Fußball- WM in Qatar – Lehrstunden für Deutschland

Eine besondere WM

In diesen vorweihnachtlichen Wochen findet  eine sehr ungewöhnliche Fußballweltmeisterschaft statt: Es nehmen an ihr mehr Mannschaften als jemals zuvor teil. Sie nimmt  mehr Zeit in Anspruch als man ihr aus der Sicht anderer Sportarten, aber auch aus gesellschaftspolitischer Sicht zubilligen könnte. Sie findet zum ersten Mal im Dezember statt. Diesmal ist das Weltereignis zu Gast  in Qatar, in einem Land, das ganz gewiss nicht auf eine lange Fußballtradition verweisen kann. Das Turnier verläuft nahezu reibungslos. Gastgeber¹ Qatar hat für diese WM die modernsten Fußballstadien bereitgestellt. Die Gäste wohnen in modernsten Hotels. Es ist Winter in Qatar, doch die Gäste aus aller Welt können sich an schönen Sonnentagen mit angenehmen sommerlichen Temperaturen erfreuen. Für das „Spiel mit dem runden Ball“ ist das Wetter geradezu ideal. Die Wege von Stadion zu Stadion und von den Hotels zu den Stadien sind kurz. Entgegen vieler Erwartungen werden fast alle Spiele von Zuschauern aus allen Ländern der Welt sehr gut besucht. Die Sicherheit aller Gäste ist in einem der sichersten Länder der Welt bestens gewährleistet. Bis auf eine kleine Ausnahme ist für alles gesorgt: Der Bierausschank und Alkoholkonsum, der bei Fußballweltmeisterschaften sonst üblich war, musste erheblich eingeschränkt werden. Für die Bürgerinnen und Bürger des Emirats Qatar sind gemäß ihrer islamischen Kultur und der darauf beruhenden Gesetze Alkoholgelage in der Öffentlichkeit verboten und die Gäste aus aller Welt haben sich diesem Verbot zu fügen. Die große Mehrheit der Bevölkerung Katars sind Moslems. Für sie sind die Monate November und Dezember ganz normale Monate in ihrem Jahreskalender.


In Deutschland hat hingegen die Adventszeit begonnen. In der ersten Turnier Woche im November ist in weiten Teilen bereits der Winter eingekehrt. Nebel, Nieselregen und kurze Sonnenscheinperioden bei Temperaturen um die 0° wechseln sich ab. Die ersten Adventsmärkte sind geöffnet und mancher Berufstätige erfreut sich nach der Arbeit gemeinsam mit seinem Kollegen und Kolleginnen ein paar Gläser Glühwein zu genießen. Anders als bei allen früheren Weltmeisterschaften kann man in den Städten so gut wie keine Spuren des Fußballereignisses in Qatar finden. Auf den Balkonen wehen keine Deutschland Fahnen, in den öffentlichen Verkehrsmitteln gibt es so gut wie keinen Gast der das Trikot der deutschen Nationalmannschaft trägt. „Public Viewing“ ist nicht erwünscht. Nur in wenigen Lokalen und Cafés kann man die Fernsehübertragungen von der WM verfolgen. Die Merchandise- Angebote in den Supermärkten und Kaufhäusern sind äußerst begrenzt und sie werden auch von den Kunden so gut wie nicht goutiert. Autos mit „Schwarz-Rot-Gold Verkleidung“ sind so gut wie nicht existent. Ein Hin-Fiebern auf diese WM hat es in Deutschland nicht gegeben, was auch daran lag, dass die WM nahezu ohne jegliche Vorbereitungszeit unmittelbar im Anschluss an die letzten Bundesligaspiele beginnen musste.
Ein kritischer Beobachter dieser Fußball-WM stellte angesichts all dieser Unterschiede in der SZ vom 25. November die Frage: „Hat diese Zurückhaltung, neben der Skepsis gegenüber dem Austragungsort und dem allgemeinen Überdruss am kommerzialisierten Fußball, auch damit zu tun, dass in diesem Jahr die Vorfreude ausfiel?“

Den kommerzialisierten Fußball gibt es allerdings nicht erst seit heute und nicht zuletzt in Deutschland gibt es schon seit langem eine sehr erfolgreiche Fußballökonomie mit schwindelerregenden hohen Gehältern für Fußballstars, mit Sponsoringerträgen von Spielen und Vereinen und mit maßlosen Aufwendungen für die Übertragung des Fußballs im Fernsehen, denen gewiss nicht immer nur wirtschaftliche Vernunft zu Grunde liegt. Auf die Frage, ob die Skepsis gegenüber dem Austragungsort berechtigt ist, ist noch zurückzukommen.

