Von Andreas Müller
Der als freier Journalist arbeitende Andreas Müller hat sich schon seit längerer Zeit mit Fragen zur Entwicklung des eigenen Berufsstandes auseinandergesetzt. Dabei sind auch die folgenden drei Kommentare zur Entwicklung des „Fernsehsports“ entstanden. Ihr Erst-Abdruck erfolgte in der „Jungen Welt“. Die in diesen Kommentaren vorgetragene Kritik erscheint mir diskussionswürdig zu sein und sie soll deshalb den Lesern von „sport-nachgedacht.de“ nicht vorenthalten werden.H.D.
„Fernsehsport“-Ärgerliche Anlässe?
Wahl „Sportler des Jahres“ Stunde der Heuchler
Weitspringerin Malaika Mihambo, Tennis-Profi Alexander Zverev sowie der Bahnrad-Vierer der Frauen mit Lisa Brennauer, Franziska Brauße, Lisa Klein und Mieke Kröger, in Tokio allesamt mit Olympia-Gold dekoriert, hießen Deutschlands „Sportler des Jahres“ 2021. Traditionell wurde die Gala im Kurhaus zu Baden-Baden von jenem Sender präsentiert, der sein „aktuelles Sportstudio“ regelmäßig ausfallen lässt, sobald der bezahlte Fußball samstags nicht rollt. Wie es die Mainzer mit den kleinen olympischen Sportarten halten, davon bekam das Publikum bei der Ehrung einmal mehr einen Begriff. Etwa als die Olympia-Siegerinnen Aline Rotter-Focken und Ricarda Funk, bei den Frauen auf Platz zwei und drei gewählt, doch bitte in zwei Sätzen einmal für ihre Sportarten Ringen und Kanu-Slalom werben sollten. Eine Aufforderung, die durch die Blume jedem signalisierte: Nutzt die paar Sekunden hier, denn bis zu den nächsten Sommerspielen 2024 in Paris werden ringende bzw. durchs wilde Wasser paddelnde Athletinnen bei uns nicht mehr vorkommen!
Ein Schicksal, das zum Beispiel auch die deutschen Tischtennis-Männer zur Genüge kennen, die bei der Teamwertung hinter den olympischen Dressur-Reiterinnen Platz auf Rang drei gewählt wurden. Von den TT-Weltmeisterschaften 2021 im texanischen Houston, als Timo Boll Bronze im Einzel gewann, gab es für den „ZDF-Gucker“ und für den öffentlich-rechtlichen Zuschauer insgesamt keinen einzigen Ballwechsel zu sehen. Genauso wie ihm Live-Sequenzen von der WM im Frauen-Handball 2021 komplett vorenthalten wurden.
Ihren Höhepunkt erreichte die Heuchelei bei der Gala, als das Moderatoren-Duo Katrin Müller-Hohenstein und Rudi Cerne die siegreichen Bahnrad-Fahrerinnen auf die Bühne baten und mit ihnen über ihre goldgeschmückten Weltrekordfahrten im olympischen Velodrom plauderten. Fünf Tage zuvor war bekannt geworden, dass ZDF und ARD eben jene Sportart bei den „Finals 2022“ nicht dabeihaben wollen, als zwischen dem 23. und dem 26. Juni deutsche Meisterschaften in 15 Sportarten zum
Paket geschnürt wurden. Die „Mannschaft des Jahres“ war somit auf öffentlich-rechtlichen Wunsch außen vor, nicht gewollt, ausgeschlossen. Welch schöne Vorlage für einen Skandal auf offener ZDF-Bühne war dies. Leider blieb der Protest der ausgezeichneten Rad-Sportlerinnen bei der Gala in Baden-Baden aus. Schade drum. Zu gerne hätte der Sportfreund zuhause miterlebt, wie sich die Kleinen im Schatten endlich wehren, und sei es in festlicher Robe.
Tokio 2020 Olympische Zumutungen
Die so oft als wichtigste, beste, professionellste Nachrichtensendung im deutschen Fernsehen wusste am Eröffnungstag der Olympischen Spiele von Tokio von frühmorgens bis zum Mittag leider nicht zu vermitteln, wie die Olympischen Ringe aussehen. Statt Blau-Schwarz-Rot und Gelb-Grün kam die „Tagesschau“ über Stunden hinweg mit einer spiegelverkehrten Version der Flagge des Weltsports daher. Keiner da, der Ahnung hat. Was weit mehr war als ein Fauxpas, wusste das ZDF anschließend am selben Tag locker zu über- respektive untertrumpfen. Als Kommentator der Eröffnungsfeier wurde mit Bela Rethy just ein ausschließlicher „Fußball-Kopf“ auf die Fernsehzuschauer losgelassen, der mit dem Fächer der olympischen Sportarten, mit den Olympioniken, mit der olympischen Bewegung kurzum: mit alldem, was sich beim Einmarsch der Athleten aus aller Herren Länder sportlich und sportpolitisch-olympisch verbindet, ungefähr so viel zu schaffen hat wie ein Ureinwohner in Papua-Neuguinea mit der modernen Raumfahrt.
