Deutschland – ein Land der Selbstgerechtigkeit und Doppelmoral Beobachtungen zur Fussball-WM in Katar

Ein Drehbuch gleicht dem anderen. Man lässt einen prominenten Sportstar, der mittlerweile seine Karriere beendet hat (Neureuther / Hitzelsperger) ein Opfer besuchen, ein Opfer, das persönlich schwere Menschenrechtsverletzungen erlitten hat oder von davon betroffenen Familienmitgliedern berichtet und dies alles natürlich auch zu Recht beklagt.  Die Regisseure dieser Fernsehsendungen (Golüke und Grantner), deren Format als „Dokumentation“ bezeichnet wird, lassen dann mehrere Interviewpartner zu Wort kommen, die ihre vorgefasste Meinung und ihre Vorurteile über das bevorstehende Sportereignis (Olympische Winterspiele in Peking/Fußball Weltmeisterschaft in Katar) bestätigen. Als Alibi lässt man auch sog. Stakeholder zu Wort kommen, die für das anstehende Event angeblich oder tatsächlich verantwortlich sind. Die ausgewählten Sportstars werden als selbstbewusste gesellschaftskritische Zeitgenossen inszeniert und ihre Gespräche mit Opfern, mit Menschenrechtsexperten, mit Politikern, mit wissenschaftlichen Experten und verantwortlichen Sportfunktionären werden so in Szene gesetzt, dass der Zuschauer im Grunde glauben muss, dass diese besonderen Persönlichkeiten des Sports diese Dokumentation aus eigenem Antrieb und mit einem von Ihnen selbst geschriebenen Drehbuch zu verantworten haben. Neben sendereigenem Filmmaterial bedient man sich vor allem ausgewählter Film-Dokumente aus dem Archiv, die allerdings meistens nicht als aktuell zu bezeichnen sind. Das fertig gestellte „Machwerk“ wird eine Woche vor dem anstehenden internationalen Event mit lautem Getöse angekündigt und ausgestrahlt und die Verantwortlichen – wie hier bei der ARD – loben sich gegenseitig, dass sie einmal mehr ihrer Informations- und Aufklärungspflicht in vorbildlicher Weise nachgekommen sind.

Nahezu in sämtlichen Medien wurde bereits seit mehreren Monaten eine angeblich sehr kritische und fundierte Berichterstattung über die bevorstehende Weltmeisterschaft in Katar den Lesern, Hörern und Zuschauern der Tageszeitungen, des Rundfunks, des Fernsehens und der sozialen Medien präsentiert. Nahezu durchgängig werden dabei das Bauarbeiterproblem auf den Baustellen der WM-Stadien behandelt, Statistiken über Todeszahlen kolportiert, die Korruption innerhalb und außerhalb der FIFA bei der Vergabe der WM an Katar beschrieben und einstimmig die Auffassung vertreten, dass diese WM niemals an ein Land wie Katar hätte vergeben werden dürfen. Für all diese Meinungen werden geeignete Interviewpartner gesucht, die gar nicht anders können als in den Chor der Kritiker an dieser WM in Katar einzustimmen. Personen und Experten, die eine davon abweichende Meinung vertreten, kommen so gut wie gar nicht zu Wort. Und wie es für die deutsche Medienlandschaft mittlerweile längst üblich geworden ist, wird dann noch im Sinne einer sich „selbsterfüllenden Prophezeiung“ in den Nachrichten von ARD und ZDF von einer Meinungsbefragung berichtet, nach der die deutsche Bevölkerung mehrheitlich diese WM ablehnt und einen Boykott befürworten würde.

