Brauchen wir ein „Gesetz zur Regelung der Förderung des Spitzensports und zur Errichtung der Sportagentur“?

Helmut Digel

Vorbemerkungen

Am 6. März 2024 ist in „sport-nachgedacht.de“ ein Essay zum Thema „Braucht Deutschland ein Sportfördergesetz“? erschienen. Dabei wurden vor allem die Mängel aufgezeigt, die ein erster Entwurf zu einem solchen Gesetz aufgewiesen hat, der von Mitarbeitern des BMI zu verantworten war. Die öffentlich geäußerte Kritik an diesem Entwurf hat zu einer Überarbeitung geführt. Der nun vorliegende Referentenentwurf ist jedoch kaum weniger fragwürdig und wirft erneut die Frage auf, warum solch ein Gesetz überhaupt erforderlich ist.

Die Antwort auf die Frage, die in der Überschrift gestellt wird, kann heute kaum eindeutiger sein: Nein, wir brauchen ein solches Gesetz ganz gewiss nicht. Es muss vielmehr mit aller Kraft verhindert werden.

Die folgenden Ausführungen sollen zeigen, warum dies dringend notwendig ist. Meines Erachtens ist der Referentenentwurf zu einem Sportgesetz unter handwerklichen Gesichtspunkten miserabel und unter inhaltlichen Aspekten in weiten Teilen nicht zu akzeptieren. Dieses Urteil soll über mehrere Beispiele näher erläutert werden:

  1. Der Entwurf zu einem Gesetz weist einige sprachliche und inhaltliche Mängel auf: „Gesetz zur Regelung der Förderung des Spitzensports und zur Errichtung der Sport Agentur“ – müsste es nicht besser heißen, einer Sportagentur?
  2. Der nachfolgende Satz ist nicht weniger fragwürdig: „So wird ein gesamtheitliches und transparentes System für die zukünftige Förderung des Spitzensports in Deutschland geschaffen“.
    Was ist ein gesamtheitliches System? War das vorherige System nicht gesamtheitlich und intransparent?
  3. Mehrfach wird betont, dass die Förderung potenzial- und erfolgsorientiert ausgerichtet sein soll.
    War die vergangene jahrzehntelang erfolgte Förderung nicht ebenfalls potenzial- und erfolgsorientiert.
  4. Es wird Bezug genommen zum „Reformkonzept zur Neustrukturierung des Leistungssports und der Spitzensportförderung in Deutschland“ aus dem Jahr 2016, das nach Auffassung der Verantwortlichen für das neue Gesetz keine tiefgreifenden Weiterentwicklungen ermöglicht hat.
    Wenn die Annahme richtig ist, muss gefragt werden, warum dies der Fall war und wer dafür verantwortlich ist?
  5. Unter der Überschrift „A. Problem und Ziel“ wird die folgende Behauptung aufgestellt: „Sportliche Erfolge, deutscher Spitzenathletinnen und Spitzenathleten stärken den Wirtschaftsstandort Sportdeutschland ebenso wie die Qualitätsfaktoren, Integrität, Werteorientierung, Diversität und Geschlechtergerechtigkeit sowie die soziale und ökologische Nachhaltigkeit des Spitzensports. Zugleich tragen die Erfolge und weitere Qualitätsmerkmale zur positiven Repräsentanz in der Welt bei und dienen nachfolgenden Generationen von Athletinnen und Athleten als Vorbild.“
    Können diese Behauptungen mit tragfähigen wissenschaftlichen Studien belegt werden? Mir sind valide Studien zu den gemachten Aussagen bis heute nicht bekannt. Was soll mit dem Begriff „Wirtschaftsstandort Sportdeutschland“ zum Ausdruck gebracht werden?
  6. Unter der Überschrift „B. Lösung“ wird ferner folgende Aussage gemacht: „Die Sportagentur soll die Förderung und sportfachliche Steuerung in den Kernbereichen des Spitzensports unabhängig und aus einer Hand gewährleisten.“
    War die bisherige Förderung und sportfachliche Steuerung durch den DOSB nicht ebenfalls unabhängig und aus einer Hand gesteuert?
