit, das „Nicht wissen, was in der Freizeit tun“, die Einsamkeit vieler Menschen ebenso wie das Kranksein. Wo überall und wie der Sport hier helfen könnte, müsste geprüft werden.
Ein gewichtiges Argument scheint mir zum anderen zu sein, dass Sport als Unterrichtsfach in der Schule, ja ohnehin nur Aufnahme im Fächerkanon gefunden hat, weil man schon immer angenommen hat, Erziehung im und durch Sport könnte den Schülern in ihrem späteren Leben nützen. Die Entscheidung, Sport in der Schule zu unterrichten, setzte dabei immer voraus, dass dieser Sport etwas anderes sein muss als der Sport im Verein, im Urlaub, beim Wettkampf. Hätte er wie dieser Sport zu sein, könnte er dort besser betrieben werden. Organisatorisch und finanziell wäre dies weit sinnvoller bzw. billiger. Dass Sport in der Schule etwas anderes als außerhalb der Schule zu sein hat, also immer schon mit berechtigter Transferhoffnung beladen ist, geht auch aus der Tatsache hervor, dass man glaubt, Sportlehrer für die Schule müssten anders, länger, besser ausgebildet sein, als Übungsleiter oder Trainer für die Verein. Als drittes Argument könnte ferner die derzeit beob-achtbare Tendenz genannt werden, wonach die öffentlichen Bildungseinrichtungen immer weniger Qualifikationsinstanz für sozialen Aufstieg sind. Schulische Lernerfolge und Leistungen sind derzeit weit bedeutungsloser als vor Beginn der bildungsreformerischen Bemühungen. Diese Tendenz kann beklagt werden, man könnte in ihr aber auch eine Chance der Schule sehen. Schule könnte wieder vermehrt zu einer Institution werden, die sich nicht nur am Prinzip der Zweckrationalität auszurichten hat, das Lernen könnte sich auch um des Lernens Willen ereignen. Handeln lernen ohne Bewertungsdruck könnte wieder eine Chance haben. Schon aus den angeführten Gründen scheint es mir unaufschiebbar zu sein, sich dieser Position zu verpflichten und sie sowohl in der Sportlehrerausbildung als auch im Schulsport konsequent zur Anwendung zu bringen.
Betrachtet man nun die Lehr-Lern-Praxis genauer, nimmt man die Klagen der Kollegen an den Schulen ernst und lässt man trotz anerkennenswertem Berufsethos Kritik an der Unterrichtspraxis zu, so kann der Verdacht nur schwer entkräftet werden, dass es beiden Interessengruppen derzeit kaum bzw. gar nicht gelingt, ihre Interessen in der Praxis zu verwirklichen.
Wohl ist die Theorie-Praxis-Kluft im Zusammenhang mit den technologischen Interessen geringer und beruht allenfalls auf technischen Defiziten, die die Umsetzung der technologischen Interessen in der Praxis derzeit verhindern. Vielleicht ist es aber auch nur eine Frage der Zeit, bis diese Defizite behoben sind. Trotzdem kann diejenige Gruppe von Sportlehrern, die sportliches Handeln auf effektives motorisches Handeln reduziert sehen möchten, derzeit nicht den Nachweis erbringen, dass ihr Sportunterricht im Vergleich zu dem ihrer Kollegen, die möglicherweise einem zu hoffnungsvollen Didaktikverständnis zuneigen, erfolgreicher ist. Dass die von technologisch-orientierten Sportdidaktikern als wichtig erachteten sog. sportimmanenten Lernziele im Schulsport erreicht werden, kann jedenfalls ernsthaft nicht behauptet werden. Der zweiten Gruppe im Lehr-Lern-Geschäft, denjenigen also die mehr als nur Sport für Sport lehren wollen, ist meist bewusst, dass sie noch weit entfernt sind, ihre in der didaktischen Diskussion erhobenen Forderungen in der Praxis einlösen zu können. Die Frage, warum es bislang nicht gelungen ist, die didaktischen Ansprüche in die Praxis zu überführen, scheint dabei aber bislang auch von dieser Gruppe kaum gestellt bzw. nur unvollständig beantwortet zu sein. Dieser Frage muss aber nachgegangen werden.

