Jugend und Sport – Rückblick, Einblick und Ausblick

Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Wolf-Dietrich Brettschneider

1 Einleitung

 Vor allem der Sport der Jugendlichen besticht durch seine Vielfalt. Diese bunte  jugendliche Sportkultur in ihrer Entwicklung während der letzten drei Jahrzehnte darzustellen, ist das Ziel des vorliegenden Beitrags.  Dabei sollen zunächst die zentralen Ergebnisse der deutschsprachigen Jugendsportforschung zu den drei Säulen des Jugendsports – dem vereinsorganisierten Sport in seiner breiten- und leistungssportlichen Ausprägung, dem informell betriebenen Sport und dem kommerziellen Sportangebot – vorgestellt werden, bevor Überlegungen zur möglichen zukünftigen Entwicklungsrichtung des Jugendsports den Beitrag abschließen.

Als Grundlage der Analyse dienen zum einen die Befunde der großen Surveys und ausgesuchter, querschnittlich angelegter  quantitativ und qualitativ verfahrender Einzeluntersuchungen und zum anderen Längsschnittstudien, die die gleiche Stichprobe über einen längeren Zeitraum begleiten und Aussagen über die Wirkung des Sporttreibens auf die Persönlichkeitsentwicklung der Heranwachsenden zulassen. Die Auswahl der Studien erfolgt anhand der gängigen Recherchesysteme, unterliegt aber der subjektiven Entscheidung des Autors. Untersuchungen zum Jugendsport unter den Aspekten non-formaler Bildung und Gesundheit wie auch Interventionsstudien bleiben in der Analyse unberücksichtigt.

2 Sportengagements in unterschiedlichen Settings

Als für Jugendliche beiderlei Geschlechts gleichermaßen attraktives Muster des Sporttreibens erweist sich seit den 1980er Jahren das „multiple Sportengagement“, wie das vielfältige Sportengagement in unterschiedlichen Settings mit unterschiedlichen Orientierungen später genannt wurde. Der Begriff verbindet höchst unterschiedliche Formen sportlicher Aktivität von den traditionellen Sportarten bis zu dem in Szenen stattfindenden informellen Sport- und Bewegungsformen, ohne dass diese als einander ausschließend oder miteinander konkurrierend wahrgenommen werden, sondern vielmehr als sich gegenseitig beeinflussend und ergänzend. wahrzunehmen. Im Interesse analytischer Klarheit werden im Folgenden der vereinsgebundene Sport in seiner breitensportlichen wie auch leistungssportlichen Ausprägung, das selbstorganisierte informelle Sporttreiben und das kommerzielle Sportangebot nacheinander vorgestellt.

2.1 Vereinsorganisierter Sport im Alltag der Jugendlichen

In den Hitlisten beliebter Freizeitaktivitäten nimmt das Sporttreiben im Verein ausnahmslos einen Spitzenplatz ein. Keine andere Jugendorganisation erreicht solche Partizipationsraten: Etwa die Hälfte der männlichen und ein gutes Drittel der weiblichen Jugendlichen gibt an, aktives Mitglied im Sportverein zu sein und dort – überlagert vom Hauptmotiv Spaß – vor allem Leistungserfahrung, soziales Miteinander sowie Gesundheit und Wohlbefinden zu suchen. Assoziiert wird das vereinsgebundene Sportengagement sehr häufig mit einer Vielzahl körperlicher, sozialer, emotionaler und kognitiver Vorzüge, wobei sich in der allgemeinen und sportpolitischen Öffentlichkeit die Verbindungen von Sportengagement und Selbstwertgefühl, sozialer Kompetenz, Sucht- und Gewaltprävention sowie Integration in die Gesellschaft besonderer Popularität erfreuen und den Rahmen für die Konzipierung und Implementierung von Sportprogrammen für die junge Generation bilden.
(Ein ausführlicher Beitrag des Autors zum Jugendsport im Verein erscheint in Kürze unter dem Titel „Der vereinsgebundene Jugendsport  im Fokus sportbezogener Jugendforschung – ein Überblick über drei Jahrzehnte“ in der in Kürze erscheinenden neuen Zeitschrift  Forum Kinder- und Jugendsport – Zeitschrift für Forschung, Transfer und Praxisdialog 1 (2020) 1, i.D.)

2.1.1 Surveys zum Jugendsport im Verein

Den Sport im Alltag der Jugendlichen zu untersuchen und den vermuteten Zusammenhängen zwischen Sportengagement und individueller Entwicklung nachzugehen, ist das erklärte Anliegen der sportbezogenen Jugendstudien.  In den 1980er und 1990er Jahren sind es vor allem die Paderborner, die Bielefelder und die Potsdamer Arbeitsgruppe, die durch umfangreiche Surveys und Zusatzuntersuchungen das Sportengagement der Heranwachsenden detailliert unter die Lupe genommen haben. Inspiriert durch die Shell Jugendstudien von 1982 und 1985 zielt die für NRW repräsentative Studie von Brettschneider & Bräutigam mit Hilfe von Fragebogenerhebung, qualitativen Interviews und teilnehmender Beobachtung auf die Erfassung des vereinsgebundenen und selbstorganisierten Sportengagements von Jugendlichen  und dessen Bedeutung im Kontext ihrer Lebenswelten. Sowohl im quantitativen wie auch im qualitativen Teil der Studie zeigt sich, dass nicht nur Gestaltung und Wahrnehmung der sportlichen Aktivitäten, sondern auch die Motivkonfigurationen an die sozialen Settings gebunden sind, in denen Sport jeweils stattfindet. Was junge Menschen unter Sport verstehen, ist in hohem Maße kontext- und situationsabhängig, variiert interindividuell und unterliegt im individuellen und auch zeithistorischen Entwicklungsverlauf erheblichen Veränderungen,  wie Vergleiche mit früheren Untersuchungen belegen. Zugleich kann aufgezeigt werden, dass und in welcher Ausprägung Selbstwertgefühl, Körperkonzept und Gesundheitsbewusstsein ihre Konturen nicht nur durch soziobiographische Variablen, sondern auch in Abhängigkeit vom sportlichen Engagement annehmen. Die Ähnlichkeit der quantitativ ermittelten Lebensstil-Typologie mit der aus qualitativen Interviews identifizierten Sportlertypen weist in die gleiche Interpretationsrichtung. Weitere Untersuchungen auf der Grundlage eigener Erhebungsdaten, Emnid-Datensätzen sowie interkulturell vergleichende Studien bestätigen den Zusammenhang von Sportengagement und jugendlicher Entwicklung.

Hatte die Paderborner Arbeitsgruppe den facettenreichen Sport im Alltag der Jugendlichen in unterschiedlichen Settings untersucht, steht im Fokus der Bielefelder Gruppe der vereinsgebundene Jugendsport. Seine Rolle in der Freizeit der Jugendlichen wird ebenso detailliert ausgeleuchtet wie die des Übungsleiters für ihre Entwicklung.  Analysiert werden die Bedingungen für eine stabile und längerfristige Vereinskarriere ebenso wie die Gründe, die Heranwachsende veranlassen, dem Verein für eine gewisse Zeit den Rücken zu kehren oder ihm prinzipiell fern zu bleiben Die NRW und später Brandenburg erhobenen werden in weiteren Untersuchungen unter unterschiedlichen bzw. differenzierenden Fragestellungen ergänzend analysiert. So wird der vereinsorganisierte Sport unter dem Aspekt der Sozialisation wie auch in geschlechtsspezifischer Perspektive unter die Lupe genommen; Zusammenhänge zwischen Sporttreiben im Verein und verschiedenen Dimensionen der Persönlichkeitsentwicklung werden mit Blick auf die Identitätsbildung , sozialen Rückhalt, Stress  und Gesundheitanalysiert. Wie schon in den Paderborner Untersuchungen zuvor zeigen auch hier die ermittelten Korrelationen ein stärker ausgeprägtes Selbstwertgefühl, eine erhöhte Stressresistenz und eine großen Rückhalt bietende soziale Kohäsion auf Seiten der sportlich aktiven Jugendlichen.