Sieben Lektionen für Deutschland

Die Fußball WM in Qatar ist noch nicht zu Ende, doch bereits jetzt kann man absehen, dass diese WM eine ganz besondere WM gewesen sein wird und dass man sie vor allem in Europa im Gedächtnis behalten sollte. Dies gilt vor allem auch für Deutschland, denn noch nie zuvor wurde bei einem Sportereignis den Europäern und allen voran Deutschland in einer derart ausgeprägten Weise Lehrstunden erteilt, wie man sie vorab auf dem Reißbrett wohl vermutlich nicht hätte erfinden können. Die Lektionen dieser Lehrstunden sind möglicherweise für manchen Europäer, vor allem aber auch für manchen verantwortlichen Politiker und Sportfunktionär aus Deutschland schmerzhaft und manche Lektion wird noch über längere Zeit ihre Nachwirkungen haben. Die sieben wichtigsten Lektionen sollen im Folgenden skizziert werden:

Lektion 1: Sich selbsterfüllende Prophezeiungen haben eine hohe Eintrittswahrscheinlichkeit

Seit der ohne Zweifel äußerst fragwürdigen Entscheidung der FIFA im Dezember 2010 zur Vergabe der WM an Qatar gab es in den Massenmedien Deutschlands eine bis heute anhaltende Kritik an der Vergabe und es wurden die unterschiedlichsten Ablehnungsgründe dabei genannt. Die Austragung der WM in der Zeit des europäischen Sommers wurde angesichts der in Qatar anzutreffende Hitze als unmöglich bezeichnet. Qatar wurde als Ausrichter als ein zu kleines Land mit einer viel zu geringen Einwohnerzahl in Frage gestellt. Eine angeblich nicht vorhandene Sport- und Fußballkultur wurde als Argument ins Feld geführt. Je näher die WM zeitlich heranrückte, wurden vermehrt auch die die tatsächlich oder angeblich in Qatar anzutreffenden Menschenrechtsverletzungen an den Pranger gestellt. Frauen werden in diesem Land demnach diskriminiert und haben nicht die gleichen Rechte wie die Männer und die Gastarbeiter aus mehreren asiatischen Ländern werden auf den WM- Baustellen ausgebeutet und gefährden ihr eigenes Leben angesichts der unzureichenden Bausicherheit. Kurz vor Beginn der WM wird von 6000 Toten auf den Baustellen Katars berichtet. In anderen Medien spricht man von 15.000 Toten. Gesicherte Zahlen gibt es hierfür allerdings nicht und niemand fragt, wie es eigentlich um die Unfallstatistik auf europäischen Baustellen bestellt ist,(in Deutschland sind immerhin 400 Tote pro Jahr auf deutschen Baustellen zu beklagen). Nach den Vorkommnissen bei der Fußball -WM 2018 in Russland konnte es kaum überraschen, dass auch im Vorfeld dieser WM in der veröffentlichten Meinung die LBGT-Community eine immer zentralere Stellung bei der Diskussion über die Menschenrechtsverletzungen in Qatar einnahm. Schwule waren nun die begehrtesten Interviewpartner vor deutschen Fernsehkameras und sie behaupten, dass ihre Sicherheit in Qatar nicht gewährleistet sei. Angesichts all dieser Kritik – und für manchen doch etwas überraschend – wurde die Frage, mit welcher Armbinde die Mannschaftskapitäne einiger europäischer Mannschaften bei dieser WM anzutreten haben, zur herausragenden sportpolitischen Thematik. Ein Bekenntnis zu den Regenbogenfarben der LBGT-Community wurde nahezu zur Pflicht für jeden, der sich über diese WM öffentlich äußerte.

Im öffentlich-rechtlichen Fernsehen wurde dieses kritische Narrativ immer wieder mit angeblich repräsentativen Befragungen begleitet, in denen zunehmend die Ablehnung dieser WM bestätigt wurde, die Befragten mehrheitlich einen Fernsehboykott befürworteten und bei der Interpretation dieser Befunde jene moralisch infrage gestellt wurden, die sich nach wie vor auf diese Fußball- WM freuen und sich dazu bekennen, dass sie sehr gerne diese Fußball WM im Fernsehen betrachten wollen.

Angesichts einer derart massiven Beeinflussung der öffentlichen Meinung über die derzeit stattfindende Fußball- WM in Qatar konnten die im Vergleich zu früheren Fußball Weltmeisterschaften äußerst geringen Einschaltquoten des Deutschen Fernsehens beim Eröffnungsspiel, aber auch bei dem Spiel der deutschen Mannschaft gegen Japan und alle übrigen WM-Spiele nicht mehr überraschen. In den meisten Ländern der teilnehmenden Nationen dieser WM weisen die Einschaltquoten im Vergleich zur vergangenen WM in Russland hingegen höhere Werte auf.

