Anti-Doping – Aufklärung unerwünscht

Gastbeitrag
Anti-Doping – Aufklärung unerwünscht

Wie die WADA mit ihrem Privat-Deal mit Jannik Sinner den Internationalen Sportgerichtshof CAS ausbootete und den Anti-Doping-Kampf untergräbt    von

Andreas Müller

Am 16. und 17. April sollte vor dem Internationalen Sportgerichtshof CAS ursprünglich das Verfahren gegen Tennis-Profi Jannik Sinner ordentlich aufgerollt werden. Mit ihrem „Privat-Deal“ und einer außergerichtlichen Einigung mit dem Südtiroler hat die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA dies wissentlich verhindert. Die Anhörung und die gerichtliche Aufarbeitung sind abgesagt. Damit hat die weltweit angeblich wichtigste Anti-Doping-Institution dem internationalen Bemühen um einen sauberen Sport einen Bärendienst erwiesen. Allen, die dem Kampf gegen Doping als eines der größten Übel im Weltsport den Kampf angesagt haben und im Sinne von Fair-Play nach Sündern und „schwarzen Schafen“ fahnden und für Übeltäter gerechte Bestrafungen einfordern, werden mit diesem Vergleich gewissermaßen vor aller Augen am Nasenring durch die Manege gezogen. Denn es handelt sich bei dieser im Kuhhandel-Modus ausgemachten Drei-Monats-Sperre um weitaus mehr als um eine ungewöhnliche wie fragwürdige Vereinbarung zugunsten eines prominenten Akteurs, der im Vorjahr beim Turnier in Indian Wells in den USA am 10. März und noch einmal acht Tage später positiv auf das verbotene Steroid Clostebol getestet wurde.

Nicht nur, dass dieser Deal juristisch die bisher natürlich geltenden Grenzen zwischen einem Freispruch bei erwiesener Unschuld einer Athletin oder eines Athleten sowie mindestens zweijähriger Sperre im Schuldfall glatt aufhebt. Schlimmer noch. Bei dieser Personalie wir dem Italiener ein völlig willkürliches Strafmaß irgendwo dazwischen zugestanden, was für sich schon allein genommen ein absolutes Unding darstellt. Zugleich nahm die WADA mit diesem Zugeständnis billigend in Kauf bzw. zielte vielleicht sogar vorsätzlich darauf ab, dass entscheidende Fakten nun im Dunkel bleiben, eine nachträgliche Aufklärung unmöglich gemacht wird und sämtliche Ungereimtheiten auf Nimmerwiedersehen im Orkus verschwinden.

Auf genau jenen gefährlichen Umstand verwies Lars Mortsiefer als Vorstandsvorsitzender der nationalen Anti-Doping-Agentur Nada in der FAZ mit seiner zwar diplomatisch vorgetragenen, aber deutlichen Äußerung, er habe sich im Fall Sinner „eine klare und transparente CAS-Entscheidung gewünscht“. Diese Verhandlung der CAS-Richter in Lausanne, selbst unter Ausschluss der Öffentlichkeit, wird nicht stattfinden. Den Blick hinter die Kulissen in einem Verfahren, das vom A bis Z von der International Tennis Integrity Agency (ITIA) unter der Hand und ohne Kenntnis selbst der italienischen Anti-Doping-Agentur vonstattenging, wird es nicht geben. Was mit anderen Worten heißt: Mutwillig und vorsätzlich hat die WADA dazu beigetragen und es zugelassen, dass wichtige Fragen vermutlich auf ewig unbeantwortet bleiben, auf die zum Beispiel Fritz Sörgel, der Chef des „Instituts für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung“ in Nürnberg, schon im vorigen Herbst gegenüber der in Berlin erscheinenden Tageszeitung „Junge Welt“ aufmerksam machte.

Demnach spiele das Labor, in dem Sinners Proben untersucht wurden, „eine Schlüsselrolle“, mit der „sehr zentrale Fragen“ verknüpft seien. Welches Labor beauftragt war, ist bis heute nicht bekannt. Ist es ein von der WADA akkreditiertes gewesen? Wurden Sinners Proben dort eingefroren, damit sie für ein Verfahren beim CAS zur Verfügung stehen und später verwendet werden können? Oder wurden sie vorsorglich vernichtet, bevor unangenehme Überraschungen drohen? Seltsames ist dem Experten schon damals aufgefallen: „Die Analyse-Ergebnisse aus diesem Labor müssen in allerkürzester Zeit vorgelegen haben. Wie das bei anonymisierten Proben so schnell gehen konnte, ist für mich ein Phänomen. Das ist eine der großen Ungereimtheiten, die nach dem Einspruch der WADA nun hoffentlich aufgeklärt werden.“