Hindernisse auf dem Weg zu einer verbesserten Lehr-Lern-Praxis

Wenn sich jemand der zweiten Position verpflichtet fühlt, wenn mit Sport mehr als nur Sport gelernt werden soll, so wird mit dieser Entscheidung eine Theorie-Praxis-Kluft eigentlich gerade erst er-öffnet. Denn in dieser Position wird die Theorie als gleichsam bessere Wirklichkeit als (konkrete Utopie) immer der Praxis vorauseilen müssen. Eine Kluft ist also notwendig. Es muss also darauf ankommen, dass die Kluft auf ein verträgliches Maß so verringert wird, dass die theoretische die praktische Wirklichkeit verbessern kann. Was unter „verbessern“ zu verstehen ist, unterliegt dabei der Entscheidung über jene grundsätzlichen Fragen, denen sich sowohl die Theoretiker als auch die Praktiker im Sport stellen müssen. Es ist u.a. zu fragen, in wessen Interesse Sportwissenschaft, Sportdidaktik und Sport in der Schule betrieben werden soll, welche gesellschaftspolitischen Ziele Sportwissenschaftler, Sportdidaktiker und Sportlehrer zu verfolgen haben, wessen Probleme in unserer Gesellschaft vorrangig gelöst werden sollen und welchen Beitrag dabei der Sport leisten kann? Auf einen Nenner gebracht heißt das, dass die Frage der gesellschaftspolitischen Relevanz von Sportwissenschaft und Sportpraxis die entscheidende Rolle bei der Auswahl und Begründung der im Schulsport zu berücksichtigenden gesellschaftlichen Wirklichkeit spielt. Denn nur wenn man auf diese Fragen Antworten gefunden hat, wenn man sich also entschieden hat, kann man Fragen beantworten wie „welche Fähigkeiten soll ein ideales Mitglied der Gesellschaft haben?“ und „welchen Beitrag kann der Schulsport zur Erziehung eines solchen idealen Mitglieds leisten?“. Ohne vorherige gründliche Reflexion über die Gesellschaft und deren sozioökonomischen und politischen Bedingungen unter denen sich solche Fragen stellen, ist eine ernsthafte Beantwortung dieser Fragen nicht möglich. Mit der Beantwortung dieser Fragen werden die didaktischen Ansprüche freilich noch lange nicht in der Praxis eingelöst. Das angestrebte Maß in Bezug auf die Kluft zwischen Theorie und Praxis wird vielmehr durch bloßes Verweilen in solchen Fragestellungen sehr häufig verhindert.
Wie in anderen Schuldisziplinen, so scheint auch im Sport in erster Linie das verträgliche Maß deshalb noch nicht erreicht zu sein, weil zu lange in polarisierender Weise zwischen pädagogischer Makro- und Mikro- Forschung im Sport unterschieden wurde. War es für die einen gleichsam ein Dogma, sich zunächst einen Begriff des gesellschaftlichen Zusammenhangs zu bilden, innerhalb dessen sich Erziehung im Sport ereignet, so war es für die anderen unumgänglich, sich im ersten Schritt eine präzise Vorstellung davon zu verschaffen, wie die Beziehungen der Menschen zueinander beschaffen sind, welches und wie die Mittel sind, deren sich die Menschen beim interpersonalen Handeln im Sport bedienen. Unter dem Aspekt der Einlösung sind beide streitenden Parteien aber gleichermaßen zu kritisieren. In makrosozial-ansetzenden Untersuchungen erscheinen die Bestimmungen der Lehr-Lern-Situationen im Sport nur noch als Illustrationen oder sie unterscheiden sich kaum vom herkömmlichen; die Methode ist oft nicht mehr als ein auf Plausibilität hoffender Analogieschluss. Der Nachweis der Stimmigkeit wird an ausgewählten Beispielen erbracht. In mikrosozialen Arbeiten hingegen wird die Analyse des sportlichen Handelns bis ins Detail erbracht, das analytische Instrumentarium ist reichhaltig. Der Bezug zu den historisch-gesellschaftlichen Kon-texten, zu gesellschaftlichen Funktionen, findet aber nur in Form von Andeutungen, Alibifloskeln, Verweisen und Versicherungen statt, dass man diesen Aspekt nicht vergessen dürfe und ihn auch in Zukunft behandeln werde.