Die Berichterstattung und die Meinungsbildung der Öffentlichkeit im Vorfeld dieser WM kommt ganz offensichtlich einer sich selbsterfüllenden Prophezeiung gleich, deren Vorhersagequalität äußerst hoch ist. So wie man in den Wald hinein ruft, so schallt es auch zurück.

Lektion 2: Die Erde ist eine Kugel

Wer auf der Erde lebt sollte sich vertraut damit machen, dass diese Erde seit den Erkenntnissen von Galileo Galilei keine Scheibe, sondern eine Kugel ist, die nicht nur von Wissenschaftlern als ein Planet bezeichnet wird, der um die Sonne kreist. Dies hat zur Folge, dass dann, wenn auf der einen Hälfte der Kugel die Sonne strahlt, auf der anderen Seite Dunkelheit vorherrscht, wenn auf der einen Seite Winter ist, wird die andere Hälfte der Kugel mit der Jahreszeit des Sommers beglückt. Die Temperaturen schwanken auf dieser Kugel in Abhängigkeit zur Tages- und Nachtzeit und zur Nähe der Sonne. Fast in allen Regionen, die auf dieser Erde von Menschen besiedelt sind, gibt es Klimaschwankungen, kalte und heiße Tage und Fauna und Flora können so unterschiedlich sein wie die Topographie der Landschaften.
Hat man dies begriffen, so weiß man, dass die Fußball- WM in Qatar wohl zur deutschen Winterszeit stattfindet. Zu diesem Zeitpunkt ist jedoch für mehr als die Hälfte der Menschheit, die auf der anderen Hälfte der Kugel lebt, der Sommer angebrochen und so ist für diese Menschen die WM von Qatar eine WM im Sommer unter besten klimatischen Bedingungen.
Wer sich globale Sportereignisse wie Olympische Spiele und Weltmeisterschaften in den verschiedensten Sportarten wünscht, wer „Weltmeister“ werden möchte – das haben vor allem die europäischen Sportnationen zu lernen – der hat zu begreifen, dass seine Sportart und seine Sportereignisse nahezu an jedem Ort dieser Welt ausgerichtet werden können und die Athletinnen und Athleten und die Spieler und Spielerinnen ihre Sportart nicht nur unter europäischen Bedingungen austragen können und dürfen. Für die Leichtathletik heißt dies z.B., dass man nicht erwarten kann, dass Afrikaner oder auch australische, brasilianische oder chinesische Athletinnen und Athleten an internationalen Leichtathletikwettkämpfen im europäischen Sommer teilnehmen, wie dies wie selbstverständlich schon immer der Fall war, europäische Athletinnen und Athleten  hingegen nicht bereit sind, während des europäischen Winters bei internationalen Leichtathletik-Meetings im australischen Sommer oder bei Meetings in Afrika oder China zu starten. Fußball wird in jedem Land dieser Erde gespielt und so ist es verständlich, dass jede Fußballnation dieser Welt die Auffassung vertritt, dass auch in ihrem Land internationale Fußballereignisse ausgetragen werden sollten. Dass dabei organisatorische Voraussetzungen zu beachten sind und dies nur unter strikter Beachtung der Satzungen und der Regeln der FIFA möglich ist, ist dabei naheliegend. Dass unter Einhaltung dieser Bedingungen in Qatar eine Fußball Weltmeisterschaft in diesen Wochen stattfindet, ist deshalb keineswegs ein Skandal. Es sollte viel mehr als ein wünschenswertes Ereignis bewertet werden, das die Möglichkeit aufzeigt, dass zukünftig Fußballweltmeisterschaften auch in Ländern stattfinden können, die bislang noch nicht zu den Kandidaten für eine Fußballweltmeisterschaft gegolten haben.

Lektion 3: Eine globale Wertegemeinschaft gibt es nicht.

