Kommunikationsdefizite im Wissenschaftlichen Verbundsystem Leistungssport

Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Manfred Muckenhaupt


Vorbemerkung

Die Studie, von der im folgenden Beitrag die Rede ist, wurde von Prof. Dr. Manfred Muckenhaupt und seinem Forschungsteam bereits vor zehn Jahren durchgeführt. Der Wissensaustausch im deutschen Hochleistungssport hatte sich dabei vor allem auch im Vergleich mit anderen Ländern als besonders verbesserungswürdig herausgestellt. Die Studie mündete in zahlreichen Verbesserungsvorschlägen. Betrachten wir etwas mehr als zehn Jahre danach die Situation der Wissenskommunikation im deutschen Hochleistungssport, so müssen wir erkennen, dass sich nur wenig verändert hat und die Forderungen von damals die Forderungen von heute sein müssen. Die Lektüre des Beitrags kann deshalb allen Verantwortlichen, ob ehrenamtlich oder hauptamtlich im System des Hochleistungssports tätig, dringend empfohlen werden.

Helmut Digel


Abstract

Verschläft der deutsche Hochleistungssport den Anschluss an das internationale Wissensmanagement? Diese Frage provozieren die Ergebnisse des Forschungsprojekts „Wissensmanagement im Wissenschaftlichen Verbundsystem Leistungssport“. Das Projekt ist Teil einer Reihe von Forschungsvorhaben zur Umsetzung des langfristigen strategischen Forschungsprogramms für das Wissenschaftliche Verbundsystem (Forschungsprogramm WVL) und wurde von 2009 bis 2011 durchgeführt.

Zentraler Teil des Projekts ist eine empirische Studie zur Kommunikation in und zwischen den Organisationen des Verbundsystems. In dieser Studie stimmten mehr als 1.500 Akteure aus allen olympischen Verbänden sowie den sportartübergreifenden Institutionen darüber ab, wie effizient und kooperativ der Wissensaustausch im deutschen Leistungssport verläuft. In einer bisher einmaligen Online-Befragung kommen Trainer, Betreuer, Wissenschaftler, Funktionäre und Mitarbeiter von Institutionen zu Wort, die zum Wissenschaftlichen Verbundsystem gezählt werden. Ihr Kommunikationsverhalten, ihre Einschätzungen und ihre Vorschläge bilden die Grundlage für Empfehlungen, die eine Verbesserung der Wissenskommunikation zum Ziel haben.

Die Studie zeigt, welche Netzwerke die Kommunikation im Leistungssport bestimmen und welche Kommunikationsdefizite bestehen, sie verdeutlicht, welche Parameter den Wissenschaftstransfer beeinflussen, und sie zeigt auf, wie es um die Partizipation bei einer gemeinsamen Wissensgenerierung und -bereitstellung bestellt ist. Die Ergebnisse stärken die umstrittene Position der Wissenschaftskoordinatoren und sie offenbaren am Beispiel innovativer Wissensmanagementsysteme erfolgreicher Sportnationen, dass der deutsche Hochleistungssport trotz anhaltender Weckrufe immer noch im Dornröschenschlaf verharrt.

Der vorliegende Beitrag fasst ausgewählte Ergebnisse zur Kommunikation zwischen Wissenschaft und Praxis, zur Wissensverbreitung in den Verbänden und zur Kooperation zwischen den Partnern des Wissenschaftlichen Verbundsystems zusammen. Er skizziert darüber hinaus den funktionalen und inhaltlichen Bedarf für eine sportartübergreifende Informationsplattform, die schon im Rahmen der Trainerstudie mit besonderem Nachdruck empfohlen wurde.


1. Wissenskommunikation – Kommunikationsdefizite, Verbreitungs­barrieren und Wissensmanagement

Wissenskommunikation in Organisationen ist ein außerordentlich komplexer Prozess, der anfällig ist für das Auftreten von verschiedenen Arten von Defiziten und Barrieren. Die Formen und Ursachen dieser Defizite und Barrieren zu erkennen, ist eine der Aufgaben einer empirischen Analyse der Wissenskommunikation. Eine notwendige Voraussetzung dafür ist schon eine Klärung des Wissensbegriffs. In der Studie werden Formen des Wissens differenziert nach den Themen und Inhalten der Kommunikation, von denen angenommen wird, dass sie beim Adressaten zu einer Wissenserweiterung führen, dem Ziel jeder Wissenskommunikation.

Fragt man nach Kommunikationsdefiziten, die sich einstellen können, wenn Wissen z. B. in Publikationen, Fortbildungsveranstaltungen oder auch persönlichen Gesprächen weitergegeben wird, zählen dazu folgende Fälle:

  • Das Wissen erreicht nicht die Zielgruppe, für die es gedacht ist.
  • Das Wissen entspricht nicht dem Bedarf der Adressaten.
  • Es dauert viel zu lange, bis eine Innovation ihre Zielgruppe erreicht.
  • Die Adressaten verstehen den Kommunikationsbeitrag nicht.

Ebenso vielfältig wie die Liste möglicher Kommunikationsdefizite ist die Liste möglicher Barrieren, die solche Defizite auslösen können:

  • Der Wissensproduzent publiziert/redet am Bedarf vorbei.
  • Die Zugangs- und Verbreitungswege sind nicht effizient.
  • Grundlegende strukturelle oder personale Bedingungen sind nicht gegeben, die Wissenskommunikation erst möglich machen. Eine Kommunikationsinitiative stößt z. B. auf Grenzen zwischen sozialen Netzwerken oder auf mangelnde Kommunikationsbereitschaft der Adressaten.
  • Prinzipien der Wissenskommunikation werden nicht eingehalten, z. B. das Kooperationsprinzip, weil man sich von der Geheimhaltung des Wissens mehr Vorteile verspricht, als von seiner Veröffentlichung oder weil die Interessen der eigenen Organisation wichtiger erscheinen als die Ziele des Organisations- und Kommunikationsverbunds.

