Dopingbetrug- Marke „West“

Im nationalen und internationalen Anti-Dopingkampf ist in diesen Tagen eine auffällig große Ruhe zu beobachten. Umso mehr ist es wichtig das Ewald Walker das nach wie vor ungelöste Dopingproblem in seinem Gastbeitrag in den Blickpunk unserer Aufmerksamkeit rückt. Schon seit Jahrzehnten kann man immer wieder die selbe Dramaturgie der Massenmedien beobachten. Wird ein Doping-Skandal aufgedeckt, so lässt eine „Skandalberichterstattung“ nicht lange auf sich warten. Gibt der Skandal keine Geschichten mehr her so gehen Fernsehen, Presse und soziale Medien wieder zur „Tagesordnung“ über, obgleich es bereits absehbar ist, dass der nächste Dopingskandal bereits auf sich warten lässt. Folgenlosigkeit und Vergesslichkeit sind die besonderen Merkmale dieser Dramaturgie und so können Betrüger darauf setzen, dass viele von ihnen auch in der näheren und weiteren Zukunft bei ihrem Dopingbetrug nicht ertappt werden.H.D.

 

Ewald Walker

Dopingbetrug-Marke„West“

Es herrscht vergleichsweise Ruhe an der Dopingfront. Einige Dopingfälle kenianischer Marathonläufer, die in die Dopingfalle gelaufen sind, sorgen für Aufmerksamkeit. Ist es die Ruhe vor dem Sturm, der immer wieder über den Sport hinwegfegt? Über fünf Jahrzehnte Dopinggeschichte haben gelehrt, dass dieses Damoklesschwert nicht mehr verschwindet.

Doping in Deutschland, das war vor allem Doping in der DDR. Dachte man. Der Staatsplan 14.25 enthielt ein ausgeklügeltes Programm zum Einsatz unterstützender Mittel. Mit Chemie zu Medaillen. Diese waren das dezidierte Staatsziel. Brigitte Berendonk hat in ihrem Buch („Doping-Dokumente Von der Forschung zum Betrug“) Namen, Mittel, Methoden und Wirkungen akribisch festgehalten. „Wir wussten vom Doping in den USA Anfang der 60er Jahre“, erinnert sich einer der weltbesten DDR-Hochspringer an die Anfänge des Dopings. In der DDR sei die chemische Leistungsmanipulation nach 1966 aufgekommen.

Aber was war im Westen Deutschlands? Lange glaubte man, dass es so was hier nicht gibt, und wenn, dass dies nur Einzelfälle gewesen wären. Doch längst ist diese Mär entlarvt. Es wurde immer offensichtlicher: Doping gab es systematisch auch als „Marke West“. Eine zentrale Schaltstelle waren dabei die beiden Freiburger Sportmediziner Joseph Keul und Armin Klümper.

Eine „Evaluierungskomission zur Freiburger Sportmedizin“ unter Leitung der italienischen Kriminologin Letizia Paoli hat sich zwischen 2007 und 2016 mit den Praktiken von Keul und Klümper sowie weiteren Sportärzten, aber auch des beteiligten Netzwerkes aus Sport, Politik und Uni beschäftigt. Dass die Ergebnisse erst jetzt im 250 Seiten starken Buch „Doping für Deutschland“ erschienen sind, lag teilweise an den massiven Widerständen, denen sich die Kommission bei der Aufarbeitung der westdeutsche Doping-Historie ausgesetzt sah. Der wichtigere Grund für die Verspätung liegt wohl in dem Streit, den es zwischen den Mitgliedern der Evaluierungskommission, ihrer Leiterin und dem Geschäftsführer gegeben hat, was die Professionalität der Untersuchung erheblich beeinträchtigt hat Das Buch ist dennoch eine einzige Abrechnung mit Personen und Institutionen aus den Bereichen Sport, Politik, Justiz, Wissenschaftsverwaltung, und Medizin.