So wie es auf der Erdkugel jahreszeitliche, klimatische und topographische Unterschiede gibt, so gibt es unter den Menschen, die auf dieser Erde leben, auch kulturelle und religiöse Unterschiede bei denen es empfehlenswert ist, dass sich die Kulturen und Religionen gegenseitig respektieren und darauf verzichten, die Kultur und Religion des jeweils anderen infrage zu stellen.
In Teilen Europas – und vor allem in Deutschland – ist es üblich geworden von der „europäischen Wertegemeinschaft“ zu sprechen und dabei zu glauben, dass die Werte dieser Gemeinschaft den Wertestrukturen anderer Gemeinschaften überlegen ist. Dabei stellt sich die Frage, von welchen Werten genau die Rede ist und wie diese Werte in den Staaten Europas gelebt und beachtet werden. Würde man Antworten auf diese Fragen suchen, so müsste man schnell erkennen, dass es mit der Wertegemeinschaft Europas nicht gut bestellt ist und dass man keineswegs über ein Mandat verfügt, andere Gesellschaften und Kulturen bei Wertefragen zu belehren.
Gewiss gibt es universelle Werte, die in allen Nationen dieser Welt ihre Beachtung finden, und die Wertvorstellungen der unterschiedlichen Religionen unterscheiden sich meist nicht so sehr wie dies von den Gläubigen einer bestimmten Religion gegenüber den Gläubigen einer anderen Religion wahrgenommen wird. Dabei muss auch beachtet werden, dass sich Werte verändern können und gerade in den letzten Jahrzehnten in nahezu allen Nationen ein Wertewandel mit dem Auf- und Abstieg von bestimmten Werten und mit der Ergänzung und dem Wegfall neuer bzw. alter Werte zu beobachten ist.
In Bezug auf jene Werte, die während der Fußball-WM in Qatar zur Diskussion gestellt wurden – wie z.B. die Pressefreiheit, die sexuelle Freizügigkeit, faire Löhne und faire Behandlung von Arbeitern – sollte man sich auch seiner eigenen Vergangenheit in Bezug auf diese Werte bewusst sein. Unsere heutige Einstellung gegenüber einer Vielfalt des Geschlechts und der sexuellen Beziehungen und die dabei gezeigte Toleranz kann durchaus als eine wünschenswerte neue Errungenschaft bezeichnet werden. Doch noch vor wenigen Jahren wurde in Deutschland die Frage nach der Geschlechtsvielfalt von ganz anderen Werten dominiert und auch juristisch mit ganz anderen Gesetzen beantwortet als dies heute der Fall ist. Es ist deshalb wohl kaum überraschend, dass noch in vielen Ländern dieser Welt dieselben Fragen derzeit mit ganz anderen Gesetzen beantwortet werden. So wird Homosexualität nicht nur in Qatar, sondern in 68 weiteren Staaten strafrechtlich verfolgt. Es zeigt sich meist aber auch in diesen Ländern, dass sich der Weg zu einer offeneren Gesellschaft und zu mehr Toleranz auch dort eröffnet hat. Qatar ist hierfür ein Beispiel. Dieser Weg kann und sollte jedoch nicht von der westlichen und nördlichen Welt gegenüber der östlichen oder südlichen Welt erzwungen werden.

Lektion 4: Wer an einer Fußballweltmeisterschaft teilnimmt, sollte seine eigenen Regeln kennen.

Die Spielregeln der FIFA und des Deutschen Fußballbundes sind für jedermann zugänglich. Für den Präsidenten des DFB und den weiteren Verantwortlichen in diesem Verband könnte es sich lohnen, wenn sie ihre eigenen „“Regeln 2022/2023“ einmal lesen würden. Sie würden dort die Regel 4 „Ausrüstung der Spieler“ finden und könnten dabei folgende bedeutsame Ausführungen unter der Überschrift „Slogans, Botschaften, Bilder und Werbung“ lesen:

„Die Ausrüstung darf keine politischen, religiösen oder persönlichen Slogans, Botschaften oder Bilder aufweisen. Spieler dürfen keine Unterwäsche mit politischen, religiösen und persönlichen Slogans, Botschaften oder Bildern oder Werbeaufschriften mit Ausnahme des Herstellerlogos zur Schau stellen. Bei einem Verstoß gegen diese Bestimmung wird der Spieler und/oder das Team durch den Wettbewerbsorganisator, den nationalen Fußballverband oder die FIFA sanktioniert.

Grundsätze:

  • Regel 4 gilt für die gesamte Ausrüstung (einschließlich Kleidung), die von Spielern Auswechselspielern und ausgewechselten Spielern getragen wird. Ihre Bestimmungen gelten auch für alle Teamoffiziellen in der technischen Zone.

Folgendes ist (grundsätzlich) zulässig:

  • Nummer und Name des Spielers, Teamwappen/-logo, Slogans/Embleme von Initiativen zur Förderung von Fußball, Respekt und Integrität sowie Werbung, die gemäß der Wettbewerbsbestimmungen oder Regelungen der nationalen Fußballverbände, der Konföderationen oder der FIFA zulässig ist…

Regelauslegung:

Ob ein Slogan, eine Botschaft oder ein Bild zulässig ist steht in Regel 12 (und sonstiges Fehlverhalten), wonach der Schiedsrichter Disziplinarmaßnahmen gegen einen Spieler ergreifen muss, der eines der folgenden Vergehen begeht:

  • Anstößige, beleidigende oder schmähende Äußerungen und/ oder Handlungen
  • Provozierende, höhnische oder aufhetzende Handlungen.