Kommunikationsdefizite und Verbreitungsbarrieren betreffen die primären Handlungsfelder der Wissenskommunikation. Dazu zählen die Produktion, die Verbreitung und die Aneignung von Wissen. Diese Defizite und Barrieren evozieren überhaupt erst sog. Steuerungsmaßnahmen, die sich auf sekundäre Handlungsfelder der Wissenskommunikation beziehen. Dazu gehören z. B. die Bewertung und Aufbereitung von Wissen sowie alle Transfermaßnahmen und Technologielösungen, die auf unterschiedlichste Weise zu einer Kommunikationsoptimierung beitragen sollen.

Die Analyse von Typen von Defiziten und Barrieren der Wissenskommunikation erlaubt gleichzeitig auch die Entwicklung einer differenzierten Konzeption des Wissensmanagements, bei der diese Problembereiche als Indikatoren für Struktureigenschaften des Wissensmanagements genutzt werden.

Diese Konzeption des Wissensmanagements orientiert sich an den Grundlagen der Kommunikationsprozesse, ohne die Wissen keinen Adressaten erreicht und deshalb für ein Gegenüber auch nicht „gemanagt“ werden kann. Den Begriff des Managements begreift sie als ein zusammenfassendes Konstrukt, das aus kommunikationsanalytischer Sicht beeinflussbare Vorgänge kennzeichnet, z. B. die Archivierung, Speicherung und Organisation von Daten, die Bereitstellung von Zugangswegen zu Wissensbeständen, die Förderung von Kommunikationsformen, die zum Wissenserwerb und -austausch beitragen, die Initiierung und den Ausbau von Informationsquellen, die Wissen produzieren, die effiziente Nutzung bestehender Informationsressourcen und nicht zuletzt die Förderung einer Kooperations- und Kommunikationskultur für den Austausch von Wissen, ohne die jedes Management zum Scheitern verurteilt ist.

Eine besondere Herausforderung der Studie lag darin, dass sie schon bei den Grundfragen zur Wissenskommunikation auf erhebliche Erkenntnislücken stieß, z. B. bei der Frage nach den Akteuren des Wissenschaftlichen Verbundsystems, seinen Wissensträgern oder bei der substantiellen Frage, ob es sich beim Wissenschaftlichen Verbundsystem überhaupt um einen kooperativen Kommunikationsverbund handelt.

Die Studie erfüllt deshalb aus kommunikationsanalytischer Sicht eine doppelte Funktion: Sie ermittelt auf der einen Seite Daten zu den grundlegenden Parametern der Wissenskommunikation, z. B. zu den Akteuren und ihren Organisations- und Positionsstrukturen, sie untersucht auf der anderen Seite auf der Grundlage dieser Daten z. B. die Kommunikationskontakte, den Kommunikationsaustausch zwischen den Akteuren und ihre Einschätzungen zur Kooperationskultur, liefert also neben den explorativen Erkenntnissen empirische Befunde zur Wissenskommunikation.

2. Das Wissenschaftliche Verbundsystem

Das WVL ist ein netzwerkartiger Zusammenschluss von Institutionen des Leistungssports, die an der Produktion, Verbreitung und Evaluierung sportwissenschaftlichen Wissens mitwirken. Zum Verbundsystem gehören neben Bundessportfachverbänden und Olympiastützpunkten auch wissenschaftliche Einrichtungen wie das Institut für Angewandte Trainingswissenschaft (IAT), das Institut für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten (FES), die universitären Institute sowie die Deutsche Vereinigung für Sportwissenschaft (dvs). Als zentrale Institution für die Trainerausbildung ist die Trainerakademie Köln ebenso in das Verbundsystem integriert wie das Bundesministerium des Innern (BMI), das Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp) und der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB). Oberstes Steuerungsgremium des WVL ist der Strategieausschuss „Forschung im Leistungssport.“ Der Begriff „Wissenschaftliches Verbundsystem Leistungssport“ weist schon darauf hin, dass es nicht nur um einen Organisations-, sondern auch um einen Kommunikationsverbund geht, oder – vorsichtiger formuliert – gehen sollte.

Bereits bei den Vorarbeiten zur Online-Befragung der Akteure im WVL wurde deutlich, welch ein seltsames Konstrukt das Verbundsystem darstellt. Im organisationalen Netzwerk gibt es keine Stelle, die profunde Auskünfte darüber geben könnte, wie viele Akteure in welchen Positionen Teil des Verbundsystems sind. Diese ernüchternde Erkenntnis erzeugt nicht nur ein Forschungsdilemma – wie soll man das Wissensmanagement im WVL untersuchen, wenn man seine Akteure nicht kennt –, sie lässt auch Zweifel daran aufkommen, dass es überhaupt ein Management des Verbundsystems gibt. Nur an einzelnen Stellen im Verbundsystem können Steuerungsakteure Maßnahmen ergreifen, mit denen sie ihre jeweils spezifischen Zielgruppen adressieren können.

3. Die Online-Befragung

Die Studie beschreitet auf der Suche nach ihrer Zielgruppe, aus der Not geboren, einen unkonventionellen Weg. Sie definiert sie über die Selbsteinschätzung der Akteure, die sie in aufwändigen Recherchen ermittelt hat. In einem ersten Schritt wurden alle zugänglichen Personen aus Wissenschaft, Sportorganisationen und sportaffinen Einrichtungen identifiziert, die als mögliche Akteure des Leistungssports in Betracht kommen, in einem zweiten Schritt entscheiden dann die angesprochenen Akteure im Rahmen einer Online-Befragung selbst darüber, ob sie einen Bezug zum Leistungssport haben und in welcher Organisation sie welche Position einnehmen. Insgesamt 1503 Personen haben den Online-Fragebogen vollständig ausgefüllt, darunter sind:

  • 748 Trainer,
  • 669 Verbandsfunktionäre,
  • 211 Vereinsfunktionäre,
  • 79 Personen aus dem Betreuungs-/Serviceteam von Verbänden,
  • 218 Wissenschaftler an Hochschulen,
  • 196 Mitarbeiter in sportartübergreifenden Einrichtungen (z. B. DOSB, IAT, BISp).