Von führenden deutschen Didaktikern wurde meines Erachtens zu Recht darauf hingewiesen, dass die wechselseitige Kritik dieser Ansätze bisher keinen Erkenntnisfortschritt in den Erziehungswissenschaften gebracht hat. Die gegenseitigen Vorhaltungen können dabei wohl be-denkenswert sein, für den je konkreten Prozess der Weiterentwicklung der didaktischen Ansätze scheinen sie aber folgenlos zu sein. Fortschritt zeigt sich hingegen auch im Sport in erster Linie dort, wo Ansätze zwischen diesen Positionen zu vermitteln versuchen, wo die angeblich prinzipielle Kontroverse als ungeeignete Polarisierung überwunden und interpersonales Handeln auf der Grundlage genereller Muster und Strukturen untersucht wird.
Bezog sich diese Kritik auf ein eher wissenschaftstheoretisches Problem erziehungswissenschaftlicher Forschung im Sport, so scheint mir daneben die beobachtete Wirkungslosigkeit der Sportdidaktik auch auf ein in engerem Sinne sportdidaktisches Defizit zurückzuführen zu sein. Dazu müssen wir uns noch einmal genauer mit der Frage befassen, inwieweit das, was in der didaktischen Diskussion des Sports als Didaktiktheorien sich zu bezeichnen weiß, tatsächlich dem entspricht was den Zusammenhang zwischen Sport und Didaktik ausmacht. Wenn man von „Sportdidaktik“ (aber auch von „Sportcurriculum“ oder von „Leibeserziehung“) spricht, so wird angenommen, dass zwischen Sport und Didaktik ein Zusammenhang besteht, der ein anderer ist, als z.B. der zwischen Sport und
Kunst oder zwischen Sport und Biologie. Man nimmt auch an, dass dieser Zusammenhang beschreibbar ist.
Was unter Sport zu verstehen ist, darf ich voraussetzen, selbst dann, wenn ungenaue Gebrauchsweisen des Begriffs vorliegen, so spielt das für das Folgende keine Rolle.
Auf den Begriff der Didaktik hingegen muss noch näher eingegangen werden. Gemeinhin versteht man darunter die Wissenschaft vom Lehren und Lernen. Unterrichten wird dabei als organisiertes Lehren verstanden. Das Lehren und Lernen hat sich dabei daran zu orientieren, dass Lernende etwas nicht wissen, nicht können; nach einem Lernprozess hingegen etwas wissen oder können und das Gelernte in aktuellen und zukünftigen Situationen einsetzen können. Man lernt dabei entweder etwas über bestimmte Sachverhalte, dass dies oder jenes der Fall ist oder auch nicht, oder man lernt nach bestimmten Handlungsmustern zu handeln. In allen mir bekannten sportdidaktischen Überlegungen wird daraus abgeleitet, dass nicht nur sog. „Tatsachen“ über den Sport gelernt werden sollen, sondern es soll in erster Linie gelernt werden, was in bestimmten Situationen des Sports getan werden muss oder soll. Lernen kann ein Mensch diese von der Sportdidaktik häufig mit dem Begriff „Inhalte“ zusammengefassten Tatsachen (Wissen) und Handlungsmuster (Können) einmal dadurch, dass der Mensch allein etwas macht und dadurch etwas herausbekommt. Oder er kann nach der vor allem im Schulsport verbreitetsten Form lernen, die dadurch gekennzeichnet ist, dass eine Lehrperson zusammen mit dem Lernenden etwas macht; dazu gehört das Vormachen, Nachmachen, Instruieren, Korrigieren, Mitmachen etc.
Mit dieser Unterscheidung zweier Lernformen haben wir eine grundlegende, auch in der Sportdidaktik übliche Unterscheidung zwischen den Inhalten des Lernens und der Methode eingeführt. In der bisherigen sportdidaktischen Diskussion wird aber der für diese Unterscheidung wichtige Zusammenhang zwischen Lehren und Lernen im Sport meist nur am Rande erwähnt, ja oft besteht der Zusammenhang nur darin, dass Lernenswertes organisiert gelehrt werden muss. Das heißt, dass zum Lernen immer auch eine Lehrperson gehört. Das zieht aber von vornherein eine Grenze, wo man keine ziehen sollte, weil die Möglichkeiten der Organisation sekundär sind gegenüber dem, was gelernt werden soll. Es würde einer Art Resignation gleichkommen, wenn man von vornherein annähme, dass alles Lernenswerte nur organisiert gelehrt werden könnte. Denn es ist ja evident, dass man im Sport bzw. Sport lernen kann, ohne dass eine Lehrperson erforderlich ist. Sport lehren hingegen kann man nur, wenn man einen Lernpartner hat. Aber auch andere Lehr-Lern-Zusammenhänge