Training und Bildung – ein gestörtes Verhältnis

Ein Gastbeitrag von Prof. em. Dr. Albrecht Hummel

Vorbemerkungen
Training und Bildung werden – insbesondere in Deutschland – als ein Widerspruch in sich angesehen. Dafür gibt es zahllose Belege und verschiedene Gründe. Ein verbreitetes Verständnis vom Trainieren, aber teils auch vom Üben als geistloses, stupides Wiederholen einerseits und ein idealistisch überhöhtes, rein geistiges, elitäres Bildungsverständnis andererseits, haben dazu über Jahrzehnte hinweg ihren Beitrag geleistet. Trainieren und selbst Üben haben es schwer in der deutschen Schulpädagogik als bildungsrelevante Form von Lernen Anerkennung zu finden. Für Anhänger einer normativen Postulate-Pädagogik geisteswissenschaftlicher Provenienz grenzt die Vorstellung vom bildenden Trainieren vermutlich ans Absurde. Und für manch leistungsphysiologisch getrimmten Trainingswissenschaftler kann die enge Verbindung von Trainieren mit Lernen und das Verständnis von Trainierbarkeit, als Teil der übergreifenden Bildsamkeit des Menschen, als kategoriale Nestbeschmutzung oder Leistungsgefährdung verstanden werden.

Diese und weitere Störungen zeigen sich in verschiedenen Dimensionen mit unterschiedlichen Facetten. Die Störungen im Verhältnis von (sportlichem) Training und Bildung haben eine tiefsitzende wissenschaftstheoretische, eine weit zurückreichende historische und eine aktuelle politisch-ideologische Dimension.

Facetten einer gestörten Beziehung
An diesen Störungen haben Bildungswissenschaftler aber auch Trainingswissenschaftler ihren Anteil. Ein bemerkenswerter Anteil der universitären Sportpädagogen in Deutschland hat sich in den letzten Jahrzehnten systematisch vom Sport und besonders vom sportlichen Leisten, vom Trainieren und Wettkämpfen als pädagogische Chance und Herausforderung entfernt. Die Bezeichnung ‚Sportpädagogik’ wirkt zunehmend wie ein Etikettenschwindel und taugt wenig als terminologisch-disziplinäre Klammer. Die wissenschaftlich notwendige skeptisch-kritische Sicht auf den Gegenstand Sport ist längst fundamentalistischer Ablehnung gewichen. Die Bezeichnung von sportpädagogischen Personalstellen ist sachlich nicht mehr zutreffend. Es lassen sich Belege für eine ausgeprägte Antisport-Pädagogik finden. Das hat weniger zu tun mit der durchaus berechtigten Kritik an realen nationalen und internationalen Sportentwicklungen durch die Sportpädagogik, sondern eher mit tief sitzenden Ressentiments in der deutschen Pädagogik gegenüber sportlichen Leistungen, sportlichem Training und sportlichen Wettbewerben. Zumindest indirekt werden dadurch auch die Bewegungsempfehlungen der WHO unterlaufen und der positive Zusammenhang von Gesundheitsförderung und sportiver Bewegungsaktivität konterkariert.

Dafür gibt es Gründe und auch so etwas wie deutsche Sonderwege vor und nach 1945. Wer sich heutzutage wertschätzend und erfahrungsbasiert mit Leistung und Wettbewerb im Sport befasst, stößt unweigerlich auf irritierende, ideologiebasierte Postulate von ADORNO, in denen das Wettbewerbliche in der Erziehung „als Element der Erziehung zur Barbarei“ gekennzeichnet wird oder wo Adorno die Auffassung vertritt: „ Ich bin völlig der Ansicht, dass der Wettbewerb ein im Grunde einer humane Erziehung entgegengesetztes Prinzip ist. (…) Damit kann man allenfalls Sportler erziehen, aber keine entbarbarisierten Menschen.“

Die unzureichende Wahrnehmung dieser und ähnlicher Positionen durch ostdeutsche Sportmethodiker und Körpererzieher innerhalb der westdeutschen Sportpädagogik zu Beginn der 90er Jahre hat erheblich zu Missverständnissen und Irritationen beigetragen. Steigerung der körperlich-sportlichen Leistungsfähigkeit, systematisches Üben und Trainieren, sportliches Können sowie Wetteifer und Überbietung nach sportlichen Regeln waren in der ostdeutschen Sportmethodik und Körpererziehung durchweg positiv besetzte Begriffe und genossen eine pädagogische Wertschätzung. Die Positionen der sogenannten ‚Neuen Linken’ spielten im Osten keine Rolle, es gab genügend ‚Alte Linke’. Die Bewegung der 68er wurde eher als Klamauk studentischer Revoluzzer wahrgenommen, deren pseudorevolutionären Ideen ohnehin keine Chancen hatten, zur revolutionären Gewalt zu werden, da sie niemals die Massen erreichten. Die 68er Entwicklungen in Prag (Sozialismus mit menschlichen Antlitz) waren da sehr viel präsenter. Die ostdeutsche Gesellschaft war zu jener Zeit in nahezu allen Bereichen wettbewerblich durchdrungen. Vom Kindergarten bis zum Altenheim, von der Schulbank bis zum Arbeitsplatz, überall gab es Kampfplätze für den Frieden. Teils skurrile Formen des ‚sozialistischen Wettbewerbs’ konterkarierten jegliche ökonomische Vernunft. Eine der ersten Propagandaschriften Lenins nach der Machtergreifung der Bolschewiki in Russland trug den Titel ‚Wie den Wettbewerb organisieren?’. Der sozialistische Wettbewerb avancierte in der Folge zum generellen Ablöseinstrument des kapitalistischen Konkurenzprinzips.

Und in der Welt des harten realen bundesrepublikanischen Konkurenzkapitalismus träumten Anhänger der ‚Neuen Linken’, Sportpädagogen und neomarxistische Theoretiker vom entsportlichten Sport und vom Verzicht auf die angeblich barbarisch-inhumane Orientierung an Leistung und Wettbewerb. Der Sport sollte so etwas wie eine humanistische Gegenwelt zur gesellschaftlichen Wirklichkeit werden.

Für viele Ostdeutsche war das schlichter Realitätsverlust und ein Abkoppeln von gesellschaftlicher Wirklichkeit in der Blase eines akademischen Elfenbeinturms. Die bundesdeutsche Gesellschaft wurde geradezu naiv, als eine effiziente und gerechte Leistungsgesellschaft wahrgenommen, wo auch das Erbringen von Leistungen in der Schule und im Sport positiv besetzt seien, wo Leistung belohnt wird. Dem war und ist offenkundig nicht so. Die Differenz zwischen einer Leistungsgesellschaft und einer Erfolgsgesellschaft wurde übersehen. Diese kulturellen Differenzen brechen immer wieder auf, daran hat auch die umfassende soziokulturelle Überformung des Ostens durch den Westen nach vollzogenem Beitritt bislang nicht viel geändert. Im Gegenteil, die Verwerfungen werden offenkundiger, wie z. B. der Streit, um die aus dem Westen importierten Konzepte des Lesen- und Schreibenlernens an Brandenburger Grundschulen oder die anhaltende Diskreditierung und Delegitimierung der in Ostdeutschland erfahrungsbasiert gewachsenen und wissenschaftlich gut abgesicherten Körperlich-Sportlichen-Grundlagenbildung im Schulsport belegt. Diese Konzeption ist erneuerungsbedürftig, aber auch erneuerungsfähig. Der große Vorzug dieses Konzeptes besteht in seiner internen Konsistenz (Entsprechung von Zielen, Inhalten und Methoden), in seiner Fokussierung auf körperliche Leistungsfähigkeit und sportliche Handlungsfähigkeit sowie in der Anschlussfähigkeit an die gesellschaftliche sportive Bewegungskultur.

Die wissenschaftlich nicht gedeckten Postulate von ADORNO (worauf Adorno an anderer Stelle selbst verweist) leben bis in die Gegenwart in einer immer wieder neu aufgewärmten, empirisch nicht gesicherten aber ideologiebasierten ‚Postulate-Pädagogik’ fort. Und wenn die Postulate nicht mit der Wirklichkeit in Schule und Sport übereinstimmen, wird es dann umso schlimmer für die Wirklichkeit. Bemerkenswert ist, dass die Vorbehalte gegenüber einer Verknüpfung von Training und Bildung, von Trainieren und Lernen insbesondere von bestimmten Strömungen der deutschen universitären Sportpädagogik artikuliert werden und deutlich weniger von der allgemeinen Bildungswissenschaft, wo zwischenzeitlich sehr konstruktive Diskurse zum Verhältnis von Biowissenschaften und Pädagogik, beziehungsweise zu den natürlichen (organischen) Grundlagen des Pädagogischen geführt werden. Ein ausgewogenes biopsychosoziales Verständnis von Bildung und Bildsamkeit wird erkennbar, frei von den ‚Ismen’ des Sozialen, des Biologischen oder des Psychischen.