Bereits heute stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob die deutschen Massenmedien, allen voran ARD und ZDF, in Bezug auf die bereits an die USA vergebenen nächsten Fußball-Weltmeisterschaften 2026 die gleiche Haltung vertreten wie sie von ihnen gegenüber der WM in Katar eingenommen wurde und wird. Folgt man den umfassenden Recherchen der SZ über die Vergabe der WM 2026, so wurde die Entscheidung der FIFA mit ähnlichen unlauteren und rechtswidrigen Manipulationen durch die Vereinigten Staaten beeinflusst und die Menschenrechtssituation ist in den Vereinigten Staaten-folgt man den Analysen von Amnesty International-keineswegs als geklärt zu bezeichnen.

 

Beobachtungen in Katar

Ich bin seit 1993 mehrfach bei Sport-Großveranstaltungen in Katar gewesen und ich habe mich auch vor Ort sehr detailliert über die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung ebenso informieren können wie über die Entwicklung des Sports und der Körperkultur in diesem Land. Mir war es auch möglich, mit den vielen Gastarbeitern zu sprechen, die ja nicht nur im Baugewerbe anzutreffen sind, sondern in nahezu sämtlichen gesellschaftlich relevanten Bereichen, so zum Beispiel an den Universitäten, im Gesundheitswesen, in den Banken und in den Massenmedien. Auch das Veranstaltungsmanagement und nahezu sämtliche touristischen Programme und Marketing-Aktivitäten werden von in Agenturen angestellten Ausländern abgewickelt. Die Ausbeutung der Bauarbeiter ist ohne Zweifel eine relevante Frage und mehr als beklagenswert, doch diese Ausbeutung gibt es im Baugewerbe nahezu in allen Ländern dieser Welt. In Deutschland sollte man sich in diesem Zusammenhang auch einmal zurückerinnern an den „Fleischskandal“ bei Tönnies und den Umgang mit den dort eingesetzten rumänischen, bulgarischen und polnischen Arbeitern. In Katar kann man jedoch zu Recht von einem spezifischen „Baugewerbeskandal“ sprechen, an dem die internationale Staatengemeinschaft ebenso beteiligt ist wie die internationalen Bauunternehmen, die mit ihren Bauten in Katar sehr viel Geld verdient haben und verdienen. Zu benennen sind neben der Regierung des Emirats aber auch die Herkunftsstaaten, aus denen die angeworbenen Bauarbeiter kommen.
Aus deutscher Sicht muss erwähnt werden, dass diese Bauarbeiter auch auf Baustellen der großen deutschen Baukonzerne wie Hochtief, Bilfinger und Berger, Holzmann, Strabag etc. tätig sind und diese Unternehmen von der Billiglohnpolitik am meisten profitieren. Auch der deutsche Siemens-Konzern war und ist an mehreren großen Bauprojekten Katars beteiligt. Außerdem sind viele deutsche Planungsfirmen wie zum Beispiel Weidle-Plan oder das Architektur-Büro Speer & Partner bei der Planung und Durchführung einzelner Bauprojekte, ganzer Stadtviertel und einer neuen Stadt für 200.000 Einwohner beteiligt. Deutsche Firmen bauen noch immer am Eisenbahnsystem und das neue Straßensystem und am Bau des neuen Straßensystems waren und sind ebenfalls deutsche Firmen beauftragt.
Es ist menschenverachtend und in seiner Inhumanität kaum zu übertreffen, wenn die Familien, die ihren Vater durch ein Unglück auf einer Baustelle in Katar-ganz gleich ob aus Anlass der Fußball-Weltmeisterschaft oder auf Baustellen, auf denen aus anderen Gründen gearbeitet wurde – verloren haben, bis heute weder von einer Versicherung noch von den Bauherren oder den sie entsendenden Staaten eine Entschädigung erhalten haben. So wie es in Deutschland keine verlässliche Statistik über die Bauunfälle gibt, so gibt es auch in Katar keine glaubwürdige Statistik über die tatsächlichen Todeszahlen auf den Baustellen dieses Landes. Die Frage, ob es 6500 tödliche Bauunfälle in Katar innerhalb der letzten zehn Jahre gegeben hat, wie es eine englische Zeitung berichtet hat, oder ob es lediglich drei tödliche Unfälle auf den WM-Baustellen gewesen sind, wie es die FIFA behauptet, ist meines Erachtens irrelevant. Jeder tödliche Bauunfall ist ein Bauunfall zu viel und ist in jeder Hinsicht tragisch. Relevant ist es jedoch, dass von den Unternehmern in Katar, und das sind meist auch ausländische Unternehmer, die in ihren Heimatländern üblichen Arbeitsrechte den Arbeitern in Katar vorenthalten werden.
Bei meinen Gesprächen mit den Gastarbeitern im Baugewerbe und bei meinem Besuch ihrer Wohnstätten (es sind meist barackenartige Unterkünfte oder Wohncontainer mit einer Kochstelle; die hygienischen Verhältnisse in diesen Unterkünften sind für West-Europäer inakzeptabel) musste ich zur Kenntnis nehmen, dass viele dieser Arbeiter ihre Unterkünfte deshalb akzeptieren, weil sie den größten Anteil ihres Lohnes an ihre Familien in ihren Heimatländern überweisen und deshalb ihre Kosten für Unterkunft und Verpflegung äußerst niedrig halten möchten. In Deutschland kann man ähnliches bei den Gastarbeitern beobachten, die als Erntehelfer arbeiten oder auch bei den Gastarbeitern, die in Schlachthöfen der großen Fleischproduzenten tätig sind. Wohncontainer mit einer einfachen Küche und Stockbetten für acht bis zwölf Personen werden deshalb bevorzugt. An einer Anmietung eines Apartments mit eigener Küche ist von diesen Gastarbeitern keiner interessiert. Ganz anders verhält es sich mit den Gastarbeitern in den unterschiedlichen Dienstleistungsbranchen, die bei ihrer Arbeit in Katar oft das Mehrfache im Vergleich zu ähnlicher Arbeit zu Hause verdienen und dabei durchaus auch privilegierte Wohnverhältnisse aufweisen.

