Viel Glück Frau Sportminister!

Helmut Digel,

Aus der Sicht des deutschen Leistungssports und dessen Organisationen konnte die Überraschung wohl kaum größer sein. Frau Dr. Christiane Schenderlein wird die erste Staatsministerin im Kanzleramt für das Ressort „Sport“ sein. Im Sprachgebrauch der Wähler des Deutschen Bundestages wird Frau Schenderlein wohl als Frau Sportminister bezeichnet werden. Lag in der bisherigen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland die Verantwortung für die Fragen des Hochleistungssports über mehr als 70 Jahre in Händen des jeweiligen Bundesministers des Innern, so soll es nun also zu einem Paradigmenwechsel kommen, von dem angenommen wird, dass dies der Schlüssel zur Lösung all der Probleme ist, die in den vergangenen Jahrzehnten vermehrt im System des Hochleistungssports von Deutschland anzutreffen waren.

Wer ist nun diese Frau, die sich diese „Herkules Aufgabe“ vorgenommen hat? Liest man die biografischen Einträge, die derzeit über das Leben von Frau Dr. Schenderlein zugänglich sind, so kann man eines sofort erkennen. Es handelt sich dabei offensichtlich um eine Persönlichkeit, die bereits in jungen Jahren wusste, welche Ziele sie in ihrem Leben anstreben möchte und wie man diese zielstrebig anzugehen hat. Frau Dr. Christiane Schenderlein ist heute 43 Jahre alt. Als Berufsbezeichnung ist für sie der Beruf einer Politikwissenschaftlerin ausgewiesen. Sie ist evangelisch, verheiratet und Mutter von drei Kindern. Ihr Abitur hat sie im Jahr 2000 am Friedrich-Schiller-Gymnasium in Leipzig abgelegt. Dem folgte ein Masterstudium an den Universitäten Halle und Leipzig in den Fächern Politikwissenschaft, Medien und Kommunikationswissenschaft. 2014 promovierte sie mit „summa cum laude“. Ihre Dissertation hatte das Thema: „Ländervertretungen im Entscheidungsprozess der europäischen Union“. Nach dem Studium begann ihre berufliche Karriere als Büroleiterin verschiedener Abgeordneter, sie wurde Leiterin des Wahlkreisbüros des sächsischen CDU-Fraktionsvorsitzenden Frank Kupfer und war bis 2019 Kommunikationsberaterin bei der „Wolfsburg Management Communication GmbH“ von Peter Zimmermann, dem Regierungssprecher der sächsischen Landesregierung. Ihre eigentliche politische Karriere als Abgeordnete begann mit einem Sitz im sächsischen Landtag von 2019 bis 2022 und seit 2021 gehört sie dem deutschen Bundestag an.

Schon als Schülerin wusste sie ganz offensichtlich, was sie wollte. Mit 16 Jahren ist sie deshalb in die CDU eingetreten und war seit dieser Zeit in den unterschiedlichsten Gremien der sächsischen CDU, in deren „Mittelstands- und Wirtschaftsorganisationen“, in kommunalpolitischen Gremien und auch in kirchlichen Ämtern tätig. Besondere Bekanntheit erlangte sie während der Coronakrise, als sie mit einem „rollenden Roboter“ ihren Wahlkampf aktivierte. Dr. Christiane Schenderlein – wäre sie ein Mann, so würde man sie vermutlich als einen „Hansdampf in allen Gassen“ bezeichnen – weiß ganz offensichtlich die im Rahmen ihres wissenschaftlichen Studiums erworbenen Kenntnisse, Fähigkeiten und Strategien in ihrer eigenen politischen Praxis zielführend und klug anzuwenden. Ihr bisheriger beruflicher „Werdegang“ und ihre Erfahrungen im Umgang mit Menschen, die sie nicht zuletzt auch auf kommunaler Ebene und in Ehrenämtern machen konnte, führten zu einem „entspannten“ Kommunikationsstil mit jedem Mann und jeder Frau.

