Wie so viele Menschen, die ein höheres Alter erreicht haben, muss auch ich immer häufiger erkennen, dass der menschliche Körper gebrechlich ist. Nicht nur alle Gelenke melden sich zu Wort, sondern auch die beiden Schaltzentralen unseres Körpers, das Herz und das Gehirn, lassen Abnutzungserscheinungen erkennen, die Bedenken erregend sein können. Von einem durchgehenden Wohlbefinden kann dabei wohl nur selten die Rede sein. Der Zusammenhang von Gesundheit, Wohlbefinden und Sport hat mich mein ganzes Berufsleben interessiert und seit das amerikanische Gesundheitsmarketing mit seiner wundervollen Erlösungsformel „Wellness“ auch in meinen Wahrnehmungshorizont und in meine Bedürfniswelt und damit vor allem auch in meinen Alltag eingedrungen ist, bin ich schon seit längerer Zeit regelmäßig unterwegs, um überall in der Welt Orte aufzusuchen, auf die ich wegen ihres besonderen Wellnessversprechens aufmerksam wurde.
Mein Weg hat mich dabei in alle Kontinente, nach Bali, Japan, China, Malaysia, Thailand, Indonesien und Korea, nach Südafrika, Marokko, Kenia, Ägypten, Israel und Tunesien geführt, Brisbane und die australische Goldküste waren mein Ziel. Kanada, Kalifornien, Connecticut und noch weitere Staaten der USA müsste ich erwähnen. Noch viele Länder in Europa müsste ich noch hinzufügen.
Kein Land und kein Ort konnte aber eine vergleichbar wichtige Rolle spielen wie Italien mit seinen Euganäischen Hügeln und deren unvergleichlich interessanten Vulkanhügeln und dem Fangosee Costa, aus denen Quellen mit einem Thermalwasser von 87 Grad entspringen und Naturfango für all die vielen Thermenhotels in Abano und Montegrotto gewonnen werden kann. Die etwas mehr als 100 Hügel mit ihrem besonderen geometrischen Profil erheben sich aus dem „Meer“ der Poebene, sind fast perfekt konisch, haben isolierte Gipfel mit wild bewachsenen Abhängen. Der höchste Hügel ist der Monte Venda, der eine Seehöhe von 603 m erreicht. Die seismischen Verschiebungen und Eruptionen, die diese einmalige Kulturlandschaft erzeugt haben, haben wohl vor 40 Millionen Jahren stattgefunden. Angesichts der besonderen Schönheit dieser Kulturlandschaft kann es kaum überraschen, dass die eugenischen Hügel auch bedeutende Schriftsteller, Dichter und Künstler immer wieder inspiriert haben, allen voran Petrarca und Foscolo, die an diesen Orten Werke von unschätzbarem literarischen Wert hinterlassen haben.
Das Hotel, das meine Frau und ich dabei immer wieder aufsuchen, liegt an bzw. auf einem Ort, an dem vor genau 2000 Jahren die Eliten einer der erfolgreichsten antiken Kulturen, der Kultur der Römer, ihren besonderen Wellnessbedürfnissen nachgekommen sind. Von deren Badeanlagen und den damaligen Thermen kann man im Speisesaal dieses Hotels durch in den Fußboden eingelassene Glasscheiben nur noch die Grundmauern erkennen. Das Hotel mit diesem historisch einmaligen Untergrund befindet sich in einer Parkanlage von einer erstaunlichen Fläche von mehr als 40 000 Quadratmetern mit einer bewundernswerten Gartenarchitektur, zu der auch noch weitere sehenswerte römische Ausgrabungsstätten und sogar auch eine eigene Hauskapelle gehören, die im 17. Jahrhundert zu Ehren des Heiligen Leopold errichtet wurde. Der eigenen Geschichte bewusst, erinnert das Hotel mit seinem Namen an den römischen Kaiser Nero, den ich während meiner Schulzeit als besonders bösartigen Diktator kennengelernt habe. Während einer meiner Aufenthalte im Hotel „Neroniane“ wurde ich jedoch eines Besseren belehrt. Nero war wohl einer der großen römischen Reformer und er war wohl keiner jener fürchterlichen römischen Kaiser wie sie üblicherweise in den großartigen Hollywoodverfilmungen zur Darstellung gebracht wurden.