  7. Unter der Überschrift „C. Alternativen“ wird folgendes ausgeführt: „Die durchgeführte Wirtschaftlichkeitsuntersuchung ergab, dass die Ziele der Spitzensportreform wesentlich wirtschaftlicher mit der Ausgliederung in eine unabhängige Mittelvergabeinstanz (Sportagentur) umgesetzt werden können.
    Muss hier nicht wenigstens ein Kostenvergleich ausgewiesen werden, indem die Kosten der ehemaligen Sportabteilung des DOSB mit den Kosten der neuen Sportagentur verglichen werden?
  8. Unter der Überschrift „D. Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand“ werden unter anderem die folgenden Ausführungen gemacht: „Im finalen Regelbetrieb der Sportagentur ergibt sich im Ergebnis ein zusätzlicher Personalbedarf (Differenz aus Bedarfen und Einsparungen) von 42 Stellen, wovon rund fünf Stellen auf den mittleren Dienst, zehn Stellen auf den gehobenen Dienst und 27 Stellen auf den höheren Dienst entfallen“.
    Diese meines Erachtens besonders wichtige Passage in dem Gesetzentwurf legt gleich eine ganze Reihe von Fragen nahe: Wo kommen die eingesparten Stellen her? Aus dem Ministerium oder aus dem derzeitigen Stellenplan des DOSB? Wenn es die Stellen aus dem „Bereich Leistungssport“ des DOSB sind, stellen sich die Fragen: Welche Aufgaben hat zukünftig der DOSB in Fragen des Hochleistungssports in Deutschland noch zu leisten? Welche Verantwortung kann er für diesen Bereich überhaupt noch wahrnehmen? Derzeit arbeiten innerhalb des Geschäftsbereiches Leistungssport im DOSB 43 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sollen diese von der Agentur übernommen werden oder gibt es für Sie einen Sozialplan? Wenn sie übernommen werden, so stellt sich die Frage, wodurch sich die Sportagentur vom ehemaligen „Geschäftsbereich Leistungssport des DOSB“ unterscheidet?
    Wenn es Stellen aus dem Bereich des BMI sind, so kann dies meines Erachtens nur begrüßt werden. Doch auch hier müsste genauer ausgeführt werden, welche Stellen gemeint sind, und ob es Stellen des gehobenen Dienstes oder des höheren Dienstes sind?
    Wenn die Sportagentur 42 Planstellen aufzuweisen hat und davon 27 Stellen auf den höheren Dienst sich beziehen, so muss gefragt werden, was dies für die Einstellungskriterien des zukünftigen Personals der geplanten Sportagentur bedeutet? Müssen in der zukünftigen Sportagentur 27 Personen über einen Universitätsabschluss verfügen? Wenn ja, mit welchen Qualifikationen?
  9. Ähnlich wie in der Präambel wird in dem Gesetzestext selbst im §1 zur „Gesellschaftlichen Bedeutung des Spitzensports“ ausgeführt: Spitzenathletinnen und Spitzenathleten motivieren Menschen aller Altersklassen und Herkunft, sowie mit und ohne Einschränkungen, ihnen nachzueifern und sich ehrenamtlich zu engagieren. Sie tragen dazu bei, dass der Sport seine soziale und integrative Kraft sowohl in Vereinen als auch außerhalb, des organisierten Vereinssports entfalten kann“.
    Schon allein unter Evidenzgesichtspunkten ist diese Aussage nicht haltbar. Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es hierzu keine Belege.
    Die in dem Entwurf veröffentlichten Ausführungen zur gesellschaftlichen Bedeutung des Spitzensports legen auch die Frage nahe, warum das BMI in diesem Jahr über das Bundesinstituts für Sportwissenschaft ein Forschungsprojekt zur gesellschaftlichen Bedeutung des Hochleistungssports in Auftrag gegeben hat und das BISP mittlerweile aus einem größeren Bewerberkreis ein Forschungsteam ausgewählt und beauftragt hat, diese Studie in den nächsten zwei Jahren durchzuführen. Dies stellt nicht nur eine fragwürdige Verwendung von Steuermitteln dar, sondern man kann dies auch als einen Affront gegenüber der deutschen Sportwissenschaft interpretieren, deren Arbeit allenfalls noch als ein Alibi für eine bereits getroffene Entscheidung dienen kann.