scheinen im Sport nur selten bekannt zu sein: Die typische Lehr-Lern-Interaktion im Sport zeichnet sich dadurch aus, dass eine Lehrperson A einer oder mehreren Lernpersonen B etwas vormacht und die Lernpersonen das Vorgemachte nachmachen. Man nimmt zu Recht an, dass dabei der Lerner etwas lernen kann. Er kann aber auch etwas lernen, ohne dass er selbst etwas macht, obgleich wir nur dann sagen werden, ein Schüler habe z.B. eine Flugrolle gelernt, wenn er einmal etwas macht, das darauf schließen lässt, dass er die Flugrolle gelernt hat. Festzuhalten ist aber, dass das Lernen ohne etwas Beobachtbares zu machen eine Lernform ist, die im Sport praktisch kaum berücksichtigt wird. Komplizierter, aber deshalb nicht weniger von Bedeutung für das Lehr-Lern-Geschäft im Sport ist der Zusammenhang zwischen Lehren und Lernen, der dadurch besteht, dass Lernende vom Lehrenden auch dann etwas lernen können, wenn der Lehrende in einer Interaktion nicht die Absicht hatte, das zu lehren was der Lernende lernt. Der Lernende kann ferner in einer Interaktion etwas anderes lernen, als der Lehrende lehren will, d.h. für das Erlernen einer Sache ist nicht notwendige Bedingung, dass diese Sache auch gelehrt wird.
Was den Zusammenhang zwischen Lernerfolg und Lehrerfolg betrifft, bleibt noch erwähnenswert, dass wir beim Lehren erst nach einer Interaktion sagen können, ob wir einem Lernpartner etwas gelehrt haben, der Lehrerfolg kann also nur im Zusammenhang mit dem Lernerfolg ermittelt werden.
Genauerer Betrachtung bedürfen auch die verschiedenen Arten des Lehrens und Lernens, die im Sport möglich sind. Unterscheidungen wie „Paul hat gelernt, dass man Kugelstoßen kann“, „Paul hat gelernt, wie man Kugelstoßen macht“, „Paul hat das Kugelstoßen gelernt“, „Paul kann sagen, dass man die Kugel stößt, indem man…“, „Paul weiß, dass man die Kugel stößt, indem man…“, „Paul weiß, wie man die Kugel stößt“, „Paul kann Kugelstoßen“ scheinen zumindest für die Oberstufe und die Sportlehrerausbildung bedeutsam, ebenso wie die Unterscheidungen „Kugelstoßen lehren“ – indem Kugelstoßen unter den Bedingungen vorgemacht wird, die Kugelstoßen definieren – indem man die Bedingungen formuliert – indem man erlaubte und verbotene Handlungsausführungen vormacht und kennzeichnet – indem man die Untermuster des übergeordneten Handlungsmusters Kugelstoßen vormacht, nachmachen lässt und den Partner korrigiert – indem man beschreibt, wie man die Untermuster machen kann. Bereits die Berücksichtigung dieser verschiedenen Lehrformen würde die Ausbildung in Schule und Hochschule entscheidend verändern. Die meisten dieser dargestellten Zusammenhänge zwischen Lehren und Lernen werden in der didaktischen Diskussion des Sports kaum berücksichtigt.
Deshalb scheint es auch aus dieser Perspektive heraus angebracht zu sein, die bislang geführte sportdidaktische Diskussion als eine unzureichende, unvollständige zu bezeichnen. Die daraus abgeleitete Lehr-Lern-Praxis ist demzufolge eine nur an wenigen Lehr-Lern-Prinzipien ausgerichtete reduzierte Lehr-Lern-Praxis.
Vermutlich ist mit den angedeuteten Antworten auf die Frage, warum die sportdidaktischen Anliegen bislang kaum in der Praxis wirksam wurden nur ein geringer Teil dieses Zusammenhangs beschrieben. Es reicht aber meines Erachtens aus, um in konstruktiver Weise einige Vorschläge diskutieren zu können, von denen angenommen wird, dass sie sowohl in das mittlere Feld zwischen mikro- und makrosozialer Erziehungsthematik vorstoßen können als auch die bislang nur am Rande berücksichtigten Lehr-Lern-Formen im Sport anwendbar werden lassen. Unter der Thematik
„Reflexive Lehr-Lern-Situationen im Sport“ möchte ich deshalb im letzten Teil meiner Ausführungen solche Vorschläge skizzieren. Neben der angedeuteten theoretischen Diskussion beruhen sie auf Beobachtungen, die sich vor allem auf aktuelle Entwicklungen im Sport beziehen. Aufgrund ihrer Merkwürdigkeit scheinen mir wenigstens vier erwähnenswert zu sein.