Mehr als ein Drittel der Befragten gab bei diesen Hauptkategorien mehrere Funktionen an. In ergänzenden Fragen wurden die genauen Positionen im WVL differenziert erfragt (z. B. Bundestrainer, Sportdirektor). Auf Basis dieser Selbsteinschätzungen wurden dann Daten zu Kontaktstrukturen und Kommunikationsbereichen erhoben, die durch Positionen und Zugehörigkeiten zu Organisationen geprägt sind.

4. Kommunikation zwischen Wissenschaft und Praxis

Idealtypisch geht es in der Kommunikation zwischen Wissenschaft und Praxis um die Verbreitung und Anwendung wissenschaftlich fundierten Wissens, das im Rahmen wissenschaftlicher Forschung generiert wurde. Die Kommunikationskonstellation ist in der Regel asymmetrisch, sie impliziert ein Wissensgefälle zwischen den Produzenten und Anwendern von Wissen. Das Ziel der Kommunikation besteht darin, die vermeintlichen Wissenslücken der Adressaten zu schließen. Ein Erfolgsversprechen lautet: Wissenschaftlich fundiertes Wissen befördert den Leistungssport.

Dieses Erfolgsversprechen steht in einem krassen Gegensatz zur Einschätzung der tatsächlichen Kommunikation: Nur rund 20 Prozent der Befragten schätzen die Kommunikationsprozesse zwischen Wissenschaft und Praxis als effizient ein – dies gilt sowohl für die Trainer als Kernzielgruppe der Forschungsergebnisse, als auch für die Forschenden selbst.

4.1. Themensetzung

Einen Erklärungsansatz für dieses Resultat liefern Einschätzungen zu den Themen, die von der Forschung behandelt werden. Die Themen der durchgeführten Projekte werden auf unterschiedlichen Wegen gesetzt. Die Einrichtungen IAT und FES sind über ihren Trägerverein an den DOSB und die Verbände angebunden. Sie vereinbaren ihre Forschungsprojekte über Kooperationsverträge mit den Verbänden

Dem steht die Drittmittelförderung der universitären Sportwissenschaft gegenüber, die maßgeblich vom BISp gesteuert wird. Auch das BISp verknüpft mit einer Projektförderung die Erwartung einer Anwendbarkeit des produzierten Wissens. Dem Sport soll durch die Forschungsförderung eine fundierte Hilfestellung geboten werden (Horn & Neumann, 2009, S. 5).

Allerdings beklagen Beteiligte aus dem Sport in den Interviews wiederholt, dass sich insbesondere die an den Hochschulen unter dem Label der Anwendungsforschung verhandelten Themen nicht mit dem Wissensbedarf der Sportpraxis decken. Diese Einschätzung bestätigt sich auch in der standardisierten Befragung überraschend deutlich. Sowohl die Trainer, als auch die Forschenden an den Hochschulen sind mehrheitlich der Ansicht, dass die Forschung die wirklichen Probleme des Leistungssports gar nicht erst aufgreift (vgl. Abb. 1). Einzig die Forschenden an IAT und FES sind überwiegend der Meinung, dass die richtigen Themen behandelt werden.

Eine zentrale Bedingung für einen erfolgreichen Wissenschaftstransfer ist damit aus Sicht vieler Beteiligter nicht erfüllt – wie soll der Transfer funktionieren, wenn bereits die Themen am Bedarf vorbeigehen?

Abb. 1: Die Wissenschaftler greifen die tatsächlichen Probleme des Leistungssports auf – Auswertung nach Gruppen

Um diese wenig zufriedenstellende Situation zu ändern, sind die Verbände aufgefordert, sich stärker einzubringen. Das BiSp erfragt regelmäßig den Forschungsbedarf in den Verbänden. Der Rücklauf ist gering, obwohl eine stärkere Partizipation von der Mehrheit der Befragten in den Verbänden befürwortet wird. Selbst die Forschenden sprechen sich mehrheitlich für eine stärkere Beteiligung der Praxis aus – mit Ausnahme der im folgenden Abschnitt vorgestellten Gruppe der Transferpessimisten. Die Verbände müssen also selbst aktiv werden und neue Wege entwickeln, um ihre Forschungsfragen präzise herauszuarbeiten. Ein vielversprechender Weg ist die Einrichtung von Innovationsnetzwerken, in denen sich qualifizierte und interessierte Personen aus dem Verband sowie externe Experten zusammenfinden, um offene Forschungsfragen zu identifizieren und die Möglichkeiten ihrer Bearbeitung abzustecken (vgl. Moritz, 2006). Prädestiniert für die Federführung beim Aufbau und der Koordination derartiger Netzwerke wären die Wissenschaftskoordinatoren, sofern sie von den Verbänden mit den entsprechenden Befugnissen und Mitteln ausgestattet sind.

Ein Innovationsnetzwerk nützt nichts, wenn die erarbeiteten Themen nicht zeitnah in Ausschreibungen für konkrete Projekte überführt werden. Hier ist das BISp gefordert, das Institut steckt jedoch in einem Dilemma. Auf der einen Seite will und soll es praxisnahe Projekte fördern, auf der anderen Seite ist es mit einem Gutachten des Wissenschaftsrats konfrontiert, das einer Einflussnahme der Verbände kritisch gegenübersteht (vgl. Wissenschaftsrat, 2007).

4.2. Die Forschenden und ihre Einstellung zum Wissenstransfer – eine Clusteranalyse

Wie sehen die Forschenden die Möglichkeiten des Wissenstransfers und welche Rolle schreiben sie der Praxis zu? Bei genauerer Betrachtung ist eine Zweiteilung der Forschungslandschaft in IAT/FES und Hochschulen nicht hinreichend für eine Beantwortung dieser Frage. Auch inhaltlich-thematische Aspekte und die Formen der Zusammenarbeit erklären Standpunkte der Forschenden zum Wissenstransfer. Typologisch kann das in den Projekten produzierte und verbreitete Wissen unterschieden werden nach Wissenschaftsdisziplinen und Forschungsbereichen. Die Untergliederung nach Disziplinen zielt auf die Herkunft des Wissens, die durch Forschungsrichtungen gekennzeichnet wird, z. B. Biomechanik, Trainingswissenschaft oder Soziologie. Eine Untergliederung nach dem Anwendungsbereich von Forschungsprojekten, z. B. Grundlagenforschung, sportartübergreifende oder sportartspezifische Anwendungsforschung, und nach Formen der Partizipation, z. B. prozessbegleitende Forschung oder Betreuungsprojekte, bezieht adressatenspezifische Überlegungen ein. Von der Grundlagenforschung erwarten weder Forscher noch Adressaten, dass ihre Erkenntnisse unmittelbar praxisrelevant sind, von der sog. Anwendungsforschung wird dagegen erhofft oder sogar erwartet, dass ihre Ergebnisse zur Lösung praktischer Probleme beitragen.