  10. In § 2 „Ziele der Förderung des Spitzensports“ wird behauptet, dass durch „kontinuierliche Weltspitzenleistungen“, „die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands gestärkt und die gesamtstaatliche Präsentation im In- und Ausland sichergestellt werden“. „Die erfolgreiche Vertretung Deutschlands bemisst sich insbesondere nach Medaillengewinnen und Finalplatzierungen bei Olympischen Spielen und paralympischen Spielen, World Games, Deaflympics, Special Olympics sowie vergleichbaren Wettbewerben wie Weltmeisterschaft (Zielwettkämpfe)“. In einem weiteren Abschnitt unter § 2 wird ausgeführt: „Die Spitzensportförderung des Bundes erfolgt in der Regel potenzial – und erfolgsorientiert bei Erhalt einer möglichst breiten Vielfalt der geförderten Sportarten und Disziplinen“. An einer anderen Stelle des Gesetzestextes wird ausgeführt, dass das Ziel der Förderung die Sicherung eines Platzes unter den besten fünf Sportnationen der Welt bei Olympischen Sommerspiele, bzw. unter den drei besten Sportnationen der Welt bei den Winterspielen sein muss.
    Diese Zielvorgaben sind weder gesellschaftspolitisch sinnvoll noch wünschenswert, sie sind unter Berücksichtigung der empirischen Fakten illusorisch und erinnern an einen früheren Bundesinnenminister, der ein Drittel mehr Medaillen für „sein“ Geld einforderte. Sie sind von einer Hybris und Selbstüberschätzung geprägt, die wohl kaum übertroffen werden kann. Sie verkennen die schon seit längerer Zeit bestehende, internationale Konkurrenzsituation und deren aktuelle Veränderung.
    In Bezug auf die Gesellschaft wird dem Hochleistungssport eine Aufgabe zugewiesen, die er glücklicherweise nicht erfüllen kann. Wäre die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands vom System des Hochleistungssports abhängig, so sollte dieser Staat lieber seinen Konkurs anmelden, als dass er über seinen Bundestag ein Sportfördergesetz verabschiedet.
    In diesem Zusammenhang scheint es mir sinnvoll zu sein, dass man an die Aussage von Helmut Schmidt erinnert, die dieser 1975 anlässlich der 25 Jahrfeier des Deutschen Sportbundes in der Paulskirche machte: „Auf der anderen Seite bin ich sicher, dass sie genauso wissen, wie ich glaube es zu wissen, dass die Zahl von Medaillen nichts aussagt über die Freiheit einer Gesellschaft, dass sie nichts aussagt über die Gerechtigkeit in einer Gesellschaft und übrigens auch nichts über den Wohlstand einer Gesellschaft“. Diese Feststellung ist noch immer aktuell.
  11. In § 2, Abs. 3 und den §§ 3, 4,10 und 11 werden der zukünftigen Sportagentur Aufträge erteilt, die ebenfalls eine ganze Reihe von weiteren Fragen aufwerfen, jedoch nicht beantwortet werden. So sollen unter anderem neben den leistungsbezogenen Zielen auch nachhaltige gesellschaftsbezogene Ziele im Spitzensport berücksichtigt werden wie zum Beispiel „die Verhütung und die Bekämpfung von Extremismus, Rassismus, Antisemitismus, Muslimfeindlichkeit, Antiziganismus und anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Die Agentur soll dafür sorgen, dass die geförderten Athletinnen und Athleten sozial abgesichert sind. Insbesondere soll eine Altersvorsorge für Hochleistungssportler erreicht werden.