Slogans, Botschaften oder Bilder, die in eine diese Kategorien fallen sind unzulässig.

Während „religiös“ und „persönlich“ relativ eindeutig zu definieren sind, ist „politisch“ weniger klar. In jedem Fall unzulässig sind Slogans, Botschaften oder Bilder mit Bezug auf:

  • jegliche lebende oder Verstorbene Person…
  • jegliche lokale, regionale oder nationale Regierung oder deren Abteilungen, Ämter oder Stellen,
  • jegliche diskriminierende Organisation,
  • jegliche Organisation, deren Zwecke/Handlungen eine erhebliche Zahl von Menschen beleidigen könnten,
  • jegliche spezifische politische Handlung/Veranstaltung

Beim Gedenken an ein bestimmtes nationales oder internationales Ereignis sind die Empfindlichkeiten des gegnerischen Teams (einschließlich dessen Fans) und der Öffentlichkeit zu bedenken…
Streitigkeiten in Bezug auf Slogans, Botschaften oder Bilder sollten vor einem Spiel/Wettbewerb beigelegt werden.“

Der oben genannte Bezug zu Regel 12 macht klar, dass gemäß dieser Regel Spieler, die das Vergehen einer anstößigen, beleidigenden oder schmähenden Äußerung und/ oder Handlung begehen, „des Feldes verwiesen werden müssen“.

Vor dem Hintergrund dieser Regeln können die öffentlichen Äußerungen des DFB- Präsidenten und seines Sportdirektors und die damit verbundenen „kindergartenpolitischen Diskussionen“ über Armbinden aus Anlass der WM in Qatar nur Kopfschütteln hervorrufen. Die mehrfach öffentlich geäußerten Vorwürfe gegenüber der FIFA und gegenüber dem Gastgeber Qatar sind viel mehr haltlos und der Torhüter der deutschen Nationalmannschaft hätte mit der von ihm zu tragen geplanten Armbinde gegen die Regeln des eigenen Verbandes und gegen die Regeln der FIFA verstoßen und hätte deshalb beim Vollzug der verbotenen Handlung des Platzes verwiesen werden müssen.
Regeln einer Sportart können weder durch angeblich im Vorfeld erfolgte Anfragen gegenüber der FIFA außer Kraft gesetzt werden noch durch eine Absprache mit mehreren europäischen Fußballnationen.
Die Frage, ob es bei der fraglichen Armbinde mit der Aufschrift „One love“ und den Regenbogenfarben um eine politische Demonstration gehandelt hat, ist angesichts dieser Regeln eindeutig mit „Ja“ zu beantworten. In Regel 4 wird klar zum Ausdruck gebracht, dass Slogans, Botschaften oder Bilder in Bezug auf jegliche lokale, regionale oder nationale Regierung unzulässig sind und vom Schiedsrichter deshalb eine Disziplinarmaßnahme gegen einen Spieler ergriffen werden muss, der ein derartiges Vergehen begeht.
Wer behauptet hat (wie diese einige europäische Sportfunktionäre und Kommentatoren des Fernsehens und der Presse getan haben), dass das Tragen der fraglichen Armbinde keine politische Äußerung sei, dem sei angeraten, die betroffene Regierung von Qatar zu fragen und den Paragraphen nachzulesen, in dem Homosexualität in Qatar als verboten ausgewiesen ist.
Den Erfindern des Slogans „One Love“ sei gesagt, dass die dabei gemachte Aussage ziemlich unsinnig ist, denn zum Glück gibt es nicht nur eine Liebe und wer an interkultureller Verständigung interessiert ist, der kann sehr schnell erfahren, dass auch das Lieben und die Liebe in den unterschiedlichsten Kulturen äußerst unterschiedlich sein kann.

Nicht nur den Offiziellen des DFB, sondern auch vielen deutschen Repräsentanten in den internationalen Sportorganisationen muss nach den Vorkommnissen um die WM in Katar gesagt werden, dass man die zu Recht beklagten Verhältnisse innerhalb der FIFA wie auch in anderen internationalen Sportverbänden nicht durch öffentliche Verlautbarungen und durch Interviews mit Fernsehsendern verändert. Vielmehr muss man dazu sich auf die gut vorbereitete und langwierige Kärrnerarbeit der fundierten Antragstellung gegenüber den Entscheidungsgremien der internationalen Verbände einlassen, man muss Überzeugungsarbeit gegenüber den Unwilligen leisten und eine erfolgreiche Suche nach Koalitionären durchführen, um die notwendigen Mehrheiten bei Abstimmungen in den Weltkongressen der internationalen Sportfachverbände zu erreichen. Man darf gespannt sein, welche Anträge auf Satzungs- und Regeländerung die europäischen Verbände beim nächsten FIFA -Kongress einbringen und wie die Abstimmungen über diese Anträge ausfallen werden. Wer sich für demokratische Werte einsetzt und sie durchsetzen möchte, der muss im demokratischen Verfahren Mehrheiten erreichen, um die erwünschten Regelsetzungen und Regeländerungen einzubringen und durchzusetzen.