Den (west-) deutschen Sportpädagogen, einschließlich der angeblich renommiertesten, ist es in der Tat gelungen, die Sportpädagogik (einschließlich der Sportdidaktik) in den letzten Jahrzehnten fachlich bis zur Unkenntlichkeit auszudünnen, zu entkernen und nichtfachliche Akzentverschiebungen einzuleiten. Die Vermittlung und Aneignung motorischer Fähigkeiten und Fertigkeiten werden dabei nicht mehr als Bestandteil des Kerngeschäftes der Sportpädagogik und Sportdidaktik verstanden. Das soziale Lernen genießt eine höhere pädagogische Wertschätzung als das motorische Lernen, so KURZ in seiner Bilanz. Überträgt man dieses Vorgehen auf Fachdidaktiken der Fächer Deutsch und Mathematik, so würde das bedeuten, dass das Lehren und Lernen von Lesen, Schreiben und Rechnen immer mehr aus ihren Gegenstands- und Zuständigkeitsbereichen ausgeklammert wären und anstelle dessen sich diese Fachdidaktiken auf das soziale Lernen beim Rechnen oder auf die Motive und Sinnzuschreibungen beim Lesen und Schreiben konzentrieren würden! Das alles ist auch wichtig, aber selbst die Wichtigkeit gerade dieser Aufgaben (z. B. Integration; Inklusion) kann ihre angemessene Lösung nur im Rahmen der Beschäftigung mit den Kernaufgaben des Sportunterrichts und Schulsports finden. Erst eine hohe Qualität des Lehrens und Lernens im motorischen Bereich, beim Erwerb motorischer Fähigkeiten, motorischer Fertigkeiten und motorischer Kompetenzen schafft Grundlagen und Möglichkeiten für ein fachgebundenes und nachhaltiges soziales Lernen und ermöglicht Teilhabe für alle.

Die entstandenen Zuständigkeitsverluste in der Sportpädagogik/Sportdidaktik werden in der Folge eifrig kompensiert und überkompensiert. Es entstand eine sozialpädagogisierte Sportpädagogik mit einer ausgeprägten Konzentration auf das fachlich Dezentrale und das fachlich Unwesentliche. Was natürlich von den Befürwortern dieser Entwicklung zurückgewiesen, gewendet als neue Mitte angesehen wird. Die Sportpädagogik hat ihren fachlichen Kern zunehmend ausgedünnt, zerfasert und letztlich ihre Mitte verloren. Es handelt sich nicht, wie fälschlich angenommen, um eine Expansion des sportpädagogischen Terrains. Diese Erweiterung ging mit spürbarem Profilverlust und Verlust an Zuständigkeit einher. Es verwundert schon, wenn gestandene Sportpädagogen zurückblickend darüber räsonieren, dass die Sportpädagogik nun auf der Suche nach ihrem Profil sei oder sich wieder auf das Wesentliche konzentrieren solle, ohne im Geringsten Einzuräumen, dass sie in ihrem Berufsleben maßgeblich dazu beigetragen haben, dass diese Profilverluste überhaupt erst entstehen konnten. Die heilige Kuh der (un-)profilierten pädagogischen Mehrperspektivität gehört hier dazu. Von den empirisch gesicherten Befunden zu den Interessen- und Motivlagen des Sporttreibens von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen wurde zu den ‚Sinnperspektiven’ des Sporttreibens gewechselt, um dann daraus wiederum ein normatives Konstrukt der pädagogischen Perspektiven (‚Mehrperspektivität’) abzuleiten. Die Sinn- und Bedeutungsfragen wurden erweitert, die inhaltliche, methodische und organisatorische Untersetzung und Umsetzung hielt damit nicht mit. Der Niederschlag des Mehrperspektivischen findet vor allem im gesteigerten Unterrchtsgerede statt und weniger in der praktisch-motorischen Erfahrung. Dem Phantom Mehrperspektivität wird gehuldigt, ohne es angemessen verstofflichen oder methodisieren zu können.

Mit gesteigertem Eifer werden neue Zuständigkeiten zwecks Profilierung gesucht. Für eine ganze Generation von jungen Sportpädagogen sind Sportvereine eher eine Sozialstation und ist der Sportunterricht eher ein Anlass für Sozialerziehung, für Integration, Inklusion und Hyperreflexion. Dort fangen für sie dann die eigentlichen pädagogischen Prozesse erst an. Das Pädagogische wird zum Additivum des Sportfachlichen und wird nicht mehr in der inhaltlichen und methodischen Qualität des Sportfachlichen selbst gesehen. Welch ein Irrtum! Es ist in der Tat gelungen, dass die fachlichen Ausbildungsprozesse im Sport – das Lehren und Lernen von Bewegungen, das systematische Erwerben motorischer Fähigkeiten und Fertigkeiten (egal ob in der Schule oder im Verein und auf welchem Niveau) – nicht mehr als genuin pädagogische Prozesse verstanden werden, als fachliche Ausbildungsgänge, wo die Dimensionen des Pädagogischen, Didaktischen und Methodischen unlösbar miteinander verknüpft sind.

Es entsteht der Eindruck, als ob die Erkenntnisse und Erfahrungen mit der sogenannten ‚Berliner Didaktik’ beziehungsweise der ‚Hamburger Didaktik’ oder Ansätze einer Allgemeinen (Sport-) Methodik – egal ob bei STIEHLER oder bei FETZ – völlig in Vergessenheit geraten sind. Das entfachlichte Pädagogische wurde in außerschulsportlichen Ausbildungskontexten zum Begleitphänomen bestenfalls gefragt, wenn es noch Störungen im Ablauf gibt oder wenn es gesellschaftliche Konflikte zu kaschieren gilt. Die wichtigsten fachspezifischen Potentiale für Bildung und Erziehung zum, im und durch Sport wurden dabei verdrängt und übersehen. Selbstverständlich benötigen auch Trainer pädagogisches Professionswissen und pädagogische Kompetenzen, sie betreiben ja ein genuin pädagogisches Geschäft. Sie planen, sie realisieren und sie analysieren sportliche Ausbildungsprozesse. Aber mit Gewissheit benötigen sie nicht jene amputierte Anti-Sportpädagogik wie sie gegenwärtig angeboten wird. Diesbezüglich hatten CACHAY und GAHAI schon frühzeitig recht.

Es ist bemerkenswert, dass in einer zeitgeschichtlichen Epoche, die wie keine andere durch eine Expansion und Ausdifferenzierung der sportiven Bewegungskultur gekennzeichnet ist, wo der Trainingsgedanke eine breite gesellschaftliche Akzeptanz findet, geradezu zeitgleich eine durchgreifende Deprofilierung der Sportpädagogik erfolgte. Zugespitzt formuliert: Der Siegeszug des Sports und des Trainierens ging einher mit zunehmender Profillosigkeit der Sportpädagogik. Und die Trainings- und Bewegungswissenschaft gehen sowohl inkonsequent als auch besitzergreifend mit dieser Problematik um. In Präambelformulierungen und Einleitungen wird noch davon geschrieben, dass Trainingsprozesse pädagogische Prozesse seien, wo es um Vermittlung und Aneignung sportlicher Handlungs- und Leistungsfähigkeit beziehungsweise um das Lehren und Lernen von Bewegungen geht. In den weiteren Ausführungen jedoch wird dieser Anspruch nicht eingehalten, sie ziehen sich dann gern auf naturwissenschaftliche Positionen einer Leistungs- Bewegungsphysiologie oder einer angewandten Sportmedizin zurück oder sie verweisen (etwas heuchlerisch) auf Zuständigkeiten der Sportpädagogik. Dies geschieht wohlwissend, dass diese dort schon längst aufgegeben wurden und keine substantiellen Beiträge aus dieser Ecke zu erwarten sind. Es ist auffällig, dass zahlreiche Trainings- und Bewegungswissenschaftler, zum Teil persönlich mit universitären Lehramtsabschlüssen versehen, sich zwar aus Reputationsgründen von der Sportpädagogik emanzipiert haben, aber implizit dennoch Sportpädagogik (Trainingspädagogik/Bewegungspädagogik) auf hohem Niveau betreiben.