Zur Rolle der Frau

Auch in Bezug auf die Rolle der Frau in der Gesellschaft von Katar unterscheiden sich meine Beobachtungen von jenen stereotypen Betrachtungen in den deutschen Massenmedien ganz erheblich. Bei einem meiner ersten Besuche im Jahr 1999 in Katar hatte ich die Aufgabe eines Organisationsdelegierten der IAAF beim ersten Grand Prix Meeting der internationalen Leichtathletik in einem arabischen Staat. Gegenüber dem sportbegeisterten Emir von Katar konnten wir erreichen, dass die internationalen weiblichen Stars der Leichtathletik mit ihren „Tops“ eine Sportkleidung präsentieren konnten wie dies zuvor in keinem arabischen Land möglich gewesen ist. Schon bei diesem Besuch konnte ich erfahren wie bereits zu diesem Zeitpunkt bei der Entwicklung des Emirats deutsche Interessen eine große Rolle gespielt haben und das Emirat an einer engen ökonomischen Kooperation mit Deutschland interessiert gewesen ist. Die erste Kunststoffbahn im ersten Leichtathletik Stadion wurde deshalb folgerichtig mit einem Rekortan-Belag gebaut, der von dem deutschen Unternehmen Polythan geliefert wurde.

Beim zweiten Grand Prix Meeting konnten wir erreichen, dass auch weibliche Zuschauer – allerdings mit Kopfbedeckung – das Meeting besuchen konnten. Mittlerweile starten schon seit längerer Zeit muslimische Athletinnen bei diesem Meeting und bei Leichtathletikmeisterschaften in Katar; allerdings mit Kopftuch und Leggings, was jedoch von vernünftigen Verantwortlichen im Sport nicht infrage zu stellen ist.