Methodisch und in weiten Teilen auch inhaltlich ähnlich ausgerichtet wie die zuvor berichteten Studien, aber auf die ostdeutsche Vereinslandschaft fokussiert sind die Untersuchungen der Potsdamer Gruppe. Während sich die positiven Zusammenhänge zwischen Sportengagement und den verschiedenen Dimensionen jugendlicher Persönlichkeit in ihren Hauptergebnissen wie auch die Befunde zur Bedeutsamkeit des Sports als Lebenswelt und Lebensstil prägendes Element als nahezu übereinstimmend darstellen, spiegeln sich in den Befunden zeigenden Geschlechter- oder Stadt-Land-Differenzen die unterschiedlichen Sozialisationsbedingungen wider, unter denen das Aufwachsen mit Sport in Ost- und Westdeutschland jeweils  stattgefunden hat.

Ist schon der hohe Übereinstimmungsgrad der Hauptergebnisse der analysierten Surveys bemerkenswert, so müssen die Befunde der 20 Jahre später durchgeführten und ebenfalls quantitativ und querschnittlich angelegten MediKuS-Studie im Vergleich zu den vorliegenden Ergebnissen als geradezu erstaunlich eingestuft werden. Neben der der der zeithistorischen Entwicklung geschuldeten Bedeutung des Internets und der sozialen Medien zu Informations- und Unterhaltungszwecken wird – vor allem der vereinsgebundene –  Sport als tragende Säule im Spektrum der jugendlichen Freizeitpräferenzen herausgestellt.  Vergleiche der Befunde etwa zum Sportverständnis, zur Verbreitung, zum Aktivitätsgrad und zur Bedeutung des sportlichen Engagements oder zu den positiven Korrelationen zwischen Sportengagement und Persönlichkeitsvariablen zeigen einen hohen Übereinstimmungsgrad zwischen den zeitlich mehr als zwei Jahrzehnte auseinanderliegenden Studien zum Jugendsport.

2.1.2 Längsschnittstudien zur Wirksamkeit des jugendlichen Sportengagements im Verein

Wenn der Sport im Verein für etwa zwei Drittel der heranwachsenden Kinder und nahezu die Hälfte der Jugendlichen attraktiver Wegbegleiter in einer entscheidenden Phase ihrer Entwicklung ist und zudem positive Korrelationen zwischen Sportengagement und Aspekten jugendlicher Persönlichkeitsentwicklung festgestellt werden, kann es nicht sonderlich verwundern, dass der vereinsgebundene Jugendsport in der Öffentlichkeit gern als Motor jugendlicher Entwicklung gesehen wird. Sporttreiben gilt als wirkmächtiges Instrument, das in der Lage ist, – quasi automatisch –  Begabungen zu fördern, Persönlichkeit und Gesundheit zu stärken, soziale Netzwerke zu knüpfen und soziale Integration zu bewirken. Darüber hinaus wird Sport als Prävention und Schutzimpfung gegen Gewalt, deviantes Verhalten sowie Sucht und Drogen angepriesen.

Zur empirischen Bestätigung solcher Wirkungshoffnungen und Transfererwartungen bedarf es prospektiver Längsschnittstudien, die ihre Probanden über einen längeren Zeitraum begleiten und auf diese Weise Auskunft über Entwicklungsprozesse geben können wie auch kausale Zusammenhänge aufzudecken, also zwischen Ursache und Wirkung zu unterscheiden vermögen.

Über solche Studien und ihre Ergebnisse wird im Folgenden auszugsweise berichtet. Beispielhaft werden in der Folge ausgewählte Befunde zum Gesundheitsstatus sowie zu den verfügbaren Ressourcen zur Bewältigung von Entwicklungsaufgaben in Abhängigkeit vom Sportengagement dargestellt. Zunächst geht es um die

Rolle der Sportvereine für die Entwicklung physischer Gesundheit am Beispiel von Übergewicht und Adipositas, einem Krankheitsbild, das bei immer mehr Kindern zum Problem wird, – nicht zuletzt wegen der damit verbundenen Folgeerkrankungen. Legt man den Body Mass Index (BMI) und die entsprechenden Normtabellen als Beurteilungsparameter zugrunde, zeigt die Untersuchung von Gerlach & Brettschneider  ein zunächst erwartungsgemäßes Bild. Sportliche Talente sind und bleiben im Verlauf des beobachteten Zeitraums im Normbereich. Auch für breitensportlich engagierte Jungen und Mädchen ist Übergewicht während des Aufwachsens mehrheitlich kein Problem. Dagegen weisen Heranwachsende, die im dritten Schuljahr untersucht und aus Gewichtsgründen als des Kompensationssports bedürftig eingestuft wurden, auch in der 8. Klasse ein erhebliches Übergewichtsproblem auf. Unterschiedliche Ausgangswerte sowie die Parallelität der Entwicklungsverläufe der Heranwachsenden, die im Untersuchungszeitraum durchgängig Mitglied im Sportverein waren, belegen eindeutig, dass dem Sportverein kaum Wirkung auf die Entwicklung des BMI zugeschrieben werden kann.

Ähnlich ergebnisarm verläuft die Untersuchung der Wirkung vereinsgebundenen Sportengagements auf Aspekte psychischer Gesundheit: Eine Analyse der psychosomatischen Beschwerdebilder wie etwa Kopfschmerzen und Schlaflosigkeit einerseits und Lebensfreude anderseits zeigt, dass sportlich aktive Jugendliche stressresistenter als ihre Altersgenossen sind. Die zu Beginn ihrer Sportvereinskarrierefestgestellte Differenz bleibt im gesamten Entwicklungsverlauf stabil. Es kann also gefolgert werden, dass der vereinsgebundene Sport zwar einen idealen Raum für ein unbeschwertes Aufwachsen darstellt; als Mittel, um psychische Gesundheit nachhaltig zu fördern, kann er dagegen nicht interpretiert werden.

Eine gesunde Entwicklung im Jugendalter kann durch Risikofaktoren wie etwa Rauchen oder Trinken in negativer Weise beeinträchtigt werden. Die Bewertung der Rolle des Jugendsports im Verein fällt mit Blick auf den Substanzmittelkonsum ambivalent aus. Zunächst zum Nikotinkonsum: Junge Sportler und Sportlerinnen rauchen eindeutig weniger als ihre vereinslosen Counterparts. Je intensiver Sport getrieben wird, desto weniger wird geraucht. Nach dem Austritt aus dem Sportverein steigt der Zigarettenkonsum an; umgekehrt veranlasst der Eintritt in den Sportverein zum Abschied vom Glimmstengel. Der Sportverein erweist sich für die Heranwachsenden in diesem Punkt als wirksame Schutzzone.