  1. April 2025. Es ist der Tag, an dem der designierte Kanzler Merz der deutschen Öffentlichkeit bekannt gibt, dass seine Partei ebenso wie die CSU dem Koalitionsvertrag mit der SPD zugestimmt hat und er nun in der Lage ist, die Kandidaten für die „Minister- Ämter“ zu benennen, die zukünftig von der CDU zu verantworten sind. Ministerpräsident Söder tut dasselbe für die Partei der CSU und die von ihr zu stellende Minister. Die Namen der neuen Minister sind das Thema des Tages in den Nachrichten von ARD, ZDF, Phoenix und allen übrigen Fernsehsendern. Die Portraits der neuen Minister sind das wichtigste Thema, es werden bereits die Grafiken des neuen Kabinetts vorgestellt. Die Ressortbeschreibungen werden hinzugefügt. Es gibt dabei manche Überraschung, was die Besetzung der neuen Ämter betrifft. Was mich überrascht hat, ist allerdings der Sachverhalt, dass in keiner der vielen Nachrichtensendungen an diesem Tag von der eigentlichen Innovation die Rede ist, durch die sich das neue Kabinett auszeichnen soll. Weder wird in den Nachrichtensendungen von dem neu geschaffenen „Sportministerium im Kanzleramt“ gesprochen, noch wird die designierte Staatsministerin vorgestellt.

Es kann wohl kaum ein schlimmeres Omen für den Sport in unserer Gesellschaft geben, als dies bei diesem Kommunikationsskandal der Fall ist. Jedem, der in der Vergangenheit die politische Bedeutungslosigkeit des Sports beklagt hat, wurde einmal mehr vor Augen geführt, wie skandalös dieses gesellschaftspolitisch, gesundheitspolitisch und kulturell äußerst bedeutsame Politikfeld, in dem mehr als ein Drittel aller Bürgerinnen und Bürger „zu Hause“ sind, staatspolitisch behandelt wird!

Die hoffnungsvollen Erwartungen, die der DOSB mit seinen Mitgliedsorganisationen mit dem Amt eines Sportministers in Deutschland verbunden hat, konnten wohl kaum schneller verfliegen, als dies an diesem Tag der Fall war. Die Nachricht von der neuen Sportministerin war lediglich der ARD-Sportschau eine Mitteilung wert. Dabei müssten sich allein aus sportjournalistischer Sicht eine ganze Reihe offener Fragen ergeben, die an das neue Amt einer Staatsministerin „Sport“ zu richten wären (vgl. u.a. „Sportminister im Kanzleramt – ein Albtraum“ in diesem Magazin: https://sport-nachgedacht.de/essay/sportminister1-im-kanzleramt-ein-albtraum/#more-8495.

Von einer besonderen Sozialisation in den Institutionen des Sports kann bei der neuen Ministerin vermutlich kaum die Rede sein. Dies muss nicht notwendigerweise ein Nachteil sein. Der Blick von außen auf das System des Sports lässt vermutlich sehr viel besser die vielen blinden Flecken des Systems erkennen, als wenn der Sport nur von Insidern betrachtet wird.

Die Ministerin hat es verdient, dass man ihr Vertrauen entgegenbringt. Sie muss in unserer Demokratie aber auch damit klarkommen, dass ihre Politik vermutlich sehr viel kritischer begleitet wird, als dies bei einem ausgewiesenen Sportexperten der Fall gewesen wäre. Der Ministerin kann man nur wünschen, dass sich der Kanzler, in dessen Haus sie ihr Amt ausüben wird, dem Sport – mehr als bisher – Bedeutung zuerkennt und „seiner“ Sportministerin auch den notwendigen politischen Rückhalt gibt. Nicht zuletzt gehören dazu eine angemessene Finanzausstattung und „freie Hand“ bei der Auswahl ihrer künftigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die unterschiedliche Expertisen aus der „Welt des Sports“ einbringen können.

Ob sich allerdings die Erwartungen des DOSB, die er mit der Errichtung eines Sportministeriums im Kanzleramt verbindet, erfüllen oder diese letztlich doch nur Illusionen bleiben, wird sich schon bei der – bisher (noch) nicht veröffentlichten – konkreten „Arbeitsplatzbeschreibung“ der Staatsministerin und ihren konkreten „Zuständigkeiten“ – insbesondere auch gegenüber den anderen mit „Sport“ befassten Bundesministerien – zeigen. Ihr Studium der Politikwissenschaft, Medien- und Kommunikationswissenschaft könnte ihr dabei innerhalb der Bundesregierung und beim Durch- und Umsetzen von Vorhaben durchaus hilfreich sein.