Pustekuchen, nichts davon wird geklärt oder soll geklärt werden. Der CAS und seine Richter sind außen vor – sollen es nach dem Willen der WADA womöglich mit voller Absicht sein, vielleicht damit bestehende Lücken im Anti-Doping-Kampf nicht offenbar und für jedermann sichtbar werden. Man stelle sich ein Szenario vor, bei dem Richter in Lausanne hätten bei ihrer Verhandlung WADA versus Sinner einhellig und schnell die Hände heben und erklären müssen, dass eine Rekonstruktion und seriöse Bewertung des „Falles Sinner“ praktisch unmöglich ist – und damit auch keine wasserdichte juristische Bewertung. Wie desavouiert hätte das höchste Sport-Gericht dagestanden, wie vorgeführt von der IATA, wie bloßgestellt und im Stich gelassen von einer WADA, die am 26. September 2024 wahrscheinlich nur deswegen Berufung gegen Sinners mildes IATA-Verfahren einlegte, um ein bisschen das Gesicht zu wahren.

Womöglich war der WADA schon seinerzeit nicht ernsthaft daran gelegen, dieses Verfahren mit aller Konsequenz noch einmal aufzurollen bzw. aufrollen zu lassen. Zu deutlich zeichnete sich ab, welche Miasmen allen Beobachtern dabei in die Nase steigen könnten und vor allem, welche Dramatik für den internationalen Tennis-Sport damit verbunden sein würde. Sein ganzes derzeitiges Anti-Doping-System hätte zusammen mit den positiven Proben seines Spitzenspielers vor dem CAS zur Bewertung gestanden. Indem sein Fall bis hin zum abschließenden Verfahrens-Management durch eine eher private Agentur namens „Sports Resolution“ gelotst wurde und vollkommen außerhalb der offiziellen Regularien des Anti-Doping-Kampfes, warf Fritz Sörgel die Grundsatzfrage auf: „Damit hat sich der Tennis-Sport in eine Sonderstellung gebracht, die unerträglich ist. So kann es nicht weitergehen. Diese Sonderrolle muss ein Ende haben. Die WADA und ihr System muss auch im internationalen Tennis-Sport Herr des Verfahrens sein und dies zwingend einfordern.“

Nichts von alldem wird sich erfüllen. Das ist die vermutlich wichtigste und bitterste Erkenntnis aus diesem WADA-Vergleich mit Jannik Sinner. Er selbst bzw. sein Management hat dieser Offerte gern zugestimmt. Diese Dreimonats-Sperre kostet dem Profi nichts. Auch sportlich macht sie ihm nicht das Mindeste aus, weil er beim nächsten wirklich wichtigen Termin, dem Grand Slam in Paris vom 25. Mai bis zum 8. Juni einschließlich des alljährlich vorgeschalteten „Sandplatz-Heim-Turniers“ in Rom wieder wie gewohnt auf dem Court stehen darf. Der Tennis-Profi wird seinem Job nachgehen nach verbüßter Dreimonats-Sperre wieder nachgehen, als wäre nichts gewesen. Die WADA indes zahlt für diese Privat-Vereinbarung einen hohen Preis. Ihr sowieso lädiertes Ansehen erhält weitere Beulen. Ihre ohnehin erschütterte Glaubwürdigkeit erodiert weiter, nachdem die große Chance zunichte gemacht wurde, eine ganze Sportart an die Kandare zu nehmen und für den „weißen Sport“ endlich einheitliche Standards durchzusetzen, wie sie für andere olympische Sportarten gelten. Hinzu kommt der fatale Eindruck, dass positiv getesteten Sportlern je nach Geldbeutel und juristischem Geschick ermöglicht wird, Sanktionen individuell auszuhandeln und nach unten zu modulieren.

Der im Anti-Doping-Kampf hocherfahrene Fritz Sörgel prophezeit nach diesem unrühmlichen Ausgang der Sache Sinner bereits Konsequenzen, die weit über die Positiv-Proben eines einzelnen Tennis-Millionärs hinausgehen. Es seien „verheerende Folgen“ für den weltweiten Anti-Dopingkampf zu erwarten. Weiteren Privat-Deals vornehmlich mit Sündern, die über das nötige Kleingeld verfügen, würden damit Tür und Tor geöffnet. Die Maschen im Netz würden eher größer denn enger. Was der langjährige Kämpfer gegen die „Seuche Doping“ kürzlich dem Sport-Informations-Dienst (sid) als sein persönliches Fazit nach dieser außergerichtlichen Einigung zwischen Sinner und der WADA mitteilte, klang nach Desillusion, Frust und Verbitterung: „Man muss es so hart sagen“, so Fritz Sörgel: „Was die WADA da gemacht hat, bedeutet das Ende des Anti-Doping-Systems in seiner bisherigen Form.“