    Die Sportagentur ist auch für die sportwissenschaftliche Forschung und Entwicklung zuständig. Sie hat die Forschungsbedarfe zu ermitteln und Forschungsvorhaben auf dem Gebiet des Leistungs- und Spitzensports zu initiieren, zu koordinieren und Forschungsprojekte mit ihren Ergebnissen zu bewerten. Zuwendungsempfänger sind das IAT, das FES, Olympiastützpunkte sowie Hochschulen und Universitäten. Auch die internationalen Sportbeziehungen sollen durch die Agentur gefördert werden. Unklar bleibt, welche organisatorische und personelle Strukturierung ein derartiger Aufgabenkatalog für die zukünftige Sportagentur zur Folge hat, welche unterschiedlichen professionellen Strukturen innerhalb der Agentur diesbezüglich erforderlich sind. In Bezug auf den Aufgabenkatalog zur Sportwissenschaft stellt sich auch die Frage, was dies für das Bundesinstitut für Sportwissenschaft zur Folge hat? Wäre es nicht besser, dass man es dann sofort schließt? Und in Bezug auf die Zuwendungsträger wäre es vermutlich problematisch, wenn man Antragsteller aus der Industrie und aus anderen Wissenschaftlichen Einrichtungen per Gesetz ausschließt, die jedoch für Innovationen in der Sportentwicklung entscheidende Beiträge leisten können.
  12. Der in dem Sportgesetz ausgewiesene Katalog an Aufgaben, die die Sport Agentur erfüllen soll, legt die Frage nahe, welcher räumliche Bedarf für eine derartige Agentur entsteht, wo die Agentur ihren Sitz haben soll und wer die Kosten für den Bau einer derartigen Einrichtung tragen soll. Im vorliegenden Gesetzestext gibt es diesbezüglich keine Ausführungen.
  13. Dem Aufgabenkatalog der neuen Sportagentur ist zu entnehmen, dass diese zukünftig auch über die Qualifikationskriterien für die Teilnahme bei Olympischen Spielen und damit über die deutsche Olympia Mannschaft entscheidet. Demnach würde die „Sportagentur“ gegenüber dem IOC als „Nationales Olympisches Komitee“ (NOK) fungieren. Allein schon durch diese Aufgabe könnte eine staatlich bevormundete Sportagentur in Widerspruch zur Olympischen Charta geraten. Damit könnte Deutschlands Teilnahme an zukünftigen Olympischen Spielen gefährdet werden.
  14. Als Erläuterung zu § 1, Abs. 2 wird ergänzend ausgeführt: „Die Talente werden rekrutiert und leistungssportlich und entwickelt bis sie zu Spitzenathleten heranreifen. Sie bleiben aber weiterhin in den Strukturen des Breitensports verankert und sichtbar“.
    Dem Schreiber dieser Zeilen kann man den Schreibfehler verzeihen. Es handelt sich ja nur um einen „Entwurf“. Inhaltlich machen diese Ausführungen darauf aufmerksam, dass diejenigen, die den Entwurf zu verantworten haben, von den tatsächlichen Verhältnissen im Nachwuchsleistungssport keine Ahnung haben. Notwendige empirische Belege können für ihre „Behauptung“ nicht erbracht werden.
  15. Schon seit längerer Zeit wird der Begriff der „Unabhängigkeit“, wenn es um Belange des Sports in dessen Verhältnis zum Staat geht, wie eine Monstranz vor sich hergetragen, wohl wissend, dass es eine Unabhängigkeit des Sports von staatlichen Strukturen nicht geben kann. In dem vorliegenden Gesetzentwurf wird der Begriff „unabhängig“ geradezu inflationär verwendet.
    Für den Sport ist seine Abhängigkeit zum Staat in ganz prinzipieller Weise konstitutiv für seine Existenz. Sie muss keineswegs beklagt werden. Entscheidend ist vielmehr, wie die abhängige Beziehung geregelt ist und ob der Staat bereit ist, den Organisationen des Sports für ihr Handeln die dafür notwendige Autonomie zu ermöglichen.