Lektion 5: Die Einhaltung von Menschenrechten können für die Ausrichtung internationaler Sportveranstaltungen keine notwendige Bedingung sein.

Wer könnte es wagen, in einer aufgeklärten Gesellschaft wie der deutschen Gesellschaft, sich gegen die Einhaltung der Menschenrechte auszusprechen, wie sie von den Vereinten Nationen in ihrer Menschenrechtskonvention verabschiedet wurde? Wer könnte es wagen diese gar abzulehnen? Dieser Grundkonsens in Deutschland in Bezug auf die Menschenrechte ist äußerst bedeutsam und als Gradmesser für das politische Handeln, für das außenpolitische Handeln unserer Regierung, aber auch für das innenpolitische Handeln gegenüber unseren eigenen Bürgerinnen und Bürgern von grundlegender Bedeutung. Bei der Einhaltung der Menschenrechte, das zeigen uns die tatsächlichen Verhältnisse in nahezu allen Staaten, die Mitglieder der Vereinten Nationen sind, gibt es jedoch große Schwierigkeiten. Von einer völligen Gleichberechtigung der Frauen kann man angesichts der unterschiedlichen Gehalts-und Lohnstrukturen selbst in den westlichen Demokratien wohl kaum sprechen. Die Ausbeutung von Bauarbeitern ist nicht nur ein Problem eines Emirats, sondern lässt sich auf vielen Baustellen in dieser Welt beobachten. Aber auch Arbeiter in anderen Branchen, denken wir nur an die saisonalen Erntearbeiter oder an die Arbeiter in den vielen Minen, in denen unter Tage unter menschenverachtenden Arbeitsbedingungen Mineralien und seltene Erden zu Tage gefördert werden, damit die Wohlstandsgesellschaften in den westlichen Demokratien sich elektrisch fortbewegen und kommunizieren können, werden ausgebeutet und in ihren Menschenrechten missachtet.
Zu erwähnen sind die 92 Staaten, in denen nach wie vor die Todesstrafe existiert. Amnestie International berichtet von vielen Staaten in denen Gefangene gefoltert werden.
Und wer Hunger und Armut als ein Verstoß gegen die Menschenrechte interpretiert, der muss sich dessen gewiss sein, dass davon beinahe die Hälfte der Weltbevölkerung betroffen ist.