Investitionen in die Sportentwicklung Katars

Danach wurde von internationalen Experten die wohl am besten ausgestattete Sportakademie „Aspire“ in Katar eingerichtet, in der sehr viele weibliche Arbeitskräfte tätig sind, und die seit mehr als 20 Jahren von Athletinnen und Athleten und von Mannschaften vieler Sportarten aus aller Welt zu ihrer eigenen Vorbereitung auf große Turniere und Weltmeisterschaften und zur Rehabilitation genutzt wird. Der erste Direktor dieser Akademie war ein Deutscher und viele deutsche Sportwissenschaftler haben mittlerweile an dieser Akademie gearbeitet.

Im Jahr 2003 wurde der Sport-Fernsehsender „B IN Sports“ gegründet. Er verfügt heute über 19 HD-Kanäle und gehört der „B IN- Media Group“, die ihren Sitz in Doha hat. Ihre Schwesternetzwerke sind Al Jazeera, B IN Sports France, Digiturk und Al-Jazeera America.

Seit 2019 gibt es die „Snow Dunes“ und zuvor bereits mehrere Ice-rinks, so u.a. die „Gondolania Ice Arena“ und der „Villagio Mall Rink“. Damit ist Katar das 33. Land mit einem Indoor-Snowcenter.

Durch das Olympische Komitee von Katar wurde mit Unterstützung des IOC auch ein Olympisches Museum eingerichtet, das zu den interessantesten Sport-Museen gehört, die ich während meines beruflichen Lebens in der Welt des internationalen Sports besuchen durfte.

Ich war mittlerweile auch bei der Handball-Weltmeisterschaft 2015, bei der Leichtathletik-Hallenweltmeisterschaft 2010 und bei der Freiluftweltmeisterschaft der Leichtathletik 2019 in Katar anwesend, habe Fortbildungsveranstaltungen für Sportjournalisten und Sportfunktionäre geleitet und ich konnte auch beobachten, welche wichtige Rolle weibliche Professorinnen an der Universität in Katar einnehmen. Die Rolle Katars in der olympischen Bewegung und in den internationalen Sportverbänden wurde dabei Jahr für Jahr bedeutsamer und die Ausrichtung der größten sportlichen Veranstaltungen wie der Asienspiele und der Wunsch, eine Fußballweltmeisterschaft auszurichten, war dabei durchaus nachvollziehbar und absehbar. Angehörige der Familie des Emirs haben mittlerweile in nahezu sämtlichen internationalen Sportorganisationen und deren Führungsgremien Sitz und Stimme.

Sport als „Soft Power“

Der Sport ist auf diese Weise zu einem zentralen Medium der Außenpolitik Katars geworden, das sich durchaus zu Recht auf Grund seiner religiösen Sonderstellung im arabischen Raum einer gewissen Bedrohung insbesondere durch den übermächtigen arabischen Staat Saudi-Arabien und die benachbarten Staaten Iran und Türkei ausgesetzt sieht. Die in Katar stattfindenden internationalen Sportveranstaltungen werden deshalb vom Emir als eine gewisse Sicherheitsinstitution für sein Emirat betrachtet, das im arabischen Raum ein vergleichsweise sehr kleines Land ist. (Es hat lediglich die Größe von Schleswig-Holstein). Sport hat in dieser Politik die Funktion einer so genannten „Soft-Power“. Gleiches gilt in Katar für die Kultur und für die Wissenschaft.

