Helmut Digel
Schon in der Antike waren die Olympischen Spiele nicht nur ein politisches und sportliches Ereignis. Sie waren immer auch Orte, an denen sich die Gastgeber¹ der Spiele mit ihren neuesten bautechnischen Errungenschaften, mit ihrem handwerklichen Können, mit ihrer Ingenieurskunst und mit ihrem Erfindungsgeist darzustellen wussten. Mit der Wiederbegründung der Olympischen Spiele durch Pierre de Coubertin und seit den ersten modernen Olympischen Spielen der Neuzeit in Athen 1896 hat sich dies nicht geändert. Eher das Gegenteil ist der Fall: Die modernen Olympischen Spiele haben sich in den vergangenen mehr als 100 Jahren nicht nur als ein äußerst dynamischer „ökonomischer Marktplatz“ entwickelt. Sie waren viel mehr nahezu alle vier Jahre Antriebsmotor für die Entwicklung der architektonischen Künste und der modernsten Technologien, die für die Menschheit einen großen Nutzen darstellen konnten, und dies oft auch noch bis heute tun. Einige wichtige Bereiche, in denen die Olympischen Spiele einen signifikanten Einfluss hatten, sollen im Folgenden dargestellt werden.
1. Zur Architekturentwicklung
Die Geschichte der Olympischen Spiele weist eine enge Verbindung mit architektonischen Meisterwerken auf. Schon in der Antike wurden die Spiele von beeindruckenden Bauten mit dem Parthenon in Athen und dem Kolosseum in Rom umrahmt, die bis heute als Symbole der antiken Architektur gelten. Seit ihrer Wiederbelebung im Jahr 1896 haben die Olympischen Spiele Städte auf der ganzen Welt dazu veranlasst, ihre städtebaulichen Visionen zu verwirklichen und architektonische Meisterwerke zu schaffen. Die Olympischen Spiele dienten dabei immer wieder als Katalysator für den architektonischen Fortschritt der gastgebenden Nation.
Olympiastadien sind oft die auffälligsten architektonischen Wahrzeichen der Spiele und dienen als Symbol für die Innovationskraft und Kreativität ihrer Gastgeberstädte.
Ein bemerkenswertes Beispiel für den Beitrag der Olympischen Spiele zur Entwicklung der modernen Architektur sind die Olympischen Spiele 1936 in Berlin, die von den Nationalsozialisten als Propaganda–Plattform für ihre menschenverachtende Ideologie genutzt wurden. Das Olympiastadion, entworfen von Architekten wie Werner March, zeigte eine fusionierte Ästhetik aus antiken und modernen Elementen und gilt als ein Meisterwerk der Stadionarchitektur. Die klaren Linien, die monumentale Struktur und die kühnen Proportionen dieses Stadions haben einen bleibenden Eindruck hinterlassen und haben Architekten weltweit beeinflusst.
Ein weiteres herausragendes Beispiel ist das Olympiastadion in München, das für die Spiele 1972 gebaut wurde. Entworfen von Günter Behnisch und Frei Otto, revolutionierte das Stadion die Architektur durch seine innovative Verwendung von leichten, transparenten Materialien und weitgespannten Strukturen. Diese bahnbrechende Technik setzte neue Maßstäbe für Stadionbauten und beeinflusste zahlreiche Nachfolgeprojekte.
Bemerkenswerte Beispiele moderne Architektur boten auch die Olympischen Spiele 1964 in Tokio, die als die ersten Spiele gelten, bei denen die moderne Architektur in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit von Besuchern aus aller Welt gerückt wurde. Die Sportstätten und Gebäude, die für diese Spiele errichtet wurden, waren geprägt von avantgardistischem Design und innovativen Konstruktionsmethoden, die die Welt der Architektur revolutionierten. Ein besonders ikonisches Beispiel ist das Yoyogi National Gymnasium, entworfen von Kenzo Tango, einem der führenden Architekten Japans. Dieses Gebäude zeichnet sich durch seine gewagte Form, seine futuristische Ästhetik und seine innovative Struktur aus und gilt als Meisterwerk des modernen Architekturdesigns. Die Spiele von Tokio haben die Welt der Architektur nachhaltig beeinflusst und neue Standards für Innovation und Kreativität gesetzt.