In den frühen Darstellungen der Trainingslehre (z.B HARRE) wurde noch völlig selbstverständlich und geradezu naiv von einem fachspezifischen Bildungs- und Erziehungsbeitrag des Trainierens geschrieben und die Bewegungslehre MEINELS stand unter einem pädagogischen Aspekt und innerhalb einer pädagogischen Rahmung. Die zurückliegenden Entwicklungen und Fehlentwicklungen lassen sich nur verstehen durch die Beachtung übergreifender gesellschafts- und sportpolitischer Vorgänge, die eine strukturelle Wandlung von der ursprünglichen ‚Theorie der Leibeserziehung’ (Westdeutschland) und ‚Theorie der Körpererziehung/Körperkultur’ (Ostdeutschland) zur ‚Sportwissenschaft’ beziehungsweise zu den ‚Sportwissenschaften’ auslösten. Dies galt als zeitgemäß und modern, erst im Osten und etwas verzögert im Westen. Sehr früh fanden die Begriffe Sport und Sportwissenschaft Eingang in die gesellschaftliche Realität. In den Schulen als Fachbezeichnung ab 1965 und an den Universitäten und Pädagogischen Hochschulen (Sektionen Sportwissenschaft) ab 1969.

Erstaunlicherweise wurde damals der DDR ein Modernisierungsvorsprung durch westdeutsche Sportwissenschaftler eingeräumt, Positionen an die man sich heute nur noch verschämt erinnert. In der BRD wurde die Argumentation einer dringend erforderlichen nachholenden Modernisierung entfaltet, um nicht den Anschluss zu verlieren und um sportwissenschaftlich personell und institutionell aufrüsten zu können. Letztlich führte dies dazu, dass in den beiden Deutschländern Ende der 80er Jahre die größte Dichte sportwissenschaftlicher Einrichtungen auf der Welt entstand. Die schiere Größe und zahlreiche Doppelstrukturen waren dann Grund für viele konfliktbeladene Aktivitäten des Umbaus und des Rückbaus dieser Strukturen nach dem Beitritt der neuen Länder zur BRD. Es galt sportwissenschaftliche Überhänge, gewissermaßen als Relikt und Rendite des kalten Krieges abzuwickeln und zurechtzustutzen. Die größten Verlierer dabei waren die Bereiche der Sportgeschichte (!) in Ost- und Westdeutschland. Die euphemistische Verklärung des Beitritts zur Wiedervereinigung (angeblich auf Augenhöhe) führt heutzutage zu den kuriosen Umständen, dass Gründungsereignisse im Zuge des nachahmenden Kopierens in der BRD bei entsprechenden Jubiläen gefeiert werden, wogegen die originalen Vorbilder in der DDR in Vergessenheit geraten sind: Sie hat es einfach nicht gegeben (Beispiele: Spartakiade in der DDR vs. Jugend trainiert für Olympia in der BRD; oder feiert eine Sportschule in der BRD ihr Jubiläum ist das normal, feiert eine Sportschule in den Neuen Bundesländern ihr 60- jähriges Bestehen, ist bereits der hinterlegte Zeitraum verwerflich).

Die Dämonisierung der ostdeutschen Sportentwicklung nimmt derweil groteske Züge an und trägt zwischenzeitlich zur gesellschaftlichen Spaltung bei. Die Beiträge von NICKEL zu dieser Thematik weisen darauf hin Die Opferzahlen des Sportsystems der DDR steigen ins Irrationale, die vagen Vermutungen einer transgenerativen Epigenetik werden als harte Tatsachen verwendet, berechtigte Opferansprüche werden mit Einladungen zum Betrug verwechselt und eifernd werden Delegitimation und Totalkritik geübt. Die Übersteigerung des Schlimmen relativiert letztlich das tatsächlich Schlimme.

In der Entwicklung von der ‚Theorie der Leibeserziehung’ zur modernen ‚Sportwissenschaft’ hat es mehrfach ein intellektuelles Aufbäumen gegeben, um den Status und die integrative Kraft der Sportpädagogik und des Sportpädagogischen beziehungsweise des Leibeserzieherischen zu retten. Die zahlreichen geisteswissenschaftlich-anthropologischen Bemühungen GRUPES sind hier zu erwähnen, wie auch das Unterfangen von KURZ im Diskurs mit SCHERLER sowie CACHAY und BÄHR, die Sportpädagogik zur integrativen Kerndisziplin der Sportwissenschaft zu erklären. Diese Bemühungen waren jedoch nicht mehr zeitgemäß, zu wenig selbstkritisch, fachlich einseitig und wissenschaftstheoretisch unzureichend begründet. Letztlich waren sie-wie geschehen- zum Scheitern verurteilt.

Zurückblickend und bilanzierend KURZ: „Trainer werden immer sagen, dass sie für Bildung und Erziehung nicht zuständig seien (das überlassen sie den Pädagogen), aber kaum einer ist so rigoros zu behaupten, es sei ihm egal, was seine jungen Athletinnen und Athleten außer Sport noch tun und wie es ihnen einmal gehen wird, wenn sie mit dem Leistungssport aufgehört haben“

Dieses Zitat bringt die ganzen, zwischenzeitlich angestauten Entfremdungen und Störungen im Verhältnis von Training und Bildung zum Ausdruck. Die fehlende Zuständigkeit der Trainer und die Verortung des Bildungsrelevanten in die Sphären außerhalb des Sports und in die Zeit nach dem Leistungssport. Das fachliche Kerngeschäft des leistungssportlichen Trainings, also die leistungssportliche Ausbildung der Athleten, hat demnach mit Bildung und Erziehung nichts zu tun. In ihrer einzigartigen Selbstmarginalisierung hat die deutsche Sportpädagogik es sogar zugelassen, dass sie letztlich über keine Zuständigkeit durch Expertise für das Lehren und Lernen von Bewegungen mehr besitzt: „Es dürfte doch eigentlich nicht sein, dass wir ausgerechnet für Fragen des Lehrens von Fertigkeiten, das Kerngeschäft der pädagogischen Profession, die wir ausbilden, das Feld den Motorikforschern überlassen!“

Welche zutreffende Einschätzung durch KURZ, aber auch welche Fehlentwicklung! Den Motorikforschern kann man nur dankbar sein, dass sie die ‚eigentliche’ pädagogische Aufgabe übernommen und sich um das Lehren und Lernen von Bewegungen gekümmert haben. Bei ähnlich kritischer Sicht unternahm KURZ bereits frühzeitig den interessanten Versuch das Trainieren als eine „dritte Dimension“ – neben Reifen und Lernen – für die menschliche Gesamtentwicklung zu etablieren. KURZ und insbesondere FREY setzten sich zeitweilig auch für ein Trainieren im Schulsport ein, was in den Erinnerungen von KURZ damals, angesichts der Deutungshoheit der Linken in der BRD, erheblichen Mut erfordert haben soll. Dieser Ansatz blieb jedoch leider ohne spürbare Resonanz in der bildungs- und sportwissenschaftlichen Diskussion jener Jahre. Zu sehr war der Zeitgeist durch die sport- und leistungsfeindlichen Soziologismen der sogenannten ‚Neuen Linken’ durchdrungen.

Die fehlende pädagogische Anerkennung des Trainierens als ‚dritte Dimension’ wäre damit vermutlich aber auch nicht zu erreichen gewesen. Dies wurde auch durch ein idealistisch abgehobenes, vergeistigtes und körpervergessenes Bildungsverständnis in Deutschland begünstigt. Dieser geisteswissenschaftliche Ansatz war ‚cartesisch’ geprägt und es fehlte der ‚biopsychosoziale’ Blick. Dennoch war es eine faszinierende Denkmöglichkeit, Aneignungsvorgänge in eher adaptogene (körperliche) Aneignungen und in eher kognitive (geistige) Aneignungsvorgänge zu differenzieren. Die Fassung des Trainierens als eigenständige Dimension (als eigener Grundvorgang) der menschlichen Entwicklung würde jedoch die Separierung des Trainierens gegenüber dem Lernen, und dem Bilden und Erziehen innerhalb und außerhalb von Schule nur verstärken.