Anhand ihrer Aussagen zu grundlegenden Parametern der Wissensgenerierung und Wissensverbreitung lassen sich die Forschenden über eine Clusteranalyse in zwei Gruppen einteilen: Die Transferoptimisten und die Transferpessimisten.

Abb. 2: Transferoptimisten und Transferpessimisten unter den Forschenden (Berechnet wurde eine hierarchisch-agglomerative Clusteranalyse, in die 12 Aussagen über grundlegende Einstellungen zur Praxisrelevanz wissenschaftlichen Wissens, zur Wissensgenerierung und der Ausrichtung am Bedarf der Verbände sowie zur Wissensverbreitung eingingen. Die entstandenen Cluster wurden durch eine Clusterzentrenanalyse optimiert.)

Zu den Transferoptimisten sind nahezu alle Forschenden an IAT und FES, aber auch die Hälfte der Forschenden an den Hochschulen zu zählen (vgl. Abb. 2). Sie sind vergleichsweise häufig im Bereich der Trainingswissenschaft tätig und führen häufiger als ihre Kollegen sportartspezifisch ausgerichtete Forschungsprojekte durch. Sie sind offen dafür, Anregungen aus Verbänden aufzunehmen und ihre Projekte am Bedarf des Leistungssports auszurichten. Nicht zuletzt deswegen sind sie auch kommunikativ eng an Trainer und Sportler angebunden und erhalten regelmäßig Rückmeldungen aus der Praxis zu ihrer Arbeit.

Dem steht die Gruppe der Transferpessimisten gegenüber, die sich – mit nur einer Ausnahme – ausschließlich aus Hochschulforschern zusammensetzt. Die Mitglieder der Gruppe teilen eine starke Abneigung gegen eine Einflussnahme des Sports auf Forschungsthemen, sie betonen die Autonomie der Wissenschaft. Außerdem zeichnen sie sich durch äußerst skeptische Einschätzungen des Wissenstransfers von Forschungsergebnissen in die Praxis aus. Obwohl sie in ihrer eigenen Arbeit eine hohe leistungssportliche Relevanz sehen, erkennen sie nur ein geringes Interesse bei den Zielgruppen im Sport und erhalten nur selten Rückmeldungen aus der Praxis.

Dies ist nicht zuletzt eine Folge ihrer Forschungsschwerpunkte: Sie arbeiten überdurchschnittlich häufig im Bereich der Grundlagenforschung und zu ihren Forschungsdisziplinen zählen vergleichsweise häufig die Bereiche Medizin/Biochemie/Biologie sowie Biomechanik.

Die in der Clusteranalyse herausgearbeiteten Profile zeigen zum einen, dass die Forschenden an IAT und FES, die eng an die Strukturen des Sportsystems angebunden sind, den Wissenstransfer äußerst positiv beurteilen. Sie zeigen zum anderen, dass es unter den Forschenden an Hochschulen zwei Kulturen gibt, die sich in den Sichtweisen zur Beteiligung der Praxis und zur Wissensverbreitung niederschlagen.

Die Clusterzugehörigkeit hängt dabei mit Merkmalen der Forschungsprojekte zusammen, die die Forschenden durchführen. Positive Beurteilungen des Transfers ihrer Forschungen in die Praxis geben diejenigen Forscher ab, die – an Hochschulen oder an IAT/FES – eng mit der Praxis zusammenarbeiten.

Die Einschätzungen der Transferpessimisten zeigen hingegen, dass es insbesondere bei sportartübergreifenden und grundlagenorientierten Forschungsergebnissen Probleme im Wissenstransfer gibt. Ein Erklärungsansatz hierfür sind die Kommunikationsformen, über die die Wissensverbreitung in den verschiedenen Projekttypen verläuft.

4.3. Wissensverbreitung

Wenn man an die Verbreitung wissenschaftlichen Wissens denkt, dann denkt man zu allererst an die Publikation in einschlägigen Organen, z. B. den Fachzeitschriften. Unter Transferaspekten ist dieses Modell für die Wissenschafts-Praxis-Kommunikation aber die am wenigsten erfolgreiche Kommunikationsform. Zum einen nutzen die Trainer die einschlägigen Fachzeitschriften nicht (vgl. Muckenhaupt et al., 2009), zum anderen ist ein Wissen über Forschungsergebnisse, das auf Publikationen basiert, in der Regel allenfalls eine Vorstufe für die Anwendung dieser Ergebnisse. Erst wenn das Wissen in dialogischen Formen vertieft und in persönlichen Beratungen und Diskussionen auf den konkreten Fall zugeschnitten werden kann, sind die wichtigsten Bedingungen für eine Anwendung erfüllt.

Dieses Ergebnis der Trainerstudie bestätigt sich auch im vorliegenden Projekt. Diejenigen Trainer, die kommunikativ eng an Beratungssysteme der prozessbegleitenden Forschung angebunden sind oder in häufigem Austausch mit einem Wissenschaftskoordinator stehen, sind zu einem deutlich größeren Anteil zufrieden mit der wissenschaftlichen Unterstützung ihrer Sportart als diejenigen, die diese Kontakte nicht aufweisen (vgl. Abb. 3).