Nimmt man diese beklagenswerte Situation ernst, so muss man davor warnen, wenn Menschenrechte massenmedial als „Fetisch“ und als populistische Forderung vor sich hergetragen werden, ohne dass dadurch auch nur annähernd die erwünschten Veränderungen in Bezug auf die Menschenrechte politisch in Angriff genommen werden. Genau dies ist jedoch der Fall, wenn – nahezu einem stillen Drehbuch folgend – bei jedem sportlichen Großereignis erneut die Menschenrechtsfrage aufgeworfen wird und den Sportorganisationen vorgeworfen wird, dass sie sich nicht ausreichend für die Durchsetzung von Menschenrechten einsetzen und dass einige sportliche Großereignisse, wie die in diesen Tagen stattfindende WM in Doha, nicht an das entsprechende Land hätte vergeben werden dürfen, da in diesem  Land Menschenrechtsverletzungen zu beklagen sind.
Wer solche Forderungen an den Sport heran trägt, dem muss die Frage gestellt und von dem muss die Frage beantwortet werden, wer und wie entscheiden darf, in welches Land eine sportliche Großveranstaltung vergeben werden darf und in welches nicht und auf der Grundlage welcher Kriterien derartige Entscheidungen zu erfolgen haben. Wenn diese Forderungen wie in diesen Tagen aus Anlass der WM in Katar von vielen Politikern des Deutschen Bundestages und sogar von Ministerinnen und Ministern an den Sport herangetragen werden, so müssen diese Politiker gefragt werden, ob nicht die Durchsetzung von Menschenrechten ihr ureigenster eigener politischer Auftrag ist und was sie in der Vergangenheit und heute in Bezug auf die Lösung dieses Problems geleistet haben. Wer wie die EU und die europäischen Nationen politische Flüchtlinge und Armutsflüchtlinge aus Asien und Afrika im Mittelmeer ertrinken lässt und seine nationalen Grenzen gegenüber Asylanten und Migranten wie u.a. Dänemark, Ungarn oder Polen verriegelt, dem muss gesagt werden, dass sie besser vor ihrer eigenen Tür in ihrem eigenen Hause kehren sollten, bevor sie anmaßend die Autonomie der Sportorganisationen infrage stellen und sich einer Fremdbestimmung schuldig machen.
Die nächste Fußball Weltmeisterschaft findet u.a. in den Vereinigten Staaten von Amerika statt. Bei der Vergabe der FIFA dieser WM für das Jahr 2026 – das zeigen die Recherchen einiger international anerkannter Tageszeitungen – gab es fragwürdige Manipulationen, die durchaus vergleichbar sind mit der Manipulation der Vergabe der WM an Doha. In den USA sind nach wie vor ein kaum zu übersehender Rassismus zu beklagen, die Todesstrafe wird noch in einigen Bundesstaaten vollstreckt und Foltervorwürfe (z.B. im Gefangenenlager von Guantanamo) wurden bis heute nicht ausgeräumt. Diese Sachverhalte werfen die Frage auf, ob die deutschen Politiker sich in vergleichbarer Weise öffentlich gegen eine Fußballweltmeisterschaft in den USA in den nächsten vier Jahren auflehnen werden wie dies in den vergangenen Jahren gegenüber Qatar der Fall war. Das Beispiel der USA kann allerdings uns auch zeigen, dass die Einhaltung der Menschenrechte ein untaugliches Kriterium ist, um über die Frage der Ausrichtung zukünftiger sportlicher Großereignisse entscheiden zu können. Würde man diesem Kriterium folgen, so würden nicht nur die große Mehrheit aller Staaten dieser Erde von der Möglichkeit ausgeschlossen, sportliche Großereignisse auszurichten. Sehr viel schlimmer wäre es, wenn damit der Weltgesellschaft die Möglichkeit genommen würde, die Einhaltung der Menschenrechte in das Rampenlicht einer kritischen Öffentlichkeit zu stellen, wie dies immer dann der Fall ist, wenn sportliche Großveranstaltungen in Ländern stattfinden, in denen gegen Menschenrechte verstoßen wird und deren Menschenrechtsverletzungen zurecht beklagt werden. Allein deshalb hatten die Olympischen Spiele in China und Brasilien und die Fußballweltmeisterschaft in Russland und Qatar ihre volle Berechtigung.

Lektion 6: Die zunehmende Instrumentalisierung und Bevormundung des Sports durch die Politik ist ein Irrweg.

Das Prinzip der Subsidiarität, wie es detailliert in der katholischen Soziallehre beschrieben wird und wie es im Grundgesetz verankert wurde, ist nach wie vor das tragfähige Prinzip für die staatliche Politik und deren Verhältnis zu den freiwilligen Vereinigungen ihrer Bürgerinnen und Bürger. Die Autonomie der Sportorganisationen ist wie die Autonomie aller übrigen sog. “Non-Governmental Organisations“ (NGO) für westliche Demokratien ein besonders schützenswertes Gut.
Im Vor-und Umfeld der Olympischen Spiele in Peking 2022, im Vor-und Umfeld der aktuell  sich ereignenden Fußballweltmeisterschaft in Qatar, aber auch aus Anlass des brutalen Angriffskrieges Russlands gegenüber der Ukraine war und ist zu erkennen, dass Politiker europäischer Parlamente und teilweise auch Minister und ganze  Regierungen das Personal des Sportsystems (Athleten, Trainer, Funktionäre) instrumentalisieren und  bevormunden und auf diese Weise ein autonomes  sportpolitisches Handeln dieser Akteure verhindern. Dabei zeigt sich, dass sich das System der Politik des Sports bedient, um von seinen eigenen Versäumnissen, möglicherweise seiner eigenen Unfähigkeit, mitunter auch von eigener Inkompetenz abzulenken. Dem System des Sports werden Handlungen und Entscheidungen abverlangt, die zum ureigensten Auftrag des Politiksystems zählen, die von diesem jedoch nicht durchgeführt und bearbeitet werden. Ein derartiges politisches Handeln kommt einer großangelegten Heuchelei gleich, bei dem über eine öffentliche „Verlautbarungspolitik“ Erwartungen an den Sport herangetragen werden, die dieser nicht erfüllen kann und auch nicht erfüllen darf. Den Repräsentanten beider Systeme, also jenen der staatlichen Politik und jenen der Politik des Sports, ist zu raten, dass sie sich endlich auf einen tragfähigen Begriff einer wünschenswerten „Sportpolitik für und in Deutschland“ verständigen. Dieser Begriff beinhaltet zwei klar voneinander zu unterscheidende Sphären.
Es gibt auf der einen Seite eine „staatliche Sportpolitik“, bei der der Staat bemüht ist, in subsidiärer Beziehung zum Sport beim Vollzug seines wichtigen sozial-und gesundheitspolitischen Auftrags zu helfen.
Auf der anderen Seite gibt es die „autonome Sportpolitik des Sports“ mit seinen Organisationen, seinen Vereinen und Verbänden. Diese „autonome Sportpolitik“ zeichnet sich dadurch aus, dass sie dem Prinzip des Fair Play verpflichtet ist, Vereine und alle weiteren Sportorganisationen offen für jedermann sind und dass auf der Grundlage von autonom verfassten schriftlichen Regeln nationale und internationale Wettkämpfe auf eine faire Weise gewährleistet werden können. Über die Frage der Teilnahme und Nicht-Teilnahme bei nationalen und internationalen Wettkämpfen und über die Frage wo und wann Wettkämpfe stattfinden, darf nur in der Sphäre der „autonomen Sportpolitik“ ohne eine Einflussnahme der „staatlichen Politik“ entschieden werden.