Es ist gegenwärtig vor diesen Hintergründen sogar en Voge, eine Sportartorientierung im Schulsport, die Beachtung funktionaler Ordnungen, den Bezug zum Bewegungsverhalten und Gesundheitsstatus der Bevölkerung oder einen Verweis zu fairen sportlichen Wettkämpfen in die völkisch-rechtsradikale Ecke zu stellen, um den Sportbezug im Schulsport in Misskredit zu bringen. Unter Verweis auf ein Thesenpapier der AfD zur Sportentwicklung in Deutschland wird hier eine abwegige wie gefährliche ideologische Diffamierung vorgenommen. Die Nervosität des Zeitgeistes zeigt sich auch darin, dass Interventionen zur Begegnung von Übergewicht und Adipositas als biopolitisch motiviert, bewertet werden oder wenn die Sichtung, Auswahl und Förderung sportlicher Talente in Verbindung mit einer Leistungseugenik gebracht werden. Ähnlich gehobener Unsinn schlägt sich in Postulaten von der angeblichen Unvereinbarkeit von Demokratie und Spitzensport oder denen einer radikalen Wandlung des Sportunterrichts vom Bewegungsfach zum Beobachtungs- und Reflexionsfach nieder.

Die Bedeutsamkeit des „Zum“, „Im“ und „Durch“
Die theorietechnischen Denkfiguren einer Erziehung und Bildung ‚im’ Sport, einer Erziehung und Bildung ‚durch’ Sport und manchmal noch ergänzt durch eine Erziehung ‚zum’ Sport sind in der deutschen Sportwissenschaft, insbesondere in der Sportpädagogik weit verbreitet. DIGEL sieht in seinen schulsportlichen Querdenkereien darin grundlegende ideologische Ausrichtungen. Diese Auffassung teile ich so nicht, für mich sind das eher denkbare, pragmatische Akzentuierungen. Jedoch Akzentuierungen, die in Theorie und Praxis ganz unterschiedlich bedacht, beziehungsweise vernachlässigt werden. So ist zu konstatieren, dass eine systematische Erziehung und Bildung zum Sport und im Sport vernachlässigt werden zu Gunsten einer instrumentellen Nutzung von Elementen des Sports für Sportkritik, für Reflexions- und Bewertungsübungen, für das Erzielen von Effekten in anderen Bereichen. Der bildende Eigenwert des reflektierten Sporttreibens bleibt auf der Strecke.

Dafür scheint es gegenwärtig angebracht zu sein, ein Konzept vom ‚Erziehenden Sportunterricht’ als etwas Besonderes hervorzuheben, als etwas, das einen besonderen innovativen pädagogischen Anspruch markiert. Bei Lichte besehen handelt es sich dabei um eine triviale inhaltsleere Floskel. Es gibt keine Schule, keinen Unterricht, keinen Sportunterricht der nicht erzieht. Selbst die schlichtesten Formen von lediglich betreutem Sporttreiben erfüllen diese Funktion. Denn, Schule als solche erzieht. Der qualitativ springende Punkt besteht doch darin, ob durch erzieherische Einflüsse (Kommunikation und Kontexte; Aufgaben, Aufträge, Impulse) bildende Vorgänge bei Schülern oder trainierenden Athleten ausgelöst und gesteuert werden. Auf eine bildende Erziehung kommt es (an), eine Erziehung, die bildendes Lernen und bildendes Trainieren ermöglicht. Hier hat BECKERS mit seinem Verständnis von bildender Erziehung und seinen Anmerkungen zum erziehenden Unterricht nachvollziehbar recht.

Ideologie im Sinne von falschem Bewusstsein kommt zur Geltung, wenn der Sportunterricht zum Anti-Sportunterricht mutiert und letztlich aus sportfeindlichen Gründen keine Erziehung und Befähigung zum Sporttreiben mehr erfolgt. Die Losungen der ‚Neuen Linken’ Ende der 60er und zu Beginn der 70er Jahre wie, „Schafft den Sport ab, er vermehrt die Übel dieser Gesellschaft“ gingen in diese Richtung. Die berechtigte, dringend notwendige Sportkritik auf gesellschaftlicher Ebene sollte dabei nicht über Gebühr auf den Schulsport und insbesondere nicht auf den allgemeinbildenden Sportunterricht im Kindes- und Jugendalter – im Sinne einer Ersatzbühne – übertragen werden. Schule und Schulsport werden dadurch schnell überfordert und gegebenenfalls missbraucht. Eine Gesellschaft, die radikal exkludierend und spaltend wirkt wie die gegenwärtige, kann nicht dadurch ‚geheilt’ werden, dass Schulsport und Sportunterricht vordergründig auf Inklusion und Integration ausgerichtet werden.

Das Allgemeine und das Spezielle
Deutschland gehört zu den wenigen Ländern auf der Welt, wo neben der allgemeinen Schulpflicht auch eine Berufsschulpflicht in den Gesetzgebungen der Länder verankert ist. Das führte frühzeitig in Deutschland zu Überlegungen, wie allgemeine und spezielle berufsbildende Bildungsgänge miteinander zu verknüpfen und möglichst synergetisch zu gestalten sind. Für die deutsche Bildungslandschaft und für die ökonomische Entwicklung der gesamten Volkswirtschaft ist darin ein außerordentlicher Erfolgsfaktor zu sehen, um den uns viele Länder beneiden. Die Fragen, Probleme und Lösungen einer ‚dualen Bildung’ haben hier ihre wesentlichen Grundlagen und Wurzeln. Vor dem Hintergrund systemischer Differenzen (Schulsystem – Wirtschaftssystem) gilt es allgemeine und spezielle Bildungsgänge miteinander zu verknüpfen.

Die unbestreitbaren Herausforderungen einer nicht-beruflichen oder semiberuflichen sportlichen Spezialbildung in struktureller Verknüpfung mit schulischer Allgemeinbildung sollten sich an diesen gelungenen Problemlösungen zumindest heuristisch orientieren. Im nicht-beruflichen Bereich finden sich dazu einige Beispiele in Bildungseinrichtungen mit musisch-künstlerischer Ausrichtung und in einigen Verbundsystemen von Schule und Leistungssport. Dogmatisierende systemtheoretische Betrachtungen zu angeblich völlig verschiedenen ‚Kodierungen’ (Sieg/Niederlage vs. Wissen/Nichtwissen) sind dabei wenig hilfreich. Das schulische Erziehungssystem und das Leistungssportsystem lassen sich zeitlich, sozial und inhaltlich grundsätzlich miteinander strukturell verkoppeln. Bei übergreifenden Interessenlagen und gelingender Kommunikation sind die realen Differenzen sogar leicht zu überwinden. Die Konzeption vom bildenden Trainieren kann dazu einen Beitrag leisten.

Das setzt jedoch voraus, dass auch sportliche (Aus-)Bildung auf allgemeiner und auf spezieller Ebene konsequent als (Aus-)Bildungsgänge verstanden, konzipiert und praktiziert werden. Das geschieht bislang weder in Theorie und Praxis in angemessener Qualität. Der Anspruch, ein Bildungsgang, ein Ausbildungsgeschehen in der Zeit zu sein, impliziert mit Notwendigkeit eine pädagogische (sportpädagogische/trainingspädagogische) Intentionalität, eine didaktische Abbreviatur von Ausbildungsinhalten und eine methodisch-organisatorische Umsetzung. Bildungsgänge werden dabei sowohl als objektiv-strukturale Bildungsgänge auf programmatischer Grundlage gesehen (die ‚äußere’ Seite), als auch als subjektive, inividualbiografische Bildungsgänge betrachtet (die ‚innere’ Seite). Die „äußere“ Seite (Programmatik, Schulstufen, Schulform, Förderstufe des Trainings) soll individuell bestmögliche Bildungsgänge ermöglichen. Auf wesentliche Aspekte von Talent und Bildungsgang gehen PALLESEN und SCHIERZ zutreffend ein.

Schulsport ist zwingend eingebunden in die Funktionslogik der Bildungsorganisation Schule. Weder ist Schulsport ein verkleinertes Abbild des außerschulischen Sportes, noch befindet sich der Schulsport auf derselben logischen Ebene der Sportbereiche wie Breitensport, Spitzensport, Gesundheitssport oder Dienstsport. Schulsport hat in der Tat seine pädagogische Eigenlogik im Kontext der Bildungsorganisation Schule. Der schnelle Verweis auf eine anspruchslose affirmative Abbilddidaktik, wenn im Schulsport nur Ansätze einer Sportartorientierung durchschimmern, führt teils zu seltsamen Bezeichnungen von realitätsfern konstruierten Bewegungsfeldern, die es dann mehrperspektivisch zu unterrichten gilt. Eine dringend gebotene sportdidaktische Abbreviatur der Leichtathletik, des Schwimmens oder des Gerätturnens für schulsportliche Belange wird nicht dadurch erreicht, dass ich die Bezeichnungen Leichtathletik, Schwimmen oder Gerätturnen nicht mehr im Sportunterricht verwende.