Die dialogische Anbindung an wissenschaftlich beratende Akteure ist also ein zentrales Erfolgskriterium des Wissenschaftstransfers. (Die Effekte persönlicher Kontakte zu weiteren Akteuren, die eine wissenschaftliche Beratung durchführen könnten, z. B. Hochschulwissenschaftler und Mitarbeiter an Olympiastützpunkten weisen in die gleiche Richtung, fallen jedoch deutlich schwächer aus.)

Abb. 3: Persönliche Kontakte und die Zufriedenheit mit der wissenschaftlichen Unterstützung der Sportart

Dieses Ergebnis erklärt auch, wieso Forschende, die sportartspezifische Projekte durchführen und in diesen Projekten direkt mit den Praktikern zusammenarbeiten – im Speziellen in der prozessbegleitenden Forschung – den Transfer positiver bewerten als ihre Kollegen. In diesen Projekten sind dialogische Formen des Wissenstransfers bereits in die Forschungsphase integriert. Wer als Trainer am Projekt beteiligt ist, muss sich die Ergebnisse nicht mühsam über Publikationen erarbeiten, er erhält sie frühzeitig aus erster Hand und kann sie direkt nutzen. Auch der Forschende ist unmittelbar in den Transfer eingebunden. Er erkennt, ob und wie seine Ergebnisse akzeptiert und genutzt werden. Eine solche Beteiligung der Praxis am Forschungsprozess ist der Normalfall an IAT und FES, deren Arbeit von den Trainern auch sehr geschätzt wird. Sie findet aber nicht ausschließlich dort statt, auch an Hochschulen werden vergleichbare Projekte durchgeführt.

Die Schlussfolgerung daraus lautet nicht, dass nur noch prozessbegleitende Forschung gefördert werden sollte. Allerdings muss der Wissenstransfer aus sportartübergreifenden Projekten und der Grundlagenforschung, in denen die dialogische Form des Transfers nicht Teil des Projekts ist, neu aufgestellt werden.

Viele Projekte enden mit einem Abschlussbericht und einer Publikation in wissenschaftlichen Fachzeitschriften. Als Transfermaßnahme ist dies nicht hinreichend, denn die Publikationen werden in den seltensten Fällen von Trainern gelesen. Angesichts ihres knappen Zeitbudgets, des Umfangs und der sprachlichen Komplexität der Texte ist ihnen das auch nicht vorzuwerfen. Mit etwas Glück stehen sie mit qualifizierten Multiplikatoren im Verband oder an Olympiastützpunkten in Kontakt, die ihnen diese Aufgabe abnehmen.

Ein stärkerer Fokus auf dialogische Formen des Transfers von sportartübergreifenden Projektergebnissen, z. B. in Workshops mit Wissenschaftlern und Praktikern, die in den Verbänden oder verbandsübergreifend stattfinden können und sich durch einen klaren thematischen Fokus auszeichnen, ist notwendig. Derartige Workshops werden auch von den Befragten aus allen Gruppen befürwortet. Für die Steuerung des Wissenschaftstransfers ist das BISp zuständig. Es sollte seine Aktivitäten an dieser Stelle ausbauen und verstärkt Maßnahmen fördern, die einen dialogischen Transfer ermöglichen.

4.4. Wissenschaftskoordinatoren

Die Einführung von Wissenschaftskoordinatoren, die von Killing (2011b) als „Transformatoren leistungsrelevanten Wissens im Leistungssport“ bezeichnet werden, wird den Verbänden seit mehreren Jahren von verschiedenen sportartübergreifenden Einrichtungen nahegelegt. Der DOSB hat sich nicht immer uneingeschränkt für die Position eingesetzt und auch die Verbände haben die Empfehlung ganz unterschiedlich aufgenommen. Es gibt Verbände mit hauptamtlichen Bundestrainern für den Bereich Wissenschaft, die in ihrem Verband eine hohe Wertschätzung genießen. In anderen Verbänden weiß hingegen niemand von der Existenz eines Wissenschaftskoordinators, obwohl ein Koordinator auf Listen, die im WVL zirkulieren, mit namentlicher Benennung auftaucht (vgl. Grehl, 2011).

Die bereits vorgestellten Ergebnisse zur Partizipation der Verbände und zum Bedarf an persönlicher wissenschaftlicher Beratung zeigen, dass diese Position unter dem Aspekt des Wissensmanagements von besonderer Bedeutung ist.

Die große Mehrheit unter denjenigen Befragten, die sich in der Lage sehen, die Arbeit ihres Wissenschaftskoordinators zu beurteilen, bewertet diese Arbeit positiv und ist der Meinung, dass sich die Position in ihrem Verband bewährt hat.

Auch wenn die Wissenschaftskoordinatoren eine heterogene Gruppe darstellen, sich die Position noch nicht überall durchgesetzt hat und mit langwierigen Anlaufschwierigkeiten kämpft – angesichts der feststellbaren Defizite in den Bereichen der Themensetzung und des Wissenstransfers ist sie dringend notwendig. Deswegen wird allen Verbänden, die vom Wissen aus der Forschung profitieren wollen, nachdrücklich empfohlen, eine Stelle für die Wissenschaftskoordination einzurichten und die Aufgabenfelder, die sich in der Kommunikation zwischen Wissenschaft und Praxis ergeben, in ihren Personalkonzepten zu verankern.

Die Angaben der befragten Wissenschaftskoordinatoren zu ihren Kontakten im WVL zeigen, dass sie sportartübergreifend besonders gut vernetzt sind. Wenn es gelingt, die Position zu stärken, so bestehen auch gute Chancen, den verbandsübergreifenden Austausch über aktuelle Probleme und wissenschaftlich fundierte Lösungsansätze auszubauen, der in den Gesprächen vielfach als defizitär bezeichnet wird. Begrüßenswert sind die aktuellen Versuche, ein gemeinsames Aufgabenprofil zu erarbeiten und regelmäßige Treffen und Workshops zu etablieren (Killing, 2011b). Die sportartübergreifenden Einrichtungen sind gefordert, sich eindeutig zu dieser Position zu bekennen und entsprechende Taten folgen zu lassen.