Unermesslicher Reichtum-dank des Erdgasvorkommens

Katar hat in seiner äußerst jungen Sportgeschichte internationale Sportevents in nahezu allen Sportarten ausgerichtet: große Tennisturniere der ATP fanden ebenso statt wie Formel 1-Rennen(seit 2009), die Katar -Rundfahrt der Radprofis gibt es bereits seit 2002, mittlerweile fanden auch  Weltmeisterschaften im Tischtennis, Schwimmen und Turnen in Doha statt, der internationale PGA-Golfsport trifft sich jährlich in Katar und bei all diesen Sportereignissen werden von den Beteiligten die perfekte Organisation, die erstklassigen Sportanlagen, die luxuriösen Hotels und die gut funktionierenden Transportmöglichkeiten gelobt. Dabei bedient sich Katar der besten internationalen Expertise, engagiert professionelle Agenturen und der großzügige Emir mit seiner Großfamilie erweist sich als gastfreundlicher Gastgeber. Die Empfänge bei solchen Anlässen gleichen unseren kindlichen Vorstellungen von den Märchen aus „1000 und einer Nacht“. All dies ist nur möglich, weil das Emirat Katar über einen unermesslichen Reichtum verfügt, den es sich in seinen Grundlagen nicht selbst erarbeitet hat, sondern dem glücklichen Zufall verdankt, dass vor Jahrzehnten auf seinem Territorium eine der größten Erdgasvorkommen der Welt entdeckt wurden. Dem Emirat ist es deshalb möglich, sich auch als Investor bei großen Projekten in Europa oder in den USA zu beteiligen, große Aktienanteile an wichtigen deutschen Unternehmen wie Porsche und Volkswagen zu erwerben und als Sponsor im Weltsport aufzutreten. US-Präsident Biden spricht sogar in Bezug auf Katar von einem der wichtigsten Partner-Staaten der USA. Er gab Katar den Status „eines wichtigen Nicht-Nato-Verbündeten“. Das US-Militär unterhält einen großen Militärstützpunkt in Katar und US-Präsident Biden bezeichnete beim jüngsten Treffen mit dem Emir Katar „als einen guten Freund und verlässlichen Partner“.

Beklagenswerte Verschwendung

Auch ohne die derzeit weltweit zu beklagende Energiekrise und auch ohne die dramatischen Folgen des russischen Angriffskrieges in der Ukraine für die Welternährung und für die Weltwirtschaft darf man die vielen sportlichen Errungenschaften Katars wohl kaum bewundern. Wohl ist die Sonnenenergie in diesem Staat ein äußerst verlässlicher Energielieferant, doch was allein an Energie für die Klimaanlagen der neuen Fußballarenen und alle weiteren Sportstätten, wie z.B. für die „Snowdunes“ und „Icerinks“ aufzuwenden ist, ist meines Erachtens angesichts der sich jährlich verschärfenden Klima- und Energiekrise nicht mehr zu rechtfertigen.

Die Kosten für die Fußballweltmeisterschaft werden auf mehr als 200 Milliarden € geschätzt. Diese Weltmeisterschaft wird somit die teuerste, die jemals stattgefunden hat. Angesichts der Kenntnisse der Welt-Hungerhilfe über die aktuelle Ernährungssituation in Asien, Afrika und Südamerika, angesichts der ständig sich verschärfenden Klimakatastrophe und angesichts der noch immer zunehmenden Kluft zwischen Reich und Arm in fast allen Ländern der Welt können diese Ausgaben für eine Fußballweltmeisterschaft nur als maßlose Verschwendung bezeichnet werden. In diesem Sachverhalt liegt meines Erachtens der eigentliche Skandal dieser Fußball Weltmeisterschaften begründet. Dass Sportgroßveranstaltungen nicht nur in Europa und nicht nur in Demokratien stattfinden können, das müsste eigentlich selbst den ernsthaftesten Kritikern mittlerweile klar geworden sein, soll die Idee von einem die Erdteile und die Nationen verbindenden globalen Weltsport auch zukünftig aufrechterhalten werden. Auch die Einhaltung von Menschenrechten, wie sie ganz gewiss nicht nur von Europäern erwünscht sein muss, kann leider auch kein tragfähiges Kriterium sein, um zu entscheiden, in welchem Land ein Sportgroßereignis stattfinden kann und welche Länder von diesen
Ereignissen auszuschließen sind. Weder gibt es hierzu eine geeignete Institution, die darüber befinden könnte, noch gibt es einen ausreichenden Konsens, welche Menschenrechte weltweit zu respektieren sind.