Dabei ist jedoch immer zu bedenken, dass die Orientierung an der Funktionslogik von Schule kein völlig geklärter und einheitlich verstandener Sachverhalt ist. Die Auffassungen zur Funktion von Schule divergierten und divergieren beachtlich. Vom lebensfremden Schonraum, über stringente Anpassung an gesellschaftliche Strukturen bis hin zu einer gesellschaftsverändernden, revolutionären Zelle reichen hier die Vorstellungen. So kritisiert LENZEN vehement ein schulisches Erziehungsverständnis, welches die Erzeugung von Schonräumen zur Lebensvermeidung kultiviert und fordert: „ Wir müssen schon in der Grundschule, mit großer Konsequenz aber in der Sekundarstufe II, in der Hochschule und Berufsausbildung die nachwachsende Generation mit allen Elementen des Lebensernstes konfrontieren: mit Arbeit, mit ökonomischen Druck, mit sozialen Erwartungen, mit Rechtfertigungspflicht, mit Verantwortungsübernahme, für sich selbst zuständig sein zu wollen und nicht eine der vielen Opfernischen bewohnen zu wollen, die unsere Gesellschaft bietet.“

Gesellschaftsbezug und Lebensnähe sprechen für einen Schulsport wo pädagogisch reflektierte Sportartorientierung (Handball in der Schule; Leichtathletik in der Schule u.a.m.), wo sportliche Wettbewerbe und Leistungssteigerungen pädagogisch nicht verteufelt werden. Für den Schulsport ist es eine Herausforderung und ein großer Vorteil, dass in Deutschland ein so vielfältiger außerschulischer Sport existiert, zu dem Beziehungen und Anschlussmöglichkeiten in beiderseitigem Interesse hergestellt werden können. 

‚Mitmachen oder Widerstehen?’
Diese Losung wurde anlässlich des dvs-Hochschultages im September 1989 in Freiburg (Br.) in Form eines vervielfältigten Manuskripts begleitend zum Forum III verbreitet. Die bevorstehende Implosion der DDR und der spätere Beitritt der sogenannten neuen Länder zur BRD war zu diesem Zeitpunkt noch nicht absehbar. Der wissenschaftliche Hochschultag hatte das Thema Leistungssport zur übergreifenden Rahmung seiner Veranstaltungen bestimmt. Dem Mitmachen am System Leistungssport und der wissenschaftlichen Unterstützung dieses Systems sollte aus ethischen, pädagogischen und humanistischen Gründen widerstanden werden, so die Sicht der Widerständler.

Dies trug maßgeblich zu einer weiteren Verstärkung der bereits angelegten, tradierten Verweigerungshaltung der deutschen Sportpädagogik gegenüber dem Nachwuchsleistungssport im Besonderen und einer leistungsorientierten Sporterziehung in der allgemeinbildenden Schule bei. Da ein sportpädagogischer Vertreter der ‚Widerstandsbewegung’ auf diesem Hochschultag auch noch zum Präsidenten der dvs gewählt wurde, ließ einige tendenzielle Orientierungen erkennen. Die deutsche Sportpädagogik ging mit Blick auf Leistung, Wettbewerb, Sportartorientierung und Leistungssport in den ‚Widerstand’ und dort befindet sie sich zu beachtlichen Anteilen immer noch. Die etablierte deutsche Sportpädagogik hat bislang keinen ernsthaften Beitrag zur Entwicklung einer konstruktiven Trainingspädagogik oder Trainingsdidaktik als fachliche Gegenstände geleistet, im Gegenteil, sie hat den Leistungssport in die Ecke der pädagogischen Anspruchslosigkeit gerückt, ohne auch nur eine konstruktive Lösung anzudeuten.

Es ist nicht frei von Ironie, wenn sich gerade jene Sportpädagogen die über Jahrzehnte hinweg zur Diffundierung des Fachauftrages des Schulsportes beigetragen haben, die zunehmende Diffundierung des Fachauftrages beklagen und eine Konzentration auf das Wesentliche fordern. Das Verhältnis von Pädagogik und Nachwuchsleistungssport ist seit langem in mehrfacher Hinsicht und vor allem grundsätzlich gestört. Es gibt nicht wenige Erziehungs- und Sportwissenschaftler, die den Leistungs- und Wettkampfsport per se als eine primitive, inhumane Veranstaltung bewerten. Für sie ist der Sport eben noch nicht völlig „entbarbarisiert“. Diese Störungen lassen sich nicht allein durch die tatsächlichen oder vermeintlichen systemischen Differenzen zwischen dem Erziehungssystem und dem Sportsystem erklären. Diese Differenzen sind überwindbar. Hier spielen persönliche Vorurteile und fundamentale ideologische Vorbehalte eine nicht unerhebliche Rolle.

In seinen bilanzierenden Betrachtungen macht es sich KURZ zu einfach, wenn er von zwei Lagern in der Sportwissenschaft schreibt und dabei einem Lager die Merkmale „technologische Unterstützung für Trainer“ und an anderer Stelle diesem Lager ein „sportlich-technisches Interesse“ zuordnet. Das andere Lager zeichnet sich durch ein „pädagogisch-humanes Interesse“ aus, geht auf Distanz zur technologischen Unterstützung bis hin zur fundamentalistischen Ablehnung. Die Bedienung des Klischees ‚Technokraten’ versus ‚Humanisten’ zur Kennzeichnung der Lager ist sachlich nichtzutreffend und viel zu schlicht. Ein sportlich-technisches Interesse und ein pädagogisch-humanes Interesse sind grundsätzlich vereinbar. Das Ausloten der Möglichkeiten und Grenzen der Vereinbarkeit dieser Interessen wäre eine wissenschaftliche Aufgabe der Sportpädagogik.

Der Sport mit all seinen Facetten ist strukturell gesehen pädagogisch durchaus ambivalent aber konstruktiv-humane und entwicklungsförderliche Lösungen sind möglich und werden durchaus schon erprobend praktiziert. Sporttreiben beinhaltet (vermeidbare) gesundheitliche Risiken. Die Unfallstatistiken belegen das eindrucksvoll. Dennoch sind die Beiträge zur Gesundheitsförderung aufs Ganze gesehen sehr viel größer. Es ist keine Rufschädigung – wie KURZ befürchtet – wenn sich die Sportwissenschaft und insbesondere die Sportpädagogik darauf einließen, Führungskräfte für den Leistungssport zu qualifizieren: „Derzeit auf wissenschaftlicher Grundlage Führungskräfte für den Leistungssport ausbilden zu wollen-das wäre ein Wagnis, mit dem wir zugleich den Ruf unserer Wissenschaft auf Spiel setzten.“ Das mit dem selbstattestierten vermeintlich guten Ruf sei mal dahingestellt, aber Wissenschaft muss immer etwas Herausforderndes wagen, dafür ist sie da. Die Befürchtungen von KURZ sind unangebracht. Eine andere Frage ist es, ob die Sportwissenschaft, insbesondere die Sportpädagogik überhaupt über jene wissenschaftlichen Grundlagen verfügt, um entsprechende Führungskräfte auszubilden. An einer Pädagogik des Leistungssports oder einer Pädagogik des leistungsorientierten Breitensports fehlt es offenkundig.

Cartesische Fallen und das Konzept vom Biopsychosozialen
Das Scheitern des Ansatzes von GRUPE, die Theorie der Leibeserziehung in eine moderne Sportwissenschaft zu transformieren und wo zugleich diese Transformation unter einer pädagogischen Gesamtperspektive und mit einer integrativen Sportpädagogik als Kerndisziplin geschehen sollte, hat viel mit Cartesischen Fallen und der Vernachlässigung des Biopsychosozialen zu tun. Nach RYLE und vielen anderen (z.B. POPPER & ECCLES, DENNETT, LEWONTIN) führte das traditionsreiche cartesische Denken nicht nur zur „Zwei-Welten-Legende“ sondern auch zu „Zwei-Wissenschafts-Welten“, zu den zwei Wissenschaftskulturen, die mit den Signaturen „res extensa“ und „res cogitans“ markiert werden und in vielen anderen Differenzbeschreibungen (Körper-Geist; Leib-Seele; Natur-Kultur u.a.m.) ihren Niederschlag gefunden haben.