5. Wissensverbreitung in den Verbänden

Die Online-Befragung richtete sich an Personen aus 32 Bundessportfachverbänden, die mitunter ganz unterschiedliche Organisations- und Positionsstrukturen aufweisen. Sportartübergreifend lässt sich festhalten, dass die Bewertungen der Informationsverbreitung innerhalb der Verbände positiver ausfallen, als die Bewertungen der Kommunikationsprozesse zwischen Wissenschaft und Praxis. Dennoch sind in vielen Verbänden auch Probleme erkennbar, z. B. die folgenden:

  • In mehr als der Hälfte der Verbände bewerten die Befragten die Kommunikation mehrheitlich als nicht effizient.
  • In zwei Dritteln der Verbände wünscht sich eine Mehrheit der Befragten mehr Offenheit und Transparenz bei der Informationsverbreitung.
  • In fast allen Verbänden beklagt eine Mehrheit der Befragten, dass die eigene zeitliche Überlastung sie daran hindert, sich intensiver mit anderen auszutauschen.

Der letzte Punkt betrifft eine Grundvoraussetzung für Kommunikation: Wenn wenig Zeit für Informationen zur Verfügung steht, so wird auch eine Verbesserung der Informationsangebote bestenfalls eine effizientere Nutzung dieses engen Zeitrahmens bewirken (vgl. Muckenhaupt et al., 2009; Killing 2011a).

Zwei zentrale Aspekte der Informationsverbreitung in den Verbänden sollen an dieser Stelle vertieft werden: Zum einen geht es um die Frage, inwieweit Informationen ihre Zielgruppen erreichen, zum anderen um die Geschwindigkeit der Informationsverbreitung und damit verbunden um den Einsatz von Informationstechnologien.

5.1. Verfehlte Zielgruppen

Die Anbindung der „Peripherie“ an Informationen erweist sich als grundlegendes Problem der innerverbandlichen Informations­verbreitung. Die dezentralen Zielgruppen in den Vereinen und Landesverbänden fühlen sich häufig von Informationen ausgeschlossen. Ihre Kollegen in der Verbandszentrale, denen selbst eine wichtige Rollen bei der Gestaltung der Verbreitungswege zukommt, sehen dieses Problem jedoch nicht – das zeigt die nach verschiedenen Positionen aufgetrennte Auswertung der Aussage „Verbandsinformationen erreichen die Zielgruppen, für die sie gedacht sind“ (vgl. Abb. 4).

Während unter den Leistungssportreferenten und Sportdirektoren der Bundesverbände sowie unter den Bundestrainern rund 80 Prozent der Aussage zustimmen, sind es bei den Landestrainern nur gut sechzig Prozent, unter den Heim-/Vereinstrainern nicht einmal die Hälfte.

Abb. 4: Verbandsinformationen erreichen die Zielgruppen, für die sie gedacht sind – Zustimmung in verschiedenen Gruppierungen

Dieses Muster wiederholt sich an ganz verschiedenen Stellen:

  • Die Inhaber der dezentralen Trainerstellen äußern einen höheren Informationsbedarf bei der trainings­wissenschaftlichen, psychologischen und medizinischen Beratung als die Bundestrainer. Sie fühlen sich also auch in wichtigen inhaltlichen Bereichen häufiger von Informationen ausgeschlossen als ihre Kollegen auf Bundesebene.
  • Die persönliche Anfrage, also der Zugangsweg zur dialogischen Informationsweitergabe, ist für die Bundestrainer deutlich wichtiger als für die Landes- und Heimtrainer. Der Zugang zu wichtigen Netzwerken, in denen Informationen zirkulieren, gelingt an den dezentralen Stellen weniger gut.
  • Vereins- und Heimtrainer wünschen sich häufiger eine intensivere Kommunikation mit den Bundestrainern, als es umgekehrt der Fall ist. Dies gilt auch für die Heimtrainer, die mit Athleten auf Weltklasseniveau arbeiten, es gilt außerdem verschärft in großen Verbänden, die stark dezentralisierte Strukturen aufweisen und in denen Kommunikationsprobleme zwischen Bundes- und Heimtrainern immer wieder öffentlich thematisiert wurden.
  • Nicht zuletzt sind die Trainer in Landesverbänden und Vereinen seltener mit der Kommunikationskultur in ihrer Sportart zufrieden als die Bundestrainer.

Es ist nicht auszuschließen, dass dieses Misstrauen und die gefühlte Abkoppelung nicht alleine auf Kommunikationsdefizite zurückzuführen sind, sondern auch auf personale und strukturelle Faktoren, z. B. auf das Konkurrenzdenken zwischen den Akteuren. Unabhängig von den Ursachen wird aber deutlich, dass an den dezentralen Stellen bei vielen Beteiligten der Eindruck besteht, wichtige Informationen würden auf dem Weg zu ihnen versickern oder gar bewusst zurückgehalten.

Die Verbände sollten also über Maßnahmen nachdenken, die zu einer besseren Einbindung der dezentralen Stellen in die Kommunikationsnetzwerke führen. Dies kann z. B. über regelmäßige und möglichst disziplinspezifische Veranstaltungen gelingen, an denen alle leistungssportlich arbeitenden Landes-, Stützpunkt- und Vereinstrainer teilnehmen. Auch die persönliche Anbindung an die verschiedenen Stellen der Forschung und Beratung im WVL, über die die Bundestrainer häufiger verfügen, als die Landes- und Vereinstrainer, ist optimierbar. Eine solche Anbindung wird von den dezentralen Stellen relativ häufig nachgefragt.

5.2. Schnelle Informationsverbreitung

Eine schnelle und zielgruppengerechte Informationsverbreitung über Informations- und Kommunikationstechnologien ist notwendig, um den persönlichen Austausch im Verband zu ergänzen – keinesfalls können Technologien persönliche Kontakte aber ersetzen.

Aufschlussreich ist, dass die Zufriedenheit mit der Verbreitungsgeschwindigkeit bei den Befragten aus allen Gruppen deutlich höher liegt, wenn sie mit den Internetangeboten ihres Verbands zufrieden sind (vgl. Abb. 5).