Eines der wesentlichen Ergebnisse: Freiburg ist das „Epizentrum“ des Betrugs gewesen. Joseph Keul war demnach als charismatischer Leiter der Freiburger Sportmedizin und Chefarzt des deutschen Olympiateams (von 1974 bis 2000), Verbandsarzt der Radfahrer, Leichtathleten, Schwimmer und Turner der geistige Vater des Westdopings. Sein Verständnis sei vom Kalten Krieg zwischen Ost und West geprägt gewesen, deren Mittel Anabolika, Testosteron und später Epo waren. Der Auftrag durch die SED Führung „Wir erwarten Medaillen“ führte in der DDR zum staatlich organisierten Doping, aber auch im Westen erwartete man Medaillen als Gegenleistung für die Finanzierung des Leistungssports. Keul setzte sich demnach über Jahre für den kontrollierten Einsatz von Anabolika ein.

„Der Sündenfall war, dass man die Herausforderung der DDR, den Sport als Wettkampf der Systeme zu sehen, angenommen hat“, sagt Hans-Jörg Kofink (Rottenburg), ehemaliger Frauen-Bundestrainer Kugelstoßen und der seit Jahrzehnten zu den renommiertesten Anti-Doping-Kämpfern im Westen zählt. Brigitte Berendonk hatte bereits 1969 („Züchten wir Monstren?“) auf das Dopingproblem aufmerksam gemacht.

Im Umfeld der Olympischen Spiele 1972 in München habe man über einzelne gedopte Sportler gesprochen, erzählt Mehrkämpferin Margot Eppinger (Filderstadt). Doch schon bei den Spielen 1976 in Montreal hatte sich der Sport grundlegend verändert. Es war die Zeit, in der der Sport auch hierzulande seine Unschuld verloren hat. (Körperliche) Indizien gab es genug. „Als ich in Montreal ins Athletendorf eingezogen bin, lagen im Badezimmer die Rasierer auf der Spiegelablage“, spielt die ehemalige deutsche Mehrkampfmeisterin auf die virilisierende Wirkung von Anabolikadoping an. „Ich hatte ungedopt keine Chance mehr“, begründet sie ihr frühes Karriereende mit 24 Jahren.

Zurück nach Freiburg. Dort hatte Professor Armin Klümper, der über Jahrzehnte wohl wichtigste Sportmediziner aus der Sicht vieler deutscher Spitzensportler und Sportfunktionäre und Gegenspieler von Professor Keul, laut Kommissionsrecherchen Scharen von Sportlern beraten und mit Dopingmitteln versorgt. Er beeindruckte durch die Nähe zu den Athleten und besaß bei ihnen hohe Anziehungskraft. Für den früheren Zehnkampf-Weltrekordler Kurt Bendlin war er „die Vaterfigur des deutschen Sports“.Vergleichbare positive Beurteilungen gibt es auch von dem ehemaligen Turn- Weltmeister und langjährigen Bundestagsmitglied Eberhard Gienger und vielen weiteren renommierten Olympioniken. Brigitte Berendonk schrieb in ihrem Buch „Dopingdokumente“: “Professor Klümper hat viele Sportler behandelt, viele geheilt, und eine Reihe von ihnen gedopt“. Der Guru der deutschen Sportmedizin trat offensiv für den Anabolika-Konsum ein. Nach dem Tod seiner Patientin Birgit Dressel 1987 aufgrund eines durch Doping ausgelösten Multiorganversagens kochte die mediale Debatte über Doping im Spitzensport hoch.

Im deutschen Leichtathletikverband führte dieser tragische Tod einer Athleten zu einem radikalen Umdenken und zu einem längst notwendigen Führungswechsel. Tolerierten die DLV Präsidenten Danz, Kirsch und vor allem Meyer den Dopingmissbrauch in ihrem Verband, wie so viele Verbandspräsidenten im deutschen Sport über Jahrzehnte, so kam es zunächst unter Präsident Munzert zu einem ersten Widerstand gegen die Doping-Lobby, an deren Widerstand er jedoch scheiterte. Erst ab 1993 unter einem neuen Führungsteam mit Digel, Nickel und Rous an der Spitze kam es zu einem entschiedenen Anti-Doping Kampf von dem unter der heutigen Führung des DLV allerdings nichts mehr zu spüren ist. Weder finden heute die zwischen 1993 und 2001 regelmäßig durchgeführten „Runden Tische“ mit Experten zur internationalem Doping Problematik statt noch gibt es eine aktive Führungsrolle der Anti-Doping Kommission des Verbandes. Über viele Jahre hat sie nicht mehr getagt und so hat sich der DLV wie so viele Olympischen Spitzenverbände im letzten Jahrzehnt von einem aktiven Anti- Dopingkampf nahezu völlig verabschiedet.