  16. Ähnlich fragwürdig wird das Begriffspaar „Ehrenamt/ehrenamtlich“ in den personellen Diskussionen über die Strukturen des Sports verwendet. Dies zeigt sich auch in dem Referentenentwurf, in dem in den Ausführungen zu dem Stiftungsrat der Agentur und zum Sportbeirat jeweils der Hinweis zu finden ist, dass die Mitglieder dieser „Räte“ ehrenamtlich zu arbeiten haben. Dabei sind jedoch für den Stiftungsrat neun Mitglieder durch das BMI und aus dem Bundestag zu entsenden. Für den Sportbeirat kommen sechs Mitglieder vom BMI und drei aus den Bundesländern. Wie diese Mitglieder in diesen Gremien ehrenamtlich mitarbeiten sollen, erscheint mir schleierhaft. Vermutlich wird erwartet, dass sie für die Sitzungen des Stiftungsrats und des Sportbeirats Urlaubstage in Anspruch zu nehmen haben.
    Wichtiger wäre allerdings, dass die Frage gestellt wird, über welche fachliche Kompetenz die Mitglieder aus dem BMI und dem Bundestag verfügen müssen, wenn sie im Sportbeirat das ihnen zugewiesene Amt ausfüllen möchten.
  17. In dem Entwurf wird das System POTAS bestätigt und in den Erläuterungen wird folgendes ausgeführt: „POTAS wurde bisher nur auf die Mittelverteilung bei der Jahresplanung angewandt. Künftig soll es auch bei der Förderentscheidung in Bezug auf das Leistungssportpersonal Anwendung finden“.
    Wäre dies der Fall, so hätte dies fatale Auswirkungen für die Olympischen Fachverbände. Dabei wurde von mehreren Experten die Tauglichkeit von POTAS schon seit einiger Zeit grundlegend in Frage gestellt und eine Beendigung des Systems gefordert.
  18. Die Gründe, die für das Sportgesetz angeblich sprechen, werden im „Allgemeinen Teil“ aufgeführt. Dabei fehlen nahezu für jeden der genannten Gründe empirische Belege. Sie beruhen zumindest teilweise auf Annahmen, die nicht nachvollzogen werden können. So wird beispielsweise behauptet: „Als eine Herausforderung im derzeitigen Fördersystem wurde das Fehlen eines zentralen Ansprechpartners insbesondere für die Bundessportverbände ausgemacht“. Dabei ist seit der Gründung des DSB beziehungsweise des DOSB für jeden olympischen Fachverband klar, dass sein zentraler Ansprechpartner in Fragen des Hochleistungssports die „Abteilung Leistungssport“ in DOSB ist und sein muss. Sollten es Vorstände oder Sportdirektoren in diesen Verbänden geben, die über dieses Wissen nicht verfügen, so müssten Sie fristlos entlassen werden.
    Nun müsste noch eine genauere Analyse des dritten Abschnitts des Sportgesetzes erfolgen, in dem die Sportagentur als Stiftung mit ihren Zuständigkeiten beschrieben wird. Die bisherige öffentliche und massenmediale Diskussion über das neue Sportgesetz war vorwiegend auf vorgenannte Paragraphen des Gesetzes ausgerichtet. Es geht hier vor allem um die Frage, wer zukünftig das „Sagen“ über den deutschen Spitzensport hat, wie die Gremien besetzt sind, die neben oder über der Sportagentur einzurichten sind und welche Machtverhältnisse sie dabei aufweisen. Die Beantwortung einiger dieser Fragen bedarf einer juristischen Kompetenz, über die ich nicht verfüge und über die ich deshalb auch keine Ausführungen machen möchte.
    Die Frage nach der Mehrheit der Sitze in den Gremien und damit die Frage nach der Macht scheint wohl bedeutsam zu sein. Für mich ist diese Frage jedoch eher nachgeordnet. Ist die Agentur einmal eingerichtet und mit den richtigen Personen besetzt, so ist die Aufsicht lediglich eine Formsache. Wird die Arbeit durch die Mitarbeiter und Führungskräfte der Agentur erfolgreich durchgeführt, so wird auch die Verlängerung der Verträge der entscheidenden Vorstandspersonen ebenfalls nur eine Formsache sein. Gibt es Konflikte und machen verantwortliche Personen ihre Arbeit unzureichend oder gar fahrlässig, so müssen sie abberufen und durch neue ersetzt werden. Man könnte sich vielleicht fragen, warum zwei Vorstände vorgesehen sind und nicht nur ein Vorstand und warum dann nicht wenigstens festgelegt wird, dass einer der Vorstände männlich, der andere weiblich sein müsste? Hat man vielleicht darauf verzichtet, weil das Bundesverfassungsgericht mit „divers“ ein drittes Geschlecht festgelegt hat und dieses nicht diskriminiert werden soll?