In die entgegengesetzte Richtung weisen dagegen die ermittelten Daten zum Alkoholkonsum. Offensichtlich ist er auch schon im Jugendbereich Bestandteil der Vereinskultur. Zum einen trinken Sportler mehr als Vereinsabstinente. Zum anderen lässt sich durch die längsschnittlich erfassten Daten belegen, dass die Konsumrate nach dem Eintritt in den Sportverein ansteigt, während sie nach dem Verlassen des Vereins wieder sinkt. Ob man daraus nun den (übertriebenen) Schluss zieht, dass der Sportverein ein Feuchtbiotop mit erheblichem Gefährdungspotenzial ist oder aber (verharmlosend) den Sportverein als Ort für das Erwachsenwerden notwendige Initiationsriten einstuft, hängt von der auch in der Entwicklungspsychologie unterschiedlichen Bewertung des Alkoholkonsums und seines Stellenwerts im jugendlichen Entwicklungsprozess ab.

Der Prozess des Aufwachsens ist begleitet chronischen Belastungen. Deshalb ist es für Heranwachsende hilfreich, auf personale und soziale Ressourcen zurückgreifen zu können, die dazu beitragen, die im Entwicklungsverlauf auftretenden Belastungen und Risiken zu mindern. Die wohl wirksamsten personalen Ressourcen im Verlauf der jugendlichen Entwicklung sind Selbstwertgefühl und Selbstkonzept. Sie bestimmen das Verhalten der Betroffenen maßgeblich mit. Die Analyse zeigt sportlich aktive junge Menschen selbstbewusster als ihre sportdistanzierten Counterparts, wobei die Unterschiede zwischen beiden Gruppen im gesamten Entwicklungsprozess – bei geringen Effekten – weitgehend bestehen bleiben, also durch ihr Sportengagement kaum verändert werden.

Als wichtige soziale Ressource im gesamten Entwicklungsverlauf hat die Sportgruppe zu gelten. Ihr Potenzial zeigt sich – unabhängig vom Grad der Vereinszugehörigkeitsintensität – auf drei miteinander zusammenhängenden Ebenen: Für sportliche Talente wie für Sportmuffel, für Vereinstreue wie auch für bindungsarme Sporthopper erweist sich die Sportgruppe als hilfreich für die gruppenbezogene soziale Integration. Und auch hinsichtlich sozialer Anerkennung profitieren die Heranwachsenden von der Zugehörigkeit zur Sportgruppe, am stärksten diejenigen, die trotz begrenzter motorischer Begabung dauerhaft im Verein bleiben. Der wichtigste Effekt der Sportgruppe ist aber auf der Ebene sozialer Unterstützung zu finden. Während bei besonderen Ereignissen wie etwa beim Schulwechsel Lehrer, Klassenkameraden und selbst Eltern ihre ansonsten im Alltag spürbare Wirksamkeit als soziale Ressourcen einbüßen, gelingt es der Sportgruppe, individuelle Belastungen zu mindern und Stress weitgehend abzupuffern.

Der Sportverein bietet also durchaus Chancen für die Unterstützung eines positiven Entwicklungsverlaufs im Zeitraum zwischen Kindheit und Adoleszenz. Ein systematischer kausaler Zusammenhang zwischen Sportvereinszugehörigkeit und positiver Entwicklung ist allerdings nur selten festzumachen. Evidenzbasierte Wirkungsnachweise des Sportengagements auf Entwicklungsaspekte sind begrenzt. Es scheint so zu sein, dass es zunächst Selektionseffekte sind, die den Prozess des Aufwachsens in eine bestimmte Richtung prägen und damit die Basis legen, auf der der Sportverein dann sozialisierend auf die Persönlichkeitsentwicklung einwirken kann. In diesem Befund sind sich die umfassenden Längsschnittstudien einig.

Im Anschluss an die bisher vorgestellten Studien, die gezielt auf den Sport im Alltag der Jugendlichen und auf die Gesamtpopulation der Jugendlichen in Deutschland oder in bestimmten Bundesländern abhoben, sollen abschließend zwei Untersuchungen vorgestellt werden, die einen methodisch und auch inhaltlich anderen, innovativen Weg gehen. Bei Mutz handelt es sich um eine Sekundäranalyse des Datensatzes der nationalen Ergänzungserhebung zur PISA-Studie, die repräsentativ für alle 15jährigen in Deutschland ist und die Gruppe der Migranten in den Mittelpunkt stellt. Hohe Fallzahlen und die Kontrolle wichtiger Drittvariablen ermöglichen den Nachweis „robuster Korrelationen“ zwischen Sportengagement und Sozialisationsindikatoren, die von dem Autor auf Plausibilitätsebene vorsichtig als „Effekte“ interpretiert werden. In der mit hohem statistischen Aufwand betriebenen Untersuchung kann eindeutig aufgezeigt werden, dass sich die schulischen Sportarbeitsgemeinschaften als inklusiv erweisen, während den Migranten der Eintritt in den Sportverein ausgesprochen schwerfällt. Die Daten lassen zudem für die im Sportverein aktiven Jugendlichen mit Migrationshintergrund Vorteile im Prozess der Integration in die Gesellschaft ebenso wenig erkennen wie einen positiven Zusammenhang zwischen sportlicher Aktivität im Verein und der Persönlichkeitsentwicklung der jungen Migranten. Der Sportverein kann die Rolle des „Entwicklungs- und Integrationsmotors“ nicht übernehmen.

Eine vom bisherigen quantitativen Design abweichende und originelle Zugangsweise wählt Bindel für seine ebenfalls längsschnittlich angelegte und nach Wirkungen des sportlichen Engagements suchende nicht-repräsentative Studie. Im Mittelpunkt seiner Untersuchung, die sich der ethnographischen Methode und qualitativer Interviews bedient, stehen sportliche „Multiplayer“, die zu einem hohen Grad dem vereinsorganisierten Sport verbunden sind. Gestützt auf die Leitbegriffe Bedeutung und Bedeutsamkeit wird aufgezeigt, in welchem Maße vor allem subjektiv bedeutsame vereinsorganisierte Sportaktivitäten Jugendlichen eine wirksame Orientierungshilfe für die Entwicklung der eigenen Identität und Ordnung für die Lebensführung bieten können.

Zusätzlich zum jeweiligen inhaltlichen Erkenntnisgewinn lassen beide Studien erahnen, in welchem Maße (bisher nicht realisierte) gezielte Kombinationen von repräsentativen quantitativ ausgerichteten Studien, Sekundäranalysen thematisch relevanter Datensätze und Untersuchungen im qualitativen Längsschnitt, deren Stichprobenzusammensetzung durch theoretical sampling erfolgt, den Erkenntnisstand zur Wirksamkeit sportiver Praxen auf die jugendliche Persönlichkeitsentwicklung bereichern könnte.

Bilanziert man die Ergebnisse der bisher vorgestellten quantitativ ausgerichteten Quer- und Längsschnittuntersuchungen zum vereinsgebundenen Jugendsport, so ergeben sich von den 1990er Jahren bis heute hinsichtlich der Verbreitung und subjektiven Bedeutsamkeit des vereinsorganisierten Sporttreibens der Jugendlichen kaum nennenswerte Unterschiede. Das Spektrum der sportlichen Aktivitäten hat sich erweitert, das ihnen zugrundeliegende Motivbündel erweist sich als relativ stabil – bei leichten Veränderungen in der Prioritätenliste der Orientierungen. Ebenfalls unverändert ist die große Bedeutung der soziodemographischen Merkmale Alter, Geschlecht, Bildung, Elternhaus und Migrationshintergrund als Prädiktoren des jugendlichen Sportengagements geblieben.