Ein weiteres ikonisches Beispiel ist das „Vogelnest“-Stadion in Peking, das für die Olympischen Spiele 2008 errichtet wurde. Das Design des Architektenbüros Herzog & de Meuron, mit seiner ineinander verschlungenen Stahlstruktur, kombinierte Ästhetik und Funktionalität auf einzigartige Weise und zeigte, wie modernste Technik und traditionelle Bauweisen harmonisch vereint werden können. Die Spiele von Peking wurden zu einem Meilenstein zur Entwicklung moderner Architektur in China. Die Errichtung von Symbolen wie das „Vogelnest- Stadion“ und der „Wasserwürfel“, das „Schwimmzentrum“, haben die Architekturlandschaft Pekings nachhaltig verändert und damit neue Maßstäbe für städtebauliche Entwicklung und Design gesetzt. Diese die ikonischen Gebäude haben nicht nur die Olympischen Spiele bereichert, sondern gelten auch als dauerhafte Erbschaft für zukünftige Generationen
2. Nachhaltigkeit und Umweltschutz
In den letzten Jahrzehnten waren die Ausrichter von Olympischen Spielen zunehmend aufgefordert, bei ihren Planungen Wert auf Nachhaltigkeit zu legen und somit auch ökologische Verantwortung zu übernehmen. Dies hat die Entwicklung „grüner Architektur“ vorangetrieben.
Die Olympischen Spiele 2012 in London setzten neue Maßstäbe durch ihre Bemühungen, den ersten nachhaltigen Olympiapark zu schaffen. Das Olympiastadion wurde so konzipiert, dass es nach den Spielen teilweise demontiert und wiederverwendet werden konnte. Das Olympiastadion selbst wurde mit wiederverwendbaren Materialien gebaut. Außerdem wurde der gesamte Olympiapark auf einem ehemaligen Industriegebiet errichtet und dieses somit zugleich saniert. Es kam zu einer großflächigen Reinigung kontaminierter Industriebrachen, zum Recycling von Baumaterialien und zur umfassenden Nutzung erneuerbarer Energien. All dies führte zur Erneuerung und ökologischen Wiederherstellung eines verwahrlosten Stadtteils Londons, der heute zu einer der begehrtesten Wohnviertel der Metropole zählt.
Ein weiteres Beispiel für nachhaltige Architektur ist das Olympiastadion in Tokio, das für die Spiele 2020 gebaut wurde. Entworfen von Kengo Kuma, wurde das Stadion aus lokalen und nachhaltigen Materialien wie Holz gebaut und verfügt über innovative Belüftungs- und Kühlungssysteme, die den Energieverbrauch minimieren.
3. Stadtplanung und Urbanisierung
Die Olympischen Spiele haben auch bedeutende Auswirkungen auf die Stadtplanung und Urbanisierung. Die Olympischen Spiele dienen oft als Katalysator für städtebauliche Veränderungen und Revitalisierung von vernachlässigten Wohngebieten. Gastgeberstädte nutzen oft die Gelegenheit, umfassende städtebauliche Projekte durchzuführen, die langfristige Verbesserungen der Infrastruktur und des städtischen Lebensraums bewirken. In den letzten Jahrzehnten hat sich der Fokus auf die Nachhaltigkeit olympischer Sportstätten als Modellbauten für die Allgemeinheit verstärkt.
Ein bemerkenswertes Beispiel ist Barcelona, das die Spiele 1992 nutzte, um eine tiefgreifende städtebauliche Transformation – einschließlich der Entwicklung der Küstengebiete und der Verbesserung der städtischen Infrastruktur – durchzuführen und ökonomisch gewinnbringend durchzusetzen. Die Stadt investierte in den Bau neuer Straßen, in öffentliche Verkehrsmittel und die Renovierung von Gebäuden, was zu einer nachhaltigen Verbesserung der Lebensqualität führte, und Barcelona als touristisches und wirtschaftliches Zentrum stärkte.