Abb. 5: Zustimmung zur Aussage „Verbandsinformationen werden schnell verbreitet“ in Abhängigkeit von der Zufriedenheit mit den Internetangeboten des Verbands

Bedarfsgerecht gestaltete Internetangebote ermöglichen nicht nur eine schnelle Informationsverbreitung, sie erlauben über geschlossene Systeme mit klar geregelten Zugriffsrechten auch eine spezifische Adressierung der Zielgruppen und ermöglichen somit eine bessere Ankopplung der dezentralen Stellen.

Einzelne Verbände nutzen solche geschlossenen Bereiche für verschiedene Vorgänge der Informationsverbreitung, Kommunikation und Datenverwaltung, z. B. um

  • das Training zu dokumentieren, so dass die verschiedenen Trainer, die mit einem Sportler arbeiten, Einsicht in die Trainingsabläufe nehmen können,
  • in Datenbanken gemeinsam mit den Landesverbänden Spielerpässe und Trainerlizenzen zu verwalten,
  • Lehrgänge zu planen und Rückmeldungen einzuholen, wer daran teilnehmen kann,
  • Materialien von Fortbildungen bereitzustellen,
  • Videoaufnahmen zugänglich zu machen,
  • Wissen in Wikis zu sammeln,
  • geschlossene Kommunikationsforen zu etablieren.

Einige Verbände haben zentrale Verwaltungs- und Kommunikationsvorgänge sukzessive auf abgeschlossene Bereiche im Netz verlagert. In anderen Verbänden dominiert hingegen noch immer die Kommunikation über Rundmails und eine Datenverwaltung mit Excel-Listen, die in verschiedenen Versionen hin- und hergeschickt werden.

6. Digitales Wissensmanagement

Für die Verbände ist es aufwändig und teuer, Plattformen aufzubauen, die den spezifischen Bedarf der Zielgruppen abdecken und zudem noch aktuellen Standards bei der Datensicherheit entsprechen. Nicht zuletzt, um die Verbände von der Eigenentwicklung solcher Plattformen zu entlasten, wurde dem deutschen Sport in der Trainerstudie ein sportartübergreifendes Informationssystem mit sportartspezifischen Bereichen empfohlen. In den Verbänden wünschen sich rund 70 Prozent der Befragten einen Ausbau von Informationssystemen für den Leistungssport, nicht einmal vier Prozent stehen einer Ausweitung der Angebote ablehnend gegenüber.

6.1. Angebote und Funktionalitäten eines Informations­systems

Wenn man den Bedarf der Befürworter eines solchen Ausbaus ernst nimmt, geht es zuallererst darum, ein angebotszentriertes Informationssystem bereitzustellen (vgl. Muckenhaupt, 2011). Erwünscht sind Angebote, die Anwender abrufen oder nutzen können. An den ersten Stellen des inhaltlichen Bedarfs werden mit knapp 95 Prozent Materialien von Fortbildungen und mit knapp 90 Prozent Aufzeichnungen von Aus- und Fortbildungen sowie Video-Datenbanken mit 85 Prozent genannt. Eine sehr hohe Priorität haben zudem Service-Dienste wie Ergebnisdatenbanken und Veranstaltungskalender, die mit ca. 85 Prozent ebenfalls sehr hohe Werte erzielen (vgl. Abb. 6).

Abb. 6: Erwünschte Inhalte eines Informationssystems

Mit über 95 Prozent gehört die Kontaktaufnahme/Kommunikation zu dem besonders erwünschten Funktionsumfang eines Systems, gefolgt von Werkzeugen für die Trainings- und Wettkampfanalyse sowie Werkzeugen für die Trainingsplanung und -dokumentation (vgl. Abb. 7). Die Social-Software-Funktionen, die auf aktive Beteiligung zielen (Kommentare, eigene Artikel verfassen), weisen vergleichsweise geringe Werte auf.

Abb. 7: Erwünschte Funktionalitäten eines Informationssystems

Die höheren Werte im Bereich des angebotszentrierten Informationsbedarfs überraschen nicht, wenn man das enge Zeitbudget für Informationstätigkeiten bedenkt. Ein System, in dem man alleine auf „User Generated Content“ setzt, wird deshalb aller Voraussicht nach nicht funktionieren

6.2. Wer sorgt für die Inhalte?

Woher sollen die Inhalte also kommen? Wissenschaftliche Datenbanken, Literaturdienste mit eigener Profildefinition, Wettkampfvideos, aktuelle Sportnachrichten, Veranstaltungskalender, Ergebnisdatenbanken, und Volltexte sind Informationsangebote, die an verschiedenen Stellen im deutschen Sport bereits existieren. Hier geht es vor allem um die Bündelung verfügbarer Ressourcen und um Rechtefragen.

Dagegen muss die Infrastruktur für speziell produzierte Inhalte, z. B. für die audiovisuelle Aufbereitung und Bereitstellung von Aus- und Fortbildungsmaterialien, erst aufgebaut werden. Eine besondere Herausforderung sind Software-Tools, die erst entwickelt werden müssen. Dazu zählt z. B. Software für die Trainings-/Wettkampfanalyse, für die Trainingsplanung/-dokumentation oder für das Videomanagement und die Videoanalyse.

Ein großer Teil dieser Aufgaben ist nur sportartübergreifend zu leisten. Es ergibt z. B. wenig Sinn, wenn jeder Verband ein eigenes Tool zur Trainingsdokumentation entwickelt, über Modalitäten für den Zugang zu Volltexten wissenschaftlicher Publikationen oder über Nutzungsrechte für Videos der Olympischen Spiele verhandelt. Dies ist einer der zentralen Gründe dafür, weshalb ein sportartübergreifendes System empfohlen wird. Zahlreiche Angebote sind für alle Verbände relevant und müssen nicht von jedem Verband neu erfunden, entwickelt oder einzeln eingekauft werden.

Die bestehenden Internetangebote der Verbände werden dadurch nicht ersetzt, sondern ergänzt – eine Einbettung einzelner Module sportartübergreifender Angebote in die bestehenden Websites wäre technisch ebenso möglich wie eine Verlagerung von Verbandsangeboten in ein sportartübergreifendes Content-Management-System, das allen Verbänden zur Verfügung steht.