Bei der Bewerbung um Sportgroßveranstaltungen hat sich Katar aller der im Weltsport mittlerweile üblichen Bewerbungsmethoden bedient. Besonders offensichtlich wurde dies bei der Bewerbung Katars für die Fußball-Weltmeisterschaft 2022. Für die Bewerbungen Katars gehörten dabei immer auch großzügige „Incentives“, die meines Erachtens zu Recht zu beklagen sind und durch entsprechende Änderungen in den Statuten der internationalen Sportverbände ausgeschlossen werden sollten. Allein bei der weit weniger bedeutsamen Bewerbung um die Leichtathletik Weltmeisterschaft 2019 verteilte Katar an den Weltverband der Leichtathletik großzügige Incentives in der Form eines zusätzlichen Sponsorenvertrages mit der Bank von Katar und mit dem Fernsehsender „B-in Sports“ im Wert von mehreren 10 Millionen €. Die Aufwendungen für die zusätzlichen Aufwendungen für die Fußballweltmeisterschaftsbewerbung haben diese Incentives ganz gewiss um ein mehrfaches übertroffen.

Die deutschen Vertreter in den Entscheidungsgremien der internationalen Sportverbände sollte man deshalb fragen, ob sie jemals einen Antrag gestellt haben, dass zukünftig derartige „Incentives“ bei Bewerbungen verboten sind. Mir sind bis heute derartige deutsche Anträge und entsprechende Abstimmungen über diese Anträge nicht zu Ohren gekommen.
Doch auch hier macht Katar keine Ausnahme. An die WM -Vergabe an Deutschland sollte man sich dabei ehrlicherweise auch erinnern. Man kann es durchaus als ein einmaliges Trauerspiel bezeichnen, dass in der angeblich so vorbildlichen Demokratie Bundesrepublik Deutschland der Zweck von Bezahlungen in mehrfacher Millionenhöhe aus Anlass der Fußball -Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland bis heute noch immer ungeklärt ist.

Eine Monarchie mit sunnitischen geprägten Wertestrukturen

Die vielen internationalen Sportereignisse, die mittlerweile in Katar stattgefunden haben, sind dem unermesslichen Reichtum dieses Landes zuzuschreiben. Doch Katar hat sich dabei in Bezug auf die vorherrschenden politischen Strukturen so gut wie gar nicht verändert. Katar ist ganz gewiss keine Demokratie, es ist ein Emirat bzw. eine Monarchie im „Familienbesitz“ der Familie Al Thani. Die Kultur der Gesellschaft von Katar unterscheidet sich von der unsrigen nicht zuletzt wegen eines völlig anderen Wertesystems und der dort vorherrschenden sunnitischen Religion ganz wesentlich.

Dies muss auch in Bezug auf die LBGTQ-Frage beachtet werden. Dabei sollte man sich in Westeuropa auch daran erinnern, dass für die christliche Kultur und für viele Länder in denen der Katholizismus noch dominant ist, diese Frage keineswegs so eindeutig beantwortet wird wie dies in Deutschland in diesen Tagen der Fall ist. In Deutschland sollte man sich auch daran erinnern wie noch vor wenigen Jahren Homosexuelle öffentlich diskreditiert wurden und gleichgeschlechtliche Liebesbeziehungen im öffentlichen Leben unter Strafe gestellt gewesen waren. Der §175 im Strafgesetzbuch wurde erst 1994 aufgehoben.