Das Gebilde der einzigartigen deutschen Sportwissenschaft, ein Konglomerat aus geisteswissenschaftlichen, sozialwissenschaftlichen, verhaltenswissenschaftlichen, naturwissenschaftlichen und ingenieurwissenschaftlichen Bestandteilen bedarf großer integrativer Kräfte und intertheoretischer Syntheseleistungen wenn daraus eine integrative Humanwissenschaft werden soll, in der das Sportpädagogische eine bedeutende Rolle einnehmen könnte. Ein Denken in Lagern ist dafür nicht hilfreich, intertheoretische Diskurs sind erforderlich. Die cartesianische „Zweiweltenlegende“ hat in der deutschen Sportpädagogik ausgeprägte Fehlentwicklungen begünstigt, die beispielsweise in den Arbeiten von BECKERS und FRANKE und den darin hinterlegten, überhöhten, intellektualistisch vergeistigten und abiotischen Bildungsverständnis. Es ist ein Bildungsverständnis in der Postulatewelt von „res cogitans“ ohne Bezug zur biopsychosozialen Realität des Menschen.

Die cartesianische Zweiweltenlegende impliziert ja nicht nur die Trennung in zwei Welten, sie impliziert ja auch zwei Niveaus von Bildung: die höhere ‚geistige’ Bildung und die niedere ‚körperliche’ Ausbildung. Das verständliche Bedürfnis mancher Sportpädagogen, den Anschluss an die höhere ‚geistige’ Bildung herzustellen (im Sinne einer bildungstheoretischen Legitimation) führt dann zu Verzerrungen im Zielgefüge und im Fachauftrag, beispielsweise des Schulsports. Der Sportunterricht mutiert vom Bewegungsfach zum Reflexions- und Beobachtungsfach. Die Entwicklungen der Sportpädagogik und der Trainingswissenschaft in den letzten Jahrzehnten sind – wie die gesamte Sportwissenschaft und auch Bildungswissenschaft – durch nachhaltig wirksame cartesianische Denkmuster geprägt. Diese Muster wirken zumeist subtil und treten aber auch offen in den Argumentationsmustern zu Tage.

Das cartesische Zweiwelten-Denken hat nicht nur das Körperliche (Leibliche) vom Geistigen getrennt, dieses Denken hat gleichzeitig einen hierarchischen Dualismus verfestigt. Die Unterscheidung einer „höheren“ geistigen Bildung von einer „niederen“ praktisch-motorischen (körperlichen) Ausbildung ist gerade in Deutschland zutiefst verfestigt. Dazu VOLAND und VOLAND aus pädagogischer Perspektive: „Für die Geisteswissenschaften im Allgemeinen und die Pädagogik im Besonderen lässt sich die ungebrochene intellektuelle Vorherrschaft des cartesianischen Dualismus mit seinen diversen Dichotomien wie Geist/Körper, Leib/Seele oder Natur/Kultur feststellen“. Das biopsychosoziale Wechselspiel wurde getrennt und das Kognitive vom Körperlichen abstrahiert. Bildung blieb eine rein geistige Angelegenheit. Bildung blieb in der Welt der „res cogitans“.

In neueren Arbeiten zur performativen Pädagogik und in Entwürfen performativer Bildungstheorien wird diese Trennung und dieser Dualismus zurückgewiesen und man setzt auf eine durchgreifende performative Wende (performative turn). Die wirkungsmächtigsten Konzepte und Hintergrundtheorien zum Aufbrechen dieser cartesianischen Denkfiguren resultieren aus einem konsequent biopsychosozialen Herangehen, aus dem Konzept der biokulturellen Ko-Konstruktion und aus evolutionstheoretischen Paradigmen, die zwischenzeitlich auch empirisch sehr gut belegt sind.

Diese Diskurse sind in der Bildungswissenschaft zum Teil mit irritierender Wucht angekommen, jedoch noch nicht angemessen in der Sportpädagogik. Gleiches gilt für die Diskurse zur Epigenetik. Das ist insofern bemerkenswert, da gerade die Konzepte des materialistischen Naturalismus eine produktiv irritierende Chance für die Sportpädagogik bieten. Die Epigenetik bildet eine Brücke zwischen Kultur und Natur und ermöglicht eine neue Arbeitsteilung zwischen Pädagogik und Biologie. Epigenetik lässt sich nicht auf ethisch unverantwortbare Enhancement-Technologien (genetische, pharmakologische, technische, morphologische) reduzieren. Epigenetik erhöht jedoch die Bedeutung von Erziehung und Bildung, unterstreicht den Wert einer gesunden Lebensführung, einschließlich des proaktiven Bewegungs- und Ernährungsverhaltens.

Die innovative Arbeit von ANHALT zu Bildsamkeit und Selbstorganisation vor dem Hintergrund von Herbartschen Konzepten mit seinen expliziten Bezügen zu den natürlichen (organischen) Grundlagen ist ebenso wenig aufgearbeitet wie der bemerkenswerter Aufsatz von LALAND ET AL. zur Erweiterten Synthese in der Evolutionstheorie (das EES Konzept), wo explizit Anschlussmöglichkeiten für die Sozial-und Verhaltenswissenschaften eröffnet werden. Das cartesische Denken trennt nicht nur Körper und Geist, es begründet ebenso die gesamte mechanistische Maschinenmetaphorik. Der Evolutionsbiologe LEWONTIN gelangt zu der Einschätzung: „Tatsächlich beruht die gesamte moderne Wissenschaft auf Descartes Metapher von der Welt als Maschine, die er in Teil V seines Discours de la methode (1637) als einen Weg zum Verstehen von Organismen einführt und schließlich zum Nachdenken über das gesamte Universum generalisiert“.

Der Dualismus von Geist und Körper und die Orientierung der Erklärungen an der Maschinenmetaphorik wirken in der Trainingswissenschaft ebenso wie in der Bildungswissenschaft (Erziehungswissenschaft) nach, jedoch mit jeweils differentieller Akzentuierung. Es ist kein Zufall, dass eines der wirkungsmächtigsten Frühwerke der Unterrichtstheorie von Comenius ebenfalls das Maschinenmodell im Sinne seiner Didactica Machina benutzte, um damit ein pädagogisch-technologisches Machbarkeits- und Erzeugungsdenken zu begründen (Lehren erzeugt Lernen), welches bis in die Gegenwart nachwirkt. Die cartesische Trennung von Körper und Geist mit all seinen Ausprägungsformen, die Maschinenmetaphorik in Verbindung mit einer tradierten Erzeugungsdidaktik und die Nichtbeachtung der biopsychsozialen Einheit des Menschen haben das Entstehen und das Festhalten am Konzept vom Langfristigen Leistungsaufbau (LLA) begünstigt.

Das trainingswissenschaftliche Konzept vom LLA, ein vom IAT- Leipzig unkritisch übernommenes Relikt des früheren FKS-Leipzig, basiert auf überzogenen Positionen der Verfügbarkeit, der Steuerbarkeit und der Planbarkeit menschlicher Entwicklungsverläufe und bringt ein mechanisches Erzeugungsdenken von sportlichen Leistungen zum Ausdruck. Es ist schwarze Trainingspädagogik beziehungsweise unrealistische Erzeugungsdidaktik pur. Die fortwährende Kultivierung der prinzipiellen Grenzen zwischen Lernen und Trainieren, zwischen Trainierbarkeit und Bildsamkeit, zwischen Kondition und Koordination, zwischen Information und Energie, zwischen den Vorgängen der Informationsverarbeitung und den Vorgängen der energetischen Adaption in der Sportwissenschaft belegen das anhaltende cartesische Denken und die damit verbundene Maschinenmetaphorik.

Trainierbarkeit und Bildsamkeit
Für das theoretische System der Trainingswissenschaft und der Bildungswissenschaft (Erziehungswissenschaft, Pädagogik) sind die Kategorien Trainierbarkeit und Bildsamkeit von fundamentaler und zentraler Bedeutung. Ohne die Phänomene der Trainierbarkeit und Bildsamkeit gäbe es weder eine Bildungswissenschaft noch eine Trainingswissenschaft. Sportliches Training, Erziehung und Bildung wären sinn- und gegenstandslos. Ähnlich fundamental wie der Begriff Trainierbarkeit in Bezug zur Trainingswissenschaft ist, verhält es sich mit dem Begriff der Bildsamkeit für die Entwicklung der Allgemeinen Pädagogik und den damit verknüpften Theoriegebäuden. Theorietechnisch gesehen und praktisch betrachtet nimmt die Kategorie Bildsamkeit in der Bildungswissenschaft (und auch Erziehungswissenschaft) einen ähnlichen fundamentalen kategorialen Status ein, wie die der Trainierbarkeit in der Trainingswissenschaft. Das Verständnis von Bildsamkeit des Sportwissenschaftlers FRANKE – in Anlehnung an den Allgemeinpädagogen BENNER – als „konstitutives Prinzip“ (bei relativer Unterscheidung zu den regulativen Prinzipien) wird grundsätzlich geteilt.