Antworten auf Fragen nach der Wirksamkeit sportlichen Engagements auf die jugendliche Persönlichkeitsentwicklung werden erst durch Befunde von Längsschnittuntersuchungen über einen längeren Zeitraum ermöglicht. Die (wenigen) vorliegenden Wirkungsstudien zeigen für junge aktive Sportler und Sportlerinnen im Vergleich zu ihren nicht-sportlichen Altersgleichen kaum durch Sportengagement erklärbare Entwicklungsvorteile. Mit den repräsentativen und längsschnittlich angelegten Wirkungsstudien und ihren evidenzbasierten Befunden ist ohne Zweifel ein beträchtlicher qualitativer Sprung für die Wahrnehmung der jugendlichen Sportkultur erreicht worden.

2.1.3 Jugendlicher Leistungssport als Sonderfall vereinsorganisierten Sporttreibens

Einen Sonderfall des vereinsorganisierten Sporttreibens stellt der Nachwuchsleistungssport dar. Wie die Überblicksbeiträge von Heim & Richartz und Güllich & Richartz zeigen, haben alle relevanten Studien zum leistungssportlichen Engagement von Jugendlichen die duale Karriere und die daraus resultierende Doppelbelastung durch Schule und Training zum Thema. Besondere Beachtung finden die gesundheitlichen Risiken, die mit den hohen Anforderungen des sportlichen Leistungstrainings verbunden sind: Verletzungen und Schmerzen, die nicht selten bagatellisiert werden, Schlaf- und Essstörungen sowie psychosomatische Beschwerden, die in Folge auch zum Konsum von Drogen und Nahrungsergänzungsmitteln, vor allem aber zu Medikamentenmissbrauch führen können. Des Weiteren gilt chronischer Stress als Risiko. Während sich signifikante Zusammenhänge zwischen Trainingsanforderungen und Stress nicht zeigen, lässt sich eine – wenn auch schwach ausgeprägte – Korrelation zwischen wachsenden schulischen Anforderungen und Stress nachweisen.

Die Leistungssportkarriere stellt ein Risiko nicht nur für die Gesundheit der Heranwachsenden dar, sondern auch und mehr noch für die von ihnen angestrebte Bildungslaufbahn. Anhand der verfolgten Zielrichtung und des Grades der Normativität der zugrundeliegenden pädagogischen Orientierung lassen sich die Studien zur Doppelbelastung von Nachwuchsathleten in drei Gruppen einteilen: Die erste Gruppe wertet das leistungssportliche Engagement von jugendlichen Leistungssportlern und -innen als riskante Chance und sucht im Interesse von Bildungsabschluss und sportlichem Erfolg nach Verbesserungsmöglichkeiten der organisatorischen Rahmenbedingungen wie auch nach individuell ausgerichteten Unterstützungs- und Fördermaßnahmen. Die – stärker durch Schule als durch Training – evozierte Doppelbelastung scheint mit Hilfe verfügbarer personaler und soziale Ressourcen bewältigbar, wobei sich neben dem Selbstkonzept in seinen verschiedenen Facetten vor allem Eltern, Freunde und auch Lehrer als besonders effektive Unterstützungsquellen erweisen.

In der zweiten Gruppe werden die Untersuchungsergebnisse explizit mit normativen Forderungen verbunden. Die in dezidiert pädagogischer Perspektive erstellten Studien von Prohl & Elflein und Stiller basieren auf empirischen Daten, die den Ausgangspunkt für Forderungen nach einer tiefgreifenden, vor allem inhaltlichen Reform des Schulkonzepts bilden. Gestützt auf querschnittlich ermittelte Ergebnisse von Interviews mit Schülern und Schülerinnen einer sportbetonten Schule kritisieren die Autoren die weitgehend auf organisatorischer Ebene ergriffenen Maßnahmen zur Förderung und Unterstützung der leistungssporttreibenden Schülerschaft als einseitig. An Stelle einer Orientierung an der Leitidee Effizienzsteigerung und an der Zielgröße sportlicher Erfolg fordern sie mehr Aufmerksamkeit für den Bildungsgedanken und eine selbstbestimmte Lebensführung des leistungssportlichen Nachwuchses. Von Stiller wird dieser Gedanke auf der Basis bildungstheoretischer Überlegungen sowie längsschnittlicher Interviewdaten weiterentwickelt. In Verbindung mit theoretisch hergeleiteten Leitbegriffen bilden die gewonnenen Befunde die argumentative Basis für die normative Forderung nach einer dem humanistischen Bildungsideal verpflichteten Persönlichkeitsentwicklung als Bindeglied zwischen schulischen und sportlichen Zielen.

Waren die bisher dargestellten Studien implizit oder explizit in pädagogischer Perspektive erstellt, so spielt diese in den Untersuchungen der dritten Gruppe eine eher untergeordnete bzw. gar keine Rolle. Beide setzen sich mit der dualen Karriere auseinander und argumentieren auf der Basis systemtheoretischer Überlegungen. Bei Borchert geschieht dies über einen akteurstheoretisch rekonstruierten Ansatz der Systemtheorie, (der pädagogische Implikationen zulässt). Die duale Karriere wird im Sinne einer Koevolution eines allgemeinbildenden und spezialbildenden Bildungsgangs interpretiert, in dessen Rahmen eine Passung zwischen institutionellen Vorgaben und individuellen Vorstellungen zu erfolgen hat. Die Untersuchung von Teubert et al. basiert ebenfalls auf systemtheoretischen Überlegungen – allerdings in einer puristischen Ausprägung. Als Leitlinie gilt hier, dass eine strukturelle Kopplung der beiden durch divergierende Handlungsrationalitäten gekennzeichneten Systeme Schule und Leistungssport auf einer inhaltlichen Ebene ausgeschlossen ist, wohingegen Angleichungen der beiden Organisationen auf der Zeit- und Sozialebene möglich sind. Die Studie sieht für eine weitergehende Funktionalisierung der schulischen Bildung durch den Leistungssport noch vielfältige Optionen und Kapazitäten.

Die analysierten Studien zum leistungssportlichen Engagement im Jugendalter haben die duale Karriere und die daraus resultierende Doppelbelastung durch Schule und Training zum Thema, setzen sich mit ihr aber methodisch und inhaltlich unterschiedlich auseinander. Die vorliegenden empirischen Daten lassen systematische Entwicklungsnachteile des leistungssportlich orientierten Nachwuchses nicht erkennen. Gleichwohl fordern dezidiert pädagogisch argumentierende Studien eine stärkere Berücksichtigung des Bildungsgedankens.

2.2 Der informell betriebene Sport

Nach dem vereinsgebundenen Jugendsport rückt nun das für Jugendliche immer attraktiver werdende informelle Sporttreiben in den Aufmerksamkeitshorizont.  Auf der Suche nach Möglichkeiten zur Charakterisierung des weitgehend als informell bezeichneten Sportengagements von Jugendlichen lässt sich anhand einschlägiger Literatur eine Reihe von Kriterien benennen. Das informelle Sportengagement bezieht sich auf die selbst organisierten und eigenverantwortlich gestalteten sportlichen Aktivitäten, umfasst vorrangig outdoor-sports, findet weitgehend außerhalb normierter Sportstätten statt und spielt sich – mit Stilisierungen in Kleidung, Musik und Sprache einhergehend – auch in Szenen ab.