Sportdidaktische Merkwürdigkeiten

Meine erste Beobachtung bezieht sich darauf, dass die aktuelle sportdidaktische Auseinandersetzung meist in einem nahezu praxislosen „Ghetto“ der Universitäten geführt wird und die Praktiker an dieser Diskussion nur selten beteiligt sind.
Zweitens ist zu beobachten, dass allen didaktischen Positionen im Sport, so verschieden sie auch sein mögen, gemein ist, dass sie bisherige Lehrpläne für wenig geeignet erachten und sie deshalb versuchen, neue zu entwickeln. Die allgemein anerkannte Tatsache, dass Lehrpläne keine effizienten Instrumente für das Planen, Steuern und Bewerten von Unterrichtsprozessen sind, hat also nicht zur Einsicht geführt, keine Lehrpläne mehr zu machen, sondern man glaubt, dass bessere dies leisten könnten. D.h., dass die Grundvoraussetzung jedes geplanten Unterrichts, nämlich Lernziele zu formulieren, in der sportdidaktischen Diskussion immer zur Folge hatte, dass Lehrpläne zu erstellen sind. Was einem freilich in diesem Zusammenhang am meisten verwundert, ist, dass selbst von jenen Sportdidaktikern, denen Selbstbestimmung, soziale Verantwortung, Handlungsfähigkeit und demokratisches Bewusstsein die vorrangigen unterrichtlichen Anliegen sind, diese Forderung akzeptiert wird. Ja, man beteiligt sich sogar an der Erstellung solcher Curricula, obgleich damit die Verwirklichung der eigenen Ziele eher in Frage gestellt wird. Denn mit der Entscheidung zugunsten von Curricula, ist immer auch entschieden, wer die Lernziele formulieren darf. Da der Lehrplan vor dem Lernprozess geschrieben wird, ist der Lernende von der Lernzielbeschreibung grundsätzlich ausgeschlossen. Lernen wird auf organisierte Lehr- und Lernformen beschränkt. In der Regel machen heute solche Arbeit die Studien- und Curriculumkommissionen.
Eine dritte Beobachtung bezieht sich darauf, dass offensichtlich zunehmend ein Konsens besteht, wie Lernziele zu beschreiben sind. Bei ihrer Beschreibung geht es in erster Linie um Beschreibung von Könnensmerkmalen wie Handball spielen können, eine Kippe machen können, eine Strecke in 15 Sekunden laufen können. Dass solche Beschreibungen für die Unterrichtspraxis wenig hilfreich sind, weiß jeder Sportlehrer. Im Grunde haben sie nur den Status von Abkürzungen für komplexe Lehr-Lern-Prozesse.
Die vierte und letzte Beobachtung kann meines Erachtens schon längere Zeit gemacht werden. Lehrpläne und das reduzierte wie das zu hoffnungsvolle Didaktikverständnis im Sport haben das
Lehr-Lern-Geschäft immer mehr mit „Mythen“ durchsetzt, wodurch die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen sich über alternative Handlungen und Handlungsziele, über verschiedene Sinnentwürfe und Lebensformen verständigen, immer geringer wurde, weil überall Eindeutigkeit vorausgesetzt wird und dadurch der Prozess der Verständigung für entbehrlich gehalten wird. Im Sport sind es in erster Linie die Mythen wie „Sportunterricht heißt primär sich bewegen und schwitzen“, „die Regeln des Wettkampfsports haben auch im Schulsport ihre Geltung“, „Schüler wollen so Fußball spielen, wie man das Spiel außerhalb der Schule betreibt“, „das Spielen ist die Krönung sportlichen Handelns, deshalb hat man es sich durch das Lernen in anderen Disziplinen zu verdienen“. Aber auch Mythen wie „das Schulsystem verhindert einen sinnvollen Sportunterricht“, „Lehrpläne reglementieren den Sportunterricht so stark, dass man Alternativen ohnehin nicht durchführen kann“, „allein lohnt es sich ohnehin nicht einen besseren Unterricht zu gestalten, wenn nach Schuljahresende der Kollege das Rad wieder zurückdreht“ haben sich immer mehr im Schulsport durchgesetzt. Ja sie sind sogar so resistent, dass sich die Sportlehrerausbildung, trotz fortschreitender Sportwissenschaft, ebenfalls nach ihnen ausrichtet. Teilt man diese Beobachtungen, so stellt sich die Frage, was nun in der Sportlehrerausbildung und im Schulsport zu tun ist. Welche Bedeutungen haben diese Beobachtungen, was muss die dargestellte pädagogische Absicht in der Praxis zur Folge haben? Was heißt das für die konkrete Veränderung der aktuellen Ausbildungswirklichkeit im Sport?

Reflexivität im Lehr-Lern-Geschäft des Sports

Vorschlag 1:

Fur die Sportlehrerausbildung scheint sich eine zentrale Folgerung aus dem bislang Dargestellten anschließen zu lassen. Studierende sollten über ihr Studium in die Lage versetzt werden, die Sinn-Frage, d.h. die Frage nach dem Warum und Wozu von Sportunterricht und Schulsport beantworten zu können. Würde dieser Forderung entsprochen, so wäre ein wesentliches Merkmal einer reflexiven sportpädagogischen Auffassung in das Sportstudium eingeführt. Die Beantwortung der Sinnfrage setzt im allgemeinen Kenntnis darüber voraus, was der Sportunterricht bislang leistete, derzeit lei-stet, in der Zukunft leisten könnte – und sollte. Diese Kenntnis wird derzeit nur selten, und meist sehr unzureichend vermittelt. Stellen Schüler die wohl didaktisch-legitimste „Warum-Frage“, also fragen sie ihren Lehrer, warum sie lernen sollen, über eine Latte zu springen, eine Eisenkugel in eine Sandgrube zu stoßen, selbst von einem Brett in eine Sandgrube zu springen und sich dabei mit Sand zu verschmutzen, den Bauch um eine kalte Eisenstange zu wickeln und sich die Haut von den Händen abfetzen zu lassen, so kommen nicht nur die Praktiker in Antwortschwierigkeiten. Ihre Schwierigkeiten deuten mit Nachdruck darauf hin, dass es den Sportdidaktikern bzw. den Lehrkräften an den Ausbildungsstätten der Sportlehrer nur selten gelungen ist, die Notwendigkeit sportlichen
Handelns einsichtig zu begründen, also auch Argumente an die Hand zu geben, die von den Schülern als Antworten auf ihre Warum-Fragen akzeptiert werden könnten. Dass dabei „Gesundheit“ als das häufig allein angeführte Argument zur Beantwortung der zitierten Schülerfragen nicht ausreicht, müsste unmittelbar einleuchten.
Will man den Studierenden während ihrer Ausbildung diejenigen Argumentationshilfen bereitstellen, die sie zur didaktischen Legitimation ihres sportunterrichtlichen Handelns als zukünftige Lehrer in der Schule benötigen, ist der Sport in der Ausbildungseinrichtung selbst mit der Warum-Frage zu konfrontieren, d.h. die Ausbildung muss reflexiver werden. Der meist unhinterfragte Diszi-plinenkanon, das Trainieren der einzelnen Prüfungsdisziplinen, das Einpauken angehäuften Sportwissens, dessen Bedeutung für das Handeln im Sport oft nicht erfasst wird, hat sich nicht täglich aber beständig einer didaktischen Legitimation zu unterziehen. Die Lehrkräfte an den Hochschulinstituten und die Studierenden haben gemeinsam den Sinn ihres Handelns zu suchen. Der Sinn wird dabei den Charakter des Konventionellen haben, das Suchen den des Interpretierens.
Suchen und Interpretieren geschieht dabei keineswegs voraussetzungslos. Um die Bedeutung einer sportlichen Handlung erkennen zu können, reicht es meist nicht sie nur gesehen zu haben. Je nach Qualität der sportlichen Praxis bezüglich einer sportlichen Handlung wird die Bedeutung vermutlich variieren. Vorgeschichte, Ausführung und Folgen einer sportlichen Handlung bedingen deren Bedeutung mit. Will man die Bedeutungsvielfalt einer sportlichen Handlung erfahren, müsste man diese Vielfalt auch selbst erfahren oder von denen berichten lassen, die in dieser Vielfalt eine sportliche Handlung ausüben können. Erst dann kann man entscheiden, welcher Bedeutungsaspekt aus dieser Vielfalt didaktisch wünschenswert ist. Die Sinnfrage in den Mittelpunkt der Ausbildung im Sport zu stellen, ist als eine Grundlage bei der reflexiven Ausbildung zu betrachten. Auch weitere Veränderungsvorschläge sind deshalb immer im Zusammenhang zu dieser didaktischen Devise zu sehen.

Vorschlag 2:

Die Entscheidung, trotz schlechter Erfahrungen mit alten dennoch neue Lehr- und Lern- oder Studienpläne für das Lehren und Lernen im Sport zu entwickeln, bedarf einer Revision. In einer demokratischen Gesellschaft müssten eigentlich die Betroffenen selbst über ihre Ausbildungs- und Lernziele bestimmen. Wäre das ein didaktischer Grundsatz, so hätte dieser zur Folge, dass im Lehr-Lern-Geschäft immer allen verständlich gemacht werden muss, worum es dabei eigentlich geht. Unser erster Vorschlag würde sich gleichsam von selbst erfüllen, denn nur dann könnten die Lernenden mit ihren Lehrenden gemeinsam sinnvoll entscheiden, was lernwürdig ist.
Dass ein(e) auf solche Weise konzipierte Sportlehrerausbildung bzw. Sportunterricht sich dem Utopievorwurf aussetzt und dieser auch kaum zurückgewiesen werden kann, ist evident. Hinzu kommt noch ein Einwand der noch grundlegender ist. Würde man die Entscheidung der Betroffenen als Basis für die Ausbildungs-und Lernziel-Bestimmung nehmen, müsste dies im Ergebnis zu einem individualisierten Lehr-Lern-Prozess führen, weil die Betroffenen ja keine homogene Gruppe darstellen, sondern aus Individuen bestehen mit je eigenen Bedürfnissen und Ansprüchen an den Sport. Bei der Notwendigkeit, eine Gruppe oder eine Klasse zu unterrichten, müsste dieser Ansatz somit zwangsläufig scheitern. Bei einem Klassenunterricht kann deshalb nur ein mehrperspektivisches Angebot gemacht werden, auf dessen Grundlage dem Individuum ermöglicht wird, für sich und sein zukünftiges Sporttreiben individuelle Entscheidungen zu treffen.
Auch in Zukunft können deshalb die Lehr-und Studien-Pläne und die Lernziele nicht von den Betroffenen selbst entwickelt werden. Das bisherige demokratisch legitimierte Expertiseverfahren scheint alternativlos zu sein. Bezüglich der Konstruktion der Pläne und deren Realisierung in Unterricht und Studium lassen sich aber zwei Revisionen anstreben, auf die sich der dritte und vierte Vorschlag beziehen.