Auch die Olympischen Spiele 2000 in Sydney trugen erheblich zur Entwicklung der Stadt bei. Der Bau des Sydney Olympic Park transformierte ein ehemals industriell genutztes Gebiet in einen multifunktionalen Raum, der heute für Sportveranstaltungen, Konferenzen und Freizeitaktivitäten genutzt wird und ein nachhaltiges Erbe für die Stadt und ihre Bürgerinnen und Bürger hinterlässt.
Auch die viel kritisierten Spiele von Athen 2004 führten zu umfangreichen Bauprojekten, die die städtische Landschaft auch positiv veränderten wie etwa die Modernisierung des Transportsystems und der Bau neuer Sportanlagen. Für einige der Projekte gab es allerdings nach den Spielen keine ausreichende Nachnutzung und so müssen die Spiele in Griechenland teilweise als Spiele der zurückgelassenen „weißen Elefanten“ bilanziert werden.
4. Technologische Innovationen im Bauwesen
Die Olympischen Spiele haben stets technologische Innovationen im Bauwesen gefördert. Der Druck, große und komplexe Bauprojekte innerhalb eines strikten Zeitrahmens fertigzustellen, hat zur Entwicklung neuer Bauweisen und Materialien geführt. Fortschritte bei der Entwicklung von neuen Baumaterialien, wie z.B. hochfeste Betone und innovative Glas- und Stahlkonstruktionen, wurden in mehreren Gastgeberländern durch olympische Bauprojekte vorangetrieben.
Der Bedarf an schnellen und effizienten Baumethoden für olympische Bauprojekte hat zur Entwicklung neuer Techniken und Technologien im Bauwesen geführt. Vorgefertigte Bauteile und 3-D Bautechnik wurden erprobte Standards bei Olympischen Bauten.
Für die Olympischen Spiele 1964 in Tokio wurden beispielsweise neue Techniken im Bereich der Vorfertigung und der Verwendung von Beton entwickelt, die die Baugeschwindigkeit erheblich erhöhten und gleichzeitig die Bauqualität verbesserten.
Die Olympischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro boten Brasilien ebenfalls eine Bühne für technologische Innovationen. Beim Bau des Olympischen Dorfes und der Sportstätten wurden fortschrittliche Methoden der Bauwerksüberwachung und -kontrolle genutzt, um die Bauqualität zu sichern und gleichzeitig die Umweltbelastung zu minimieren. Es wurde auch das Konzept der temporären und modularen Bauten weiterentwickelt, um die langfristige Nutzung zu ermöglichen und die Umweltbelastung zu reduzieren Aufgrund von unzureichenden finanziellen Grundlagen verzögerte sich dieser Prozess allerdings um mehrere Jahre.
5. Olympische Bauten werden zu ikonischen „Landmarks“
Mehrere Olympische Spiele haben aus Anlass ihrer Ausrichtung für die Gastgeberländer Olympische Bauten als ikonische Wahrzeichen ihrer Städte zurückgelassen.
- Chinas Nationalstadion „Birdnest“: Die Architektur des chinesischen Olympiastadions in Peking hat mittlerweile den Status eines Weltkulturerbes erreichen können. Der Erfolg des architektonischen Designs der Olympischen Spiele 2008 in Peking kann die weltweite Bedeutung solcher architektonischen Wahrzeichen verdeutlichen.
- Olympic Tower in Montreal: Das markante Schrägdesign des Turms, der für die Olympischen Spiele 1976 gebaut wurde, ist ein Beispiel für mutige und innovative olympische Architektur.
- Olympiapark München 1972: Mit dem Olympiastadion in seiner Mitte, mit den weiteren Olympischen Sportstätten in fußnaher Entfernung, mit Olympiaturm und der Hügellandschaft gilt dieser Park bis heute als die besondere Sehenswürdigkeit der Millionen Stadt München.