Ein Strukturierungsversuch lässt vier Varianten des hochkomplexen aktuellen informellen Sports sichtbar werden:

  1. alltagskulturelle Bewegungsformen wie Laufen oder Radfahren – allein und in der Gruppe;
  2. sportive Praxen wie die verschiedenen fitnessorientierten Tanzformen, Yoga oder Bodybuilding, die auf Körperstilisierung und Körperästhetik zielen ;
  3. die ursprünglich auch aus Opposition gegen den mainstream-Sport entstandenen, jugendkulturell geprägten und inzwischen etablierten Trendsportarten wie Skateboarding, Surfing oder Streetball;
  4. die als „Lifestyle – Sport“ gekennzeichneten Sporthybride wie Kitesurfing und Freeriding, die körper- und fitnessorientierte Praktiken sowie abenteuer- und risikoorientierte Sportaktivitäten umfassen,  individualistisch und hedonistisch orientiert sind, sich Institutionalisierung und Regulierung weitgehend entziehen, und Jugendliche nicht nur als Akteure, sondern auch als Konsumenten sehen.

Dass das informelle Sporttreiben mit seinem Variantenreichtum die jugendliche Sportkultur nicht nur beeinflusst, sondern auch nachhaltig verändert, kann seit den 1980er Jahren beobachtet werden. In diesem Zeitraum wird in den repräsentativen Shell-Jugendstudien, aber auch in den frühen Jugend- und Sportstudien der Sportwissenschaft mittels quantitativer und qualitativer Daten eine Hinwendung zu selbstorganisierten Sportaktivitäten empirisch belegt. Sport erfährt in dieser Zeit eine Begriffserweiterung und wird von den Jugendlichen als eine sozial selbstverständliche, weit verbreitete, nach Organisationsformen, Sportaktivitäten und kommunikativen Kontexten ausdifferenzierte Handlungsform wahrgenommen.

In ihm drückt sich die Sehnsucht der Jugendlichen nach einem anderen Lebensgefühl und alternativen Lebensentwürfen aus. Die neuen Bewegungsformen mit ihrer Körperstilisierung und ihrer Betonung des sportlich-ästhetischen Körpers werden als Distanzierung gegenüber dem traditionellen Sportbetrieb und zugleich als neues Sinnmuster der jugendlichen Alltags- und Sportkultur interpretiert. Für Zinnecker wird Sportivität zur „jugendspezifischen Altersnorm“ und der facettenreiche Sport zu einem markanten Element jugendlicher Lebenswelten.

Erklärt wird der neue Jugendsport, der sich mit seinen zahlreichen changierenden Spielarten schon in den 80er Jahren einer eindeutigen Begriffsbestimmung entzieht (und noch nicht das Label „informeller Sport“ trägt), vorrangig unter Bezugnahme auf Beck und andere Vertreter des subjektorientierten Lebensstilansatzes. Auch wenn die seinerzeit angenommene Entkoppelung von Freizeitverhalten und sozialer Lage inzwischen – auch mit Blick auf den Sport –  inzwischen relativiert wurde, hat die Destandardisierung der Jugendphase wie auch die offensichtliche Expansion und Pluralisierung von Sportgelegenheiten zu einer zunehmenden Individualisierung des Sporttreibens bei Jugendlichen geführt, wie sie ausführlich von Brinkhoff dargestellt wird. Als Konsequenz dieses Individualisierungsprozesses wird der in allen Elementen des Jugendsports – also im vereinsorganisierten, im informellen und zunehmend auch im kommerziellen Sport –  gleichermaßen anzutreffende aktive „bindungsarme Sporthopper“ zur neuen Leitfigur.

Neben den auf Körperstilisierung abzielenden sportiven Praxen und Bewegungsformen gehören die Trendsportarten zum Kern des informellen Sports. Ehni, Schwier und Hitzler begeben sich auf Spurensuche in der Skaterszene. Sie zeigen auf, wie Einkaufspassagen, Fußgängerzonen, Straßen und Parks von Jugendlichen erobert und als Arenen des informellen Sporttreibens genutzt werden und welcher Weise Leistung als Vervollkommnung des eigenen Bewegungskönnens, aber auch Kreativität und Ästhetik in der männlich dominierten Skaterszene eine Rolle spielen. Ebenfalls Aufmerksamkeit erfährt der durch Sprache, Musik und Outfit geprägte individuelle, aber auch gruppenbezogene Lebensstil an den urbanen Skater-Treffpunkten, der zugleich in Lebenslauf und   Lebensführung der betreffenden Jugendlichen verankert ist.  Kolb interpretiert Streetball als jugendkulturelle Bewegungsform, in der neben dem gegenseitigen Respekt Maskulinität, Dynamik und artistische Körperbeherrschung dominierende Merkmale sind, die vor allem der Selbstinszenierung vor der Gruppe dienen. Trendsportarten sind, – so lässt sich zusammenfassen -, Ausdruck eines Lebensgefühls und urbanen Lebensstils, in dem Spontaneität, Kreativität, sportive Selbstinszenierung und kollektives Erleben ihren Platz haben. In der Ausübung drückt sich zudem auch   eine verhaltene Rebellion gegenüber der Erwachsenenwelt und dem traditionellen Sport der Vereine und Verbände aus.

Um eine Systematisierung der Trendsportarten und ihre Entwicklung bemühen sich Schwier und Lamprecht & Stamm. Während Schwier nach konstitutiven Merkmalen des Trendsports sucht und sie in den Trends zur Stilisierung, Beschleunigung, Virtuosität und Extremisierung sowie zum Event und Sampling findet, suchen Lamprecht & Stamm nach Mustern, nach denen die Entwicklungslinien der Trendsportarten vom avantgardistischen Lifestyle zum Massenvergnügen verlaufen. Wie zutreffend ihre Analyse ist, belegt ein aktueller Sammelband von Schwier & Kilberth zur Entwicklung des Skatens von einer alternativen Bewegungskultur mit nonkonformistischen Habitus und hoher Popularität in subkulturell geprägten Jugendszenen zu einer durch Kommerzialisierungs- und Mediatisierungsprozesse gekennzeichneten Sportart , die  im Programm der olympischen Spiele 2020 in Tokio ihren Platz erhält und somit  den objektiven Quantifizierungs- und Bewertungsmaßstäben des internationalen Sportsystems unterliegt  – und ihren ursprünglichen Identitätskern verliert.

Eine erste umfassende Studie, die sich explizit mit dem informellen Sportengagement von Jugendlichen befasst, wird von Telschow vorgelegt. Im Fokus stehen alternative Wettkampfformen in den Trendsportarten Streetball, Beachvolleyball und Skaten. Es zeigt sich eine enorme Variabilität, die sich auf das Spektrum der sportlichen Aktivitäten einschließlich der ihnen unterlegten vielfältigen Orientierungsmuster sowie auf ihre soziale, zeitliche und örtliche Rahmung bezieht. Sein konstitutives Merkmal hat der als „Spielraum des Lebens“ interpretierte informelle Sport in der den Akteuren obliegenden Gestaltungs- und Deutungshoheit.

Aufmerksamkeit verdienen die zahlreichen Beiträge Bindels zum informellen Sport von Jugendlichen, weil er Wege geht, die den ermittelten Befunden eine neue Qualität verleihen und zugleich Fragen aufwerfen. In seiner Dissertation, die den leistungsorientierten Streetball und das kommunikationszentrierte Fußballspielen zum Untersuchungsgegenstand hat, werden die Möglichkeiten der Ethnographie kreativ gehandhabt und virtuos ausgetestet. Das Themenspektrum von der sozialen Einbindung des Einzelnen in die Gemeinschaft über die Festlegung von Normen und Ritualen bis zur Entstehung von sozialen Strukturen und Ordnungsmustern wird differenziert beschrieben und auch mit Blick auf sein pädagogisches Interventionspotenzial analysiert.

