Olympia unterm Hakenkreuz

Ein Gastbeitrag von Ewald Walker

Berlin im Sommer 1936: eine Mordserie im Olympischen Dorf in Elstal droht Risse in die Fassade der Nazi-Spiele zu bringen – Ein Roman

„Einige von uns sind nach Berlin gefahren im falschen Glauben, an einer Sportveranstaltung teilzunehmen; stattdessen wurden wir zu einem Stück  politischer Propaganda benutzt“. Ernüchterung beim britischen Olympiasieger Godfrey Brown nach den Olympischen Spielen 1936 in Berlin. Die Internationalität, die völkerverbindende Idee, die mediale Wirkung sind die Werte, die den Olympischen Spielen ihre große Anziehungskraft verleihen. Die Spiele in politischen Diktaturen, mit Boykotten und Attentaten aber auch Dopingskandalen sind die Schattenseiten. München 1972, Montreal 1976, Moskau 1980, Los Angeles 1984, Seoul 1988 sind olympische Kehrseiten.  

Die Politisierung des olympischen Sports ist nirgendwo so offen hervorgetreten, wie bei den Nazi-Spielen 1936 in Berlin. Volker Kutschers Roman „Olympia“ spielt in dieser Zeit mitten im Olympischen Dorf, im Olympiastadion, und in der Olympiastadt, die im großen Olympiafieber ist. Nazifahnen wehen beim Olympiastadion neben den Fahnen  der 49 Nationen, auf Straßen und Plätzen wechseln sich Fahnen mit Hakenkreuzen und Olympischen Ringen ab. Überall die blauen, schwarzen, roten, gelben, grünen Ringe, aber immer in Verbindung mit den Nazi-Symbolen.

Das NS-Regime hat die perfekte Fassade für die Weltöffentlichkeit errichtet, als diese im Olympischen „Dorf des Friedens“ in Elstal durch einen Todesfall eines amerikanischen Offiziellen erste Risse bekommt. Hat eine kommunistische Verschwörung im Speisehaus, wo alle Olympiateilnehmer zusammenkommen, einen Sabotageakt verübt? Der Jugendehrendienstler Friedrich („Fritze“) Thormann gerät in die Mühlen der Nazis. Sein Ziehvater, Kommissar Rath, muss im Olympischen Dorf den Todesfall verdeckt aufklären.

Für den begeisterten Jungen ist Jesse Owens, der schnellste Sportler, der größte Sportler des Planeten. Für ein Owens-Autogramm war Fritze in den Speisesaal gekommen, als dieser US-Funktionär tot umfällt und Fritze sich ganz in der Nähe aufhält.

Unterkünfte der Olympiaathleten 1936. Foto: Ewald Walker

Eröffnungsfeier im Olympiastadion: Luftschiff Hindenburg über dem Stadion, Einmarsch der Nationen, „…verkünde ich die Spiele als eröffnet“, so will es das Protokoll. Berlin ist zu einer verlogenen Stadt geworden: sie täuscht Weltoffenheit vor, die längst abhandengekommen war.

Mord oder Unfall? Die Sache beim nächsten Opfer scheint klarer: Ein Leutnant wird tot in einer Toilette des Olympischen Dorfes gefunden. Die Spritze steckt noch in der Armbeuge.

Erster Wettkampftag der Leichtathletik. Jesse Owens gewinnt seine erste Goldmedaille über 100 Meter und Fritze ist mittendrin. Abends im Olympischen Dorf, Haus Bautzen: Fritze wird seinem Idol vorgestellt und erhält endlich das ersehnte Autogramm, „Jesse Owens“ schreibt er auf dessen Foto. Für den jungen Fritze der größte Moment während der Spiele.

Draußen in der Stadt gibt es Tote vor einer Kaserne. Kommissar Rath befindet sich inzwischen selber in Gefahr. Die olympische Odyssee geht auch für Fritze weiter. Beim Gang hinunter zum See in Elstal trifft ihn ein Schock: an einem Ast hängt ein Mann, den er kannte, sein Rettungsversuch schlägt fehl. Die Mordserie, die die heile Welt der Spiele stören könnte, muss aufgeklärt werden. Für Kommissar Rath folgen Turbulenzen, nach Fritze wird gefahndet. Der sieht im Kino in der tönenden Wochenschau, wie sein Idol Jesse die vierte Goldmedaille gewinnt. Ein Afro-Amerikaner als erfolgreichster Athlet der Spiele – ein Affront für die Machthaber.

Die Propagandaspiele gehen zu Ende. Sonnenuntergang hinterm Olympiastadion, Fahnenträger und Flakscheinwerfer entzünden einen Lichtdom. „Das Berlin, das wir gekannt haben, gibt es nicht mehr, sagt da jemand. Am Tag nach der Schlussfeier liegt Katerstimmung über der Stadt. Niemand hatte hinter die Fassade der 11. Olympischen Spiele geschaut.

Kommissar Rath besteigt mit seiner Frau in Frankfurt die „Hindenburg“. Ihr Ziel: Lakehurst in den USA. Am Vorabend hatte eine Stimme die Jugend der Welt 1940 nach Tokio gerufen…

Der Roman: spannungsgeladen, authentisch inmitten des missbrauchten Sports und dessen Umfelds.

Volker Kutscher: Olympia. Piper-Verlag 2020, 537 Seiten

Ewald Walker