- Maracana-Stadion in Rio de Janeiro: Nicht nur für Brasilianer ist dieses Stadion eine “heilige Stätte”. Pelé über Beckenbauer bis hin zu Ronaldo haben dort ihre „Fußabdrücke“ hinterlassen
6. Hall of Fame olympischer Architekten
In den vergangenen Jahrzehnten spielte bei allen Olympischen Spielen die Architektur der Olympiabauten eine wesentliche Rolle, indem sie die Identität der Gastgeberstadt und die Innovationskraft im Bereich der Baukunst widerspiegelte. Einige der bedeutendsten Architekten und ihre ikonischen Olympiabauten sollen abschiessend und beispielhaft für viele weitere kreative Olympia-Architekten erwähnt werden:
- Frei Otto und Günter Behnisch – Olympiapark, München 1972
Das Dach des Olympiastadions und der umliegenden Gebäude, das aus einem transparenten Material besteht und an Zelte erinnert, ist ein herausragendes Beispiel für moderne Architektur und Ingenieurskunst. - Santiago Calatrava – Olympiastadion und andere Anlagen, Athen 2004
Calatrava gestaltete das Hauptstadion sowie eine Reihe von weiteren Strukturen, die für ihre futuristische und organische Formensprache bekannt sind. - Kenzo Tange – Yoyogi National Gymnasium, Tokio 1964
Tanges Entwurf für das Yoyogi National Gymnasium, das für die Schwimm- und Basketballveranstaltungen genutzt wurde, ist bekannt für seine innovative Dachstruktur. - Herzog & de Meuron – Nationalstadion, Peking 2008
Das „Vogelnest“, wie das Stadion aufgrund seiner verschlungenen Stahlträgerstruktur genannt wird, ist ein architektonisches Wahrzeichen. - Zaha Hadid – London Aquatics Centre, London 2012
Hadids Design für das Aquatics Centre zeichnet sich durch seine geschwungene Form aus, die an Wellen erinnert. - Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa (SANAA) – Olympic Gymnastics Centre, Tokio 2020
SANAA ist für ihre minimalistischen und lichtdurchfluteten Designs bekannt, und das Gymnastics Centre bildet da keine Ausnahme.
Diese Architekten und ihre Werke haben maßgeblich zur kulturellen und architektonischen Bedeutung der Olympischen Spiele beigetragen und bleibende Wahrzeichen geschaffen.
Schlussbemerkungen
Die Olympischen Spiele haben einen erheblichen Einfluss auf die Entwicklung der modernen Architektur. Sie dienen als Katalysator für architektonische Innovationen, fördern nachhaltige Bauweisen und tragen zur urbanen Transformation bei. Die Spiele bieten Städten eine einzigartige Gelegenheit, ihre architektonischen Visionen zu verwirklichen und neue Maßstäbe für Design und Funktionalität zu setzen. Von ikonischen Stadien über nachhaltige städtebauliche Projekte bis hin zu technologischen Fortschritten im Bauwesen – die Olympischen Spiele haben die Architekturlandschaft weltweit nachhaltig geprägt und werden dies auch weiterhin tun.
Die Olympischen Spiele haben durch ihre globale Reichweite und den hohen Leistungsanspruch zahlreiche technologische Innovationen angeregt und verbreitet. Diese Entwicklungen haben oft weit über den Sport hinaus Einfluss genommen und unsere alltägliche Technologie- und Infrastrukturlandschaft nachhaltig geprägt.
Die meisten architektonischen Innovationen wurde eigens für die Olympischen Spiele entwickelt. Einige kamen nach ihrer erfolgreichen Entwicklung in Bereichen außerhalb des Sports zu einer hilfreichen und weiterführenden Umsetzung.
Die modernen Olympischen Spiele haben nunmehr über einen Zeitraum von mehr als 100 Jahren als Schaufenster für architektonische Innovation und städtebauliche Entwicklung gedient. Sie haben neue Designstandards gesetzt, technologische Fortschritte vorangetrieben und den Fokus auf Nachhaltigkeit und langfristige Nutzung verstärkt. Dadurch haben sie nicht nur die architektonische Landschaft der Gastgeberstädte verändert, sondern auch weltweit Einfluss auf die moderne Architektur ausgeübt.
Es bleibt zu hoffen, dass zukünftige Olympische Spiele weiterhin dazu beitragen werden, Innovationen voranzutreiben und die Grenzen des menschlichen Potenzials zu erweitern.
Letzte Bearbeitung: 6. 6. 2024
¹ Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf „gendergerechte“ Sprachformen – männlich weiblich, divers – verzichtet. Bei allen Bezeichnungen, die personenbezogen sind, meint die gewählte Formulierung i.d.R. alle Geschlechter, auch wenn überwiegend die männliche Form steht.