Die hier und in weiteren Beiträgen von Bindel mit der Anwendung des ethnographischen Zugangs verbundene angestrebte Offenheit der Feldforschung, der situativ wechselnde Forschungsfokus und die im Forschungsprozess eingeforderte und auch realisierte Flexibilität eröffnen nicht nur neue Perspektiven auf den Untersuchungsgegenstand und sichern innovative Befunde, sondern implizieren auch negative Begleiteffekte. Der ausdrücklich zugelassene Themenwechsel während des Forschungsprozesses schließt eine durchgängige Orientierung an einer elaborierten theoretischen Rahmenkonzeption aus und evoziert die Bezugnahme auf Versatzstücke, die nicht immer kompatibel sind und mitunter einen theoretischen Flickenteppich entstehen lassen. Auch lässt die Doppelrolle des Forschers, der als ethnographischer Protokollant zugleich aktiver Bestandteil des Datenerhebungs- und Auswertungsprozesses ist, die Grenze zwischen deskriptiven und normativen Sätzen, zwischen Sein und Sollen gelegentlich zerfließen. Zudem sind die Befunde wegen ihres hohen Subjektivitätsgrades nicht verallgemeinerbar und können nicht ausschließen, dass das Besondere und nicht die Regel das Interesse des Berichterstatters erweckt.

Weiterhin bleibt letztlich offen bzw. unklar, was zum informellen Sport der Jugendlichen gehört. Sind die von Erwachsenen organisierten Events – vom Beachvolleyballturnier über das Mitternachtsbasketballspiel bis zu den Fußballligen – noch Bestandteile des informellen Sportengagements der Jugendlichen? Geht mit den (von Erwachsenen eingezogenen) professionellen Strukturen nicht auch der Identitätskern des informellen Sports der Jugendlichen verloren – nämlich die Stilisierung und Organisation der sportlichen Aktivitäten wie auch die Entwicklung der leitenden (Spiel-)Idee durch die Jugendlichen selbst? Dadurch verliert auch die symbiotische Trias der Handlungsrollen – Sport treiben, Sport organisieren, Sport vermitteln – , in der ursprünglich das Charakteristikum des informellen Sporttreibens  der Jugendlichen gesehen wurde, ihre Gültigkeit als Bestimmungskriterium. Gilt – neben der urbanen Sportszene – nun der Lifestyle-Sport als Markenzeichen des informellen Teils jugendlicher Sportkultur, in der die Jugendlichen nicht nur eine aktiv-partizipative, sondern auch eine passiv-konsumptive Rolle einnehmen und die Steuerung und Kontrolle der auf Körperformung und –stilisierung abzielenden funktionalen Aktivitäten wie Yoga und Spinning an erwachsene Experten abgeben, (die dafür bezahlt werden)? Als unbeantwortet erweisen sich auch Fragen der Verbreitung und Bedeutung des informellen Sports. Der vermittelte Eindruck, dass der Trends aufnehmende und expressiv gelebte informelle Sport zunehmend den sportlichen Alltag der Jugendlichen prägt, bedarf der empirischen Absicherung durch objektive und repräsentative Daten.

Die zahlreichen auf ihn bezogenen Forschungsarbeiten weisen den informellen Sport als wenig konturiertes und ausuferndes Feld aus. Während vor allem die etablierten Trendsportarten wie Skating oder Streetball umfassend erforscht sind und einen beachtlichen Erkenntnisstand aufweisen, ist die Kenntnis zu den aufkommenden informell-kommerziell und lebensstilbezogen ausgerichteten neuen sportiven Aktivitäten, insbesondere zu ihrem Anteil an der jugendlichen Sportkultur, zum Altersspektrum, zur Geschlechterverteilung und sozialen Lage der Akteure beschränkt.

2.3 Das kommerzielle Sportangebot für Jugendliche – ein unbekanntes Terrain

Der kommerzielle Sport umfasst eine Vielzahl von Sport- und Bewegungsangeboten, deren Anbieter sich ihre Dienstleistungen bezahlen lassen. Im Angebotsspektrum findet sich von den Fitnesscentern über die Tanzstudios, Reiterhöfe, Skatinganlagen und Kampfsportschulen bis zu den sportiven touristischen Anschlussofferten vom Wandern bis zu den Varianten der Trendsportarten ein Strauß von Aktivitäten, der an Umfang und Buntheit noch lange nicht ausgereizt scheint.

Dass kommerzielle Sportangebote aus dem Boden schießen, entspricht dem subjektiven Eindruck vieler Beobachter; verstärkt wird dieser Eindruck durch die fantatsievollen Berichte zum Themenbereich Körper, Fitness und Entspannung im Blätterwald der Boulevardpresse wie auch in seriösen Fachzeitschriften. Spiegelt sich der subjektive Eindruck aber auch in belastbaren Zahlen wider? Finden sich in der Klientel der kommerziellen Sportanbieter auch Jugendliche? Aus welchen sozialen Schichten kommen sie? Welchen Aktivitäten gehen sie bevorzugt nach und was versprechen sie sich davon?

Thieme kommt in seinem Überblicksartikel zum kommerziellen Sport von Jugendlichen zu dem Ergebnis, dass für 10% der Jugendlichen die für sie wichtigste Sportaktivität im Bereich des kommerziellen Sports zu suchen ist. Schätzungen gehen dahin, dass – bei einem seit 2012 stagnierenden Partizipationsgrad – ca. 20% der weiblichen Jugendlichen und ein Drittel ihrer männlichen Altersgenossen kommerzielle Angebote – auch in Ergänzung zum vereinsgebundenen und informellen Jugendsport – wahrnehmen. Kraft- und Fitnesstraining sowie Kampfsportarten stehen bei den männlichen und verschiedene Formen des Tanzens bei den weiblichen Jugendlichen hoch im Kurs. Der soziökonomische Status wie auch das Preisniveau scheinen keine auffälligen Auswirkungen auf die Nachfrage zu haben. Analysen mit belastbaren empirischen Daten zu den existierenden Formen des kommerziellen Sportangebots für jugendliche Konsumenten fehlen ebenso wie die Bestandsaufnahme aktueller Trends, wie sie etwa die beobachtbare Entwicklung des „Indoorising the outdoors“mit dem Ziel darstellt, gefährliche und riskante Outdoor-Aktivitäten wie Klettern, Skifahren oder Kitesurfen in künstlicher Umgebung sicher und risikolos anzubieten.