6.3. Internationale Vorbilder und nationale Umsetzung

Die aufgeführten Merkmale von Informationssystemen orientieren sich an internationalen Vorbildern, in denen ein großer Teil der Angebote und Funktionalitäten längst realisiert ist und sportartübergreifend von verschiedenen Zielgruppen genutzt wird. Zu nennen ist an erster Stelle das Informationssystem „OASIS“ bzw. dessen aktuelle Weiterentwicklung „Clearinghouse for Sport“ des australischen „National Sport Information Centre“.

In Deutschland warten die Verbände bislang vergeblich auf ein vergleichbares Angebot. In der Online-Befragung befürworten fast 95 Prozent ein solches zentrales Informationssystem, in dem Wissensbestände verfügbar sind, für wahrscheinlich halten es allerdings nur 56 Prozent. Eine Erklärung für diese erhebliche Differenz zwischen Wunsch und Erwartung liefern die Antworten auf die Frage: „Wem trauen Sie den Ausbau von Internetangeboten für den deutschen Leistungssport zu?“. Die institutionell zuständige Dachorganisation, der DOSB, wird bei dieser Frage erst an zweiter Stelle mit etwas über 40 Prozent genannt, deutlich hinter dem IAT mit knapp 50 Prozent.

Eine Einrichtung, die in ihren Aufgaben und ihrer Ausstattung mit dem australischen „National Sport Information Centre“ vergleichbar wäre, gibt es in Deutschland leider nicht. Derzeit ist auch keine Organisationsform in Sicht, die erwarten ließe, dass ein solches sportartübergreifendes System in naher Zukunft aufgebaut werden könnte. Die Diskussion der Thematik im Strategieausschuss hat einmal mehr aufgezeigt, dass das Konkurrenzdenken der sportartübergreifenden Einrichtungen einem Fortschritt in dieser Richtung im Wege steht.

7. Kooperationskultur

Damit ist auch ein zentrales strukturelles Problem des deutschen Leistungssports angesprochen, das auch für das Wissensmanagement eine bedeutende Rolle spielt. Es existieren zahlreiche sportartübergreifende Einrichtungen, deren Aufgabe darin besteht, den deutschen Sport und die Akteure in den Verbänden zu unterstützen. Von einer abgestimmten Arbeit an einem gemeinsamen Ziel ist man jedoch nicht nur in Bezug auf Informationssysteme weit entfernt. Dass einige der Einrichtungen im „kooperativen Produktionsverbund“ (Emrich & Güllich, 2005) des deutschen Leistungssports alles andere als einen kooperativen Umgang miteinander pflegen, ist auch den verschiedenen Befragten nicht verborgen geblieben.

Abb. 8: „Die Kommunikation zwischen den sportartübergreifenden Institutionen ist eher durch Konkurrenz als durch Kooperation geprägt“ – Zustimmung in verschiedenen Gruppen

Die Aussage „Die Kommunikation zwischen den sportartübergreifenden Institutionen ist eher durch Konkurrenz als durch Kooperation geprägt“ erfährt breite Zustimmung über verschiedene Gruppierungen hinweg. Selbst die Befragten in den sportartübergreifenden Einrichtungen stimmen der Aussage mehrheitlich zu (vgl. Abb. 8). Es ist deshalb verständlich, wenn Vertreter aus Verbänden ihren Glauben an eine zielführende und koordinierte Zusammenarbeit zwischen den Institutionen längst verloren haben und ihre eigenen kleinen Schritte gehen. Solange sich an der vorherrschenden Kooperationskultur nichts ändert, bleiben die Verbände auch in allen Fragen der Informationsversorgung und des Wissens­managements weitgehend auf sich alleine gestellt.

8       Literatur

Emrich, E., & Güllich, A. (2005). Zur „Produktion“ sportlichen Erfolges: Organisationsstrukturen, Förderbedingungen und Planungsannahmen in kritischer Analyse. Köln: Sport und Buch Strauß.

Grehl, L. (2011). Der Wissenschaftskoordinator im Spitzensport – Entstehung, Verbreitung und Akzeptanz einer neuen Position. In M. Muckenhaupt (Hrsg.), Wissen im Hochleistungssport Perspektiven und Innovationen (73–98). Köln: Sportverl. Strauß.

Horn, A., & Neumann, G. (2009). BISp-Ratgeber Projektförderung (2. Auflage). Bonn: Bundesinstitut für Sportwissenschaft.

Killing, W. (2011a). Strukturelle Hemmnisse bei der Umsetzung sportwissenschaftlicher Erkenntnisse. In M. Muckenhaupt (Hrsg.), Wissen im Hochleistungssport Perspektiven und Innovationen (153–173). Köln: Sportverl. Strauß.

Killing, W. (2011b). Wissenschafts-Koordinatoren: Transformatoren leistungsrelevanten Wissens im Leistungssport. Leistungssport, (6), 12–16.

Moritz, E. F. (2006). Innovatorik für den Spitzensport: Ein Leitfaden für systematische Innovation in der Sportpraxis. Bonn: Bundesinstitut für Sportwissenschaft.

Muckenhaupt, M. (2011). Wissensmanagement im Wissenschaftlichen Verbundsystem Leistungssport – Teilstudien des Projekts und erste Befunde. In M. Muckenhaupt (Hrsg.), Wissen im Hochleistungssport Perspektiven und Innovationen (5–26). Köln: Sportverl. Strauß.

Muckenhaupt, M., Grehl, L., & Lange, J. (2009). Der Trainer als Wissensexperte: Eine Studie zum Informationsverhalten, -bedarf und -angebot im Spitzensport. Schorndorf: Hofmann.

Wissenschaftsrat (2007). Stellungnahme zum Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp), Bonn. Berlin.


Erstveröffentlichung: Muckenhaupt, M., Grehl, L. & Lange, J. (2012). Kommunikationsdefizite im Wissenschaftlichen Verbundsystem Leistungssport. Leistungssport, 42 (2), 4-10.