Vorschlag 3:

Wenn andere als die Betroffenen entscheiden, dann müssen es diejenigen sein, die verstehen, worum es geht. Das sollten aber nicht nur – wie bislang – Experten aus den Ministerien, Elternvertreter, Kirchenvertreter und Repräsentanten der Sportverbände und Sportpädagogen und Sportdidaktiker sein. Denn selbst die Kriterien, nach denen die Sportpädagogik aus dem was ist, extrapoliert haben auf das, was sein soll, sind meist obskur geblieben. Ja sie mussten obskur bleiben solange die Didaktik nicht auf die Hilfe und Erkenntnisse der für sie relevanten weiteren Teildisziplinen der Sportwissenschaft zurückgreifen konnte. Die Frage lautet freilich: Welche Teildisziplinen der Sportwissenschaft können diese Hilfe überhaupt leisten? oder: Wie müsste die Sportwissenschaft aussehen, die dies zu leisten hat? Das zweite lässt sich beantworten, womit das erste eingeschränkt bejaht wird. Die Sportwissenschaft hätte sich eindeutiger als bisher als Sozialwissenschaft zu verstehen, d.h. als Wissenschaft, die menschliches Handeln im Sport als ihren Gegenstand hat und sportliches Handeln zu erklären, beschreiben, prognostizieren und zu verändern versucht. Dazu ist notwendig, dass die Muster (oder Regeln) des sportlichen Handelns in ihrer Konventionalität erfasst werden, dass man zeigt, wie man lernt, nach solchen Mustern zu handeln und was man tun muss, wenn man sportliches Handeln lehren will.

Vorschlag 4:

Wenn auf die Vorgabe von Lernzielen nicht verzichtet werden kann, so sollten diese wenigstens so allgemein beschrieben sein, dass den Beteiligten am Lehr-Lern-Geschäft Spielräume zum freien Handeln bleiben. Mit einem Lernziel beispielsweise das lautet „Schüler sollen möglichst erfolgreich im Sport handeln können“ ist wohl ein Ziel vorgegeben, wie es in Studien- und Lehrplänen üblich ist. Es ist aber so allgemein beschrieben, dass es dem wünschenswerten Grundsatz, dass die Betroffenen über die Ziele selbst entscheiden sollen, kaum widersprochen wird, insbesondere dann, wenn die Betroffenen selbst entscheiden können, was erfolgreich und was nicht erfolgreich handeln im Sport heißt, wenn Unterricht also reflexiv wird: Damit soll keinem Laissez-faire-Unterricht das Wort geredet werden, in dem die Rolle des Lehrenden zur Bedeutungslosigkeit verkommt. In einem reflexiven Erziehungskonzept ist eher das Gegenteil der Fall. Der Rolle des Lehrenden kommt eine zentrale Funktion zu. Er hat Vorschläge zu machen, er wird Beispiele erfolgreichen und nichterfolgreichen Handelns analysieren und verständlich machen und damit seine eigene Wertung ins Spiel bringen. Dazu hat er das Recht wie jeder andere. Die Lernenden müssen dabei nicht nur auf ihr Recht hingewiesen werden. Der Vorteil solch allgemeiner Lernziele ist, dass den Schülern die Ausübung ihres Rechts ermöglicht wird. Dies war auch der Vorteil der traditionellen (bildungstheoretischen) Lehrpläne. Hier konnte man als Lehrer im Unterricht aufgrund der Allgemeinheit der Ziele beinahe „machen was man wollte“. Lehrpläne mit allgemeinen Lernzielen eröffnen gleichsam Nischen, die diskursiv von den Beteiligten am aktuellen Lehr-Lern-Geschehen mit Inhalten angefüllt werden können. Der Lehrplan wird dabei nie als Ganzes den Charakter einer Nische haben. Ausbildungsdauer und Ausbildungswirtschaftlichkeit machen exaktere Lernziele und ökonomisches Lernen, ja evtl. auch „Drill“ im Zusammenhang der Vermittlung von Kulturtechniken erforderlich. Die Nischen des Lehrplanes ermöglichen aber, dass der instrumentellen Lernwirklichkeit beständig reflexive Gegenwelten entgegengestellt werden. Sie eröffnen aber auch die Chance, auf der Grundlage eines erweiterten Didaktikverständnisses auch jene Lehr-Lern-Beziehungen in den Schulsport miteinzubeziehen, die eingangs als bislang fehlend ausgewiesen wurden. D.h., man könnte Schüler auch ohne Lehrende etwas lernen lassen, Schülern wird die Möglichkeit nahegelegt auch anderes zu lernen als das was der Lehrende unterrichtet, lernen kann sich dann auch unorganisiert ereignen.
Der Unterricht wird in solchen Nischen nicht durch kodifizierte übergeordnete Lernziele geprägt, von Normen und Werten also, von denen man zu wissen glaubt, dass sie für die Zukunft einer Gesell-schaft bzw. für die Lernenden die richtigen sind. Die gängige Curriculumdiskussion hat hier also keine Bedeutung. Auch die sog. emanzipatorische Pädagogik entspricht einer derartigen Auffassung nur selten. Denn im Gegensatz zu dieser, wird in reflexiven Lehr-Lern-Situationen des Sports die Reflexion über Normen und Werte in den Mittelpunkt gestellt. Für zukünftige Handlungssituationen der Lernenden nimmt man dabei nur an, dass sie in diesen nur dann handeln können, wenn sie in aktuellen reflexiv handeln können, d.h. dass sich die die Handlungsfähigkeit von Menschen in erster Linie dadurch auszeichnet, inwieweit sie die Handlungsnormen und -regeln ihrer Handlungen und der ihrer Partner erkennen, beurteilen und wenn nötig verändern oder neue schaffen können. Für die Lehr-Lern-Situationen an der Hochschule und in der Schule heißt das, dass ein Spiel mit den Normen und Regeln einer Gesellschaft zur zentralen Erziehungsaufgabe werden darf, wobei die Grenzen solchen Spiels in der gesellschaftlichen Problemorientierung zu sehen sind.