Grundsätzlich widersprochen wird jedoch der konsequenten Ausblendung, der Abkopplung von den natürlichen (biotischen, biogenetischen, epigenetischen) Grundlagen der menschlichen Bildsamkeit oder besonderer Umweltbedingungen durch FRANKE: „Im Unterschied zu naturalistischen Anlagevorstellungen bezieht sich der Verweis auf die Bildsamkeit des Menschen nicht auf eine genetische Prägung oder besondere Umweltbedingungen, … Das bedeutet: Bildsamkeit ist ein Prinzip, das nicht einen genetischen Zustand, sondern einen möglichen Prozess des Menschen als Gattungswesen sichtbar macht, bei dem es erfährt, welche Bedeutung Lernen, Wissen und ein sich dessen Bewusstwerden haben können.“

Dem ist zu entgegnen: Selbstverständlich besteht keine Identität von natürlichen (organischen) Grundlagen der Bildsamkeit und der Bildsamkeit als konstitutives Prinzip, aber beides muss aufeinander bezogen werden und das Organische und die Umweltbedingungen sind in das Bildsamkeitsverständnis mit-konstituierend zu integrieren. Geschieht das nicht, verliert Bildsamkeit einen Grundlegungs- und Wirklichkeitsbezug und hebt in die Sphären des ‚rein’ Geistigen ab. Ohne genetische Prägung, ohne epigenetische Modifikation, ohne Beanspruchung organischer Plastizität, ohne Beachtung der Umwelteinflüsse ist die Bildsamkeit des Menschen weder erklärbar, noch für pädagogisches Handeln erschließbar und nutzbar. Auch die Beachtung des „genetischen Zustandes“ ist unabdingbar.

Trainieren – eine Form von Lernen
Lernen ist ein Grundvorgang in der Humanontogenese und muss bezüglich der menschlichen Entwicklung auf einer Bedeutungsebene wie die Vorgänge des Reifens, Wachsens und Alterns gesehen werden. Von diesen irreversiblen Vorgängen unterscheidet sich Lernen durch seine Reversibilität. Jegliches Lernen – egal ob es in der Mathematik oder im Sport stattfindet – ist biopsychosozial begründet. Es gibt kein rein ‚geistiges’ Lernen, Lernen lässt sich auch nicht auf bestimmte Organisationsformen eingrenzen und Lernen wird auch nicht durch Lehren erzeugt, jedoch ermöglicht. All das sind Gesichtspunkte die für ein weites Verständnis vom Lernen.

Der Sport und die Sportwissenschaft sollten ein originäres Interesse am weiten Verständnis vom Lernen haben; leider trifft das gerade hier nicht zu und es werden Abgrenzungen im ganz kleinen Karo vorgenommen. So wird postuliert, motorische Kompetenzen sind lernfähig und motorische Fähigkeiten nicht oder wer Trainieren (und Üben) als Lernen versteht begeht angeblich einen Kategorienfehler. Es gibt kein rationales Argument was dagegen spricht, Trainieren nicht als eine Form von Lernen zu verstehen. Durch Trainieren wird etwas reversibel erworben beziehungsweise erhalten. Trainieren ist eine Form von Lernen und das Trainieren muss gelernt werden. Das systematische Erwerben von motorischer Fähigkeit und Fertigkeiten in unterschiedlichen organisationalen Formen ist ein gegenstandspezifisches Lernen in einem eigentümlichen Selbstbezug und Objektbezug. In zugespitzter Form: Der Erwerb von Kraft ist lehrbar und lernbar, dieser Erwerb mit seinem eigentümlichen (organischen) Gegenstand unterliegt dem Prinzip der Lehrbarkeit und dem Prinzip der Lernbarkeit. Dieses Lehr-Lerngeschehen erlaubt und erfordert Reflexion, einschließlich kognitiver Repräsentanz. Dieses Lehr-Lerngeschehen kann die Qualität bewusster Selbstvervollkommnung erreichen.

Dem muss hinzugefügt werden, dass Lernen auf verschiedenen Qualitätsstufen vollzogen wird. Einfache Formen des Lernens schlagen in qualitativ höhere Formen um. Die kognitive Repräsentation, die kognitive Durchdringung und begleitende Reflexivität spielen hierbei eine hervorragende Rolle. Ein Trainieren im reflexiven Modus ist ein Lernen im reflexiven Modus.

Plastizität: die organische Grundlage für Training und Bildung
Die organische Plastizität der menschlichen Zellstrukturen und -funktionen ist ein Produkt der Evolution. Die organische Plastizität ist in der gesamten Humanontogenese nutzbar. Diese organische Plastizität lässt sich als die natürliche Grundlage und Voraussetzung für jegliches Lernen und Trainieren, für Erziehung und Bildung verstehen. Diese und weitere epigenetische Einflussnahmen wären ohne die biogenetisch ererbte Plastizität nicht möglich. Die Plastizität (neuronale, motorische, metabolische, morphologische) ist eine molekularbiologische Eigenschaft von Zellsystemen des Menschen, die es ihnen erlaubt proaktiv Akteur und Gestalter ihrer eigenen Entwicklung in der Humanontogenese zu sein. Sie können dadurch zum intelligenten Designer ihrer selbst werden. Annahmen zum biogenetischen Determinismus oder eines fatalistischen Ausgeliefertseins gegenüber genetisch ererbten Dispositionen lassen sich dadurch überzeugend zurückweisen. Die Chancen der lebenspraktischen Einflussnahmen sind sehr viel größer als bislang angenommen. Obwohl noch erhebliche Erklärungslücken zwischen dem bewussten Erleben und den damit korrelierenden biologische Prozessen bestehen, sind die Konturen einer naturwissenschaftlichen Erklärung auch des Phänomens Bewusstsein erkennbar.

So ist auch die praktische Selbsterfahrung, durch gezieltes sportliches Training eine nachweisbare Selbstveränderung (Ausdauer; Kraft; Beweglichkeit) vornehmen zu können, von großer pädagogischer, ethischer und humanistischer Bedeutung. Das legitimiert den Einsatz von Elementen des sportlichen Trainierens auch in den allgemeinbildenden Schulsport. Die praktischen Veränderungserfahrungen der Schülerinnen und Schüler stehen dabei im Zentrum und nicht etwa ein ohnehin unmöglicher, aber häufig unterstellter, langfristiger Leistungsaufbau. Diese phylogenetisch erworbene und biogenetisch vererbte Eigenschaft ‚Plastizität’ ist für das Lernen (einschließlich Trainieren) eine unabdingbare Voraussetzung. Erst dadurch werden Selbstveränderung im Denken, Handeln und Verhalten durch Lernen möglich. Durch selbstbestimmtes Trainieren wird für die Sporttreibenden etwas verfügbar, was sie bislang für (völlig) unverfügbar hielten. Die organische (natürliche) Plastizität eröffnet die Möglichkeiten und determiniert die Grenzen der Lernbarkeit, einschließlich der Trainierbarkeit. Wo keine organische Plastizität vorliegt kann auch nichts trainiert werden, weil keine Trainierbarkeit gegeben ist. Die weitere Ausarbeitung des Plastizitätskonzeptes wird wesentlich zum Verständnis der Trainierbarkeit und zur Strukturierung der KategorieTrainingsinhalte beitragen.

Die Epigenetik mit ihren gegenwärtig stürmisch wachsenden Erkenntnissen und neuen Einsichten, ist für die Sportwissenschaft und die Bildungswissenschaft von weitreichender Bedeutung. Sie kann durchaus die Grundlage für eine neuerlich gestärkten (sport-) pädagogischen Optimismus werden. Die kritische Sicht und Abgrenzung von den Enhancement-Technologien und manchen Transhumanismus Debatten ist dabei geboten. Die Visionen von GRUPE erhalten unter Einbeziehung dieser bio- und neurowissenschaftlichen Befunde eine völlig neue Realisierungschance. Das neue Paradigma lautet: Genotyp plus Epigenetik gleich Phänotyp. Alle bisherigen Befunde weisen darauf hin, dass das Spektrum der Möglichkeiten epigenetischer Einflussnahme durch Nutzung der organischen Plastizität sehr viel größer ist als bislang angenommen.