    Für mich stellen sich jedoch sehr viel grundsätzlichere und ernstere Fragen, die sich auf das Grundgesetz, die Autonomie freiwilliger Vereinigungen, die Unabhängigkeit sportpolitischer Entscheidungen, das Neutralitätsgebot des Sports und in Bezug auf den Subsidiaritätsgrundsatz zum Verhältnis zwischen Staat und freiwilligen Vereinigungen bezieht. Aus meiner Sicht ist das geplante Sportgesetz eine „Kriegserklärung“ an eine autonome Organisation des Sports, die sich seit dem zweiten Weltkrieg auf der Grundlage des Grundgesetzes bewährt hat. Es ist ein miserabler Versuch, das zentrale Sportsystem der ehemaligen DDR auf die Bundesrepublik Deutschland zu übertragen. Es darf und kann nicht Aufgabe unseres demokratischen Staates sein, in die Belange des Sports in einer Weise hinein zu regieren, wie es über dieses Sportgesetz geplant ist. Fast sämtliche Annahmen, die diesem Gesetz zugrunde liegen, sind falsch und empirisch nicht haltbar.
    Wer sich an die Geschichte des DSB und des DOSB erinnert, der kann sich innerhalb des DSB an eine „Abteilung Sport“ unter der Leitung von führungsstarken Persönlichkeiten erinnern, bei der diese Abteilung sämtliche relevante Aufgaben wahrgenommen hat, die nunmehr von einer staatlichen Sportagentur erledigt werden sollen. Auf Seiten des Innenministeriums gab es eine personell sehr kleine Abteilung „Sport“ unter Leitung eines Ministerialbeamten, der sich durch Verlässlichkeit auszeichnete.
    Es gibt keinen einzigen Grund, warum man die zentrale Steuerung des Hochleistungssports durch eine „professionelle Einheit“ innerhalb des DOSB aufzugeben hat. Es gibt aber viele Gründe, warum man sich gegen eine schleichende Verstaatlichung des deutschen Sports entschieden wehren muss.
    Die Kritik der ehrenamtlichen und hauptamtlichen Führung des deutschen Hochleistungssports durch den DOSB ist ohne Zweifel berechtigt. Die im DOSB für den Hochleistungssport verantwortlichen Personen haben in den vergangenen drei Jahrzehnten eine dringend notwendige Modernisierung der Strukturen des deutschen Hochleistungssports verschlafen. Sie haben inhaltlich und personell z.T. auch falsche Entscheidungen getroffen, und bei der Mittelbewirtschaftung wurden gewiss ebenfalls Fehler gemacht. Dies alles ist jedoch kein Grund, den DOSB in seiner Führungsverantwortung für den deutschen Hochleistungssport grundsätzlich infrage zu stellen. Es ist vielmehr ein Grund, dass der DOSB aus sich heraus sowohl eine strukturelle als auch eine personelle Reform einleitet, die den Ansprüchen des Hochleistungssports von heute gerecht wird. Ein erster Schritt hierzu müsste sein, dass über demokratische Wahlen eine völlig neue DOSB-Führung gewählt wird.
    Dabei könnte es durchaus eine Möglichkeit sein, das frühere NOK als unabhängige sportpolitische Institution „wiederzubeleben“ und es aus dem DOSB auszugliedern. Es müsste mit zeitgemäßen und den aktuellen Erfordernissen angepassten Aufgaben betraut werden. Hierzu müsste der „Geschäftsbereich Leistungssport“ aus dem DOSB ausgegliedert werden und zum Zentrum des neu gegründeten NOKs werden. Damit wäre das Thema „Olympische Spiele“ und „Olympismus“ auch im Hinblick auf eine Bewerbung um Olympische Spiele in einer Hand und könnte auch sehr viel sichtbarer gemacht werden, als dies in den vergangenen Jahren der Fall gewesen ist.

Letzte Bearbeitung: 27.9.2024