Das Hotel befindet sich am Rand der Euganäischen Hügel. Diese sind für uns mittlerweile zu einem magischen Ort geworden, der eine besondere Anziehungskraft besitzt. Wenn hier über „Euganäische Wellness“ berichtet werden soll, so ist dabei an erster Stelle aus meiner Sicht vom Radfahren zu sprechen. Jeder Hügel der Euganäischen Hügel ist für mich und mein Mountain E-Bike an jedem Nachmittag eine kleine, manchmal auch eine große Herausforderung für Kraft und Ausdauer. Dass Italien die wohl größte Radsport-Nation der Welt ist, kann man bei all diesen Touren hautnah erfahren. Jeden Tag bevölkern italienische Radsportclubs die Collis und befahren mit ihren Rennrädern die anspruchvollen Steigungen und die dazugehörigen serpentinenreichen Abfahrten. Unsere Mountainbiketouren führen uns in eine der schönsten europäischen Kulturlandschaften, in eine außergewöhnliche Natur, mit urwaldgleichen Wäldern, mit einer vielfältigen Botanik und Fauna. Mit über 1400 botanischen Arten ist die Artenvielfalt der Collis ein besonders schützenswertes Gut. Und immer wieder lässt sich bei unseren Radtouren eine kleine Bar finden, in der die italienischen Radsportler eine kleine Pause machen und wir gemeinsam unseren Espresso genießen. Haben wir ein Tagespensum von mehr als 40 Kilometern erreicht, dann kehren wir gegen Abend zufrieden und auch ein klein wenig stolz in unserer Hotel zurück. Oft werden wir dabei von einem leuchtend roten Sonnenuntergang begleitet.
An zweiter Stelle der „Euganäischen Wellness“ folgt die Fangobehandlung, die sich durch vier besondere Akte auszeichnet. Weitere Angebote, die meinem Wellnessbedürfnis entgegenkommen, sind eine tägliche 30-minütige Gymnastik im Fitnessraum und eine ebenso lang dauernde Wassergymnastik in einem Außenbecken bei einer Wassertemperatur von 34 Grad.
Das Wellness-Programm wird ergänzt durch die Möglichkeit von verschiedenen Saunabesuchen. Sie reichen von einer Felsengrotte über eine Dampfsauna bis hin zu zwei modernen finnischen Saunen und einer schön gestalteten Salzgrotte.
Die Fango – Anwendungen sind es wert, dass man sie noch etwas genauer beleuchtet. Jeden Morgen beginnt um 5:00 Uhr die Vorbereitung für die Fangoanwendungen in zwölf verschiedenen Kabinen. Im Stundentakt kommen die Gäste und genießen zunächst, eingepackt in Tüchern wie eine ägyptische Mumie, die heiße Fango an ihrem ganzen Körper. Danach geht es in ein Ozonbad, in dem man sich eine Viertelstunde noch entspannen kann. Etwas später folgt der Fangoanwendung eine Entspannungsmassage von 25 Minuten. Einige Gäste – so wie ich – setzen sich dann noch einer zehnminütigen Inhalation aus, die sich vor allem für die Atemwege und bei einer belasteten Lunge als sehr hilfreich erweist.
Die eigentlichen Helden der „Euganäischen Wellness“ sind der Fango-Meister und zwei Damen, die die Gäste in den Fangokabinen betreuen. Zum „Wellness-Championteam“ gehören aber auch die männlichen und weiblichen Bedienungskräfte, die fast immer im Laufschritt von morgens ab 7:00 Uhr, beginnend mit dem Frühstück über das Mittagessen und das mehrstündige Abendessen für den leiblichen Genuss der Gäste sorgen. Die schnellste unter ihnen hat von einigen Gästen den Nick-Name „Speedy Gonzalez“ erhalten, denn sie ist schon nun mehr als 20 Jahre immer im gleichen Tempo unterwegs. Immer freundlich bedient sie alle Gäste und wenn man Zusatzwünsche hat, so werden diese ebenfalls erfüllt.