Ausblick

Was bedeutet nun ein solches reflexives Erziehungsverständnis für den Schulsport?

Einmal sind in den Studien- und Lehrplänen solche Nischen für reflexive Lehr-Lern-Situationen bewusst und geregelt freizuhalten. Damit ist aber nur wenig erreicht. Wichtiger ist, dass unabhängig von Plänen die Ausbildungssituationen darauf hin zu überprüfen sind, inwiefern sie sich reflexiv gestalten lassen ohne die „härteren“ Ziele, wie z.B. eine Sporttechnik nach einem vorweg definierten Gütemaßstab anwenden zu können, aus dem Auge zu verlieren. Handlungsfelder, in denen der motorische Könnensstand relativ gut ist, bieten sich dabei besonders an. Spiele lassen sich auf solche Weise sogar selbst unter dem Aspekt der Fertigkeitsvermittlung schneller lernen. Damit die Lehr-Lern-Situationen dann aber wirklich als reflexiv zu bezeichnen sind, werden eine ganze Reihe von Veränderungen im Vergleich zum herkömmlichen Unterricht erforderlich sein. Hier hat die kommunikative Didaktik, aber auch die bildungstheoretische Didaktik oder aber auch schon die Arbeitsschulbewegung richtungsweisende Forderungen erhoben. Von HABERMAS wurden sie als Diskurserfordernisse für eine gelungene gesellschaftliche Kommunikation beschrieben. Einige sollen hier erwähnt werden, um zu verdeutlichen, dass sie bislang in der Schule nur selten berücksichtigt wurden.

  • Die in der Ausbildung und im Unterricht zugelassenen Probleme, Ziele und Interaktionsmuster müssen von Lehrenden und Lernenden gemeinsam bestimmt werden, Unterricht muss den Diskurs als Kommunikation über Kommunikation ermöglichen und zulassen.
  • Lehrende haben wie Lernende die von ihnen vorgeschlagenen Ziele und Übungen zu begründen. Widersprüche müssen akzeptiert werden. Die Lehr-Lern-Beteiligten müssen lernen sich selbst in Frage zu stellen.
  • Die Lernsituationen müssen offen sein, und die Lerninhalte müssen so angelegt sein, dass Überschreitungen prinzipiell möglich sind.
  • Sport als motorisch reduzierte Lernwelt muss notwendigerweise durch eine soziale Lernwelt ergänzt werden.

Werden solche Erfordernisse und die vorgetragene Forderung nach einer reflexiven Ausbildung ernst genommen, so lassen sich meines Erachtens die angesprochenen Mythen der Wirklichkeitskonstruktion im Schulsport und an der Hochschule möglicherweise entmythologisieren bzw. durch Gegenmythen ersetzen. Wünschenswerte Gegenmythen könnten u.a. sein: „Im Grunde genommen wird das Unterrichten im Sport von niemandem kontrolliert“, „Lehrpläne haben ja ohnehin nur einen Vorschlagscharakter, meist kümmern sich Sportlehrer um Lehrpläne nicht“, „Der Lehrplan schreibt weniger vor, als gemeinhin angenommen wird“. Damit könnten die möglichen Frei-räume, der pädagogische Spielraum herausgefunden und genutzt werden, die trotz institutioneller Bedingungen in der Schule noch immer bestehen.
Dort, wo solche Forderungen in der Praxis einzulösen versucht werden, und Beispiele gibt es genug dafür, deutet alles darauf hin, dass die praktische Wirklichkeit vom theoretischen Wirklichkeitsbegriff zu profitieren beginnt und damit das Verhältnis von Theorie und Praxis des Sports ein gegenseitiges wird. Reflexive Lehr-Lern-Situationen im Sport scheinen ein gewichtiges aktuelles Erfordernis zu sein, will der Sport seiner gesellschaftlichen Verantwortung in der Schule entsprechen.

Letzte Bearbeitung: 24. März 2022

¹ Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf „gendergerechte“ Sprachformen – männlich weiblich, divers – verzichtet. Bei allen Bezeichnungen, die personenbezogen sind, meint die gewählte Formulierung i.d.R. alle Geschlechter, auch wenn überwiegend die männliche Form steht.