In den wenigen überregionalen Presseorganen, in denen es noch Journalisten gibt, denen noch selbständige Recherchen ermöglicht werden, bevor sie sich zu Wort melden, wird die Personalie „Schenderlein“ aus naheliegenden Gründen einen Tag nach ihrer Bekanntgabe eher kritisch gewürdigt. Sie war wohl Anwärterin auf einen anderen „Posten“. Doch das Staatsministerium für Kultur und Medien ging an einen langjährigen Freund des zukünftigen Kanzlers, der vom Tegernsee aus ein kleines „Medien-Imperium“ leitet und in dessen Nachbarschaft auch „Kanzler in spe“ Merz über ein Ferienhaus verfügt. Auch andere Kandidaten, die für das „Sport-Amt“ hätten infrage kommen können, deckten sich wohl nicht mit den Interessen des zukünftigen Kanzlers. Es kann deshalb vermutet werden, dass Frau Dr. Schenderlein im Regionalproporz zu Gunsten Sachsens berücksichtigt werden musste, es sich also um eine „personalstrategische“ und nicht um eine inhaltliche Wahl gehandelt hat. Im Berliner Politikbetrieb ist dies allerdings kaum etwas Überraschendes, denn schon immer musste der „Normalbürger“ die Frage stellen, warum man ein  Ministeramt ohne jegliche spezifische fachliche Qualifikation ausüben kann und wie es möglich ist, dass aus einem Wirtschaftsminister plötzlich ein Außenminister beziehungsweise aus einem Justizminister ein Wirtschaftsminister werden kann.

Für Frau Dr. Schenderlein kommt erschwerend hinzu, dass offensichtlich der Sport auch zukünftig in viel zu vielen Ministerien ressortiert sein wird und nach wie vor die fragwürdige „Abteilung Sport“ im Bundesministerium des Innern das Sagen haben wird. Aus dieser Perspektive betrachtet, ist die Entscheidung zu Gunsten einer Staatsministerin Sport im Kanzleramt eher als eine Erweiterung der Sport-Bürokratie zu deuten, als dass sie wirklich dem versprochenen Bürokratieabbau der neuen Bundesregierung entsprechen würde.

Vermutlich versprechen sich Sport und Politik von der neuen Staatsministerin, dass sie zur Speerspitze der von vielen Seiten erwünschten deutschen Bewerbung um die Ausrichtung von Olympischen Spielen wird. Ein weiteres wichtiges Politikfeld wird die Sanierung der Sportstätten sein, und viele erhoffen sich, dass mit einer Sportministerin Deutschland wieder den Weg zurück zu den erfolgreichen Nationen bei Olympischen Spielen finden wird (Platz 1-5).

Eine Staatsministerin ohne Hausmacht, wie es sich derzeit abzeichnet, wird bei jeder dieser Aufgaben auf die Zuarbeit ihrer „Partner“ angewiesen sein. Der DOSB hat in den vergangenen zehn Jahren gezeigt, dass er dazu nur bedingt oder gar nicht in der Lage ist. Die Zuarbeit durch das BMI, sollte dessen Sportabteilung in der bestehenden Größenordnung erhalten bleiben, wird somit vermutlich entscheidend sein. Doch diese Sportabteilung hat sich ebenfalls bislang nicht durch Ideenreichtum und eine besondere Kreativität ausgezeichnet. Und wer die bisherigen Minister der CSU in ihrer politischen Arbeit in den unterschiedlichsten Ressorts hat beobachten können, der weiß, wie deren populistischen Interessen ausgerichtet sind. Frau Dr. Schenderlein sollte sich dabei an die Amtszeit des neuen Innenministers in dessen früherem Ministerium (Verkehr und digitale Infrastruktur) erinnern. Man kann nur hoffen, dass all diese Bedenken nicht berechtigt sind. Frau Minister Dr. Schenderlein ist wahrlich um ihre neue Aufgabe nicht zu beneiden.

Letzte Bearbeitung: 1. 5. 2025

Themenzuordnung: Sportpolitik, Sportentwicklu