Besondere Erwähnung haben Jalal, Gianna und Christina verdient. Sie betreuen das Kernstück der“ Euganäischen Wellness“, die Fango-Therapie. Jeden Morgen sieben Tage in der Woche beginnen sie um 5:00 Uhr und sie haben frühestens um 13:00 Uhr ihre Mittagspause erreicht. Jalal transportiert zu jeder vollen Stunde 24 Eimer Fango. Jeder Gast erhält eine Fango – Packung mit einem Gewicht von 24,8 kg und Jalal muss diese Unmenge an Fango aus der Fango- Zubereitungsanlage in seine Eimer abfüllen, sie dann auf einem Wagen in die Kuranlage fahren und die Eimer in den zwölf Fango- Kabinen entleeren. Christina und Gianna sind ständig im Laufschritt unterwegs. Eine Hand ist immer eingepackt in einen Handschuh, mit dem die heiße Fango auf der Liege aufgetragen wird, auf die sich dann der Gast niederlässt und Gianna oder Christina ihn dann für die eigentliche Fango-Behandlung wie eine ägyptische Mumie in mehrere Tücher einpacken. Kaum haben sie einen Gast eingepackt, geht es im Laufschritt bereits wieder zur nächsten Kabine und schon muss der nächste Gast wieder ausgepackt werden oder muss in einer anderen Kabine ein anderer Gast noch von seinen Schweißtropfen befreit werden, die bei ihm durch die Hitze der Fango und durch die Mumiendecken hervorgerufen wurden. Zeit für einen Kaffeepause gibt es nicht. Denn hat man gerade den ersten Gast abgeduscht und in seinen Bademantel eingehüllt, so muss bereits die nächste Fango-Partie vorbereitet werden. Gianna und Christina haben wie Jalal schwere körperliche Arbeit zu leisten. Jede Stunde müssen Sie das benutzte Fango-Paket mit einem Gewicht von nahezu 30 kg auf einen Wagen hieven und diesen dann zum Rücktransport in die Fangoaufbereitungsanlage vorbereiten. Alle drei Protagonisten der „Euganäischen Wellness“ erledigen ihre schwere Arbeit freundlich und zuvorkommend schon seit mehr als 20 Jahren. Ihr Gehalt ist ebenso kümmerlich, wie dies bei vielen Dienstleistungen in der Gastronomie der Fall ist und gäbe es nicht das eine oder andere Trinkgeld, so müsste man von einer unverantwortlichen Ausbeutung sprechen.
Einen weiteren „Euganäischen Wellnesschampion“ habe ich bei meiner jüngsten Reise in die Euganäischen Hügel und bei meiner Fango-Kur im Hotel Neroniane bei einem Saunaritual kennen gelernt. Was in vielen Ländern bereits längst normal ist, ist in Italien immer noch eine Ausnahme. In der neuerbauten Saunalandschaft des Hotels wird nun auch zweimal in der Woche ein dreiteiliges Aufgussritual angeboten und hierzu wurde eigens Nicola als Aufgussmeister angestellt. Seine Aromen sind wohl die üblichen, die heute bei einem Aufguss benutzt werden und sie reichen von Zirbe, Zitrone, Eukalyptus, sibirische Tanne, Rosmarin, Rotorange, Pfefferminze, Limone bis hin zu Thymian; ebenso die Eiskugel, die er auf dem Saunaofen mit einem Schlagritual zertrümmert. Seine Güsse mit einer Kelle und sein Tanz um den Saunaofen mit einem farbenprächtigen Wedeltuch gleicht einem Derwisch- Tanz. Es ist eine prachtvolle und narzisstische Selbstinszenierung, die den Saunagästen große Freude bereitet und viel Applaus zur Folge hat.
Dies alles wäre eigentlich kaum erwähnenswert, hätte ich bei diesem Saunabesuch nicht gleich zu Beginn ein „kleines Wunder“ erlebt. Für jemand, der wie ich schon während seiner aktiven Leistungssportkarriere regelmäßig Saunen besuchte, der auch mit der französischen FKK-Kultur vertraut ist und der auch mehrmals die skandinavischen Länder bereiste, war es schon immer eine Selbstverständlichkeit, dass man eine Sauna mit nacktem Oberkörper aufsuchen sollte. Doch spätestens nach meinen vielen internationalen Reisen, insbesondere nach Asien und Südamerika und vor allen in die USA, musste ich lernen, dass Körperkulturen und deren Umgang mit dem menschlichen Körper von Kultur zu Kultur sehr unterschiedlich sein können und dabei auch Unterschiede für die verschiedenen Geschlechter bestehen.
Nun kann ich auf das keine Wunder von Montegrotto zurückkommen. In Italien war es in der Vergangenheit ganz und gar nicht üblich, dass man eine Sauna mit nacktem Oberkörper aufsuchen konnte. Um so mehr war ich überrascht, dass der neue italienische Saunameister eine Eingangskontrolle vor seinem ersten Aufguss durchführte und jedem Gast den Zutritt verwehrte, wenn er mit Badeanzug oder Badehose bekleidet, die Sauna betreten wollte. Da die große Mehrheit italienische Gäste waren, war die Verwunderung groß und manch einer saß mit Schamgefühlen und gesenktem Kopf nackt auf der Saunabank.