Handelte es sich um Kirchliches, wäre das Wort von der Blasphemie angebracht. Ähnlich wie bei Alexander Bommes, der mit Jessy Wellmer für die ARD durchs olympische Tagesprogramm führte und – anders als die Sportlerinnen und Sportler – ohne olympische Qualifikation starten durfte. Schützen, Kanuten, Ringer oder Akteure aus ähnlich exotischen Gefilden von „Team Germany“ werden den Mann, der sie zur braven Plauderei auf der Studio-Couch animieren sollte, zuvor kaum jemals bei ihrem Training oder bei ihren Wettkämpfen begegnet sein. Wie auch, statt sportjournalistisch ist er in der Hauptsache mit einer Rate-Sendung unterwegs, die im „Ersten“ und ihren angeschlossenen Anstalten Tag und Nacht praktisch pausenlos läuft – wenn er nebenbei noch etwas Zeit hat, ist er im bezahlten Fußball zuhause, mitunter noch ein noch ein wenig im Handball.
Womöglich ist es dieses mangelnde Fingerspitzengefühl bei den Personalien im Zentrum der öffentlich-rechtlichen Olympia-Berichterstattung, womöglich sind es derlei Zumutungen bis hin zur Verhöhnung des TV-Publikums wie der olympischen Akteure, die Thomas Bach seit längerem bitter aufstießen und handeln ließen. Als Präsident und erster TV-Rechtehändler seines IOC sorgte er kurzerhand dafür, dass die Erstrechte für Live-Übertragungen seit 2018 nicht länger bei der European Broadcasting Union (EBU) und mithin bei ARD und ZDF liegen, sondern an ein Unternehmen namens „Discovery“ übergingen. Der Vertrag mit dem Mutterkonzern des Senders „Eurosport“ gilt bis 2024, so dass man öffentlich-rechtlich nun auf Sublizenzen angewiesen ist und auf unkritische, meist etwas ältere Zuschauer hofft, die sich mit ihrer Fernbedienung für das öffentlich-rechtliche Fernsehen entscheiden.
Im Auftrag der Sales und Service GmbH Plaudern, quizzen, entertainen oder: öffentlich-rechtlich den Fußball verkaufen
Journalismus war gestern, heute ist Entertainment. Was für die privaten TV-Sender schon immer galt, dahin haben es nun auch die von Beiträgen oder richtiger: Gebühren finanzierten Sender im Sportressort längst gebracht. Das war in der sehr speziellen „Corona-Saison“ 2020/2021nicht anders gewesen als in den Jahren zuvor. „Sportschau“-Moderatoren waren wie üblich im Fach „Buntes“ unterwegs. Vormals undenkbar und ein Sakrileg, dürfen sie jetzt sogar bei der privaten Konkurrenz in der Primetime auftreten. Wie Matthias Opdenhövel. Gerade noch bei der „Anmoderierung“ eines Bundesliga-Spieltages im Ersten zu sehen, schwups, führte er bei den „Masked-Singers“ durchs abendliche Programm. „Bei uns in Pro 7“, wie er so schön glaubwürdig sagte. ( Inzwischen hat Opdenhövel seine „Doppelmoderation“ beendet und arbeitet nunmehr nur noch für das private Fernsehen). Dagegen sind seine Kollegen auf öffentlich-rechtlichen Abwegen beinahe Waisenknaben. Wie Alexander Bommes, der, scheinbar geklont, als Gastgeber in sämtlichen Dritten tagtäglich fragt und jagt und quizzt. Oder einer wie René Kindermann, die MDR-Allzweckwaffe, die bei „Brisant“ aushilft, im „River-Boat“ talkt und auch schon mal am Rande des Dresdner Opernball Interviews führt oder besser: Stimmen einfängt. Beckmann-Verdrängerin Jessy Wellmer genießt ebenfalls ihre außersportlichen Spielräume. Zu einer großen Anstalt gehört nun mal die Narrenfreiheit!
Weder ARD-Sport-Koordinator Axel Balkausky noch andere Chefs stören sich daran. Warum auch, im ZDF-Sport geht es ja ganz ähnlich zu. Nur heißen bei den Mainzern die Leute für die redaktionell gebilligten Gastspiele zwischen „Morgen-Magazin“, „Aktenzeichen“ und Satire-Show Dunja Hayali, Oliver Welke, Rudi Cerne, Jochen Breyer oder Sven Voss. Sie alle scheinen im Sport-Metier ihrer Sender entweder nicht ausgelastet oder sie werden im Sportressort nur benötigt, um dort die „Anker-Frau“ oder den „Anker-Mann“ zu geben. Kurzum: Lediglich den Verkäufer eines Formats zu mimen. Wenn Moderatoren keine Journalisten mehr sein müssen und inhaltlich fürs Programm nichts zu leisten haben als seine veritable Präsentation, dann bleibt ihnen eben reichlich Luft für Auftritte anderswo.