Was die Sicherheitsfrage anbelangt, so ist Katar eines der sichersten Länder der Welt mit einer der niedrigsten Kriminalitätsrate. Es ist für mich deshalb geradezu lächerlich, wenn eine Innenministerin Deutschlands wenige Wochen vor Beginn einer Weltmeisterschaft Katar besucht, um die Sicherheitsfragen vor Ort zu klären. Dass die Sicherheit vor allem durch ein umfassendes Kameraüberwachungssystems in Katar gewährt wird, wurde von Experten in vieler Hinsicht bereits diskutiert. Eine derartige Kameraüberwachung des öffentlichen Lebens mag man mit Blick auf den Schutz der Privatsphäre kritisieren. Doch auch hier sollte daran erinnert werden, dass derartige
Überwachungssysteme auch in Demokratien längst üblich geworden sind. Es genügt ein Blick nach oben in den Fußgängerzonen deutscher Städte.
Eine größere Verschwendung von Steuermitteln durch den Besuch der Innenministerin mit ihrer Delegation vor zwei Wochen in Katar kann ich mir kaum vorstellen und die Ministerin müsste gefragt werden, warum man seit Jahrzehnten in Katar eine große deutsche Botschaft unterhält.

Nicht weniger ärgerlich ist die seit Wochen andauernde Diskussion ob man sich diese Weltmeisterschaft im Fernsehen anschauen soll und darf. Ein deutscher Fernsehboykott dieser WM würde gewiss der FIFA und Katar einen erheblichen Schaden zufügen. Ein derartiger Boykott ist jedoch völlig unrealistisch und könnte ohne Eingriffe in die Privatsphäre der Fernsehzuschauer wohl kaum kontrolliert werden. Viele der in den Medien zur Darstellung gebrachten Bekenntnisse zur Fernsehabstinenz gegenüber dieser WM sind deshalb angesichts der dabei gezeigten Doppelmoral und der aus grundsätzlichen Gründen bestehenden Nichtüberprüfbarkeit solcher Abstinenz eher beschämend als nachahmenswert.

Katar, die arabische Ausnahme

Wenn man sich über Katar ein faires Urteil bilden möchte, so sollte man auch zur Kenntnis nehmen, dass Katar im Vergleich zu Saudi-Arabien, zu Dubai, zum Jemen, aber auch im Vergleich zu Iran oder zum Irak in Bezug auf die die weibliche Emanzipation eine außergewöhnliche Vorreiterfunktion eingenommen hat. Es war zum Beispiel das erste arabische Land in dem Frauen das Fahren eines Autos gestattet wurde. Dies ist u.a. auch der zweiten Frau des Emirs zu verdanken. Scheicha Musa Bint Nasser ist Vorsitzende einer der größten internationalen Stiftungen, der Katar-Foundation und sie ist auch UNESCO Sonderbeauftragte für Bildung.

Vor dem Hintergrund all dieser Beobachtungen, die ich noch fortführen könnte, ist die Vorberichterstattung zur Fußball-Weltmeisterschaft in Katar, wie sie in Deutschland schon seit Wochen und Monaten zu beobachten ist, in vieler Hinsicht einmal mehr ein publizistisches Ärgernis. Dies gilt umso mehr, wenn man wie ich die Berichterstattung in der von mir abonnierten SZ oder in der FAZ aber auch in allen weiteren Tageszeitungen und nicht zuletzt im öffentlich-rechtlichen Fernsehen beobachte und verfolge. Im Zentrum steht dabei eine vorurteilsbefangene Darstellung über ein angeblich menschenverachtendes Sportereignis in Katar. Die Frage, die dringend zu beantworten wäre, ist jene, warum ausgerechnet in Deutschland ein derart selbstgerechter und heuchlerischer Zeigefinger-Journalismus bei nahezu jedem internationalen sportlichem Großereignis stattfindet. Es muss auch gefragt werden wie es möglich ist, dass die durchaus berechtigte Kritik gegenüber internationalen Sportgroßereignissen immer unmittelbar nach Beendigung dieser Ereignisse zu einem schnellen Ende gelangt und dabei meist folgenlos bleibt. Von einem verantwortungsvollen kritischen Journalismus kann dabei ganz offensichtlich nicht die Rede sein.

Letzte Bearbeitung: 16.10.2022

Themenzuordnung: Massenmedien, Menschenrechte, Sportentwicklung