Lektion 7: Anstand und Zurückhaltung sind empfehlenswerte Tugenden.

Die Diskussion vor und während der Fußball Weltmeisterschaft in Qatar wurde und wird von einigen „Empörungsritualen“ geprägt, die als unangebracht und ärgerlich zu bezeichnen sind. Grundsätzlich stellt sich bei jedem internationalen Großereignis des Sports die Frage, wie man als Gast mit den Gastgebern umzugehen hat und die Gastgeber ihre Gäste behandeln. Auffallend häufig wurde und werden in diesen Tagen in Deutschland von Journalisten, Wissenschaftlern, Politikern, Sportfunktionären, aber auch von Athletinnen und Athleten Aussagen und Urteile über das Gastgeberland Qatar geäußert, ohne dass die Sprecher selbst die Lebensverhältnisse und die politische Situation in Qatar vor Ort gesehen und beobachtet haben und ohne dass ihre Aussagen auf fundierten Recherchen beruhen. Viele dieser Aussagen hatten und haben nicht nur aus der Sicht der Betroffenen Bürgerinnen und Bürger Katars einen beleidigenden Charakter, sondern auch mit Blick auf die lauthals propagierten „Werte einer westlichen Demokratie“. Zu diesen Werten gehört glücklicherweise noch immer auch die Tugenden von Anstand und Zurückhaltung, die von den Kritikern jedoch immer nur sehr selten berücksichtigt werden. Wenn eine Bundesministerin des Innern nach Qatar reist, um vorab, bevor die deutsche Nationalmannschaft in das Land einreist, die Sicherheitsfrage vor Ort zu klären und wenn die selbe Bundesministerin beim ersten Spiel der deutschen Mannschaft auf der Tribüne neben dem FIFA-Präsidenten Platz nimmt und demonstrativ die viel diskutierte für Spieler verbotene Armbinde trägt, so ist dies weder in der Sphäre der „staatlichen Sportpolitik“ noch in der Sphäre der „autonomen Sportpolitik“ hinnehmbar und akzeptabel. Wer weiß, dass Deutschland in Qatar eine große Deutsche Botschaft mit mehr als 100 Mitarbeitern unterhält, wer weiß dass viele deutsche Sportverbände in Qatar bereits bei zahlreichen Weltmeisterschaften mit ihren Nationalmannschaften teilgenommen haben, wer weiß, dass deutsche Mannschaften jährlich Trainingslager in Qatar durchführen und wer weiß, dass viele deutsche Unternehmen  Büros in diesem Staat haben und wirtschaftliche Beziehungen unterhalten, der kann den Auftritt der deutschen Ministerin in Qatar nur als lächerlichen und peinlichen PR-Auftritt bezeichnen. Er war und ist vor allem jedoch eine Verschwendung von Steuergeldern und der Bundesrechnungshof ist aufgerufen, eine genaue Überprüfung dieser Reisen vorzunehmen.

2006, so meinen die meisten Deutschen, hat in Deutschland aus Anlass der Fußball-WM ein „Sommermärchen“ stattgefunden. 2022 finden in diesen Wochen, so sehen es zumindest die Gastgeber in Qatar, findet ein „Wintermärchen“ mit orientalischen Merkmalen statt, das jedoch in den grauen November- und Dezemberwochen in Deutschland  als „Winteralbtraum“ wahrgenommen wird.

¹ Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf „gendergerechte“ Sprachformen – männlich weiblich, divers – verzichtet. Bei allen Bezeichnungen, die personenbezogen sind, meint die gewählte Formulierung i.d.R. alle Geschlechter, auch wenn überwiegend die männliche Form steht.

Letzte Bearbeitung: 2.12.2022