Niemanden in den Chefetagen scheint dies zu bekümmern. Niemand scheint ein Gespür dafür zu haben, dass so etwas beim mündigen Gebührenzahler das Image vom ernsthaften Sportjournalismus ad absurdum führt, den Anspruch seriöser sportjournalistischer Tätigkeit karikiert und das Credo von der vertrauenswürdigen Redaktion in Frage stellt. Der Unterschied zu privaten und Bezahl-Sendern? Verschwunden und aufgelöst in der Tiefe des Tor- und Strafraums. Diese Vermutung liegt für aufmerksame TV-Zuschauer schon seit längerem nahe. Wer sich ganz aufs Ende der „Sportschau“ konzentriert und buchstäblich bis zu ihrer letzten Sekunde wachen Geistes ist, wird dafür die offizielle Bestätigung erfahren. Das regelmäßig eingeblendete ehrliche Bekenntnis nämlich, die Sendung sei „im Auftrag der ARD Sales und Service GmbH“ produziert worden.
Der Hinweis ist eine für Bruchteile aufscheinende Mahnung: Hier geht es nicht um unabhängigen, kritischen Sport – oder genauer: Fußball-Journalismus, wie man ihn von Gebühren finanzierten Sendern erwarten darf. Hier geht es zuerst oder gar einzig um Werbespots und Verkaufserlöse. Wer Rechte zur Übertragung von Fußball-Spielen, selbst nur in Ausschnitten, immer teuer einkaufen muss, der muss refinanzieren. Dies die schlichte Botschaft. Daher in der „Sportschau“ stets der offizielle Trailer der Deutschen- Fußball-Liga (DFL) und dazu die Logos aller beteiligten Klubs. Gut hör- und sichtbar werden damit all jene gewarnt, die zu hören und zu sehen verstehen. „Achtung! Wir verlassen das unabhängige journalistische Territorium!“
Neue Zeiten, die zugleich ihr neues, nicht einwandfrei journalistisches Genre schufen: Die Plauderei. Ein bisschen nett, gern du-zend plaudern statt ernsthaft Sie-zend distanziert interviewen und hinterfragen, das muss genügen. Unter solchen Voraussetzungen hätten Rudi Carrell oder Hans Rosenthal locker eine Karriere beim TV-Fußball starten können. Auch Schlagerstars, Komiker, Schauspieler oder der in die Jahre gekommene Thomas Gottschalk. Alle, die potenziell als Zugpferde taugen, könnten heute als aussichtsreiche Kandidaten für diesen Unterhaltungs-Job gelten. Sie müssten nur verstehen, anhand einiger Moderationskarten den verehrten Zuseher eine zunehmend seelenlosere Geldmaschine als schönste Nebensache der Welt nahezubringen. Nur „Schalke 05“ oder ähnliche Patzer, sowas ginge allerdings nicht.
Das Tummelfeld für Sport-Entertainer ist groß, nicht mehr nur an gängige Formate gebunden, die mit dem neuen Fernseh-Vertrag erhalten bleiben. Längst rollt der Ball am Wochenende öffentlich-rechtlich ganze Nachmittage lang. Die dritten Programme haben – nomen est omen – flächendeckend die Live-Partien der dritten Liga für sich entdeckt. Gut möglich, dass demnächst in der „Unterliga-Berichterstattung“ ebenso regemäßig die vierte, fünfte und sechste Liga in den Fokus gerät. Alles Derbys, großartig! Sende-Strecken vom Training der Kicker unter der Woche würden künftig billig ganze Serien ersetzen können. Die Fernsehrechte werden preiswert zu haben sein. Hier tun sich völlig neue Perspektiven für den ARD-Sport auf.
Und wenn der Fußball pausiert, wegen der obligatorischen Sommerferien oder einer unvorhergesehenen Pandemie? Dann machen seine Höflinge ebenfalls Pause. Das hat sich bei den Sportmagazinen der „Dritten“ seit Jahren bewährt wie beim „Sportstudio“ im ZDF. Der Sportfan daheim hat das gefälligst zu akzeptieren. Was sollte ihm vorgesetzt werden ohne aktuellen DFL– und DFB-Betrieb? Fußball in Konserven vielleicht? Ja, selbst das funktioniert, wie man neuerdings weiß. Eine Innovation, die sich Corona sei Dank schnell etablierte. Wie stolz berichtete Sport-Koordinator Balkausky, in den Redaktions-Konferenzen sei eifrig diskutiert worden, welche Partien der Altvorderen wohl als Lückenfüller taugen. Moderne Themenfindung, Qualitäts-Journalismus, Fernsehsport vom Feinsten. „Bambi“ verdächtig. Fehlt noch, bei den Alt-Partien das Maximum an Werbe-Spots und -Erlösen herauszuholen. Die Sportwetten-Anbieter ins Boot holen! Vielleicht darf man bald aufs Ergebnis schon stattgehabter WM-Partien wetten.