Bildendes Trainieren als Qualitätsstufe des Trainierens
Die Vorstellungen von qualitativen Lernstufen sind relativ alt (BATESON). Vergleichsweise neu sind die konzeptionellen Entwürfe für eine strukturale und transformatorische Bildungstheorie (MAROTZKI; KOKEMOHR; KOLLER). Exemplarisch wurde das mit der Frage verbunden, wann und unter welchen Bedingungen schlägt ‚einfaches’ Lernen in ein ‚bildendes’ Lernen um. Und wie lässt sich dieses Emergieren inhaltlich und methodisch-organisational ermöglichen. Zunehmende Reflexivität, Verarbeitung von kognitiven Repräsentationen, Herstellung von Selbst- und Umweltbezügen sind wichtige Merkmale für das qualitative Umschlagen. Die Herbeiführung (Steuerung, Ermöglichung) ist auf Kommunikation, auf differente Aufgabenstellungen, auf Kontextsteuerungen, auf Phasen privilegierten Lernens und „fruchtbare Momente“ angewiesen. Bildendes Lernen ist ein Lernen im „reflexiven Modus“.

Diese Ansätze gilt es auf die Lernform Trainieren zu übertragen. Die Grundannahme dafür lautet: Auch das Trainieren muss gelernt werden und die Entwicklung der Qualität des Trainierens lässt sich beobachten und mittels einer Qualitätsstufung beschreiben. Die Qualitätssteigerung lässt sich durch trainingsdidaktische und trainingsmethodische Maßnahmen in Ausbildungsgängen ermöglichen. Das bildende Trainieren wird dabei als höchste Qualitätsstufe des individuellen Bildungsganges verstanden, die Sportler erreichen können. Bildendes Trainieren ist ein Trainieren im „reflexiven Modus“. Es zeichnet sich durch intrinsische Motiviertheit, durch kognitive Durchdringung und einen ausgeprägten Selbst-und Weltbezug aus. Sportler, die im reflexiven Modus trainieren, wissen genau warum sie trainieren, wie sie trainieren und was sie verändern müssen. Sportler die im reflexiven Modus trainieren wissen genau was sie tun, sie sind intelligente Designer ihrer selbst.

Die Qualitätsstufung des Trainierens ist nicht mit den tradierten Förderstufen des Trainings (Grundlagen-, Aufbau-, Anschluss- und Hochleistungstraining) identisch. Die Förderstufen markieren die ‚äußere’ Seite der Ausbildung, die Qualitätsstufen die ‚innere’, individuelle Seite des (Aus) Bildungsganges. Das dauerhafte Erbringen sportlicher Höchstleistungen und beständiger Wettkampferfolge über mehrere Jahre hinweg ist an ein bildendes Trainieren gebunden. Nicht alle erfolgreiche Athleten erreichen dieses Niveau. Die Ermöglichung eins bildenden Trainierens erfordert gebildete Trainer. Bildung wird in diesem Konzept als Ressource und Voraussetzung für individuelle Leistungssteigerung und Wettkampferfolge im Sport angesehen und in diesem Geschehen erfolgt auch die Bildung des Sportlers zur Person. Das hat nichts mit den romantisch überhöhten Erwartungen an eine eigentümliche Sportlerpersönlichkeit zu tun. Die Bildung der Person resultiert aus einer dauerhaften, vertieften, reflektierten und proaktiven Auseinandersetzung mit der Sache Sport. Eine selbstbestimmte Auseinandersetzung, wo eine bislang unverfügbare Handlungs-und Leistungsfähigkeit für den Sportler verfügbar wird. Positive Auswirkungen auf das Leben ‚daneben’ und ‚danach’ sind dann beinahe unvermeidlich. Bildung schadet insofern wirklich nicht, auch nicht beim Trainieren und Wettkämpfen.

Ohne Pädagogik, Didaktik und Methodik gibt es keine Ausbildung im Sport und keine Berufswissenschaft für die Ausbilder
Trainingspädagogik, Trainingsdidaktik und Trainingsmethodik finden implizit immer statt. Eine elaborierte explizite Trainingspädagogik und Trainingsdidaktik gibt es nicht. Die Störungen im Verhältnis von Training und Bildung lassen sich deutlich reduzieren. Dafür sind verschiedene Szenarien vorstellbar, sind bestimmte paradigmatische Grundpositionen einzunehmen und sind ausgefahrene Gleise zu verlassen. Das Selbstverständnis der Sportpädagogik und das der Trainingswissenschaft gewinnt dabei erheblich an Bedeutung, ebenso wie ein pragmatisch-kooperatives Verhältnis dieser beiden Disziplinen. Beide Disziplinen zeichnen sich durch strukturelle und funktionale Gemeinsamkeiten aus und tragen besondere Verantwortung für die Gesamtentwicklung der Sportwissenschaft in Deutschland. Zu den Gemeinsamkeiten gehören:

(1) Sportpädagogik und Trainingswissenschaft müssen sich wissenschaftlich (und forschend) mit (Aus)Bildungsprozessen befassen. Es ist pädagogisches, didaktisches und methodisches Professionswissen zu generieren und aufzubereiten. Es sind wissenschaftliche Grundlagen für Kompetenzentwicklungen zu schaffen. Unter dieser Perspektive lassen sich Sportpädagogik und Trainingswissenschaft als genuine Ausbildungswissenschaften verstehen. Das Wissen und die Kompetenzen zu den sportbezogenen Ausbildungsgängen (allgemeine und spezielle, innerhalb und außerhalb von Schule) sind von Ausbildungswissenschaften so aufzubereiten, dass sie sich durch Lehrbarkeit und Lernbarkeit (Studierbarkeit) auszeichnen.

(2) Sportpädagogik und Trainingswissenschaft haben ihren maßgeblichen Bezugspunkt und Referenzrahmen in historisch gewachsenen, etablierten und den ausgeprägtesten Berufsfeldern und Berufsbildern. Unter dieser Perspektive sind Sportpädagogik und Trainingswissenschaft als Berufswissenschaften für Trainer beziehungsweise für Sportlehrer zu verstehen. Aus diesen Berufsfeldern resultieren die ‚Geburtsurkunden’, die Legitimation und die Zukunftssicherheit beider Disziplinen. Zwischen den Berufsfeldern sind pragmatische Differenzierungen und durchlässige Abgrenzungen vorzunehmen. Grenzen der Kommunikation dürfen nicht entstehen, Kooperationen sind zu ermöglichen. Die Entwicklung der Ganztagsschulen, das Entstehen von Bildungslandschaften mit unterschiedlichen Bildungsorten und Bildungsmodalitäten sowie das Entstehen neuer pädagogischer Berufsgruppen Lehrertrainer, Erziehertrainer verweisen auf die Entwicklungsdynamik und die entstehende pädagogische Multiprofessionalität.

(3) Sportpädagogik und Trainingswissenschaft zeichnen sich durch einen ausgeprägten Anwendungsbezug aus und lassen sich als Angewandte Wissenschaften verstehen. Für die Realisierung des Anwendungsbezugs sind konstruktive Syntheseleistungen unter Nutzung intertheoretischer Diskurs zu erbringen. Erfolgreiche und gebildete Trainer sind konstruktive Synthetiker, sie haben alltäglich anwendbare Syntheseleistungen zu erbringen. Dafür sind seitens der Angewandten Wissenschaften (Trainingswissenschaft; Sportpädagogik) Vorleistungen zu schaffen. Für die erforderlichen intertheoretischen Diskurse und das Verknüpfen von wissenschaftlichen Erkenntnissen (Aussagen) und methodischen Empfehlungen (Aufforderungen) besitzt das Prinzip des Biopsychosozialen eine fundamentale Leitfunktion.

Trotz aller Syntheseleistungen und Anwendungsorientierungen, eine Differenz zwischen Theorie und Praxis wird immer bestehen, eine häufig beschworene Einheit ist unmöglich. Nach wie vor gilt: „Die Dignität der Praxis ist unabhängig von der Theorie; die Praxis wird nur mit der Theorie eine bewusstere.“ Wenn das erreicht wird, dann ist schon viel erreicht.

Literatur auf Anfrage beim Autor: alsu.hummel@gmail.com


Albrecht Hummel (Jahrgang 1949) ist emeritierter Professor für Sportwissenschaft an der TU Chemnitz.