Von mir noch nie goutiert, aber an dieser Stelle zumindest erwähnenswert, ist noch die Spa-Abteilung, wo sich überwiegend die weiblichen Gäste sehr unterschiedlichen Schönheitsverjüngungs- und Massagebehandlungen unterziehen. Die Namen der Angebote gleichen für mich den Märchen aus 1000 und einer Nacht und dem hoffnungslosen Bemühen, dem üblichen und natürlichen menschlichen Alterungsprozess mit einem künstlichen und meist sehr teuren Optimierungsprogramm entgegenzutreten. „Wohnfühlen und Streicheleinheiten“ lautet das Programm und das Wort „Massage“ lässt ganz offensichtlich viele Wortspiele zu: Kerzenmassage, Lomi Lomi Massage, Entgiftende Massage mit Honig, Pinasweda Massage, Kalifornische Massage, Hot Stone Massage, Ayurveda, Shiatsu, Fußreflexzonenmassage, Antistress-Massage mit Schokolade, Antizellulittisbehandlung mit Schokolade, Behandlung mit Weinnektar, Bienenkönigin-Behandlung, Utwartana, Kokos- Stein- Massage, Rosenblattbehandlung, Tranquillity Ritual Massage, Hydro- Kinesiotherapie, Radiofrequenzbehandlung. Von der „Laufenden Euganäischen Wellness“ kann hierbei gewiss nicht gesprochen werden. Es sei denn, man meint damit auch die fleißigen Hände des Massagepersonals und der Schönheitsstilistinnen.
Die von mir bevorzugte und aufgesuchte „laufende Wellness“ wird an fünf Tagen in der Woche von einer hübschen Fitnesstrainerin repräsentiert, die täglich ein gut durchdachtes Bewegungsprogramm ihren Gästen im Wasserbecken und im Gymnastiksaal offeriert. Ob Stuhlgymnastik, Gymnastik mit dem Stab oder am Boden, ob Übungen mit Wasserwiderstand, mit und ohne Gerät, mit Armen, Beinen, dem ganzen Körper und auch mit dem Kopf, begleitet von gut ausgewählten italienischen Popsongs und italienischer Instrumental-Musik, alles wird am „laufenden Band“ vorgemacht und jeweils nach 30 Minuten sind die meist weiblichen Teilnehmer begeistert und applaudieren am Ende sich immer auch selbst.
Ich wundere mich dabei immer wieder über mich selbst, weil ich bei diesen Übungsangeboten meist der einzige Mann unter vielen Frauen bin. Da ich in meinen Berufsleben an verschieden sportwissenschaftlichen Instituten deutscher Universitäten u.a. mich auch mit unterschiedlichen Bachelorausbildungsinhalten in verschiedenen Studiengängen zum „Gesundheitsmanagement“ auseinandersetzen musste, begründe ich meine Sonderstellung mit meiner beruflichen Neugierde für die Frage, wie fachlich gekonnt das Fitnessangebot unterbreitet wird.
Das tägliche Programm, das ich meist über einen Zeitraum von 10 Tagen während meiner Begegnung mit der „Euganäischen Wellness“ absolviere, kann sich meines Erachtens durchaus sehen lassen:
7.00-8.00 Uhr Fango,
8.00-9.00 Uhr Frühstück,
9.00-9.30 Uhr Massage,
9.30 -9.45 Uhr Inhalation,
11.00-11.30 Uhr Gymnastik,
11.30-12.00 Uhr Wassergymnastik,
12.30-,13.30 Uhr Lunch,
13.40-14.15 Uhr Mittagsschlaf,
14.30-17.30 Uhr Radtour,
18.00-19.00 Uhr baden und schwimmen im Thermalbecken und im Freibad,
19.30-21.00 Uhr Abendessen. Spätestens gegen
21.30 Uhr schlafe ich beim Lesen mit einem Buch in der Hand ein, und meine Suche nach Wohlbefinden hat seinen Höhepunkt erreicht.
Kehre ich nach unserem Besuch bei der „Euganäischen Wellness“ wieder nach Hause zurück, so habe ich ein gutes Gefühl der Erholung, der Regenerierung von Kräften und ein angenehmes Wohlbefinden, das allerdings immer bereits nach wenigen Wochen wieder verschwindet. Dann bin ich bereits auf der Suche nach einem neuen Termin, um die Stabilisierung meines Wohlbefindens an dem für mich magischen Ort in den Euganäischen Hügeln fortzusetzen.
Am Ende dieser Laudatio auf die „Euganäische Wellness“ muss ich um der Aufrichtigkeit Willen einen kleinen „Wermutstropfen“ erwähnen, den ich bislang bei jedem meiner Aufenthalte zu akzeptieren hatte. Ein Ziel während meiner Aufenthalte war immer wieder mittels der vielen körperlichen Aktivitäten auch abzunehmen. Doch bis heute ist mir eine Gewichtsreduktion bei keinem einzigen Aufenthalt gelungen. Angesichts der exzellenten italienischen Küche, angesichts der täglich variierenden Pastagerichte, der geliebten Tiramisu-Nachspeise oder einem Zitroneneis, angereichert mit einer Vitamingabe, die in Wirklichkeit den Namen „Limoncecello“ besitzt, und angesichts der hervorragenden Euganäischen Weine, die bei dieser „Kultur des Schlemmens“ unverzichtbar sind, muss dieser „Wermutstropfen“ wohl leichten Herzens akzeptiert werden.