Das Olympische Dorf von 1936 im historischen Wandel

von Ewald Walker

Sechs Jahrzehnte war dieses „verbotene Dorf“ in Elstal am Rande von Berlin nach den Olympischen Spielen 1936 für die Bevölkerung nicht zugänglich. Wegen seiner historischen und architektonischen Bedeutung und auch weil es vom Verfall bedroht war, steht das Dorf s­­­­­eit 1993 unter Denkmalschutz. Inzwischen wurde der Schleier über Elstal gelüftet und mit einem neuen Gewand überzogen. Dort, wo während der Olympischen Spiele 1936 die Athleten wohnten, ziehen heute wieder Menschen in modernisierte Wohneinheiten ein.

Das Olympische Dorf von 1936, 18 Kilometer westlich des Berliner Olympiastadions von den Brüdern Werner und Walter Mach geplant, hat eine bewegte Geschichte. Hier wollten sich die Nationalsozialisten als weltoffen und modern präsentieren und so dem ramponierten Ansehen Deutschlands entgegenwirken. Wegen der antijüdischen Politik hatten die Amerikaner bis kurz vor den Spielen mit Boykott gedroht. Erst als man die jüdische Hochspringerin Gretel Bergmann wieder ins deutsche Team holte, fuhr das Schiff mit dem US-Team in New York los. Wenige Tage später jedoch wurde Bergmann („Die jüdische Hoffnung“) aus dem deutschen Olympiateam endgültig verbannt.

Als „Dorf des Friedens“ war das Olympische Dorf Propagandamittel für die Nationalsozialisten. Rund 3600 Sportler aus 50 Nationen waren während der Spiele im Dorf untergebracht. Im Olympischen Dorf, egal ob in München, Rio oder Tokio, wohnt die Seele der Spiele, schwebt der Olympische Geist der Internationalität und Verständigung der Athleten. Das Dorf von 1936 wurde mit 141 Gebäuden nur für die männlichen Bewohner („Dorf ohne Frauen“) gebaut. Die weiblichen Teilnehmer waren streng getrennt und wohnten auf dem Reichssportfeld beim Olympiastadion.

„Elstal war von seiner Lage und Konzeption eine Idylle“, beschreibt der Berliner Historiker André Klautzsch die Situation. Nach außen prägten Bilder fröhlicher Sportler, musizierender und tanzender Olympioniken aus aller Welt das Leben im Olympischen Dorf – es waren Bilder, die als Fassade für den Missbrauch des olympischen Sports dienten.

„Wer nach Elstal zu Besuch kam, war immer auf der Suche nach dem Haus, in dem Jesse Owens wohnte“, weiß Klautzsch aus seinen Führungen mit in- und ausländischen Besuchern. Dass Owens, der afroamerikanische US-Athlet, mit seinen vier Goldmedaillen zum erfolgreichsten Teilnehmer von Berlin 1936 wurde, war den Nationalsozialisten zutiefst zuwider. Die schwarze Aschenbahn, auf denen Jesse Owens sein Sprinttraining absolvierte, ist als historische Fläche noch erhalten.

Das bogenförmig angelegte, 130 Meter lange Speisehaus der Nationen und die Sportstätten mit Aschenbahn, Turn- und Schwimmhalle bildeten das Zentrum des Dorfs. Die Athletenunterkünfte inmitten von Birkenanlagen vermittelten das Bild eines beschaulichen Ortes.

Nach den Spielen bis 1945 von der Wehrmacht als Lazarett und Heeres-Infanterie-Schule genutzt, zog nach dem Krieg die sowjetische Armee bis 1992 hier ein. Elstal war danach für mehr als vier Jahrzehnte eine Kaserne. Mit der Errichtung von „Plattenbauten“ verlor die Anlage ihre städtebauliche Gestalt, die harmonische Einbettung in die Landschaft wurde massiv verändert. In der Zeit danach haben Vandalismus und Plünderungen ihre Spuren hinterlassen.

2000 übernahm die Deutsche Kreditbank (DKB) das Gelände in Elstal und sicherte zunächst die verbliebenen historischen Gebäude. 2005 wurde zum Karriere-Abschied von Kugelstoß-Olympiasiegerin Astrid Kumbernuss bei ihrem letzten Wettkampf in der Talaue von Elstal endgültig der Schleier über dem vergessenen Olympischen Dorf vor 3000 Zuschauern gelüftet.

In den Folgejahren fand im Olympischen Dorf mehrfach das Finale des DKB-Cups auf den aufbereiteten Sportanlagen statt. Hier siegte Speerwurf-Weltmeisterin Christina Obergföll („Das war ein besonderes Erlebnis an diesem geschichtsträchtigen Ort“). Inzwischen wurde ein wesentlicher Teil des olympischen Dorfes von der Nürnberger Terraplan-Gruppe, einem profilierten Denkmal-Sanierer, modernisiert und in eine attraktive Gartenstadt mit Townhouses sowie Gemeinschafts- und Grünanlagen umgebaut. Als letzte Zeitzeugen ergänzen noch zwölf der eingeschössigen Wohnhäuser das Gebäudeensemble.

Etwa 900 Bewohner sind für die 360 denkmalgeschützten, modernisierten Wohnungen und Neubauten eingeplant, die ersten leben seit Ende 2020 bereits dort. Die Bewohner sind so international wie die Sportler 1936. Und ein Straßenschild („Jesse-Owens-Ring“) weist den Weg zurück in die Geschichte des Olympischen Dorfes.