Systematische und settingspezifische Studien, die sich auf das kommerzielle Angebot für Jugendliche beziehen, sind Mangelware. Ausnahmen bilden die Beiträge von B. Braumüller und U. Burrmann. Erstere zeigt auf, dass die Hinwendung zu sportlichen Handlungsfeldern settingspezifisch erfolgt und nicht zuletzt eine Frage der verfügbaren personalen, sozialen und auch medialen Ressourcen ist. Bei dem die verschiedenen Elemente des Jugendsports vergleichenden Beitrag von Burrmann muss einschränkend darauf verwiesen werden, dass hier vereinsgebundene, informelle und kommerzielle Sportengagements von Jugendlichen in Brandenburg untersucht werden. Die Befunde weisen folglich regionale und zeithistorische Besonderheiten auf, die bei einer Übertragung der Vergleichsdaten auf westdeutsche Verhältnisse zu beachten sind. Sie belegen, dass auch bei den Brandenburger Jugendlichen der Nachwendezeit multiple Sportengagements den Normalfall bilden, der Vereinssport eine Domäne der männlichen Jugendlichen ist, wohingegen weibliche Jugendliche eher kommerzielle Sportangebote wahrnehmen. Letztere werden häufiger und mit größerem Zeitaufwand als informelle ausgeübt, aber in geringerem Ausmaß im Vergleich zu den vereinsgebundenen Aktivitäten. Die dem Sport zugeschriebene subjektive Bedeutung ist bei den kommerziell Engagierten vergleichsweise gering ausgeprägt. Ein Einfluss der sozialen Lage bei der Wahl des Sportangebots ist nicht zu übersehen.

Im Vergleich zum vereinsgebundenen Sport, der sich unter Forschungsgesichtspunkten als nahezu „ausgereizt“ darstellt, und dem informellen Sport, der als Forschungsfeld aktuell vermehrt Aufmerksamkeit erfährt, ist die Forschungssituation zum kommerziellen Sport als Setting für Jugendliche als desolat einzustufen. Wie verbreitet, vielfältig und attraktiv die kommerziellen Angebote für Jugendliche sind, welche Bedeutung sie ihnen zumessen, was sie darin suchen, wie die Geschlechterverteilung aussieht und welchen Einfluss die sozioökonomische Situation hat, – darüber ist vergleichsweise wenig bekannt. Unter wissenschaftlicher Perspektive erweist

sich der kommerzielle Sport als terra incognita dar. Theoretisch geleitete und evidenzbasierte Studien, die jugendliche Konsumenten ins Visier nehmen, sind Mangelware, – eine Feststellung, die angesichts des subjektiven Eindrucks einer deutlichen Zunahme und wachsenden Attraktivität kommerzieller Angebote auch für Jugendliche verwundert.

3 „Lifestyle-Sport“ als Trend im Jugendsport der kommenden Jahrzehnte?

Soweit die weitgehend analytische Bestandsaufnahme der Situation des Jugendsports, wie er sich von den 1990er Jahren bis heute darstellt. Nun aber ein Blick in die Zukunft.

Wer den Versuch unternimmt, Zukunftsszenarien zu entwerfen und Trends für den Jugendsport der kommenden Jahre zu benennen, sollte zumindest zweierlei tun: erstens die Entwicklung des Jugendsports auf internationaler Bühne beobachten. Denn es ist zu vermuten, dass sich im Zeichen des weltumfassenden und allgegenwärtigen Internets und der sozialen Medien, des wachsenden Einflusses der Unterhaltungsindustrie sowie internationaler Sponsorentätigkeit beschleunigte Globalisierungsprozesse zeigen, die auch in der Sportkultur der Jugendlichen ihre Spuren hinterlassen. Zweitens sollte er oder sie sich der facettenreichen Sportlandschaft in Deutschland mit ihrer Besonderheit eines höchst differenzierten Vereinssports und seiner Tradition vergegenwärtigen, um ihn dann einem interkulturellen Vergleich mit der internationalen Entwicklung im Jugendsport unterziehen.

In der aktuellen internationalen Literatur zum Jugendsport macht derzeit ein Begriff Karriere: Lifestyle sport(s). Als Sammelbegriff, in dem Sport und Lebensstil eine Symbiose eingehen, zielt er auf ein nicht scharf umrissenes Spektrum von selbst organisierten, mit Thrill, Action und Abenteuer verbundenen Sportaktivitäten in der Stadt und in der Natur, die in einem deutlichen Kontrast und qualitativen Unterschied zum traditionellen, regelgebundenen und institutionalisierten Sport mit seiner Affinität zum Leistungs- und Wettkampfgedanken stehen. Als typische informelle und expressive Lifestyle-Sportaktivitäten gelten etablierte wie etwa Surfing, Skating, Parkour oder Breakdance mit seinen Varianten, aber auch neuere wie Longboarding oder Kitesurfing. Zunehmend werden aber auch solche sportiven Praxen dem Lifestyle-Sport zugeordnet, die stärker strukturiert sind, ohne Kontrolle durch Erwachsene kaum ausgeübt werden können und zudem zunehmend auch kommerziell, zumindest semi-kommerziell angeboten werden wie etwa Skydiving , Freeride Skiing oder Downhill Mountainbiking. Der selbstorganisierte stadt- und naturgebundene Lifestyle – Sport weist eine Reihe von Kennzeichen auf, die denen der Trendsportarten in unserem Verständnis entsprechen; andere wiederum weisen in eine neue Richtung. Wer im Lifestyle-Sport als Teilnehmer oder Konsument involviert ist, pflegt im Alltag einen aktiven Lebensstil, ist hoch engagiert und bereit, Zeit und auch Geld in den Sport zu investieren. Die Teilnehmer weisen individualistische und hedonistische Züge auf, lehnen Regulierung und Institutionalisierung ab und stehen einem formalisierten Wettbewerbsgedanken wie auch überbordenden Kommerzialisierungstendenzen kritisch, zumindest aber ambivalent gegenüber. Die bevorzugten Sportaktivitäten zeichnen sich durch eine ausgeprägte Fitnessorientierung und Körperästhetik aus. Offene Aggressivität ist verpönt, wenngleich Risiko und Thrill wichtige Sinnperspektiven darstellen. Der Lifestyle – Sport ist eingebunden in die alltägliche Lebensführung der jungen Akteure, die zum großen Teil aus wohlhabenden Familien der oberen sozialen Mittelschicht stammen. Geschlechter- und ethnische Grenzen sind markante Kennzeichen vieler Sportaktivitäten des Lifestyle-Sports. Dagegen verwischen die Altersgrenzen.B. Wheaton zeigt am Beispiel des Surfens auf, wie die ursprünglich mit jugendlicher Lebensführung assoziierte und Gesundheit und Fitness signalisierende Aktivität in die mittlere Lebensspanne und die der Senioren überführt und als Symbol des Widerstandes gegen den Alterungsprozess gesehen wird. Aus den jungen Wilden werden „Silver Surfer“, die ihre Sportidentität bis ins fortgeschrittene Alter wahren. Aus dem Lifestyle-Sport für Jugendliche wird ein Lifetime Lifestyle-Sport und damit ein ebenso attraktiver wie selbstverständlicher Bestandteil im Lebenslauf.

Gemessen an Verkaufszahlen für Ausrüstung, Ergebnissen von Marktforschungsanalysen und dem ständig wachsenden Grad medialer Aufmerksamkeit kann von einer schnell wachsenden Popularität und Expansion des Lifestyle- Sports ausgegangen werden. Die Angaben bleiben vage, weil exakte Zahlen fehlen.

Ob sich die beschriebenen informell-kommerziell orientierten Sporthybride unter der Leitidee Fitness und Körperstilisierung wirklich als Vorboten einer sich verändernden jugendlichen Sportkultur in Richtung eines globalisierten Lifestyle-Sports interpretieren lassen und in welchem Maße der Trend zum Lifestyle-Sport den Jugendsport in Deutschland tatsächlich verändern wird, bleibt abzuwarten.