In einem FAZ-Interview bezeichnete der holländische Manager Jos Hermens, der immer wieder aber auch selbst mit schweren Dopingvorwürfen konfrontiert war, Klümper als die westdeutsche Antwort auf das Staatsdoping in der DDR. Der Dopingskandal des Teams Telekom im Radsport 2007 mit Blutdoping war der unrühmliche Höhepunkt eines Jahrzehnte andauernden Medikamenten Missbrauchs in der ehemaligen BRD . Während Keul das Bundesverdienstkreuz erhielt, wurde Klümper 1989 wegen Abrechnungsbetrug zu einer Geldstrafe verurteilt und zog sich 1998 nach Südafrika zurück, nachdem er wegen Dopingvorwürfen massiv unter Druck geraten war.

Die Athleten, Trainer, Sportfunktionäre, Sportmediziner und Sportpolitiker tragen Verantwortung für den noch immer andauernden Dopingbetrug. Wie lange wird die Mauer des Schweigens noch bestehen bleiben? In der Dissertation von Simon Krivec bekannten sich immerhin 31 Spitzen-Leichtathleten dazu, über Jahre gedopt zu haben. Hinter vorgehaltener Hand wird von weit höheren Zahlen gesprochen.

Doping für Deutschland, soviel war unter Insidern und Experten eigentlich schon immer klar, war eine Angelegenheit auf beiden Seiten der Mauer. Der westdeutsche Sport hatte mit ganz wenigen Ausnahmen kein Interesse an der Aufklärung. Unter den positiven Ausnahmen sind vor allem der ehemalige DSB-Vizepräsident Ommo Grupe mit seiner Untersuchungskommission aus Anlass der westdeutschen Doping-Skandale bei den Olympischen Spielen 1976 in Montreal, Manfred von Richthofen, der sich als erster DSB Präsident dem Anti Dopingkampf vor und nach Wiedervereinigung mit einem besonderen Engagement widmete und die bereits erwähnte die DLV Führung, die 1993 aus Anlass des Dopingskandals, verursacht durch die Sprinterinnen Katrin Krabbe und Grit Breuer, die dopingbelastete alte DLV-Führung ablöste. Der Staat hatte zu lange die Augen vor diesen weitreichenden Problemen verschlossen. Erfolge waren wichtig, ganz gleich mit welchen Mitteln sie erbracht wurden. Und aus gutem Grund hatte man deshalb dem Sport die Bearbeitung der Doping-Frage überlassen, wohl wissend, dass ihm zur Lösung des Problems die geeigneten Instrumente fehlen. Erst 2015 kam mit dem Anti-Dopinggesetz, das Digel bereits 1993 gegenüber dem Innenminister Schily gefordert hatte und gegen das sich der DSB und spätere DOSB über mehrere Jahre mit fadenscheinigen Gründen gewehrt hatte, der logische Schritt mit der strafrechtlichen Einordnung und Verfolgung von Dopingvergehen. Auf die Einrichtung einer als notwendig erachteten fachlich spezialisierten ausreichenden Anzahl von Staatsanwaltschaften muss man jedoch nach wie vor warten und von einem befriedigenden Vollzug des Gesetzes kann gewiss nicht gesprochen werden.

„Mit der Aufarbeitung des Dopings im Westen kehrt Gerechtigkeit bei diesem Thema ein“.Der fromme Wunsch eines ehemaligen Weltklassehochspringers aus der DDR ist leider noch immer nicht in Erfüllung gegangen.