Im Folgenden werden zunächst drei sportimmanente Argumente genannt, die Vorsicht gegenüber der Annahme empfehlen, die von einer schnellen und bruchlosen Integration des Lifestyle-Sports in den deutschen Jugendsport und einer damit verbundenen einschneidenden Veränderung der jugendlichen Sportkultur ausgeht. Als viertes Argument werden gesellschaftliche Wandlungsprozesse, aber auch Veränderungen innerhalb des „großen“ Sports genannt, die in ihrer Wirkung auf den Jugendsport nicht vorhersehbar sind.

Das erste Argument zielt auf die strukturellen Unterschiede zwischen dem anglo-amerikanischen und dem deutschen Sportsystem. Das im anglo-amerikanischen Raum vorherrschende Sportsystem kennt als Träger des nicht-kompetitiven Sports im Jugendbereich neben Kommune und Schule den kommerziellen Sport in der beschriebenen Ausprägung. Dagegen bildet in Deutschland nach wie vor der – oft schon totgesagte, aber immer noch mit hohen Partizipationsraten aufwartende – hoch differenzierte vereinsgebundene Sport den Kern des Jugendsports, zu dem nicht nur leistungs- und wettkampforientierte Sportaktivitäten zählen, sondern in dem zunehmend auch Elemente der informellen Bewegungskultur das Angebot für Jugendliche kennzeichnen. Kann der Lifestyle – Sport als attraktiver Zubringer zum Sport der Vereine genutzt und dann zum integralen Bestandteil werden oder wird er von kommerziellen Anbietern funktional als Beitrag zur aktuellen Lebensstilformation und Fitnesskultur der jungen Leute interpretiert und den Gesetzen des Marktes überantwortet? Weitere Fragen zielen auf die Kompatibilität der Systeme und auf die Rollenverteilung der Akteure als Teilnehmer oder Konsumenten.

Das zweite Argument widmet sich der sozialen Ungleichheit, die sich im Lifestyle-Sport auch der Jugendlichen manifestiert und zu einer sozialen Segregation innerhalb des Jugendsports führen könnte. Protagonisten des Lifestyle-Sports – als aktive Teilnehmer oder Konsumenten – sind in erster Linie Teenager aus dem wohlhabenden Milieu der gehobenen Mittelschicht. Zudem sind Geschlechter- und ethnische Grenzen markante Kennzeichen vieler Aktivitäten des Lifestyle-Sports. Werden demnächst also Heranwachsende aus sozial weniger privilegierten Schichten in die Sportvereine gehen, um an wettkampf- oder breitensportlich orientierten Sportaktivitäten teilzunehmen, wohingegen Jugendliche aus der oberen Mittelschicht den informell-kommerziellen Sport aufsuchen, um etwas für die eigene Fitness, den eigenen Körper und den Status zu tun?

Das dritte sportimmanente Argument fokussiert den Aspekt des lebenslangen Lifestyles – Sporttreibens. Mit Blick auf das Individuum ist es zweifellos attraktiv und wünschenswert, die in der Jugendphase erworbene sportive Identität zu bewahren und – vielleicht mit veränderten und altersangemessenen Sportgeräten –  auch im Alter weiterhin zu skaten oder surfen. Aus der Perspektive der Jugendlichen könnten die Weichen anders gestellt werden. Ist es denn für Jugendliche überhaupt reizvoll, sich sportlich in Bereichen zu engagieren, die auch ergrauten Erwachsenen zugänglich sind? Stärkt der Lifetime-Aspekt die Lifestyle-Sportaktivität oder führt er im Jugendalter eher zur Abwendung? Die Vielfältigkeit des Lifestyle-Sports eröffnet eine Vielzahl von Fragen und verspricht unterschiedliche Antworten.

Das vierte und vielschichtige Argument, das gegenüber Prognosen hinsichtlich der zukünftigen Entwicklungsrichtung des Jugendsports Zurückhaltung empfiehlt, betrifft zum einen globale und regional begrenzte gesellschaftliche Wandlungsprozesse, zum anderen aber auch Veränderungen im Bereich des internationalen Sports, die  Einfluss auf die  jugendliche Sportkultur haben.

Trendforscher, (die im Übrigen mit ihren Prognosen zur Sportentwicklung im Jugendbereich seit den 1980er Jahren fast immer danebenlagen), sehen „Sportivity“ auf dem Wege, zur neuen Leitidee im Alltag zu werden. Sie sehen die Stadt gleichsam als Sportstudio, in dem man flexibel, zeit- und ortsunabhängig und unterstützt durch digitale Medien und entsprechende Wearables etwas für die eigene Fitness und Gesundheit tun kann. Ob sich die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts aber tatsächlich ein komplett neues sportliches Universum schaffen wird, bleibt abzuwarten. Selbst wenn diese Szenarien in der sportiven Erwachsenenwelt Realität werden, ist ungewiss, in welchem Maße die Sportkultur der Jugendlichen von den Veränderungen betroffen ist. Weitere Fragen, die sich im Zusammenhang mit der Entwicklung des Lifestyle-Sports stellen, lauten: Welchen Einfluss hat der Sport der globalen digitalen Welt (Internet, soziale Medien, YouTube) auf die jugendliche Sportkultur in der realen Welt? Welchen Einfluss üben die für jugendliche Zuschauer immer faszinierender werdenden X-Games mit ihren Action– und Extremsportarten auf den Jugendsport aus? Welche Rolle spielt der vom IOC eingeschlagene Weg zur „Verjüngung“ der Olympischen Spiele durch Aufnahme von Trendsportarten für den Lifestyle-Sport der jungen Generation? Stimmt die der Maßnahme zugrundeliegende Annahme, dass sich die Entwicklung etwa von Skating und Surfing von einer subkulturellen und weitgehend autonomen Bewegung zur Kooptation linear und ohne Brüche vollziehen kann? Die derzeit geführten Diskussionen nähren Zweifel.

Neben der Abhängigkeit des Lifestyle-Sports von globalen Entwicklungstendenzen, deren Richtung nur in Grenzen beeinflussbar scheint, gilt es einen weiteren Aspekt des aktuellen Lifestyle – Sports und seine Auswirkungen auf den Jugendsport zu beachten. Der Lifestyle-Sport stellt sich aktuell als fragmentierter Bereich dar, in dem die unterschiedlichen Sportaktivitäten und sportiven Praxen ihre je eigene Geschichte und Dynamik haben und sich insofern einer Analyse und Interpretation nach dem „One-size-fits-all“- Prinzip entziehen. Die drängende „Master-Frage“ nach der zukünftigen Entwicklung des Jugendsports ist angesichts interner und globaler Wandlungsprozesse nicht eindeutig zu beantworten. Viel spricht dafür, dass sich der im Verlauf der letzten Jahrzehnte beobachtbare Prozess der gegenseitigen Beeinflussung der Sportmodelle fortsetzen wird, und der vereinsgebundene Jugendsport Tendenzen des Lifestyle-Sports aufgreifen wird und umgekehrt der Lifestyle-Sport positive Aspekte des vereinsorganisierten Sports in sein Programm integriert.

Viele Fragen zur zukünftigen Entwicklung des Jugendsports in Deutschland bleiben offen und unbeantwortet. Eins aber ist unstrittig: Der Sport der Jugendlichen bleibt auch in Zukunft spannend.

Literatur beim Autor:  wolf.brettschneider@uni-paderborn.de


Prof. Dr. Wolf-Dietrich Brettschneider (Jahrgang 1943) ist emeritierter Sportwissenschaftler der Universität Paderborn.