„Reihe: Mein Verein – Portrait 2″
von Helmut Digel, Heinz Hammerschmidt
Vorbemerkungen
Heinz Hammerschmidt, eines der ältesten Mitglieder der „Montagsturner“ des TSV Marquartstein, hatte es telefonisch angekündigt. Er hat bei der amtierenden Vorsitzenden des TSV das Unikat, die einzig vorhandene handschriftlich niedergelegte Chronik des Vereins aus dem Jahr 1984 ausgeliehen und wollte sie bei mir vorbeibringen. Schon das Telefongespräch machte mich neugierig. Denn Heinz sprach von interessanten Dokumenten, die angeblich in dieser Chronik anzutreffen sind. Die Überraschung konnte kaum größer sein, als Heinz in mein Wohnzimmer trat und ein überdimensionales Buch in den Händen hielt, das einer mittelalterlichen historischen Bibelübersetzung glich: 8 cm dick, 40 cm hoch, 20 cm breit.
Heinz setzte sich neben mich und begann langsam in der Chronik zu blättern, um mir den Inhalt dieses besonderen Buches zu erläutern. Die Chronik des TSV Marquartstein wurde vor 25 Jahren in Garamond- Schrift vom damaligen Pressewart des TSV Marquartstein Hans Vent geschrieben und beinhaltet auch viele Dokumente, die noch in Sütterlin- Schrift geschrieben sind. Für mich, der sein ganzes Leben in der Welt des nationalen und internationalen Sports verbracht hat, der als Sportwissenschaftler und Sportfunktionär Einblick in viele Sportorganisationen und Vereine nehmen konnte, ist dieses Werk in vieler Hinsicht einmalig und man kann es sich nur wünschen, dass es möglichst schnell für zukünftige Generationen auch digital gesichert wird. Es sollte auch Einzug nehmen in das „Museum der Bayrischen Geschichte“ in Regensburg. Denn für mich gibt es keine andere Sammlung von Dokumenten, die in vergleichbarer Weise die wechselhafte Geschichte der Turn- und Sportvereine in den vergangenen 100 Jahren über derart vielfältige Dokumente nacherzählt. Man lernt dabei auch die schönen Seiten des Sports kennen. Aber auch die Probleme und Herausforderungen des TSV Marquartstein werden dabei nicht ausgeklammert. Man möchte sich auch wünschen, dass sich jemand bereitfindet, die Geschichte dieses Vereins vor dem Hintergrund des gerade stattfindenden rasanten gesellschaftlichen Wandels fortzuschreiben.
Nachdem Heinz wieder gegangen war, begann für mich sofort die Lektüre und ich musste die Chronik von vorne bis hinten „auf einen Satz“ zu Ende lesen. Die Lektüre weckt nicht nur bei jedem Leser viele Erinnerungen an seine eigene Sportvergangenheit. Man entdeckt dabei auch Dokumente, die skurril sind, die nachdenklich machen, die spannend sind, über die man lachen muss. Man entdeckt herausragende sportliche Leistungen, die Mitglieder des TSV Marquartstein vollbracht haben, und man entdeckt dabei vor allem das außergewöhnliche ehrenamtliche Engagement, den außergewöhnlichen sozialpolitischen Beitrag, den Marquartsteiner Bürgerinnen und Bürger für das Gemeinwesen von Marquartstein erbracht haben. Man muss dabei allerdings auch erfahren, dass es diesen Sport heute nur noch ganz selten gibt und dass das, was uns öffentlich in den Massenmedien über den Sport zur Darstellung gebracht wird, sich in einem völligen Widerspruch zu den wirklichen Werten des Sports befindet.
Im Folgenden möchte ich mit ausgewählten Beispielen die wechselhafte Geschichte des TSV Marquartstein in den vergangenen 100 Jahren wieder lebendig werden lassen.
Die Gründerjahre
Der TSV Marquartstein wurde am 20. Oktober 1910 als Turnverein Achental-Marquartstein gegründet. Später, als es auch in Deutschland zum Siegeszug des „englischen“ Sports gekommen war, wurde der Name in TSV Marquartstein umgewandelt.
Zunächst war der TV Achental ein reiner Turnverein. Der erste Vorsitzende hieß Josef Ruch und als Monatsbeitrag für die Mitglieder wurden 25 Pfennige vereinbart. 1921 hatte der Verein 29 männliche Mitglieder, und bei seiner Vereinsarbeit folgte er einer bemerkenswerten 1. Satzung:
„Der Verein bezweckt
-
die Heranbildung geistig und leiblich gesunder Männer, Pflege und Hebung des Turnwesens
-
Förderung des Gemeinsinns
-
Erwerb von Liegenschaften, zwecks Erbauung einer Turnhalle und Errichtung von Turn- und Spielplätzen
-
Jugendpflege“.
Doch auch in Marquartstein war der Siegeszug der Frauen in der Welt des Sports nicht aufzuhalten. Und bereits 1913 gab es die erste Turnriege der Frauen.
Zuvor gab es im Jahr 1912 die erste Kinder- und Jugendriege. Bis zum ersten Weltkrieg gab es dann ein aktives Vereinsleben im Turnverein Achental. Doch mit dem 1. Weltkrieg kam das Vereinsleben zum Erliegen und viele Turner – auch aus Marquartstein – wurden als Soldaten „eingezogen“ und erlitten in einem völlig entgrenzten Krieg, in dem der Gegner nicht „geschlagen“, sondern „vernichtet“ werden sollte, den „Helden-Tod“.
Unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg kam es zu einer ersten Blütezeit des TV Achental. 1920 Uhr wurde eine Kraftsport-Abteilung gegründet. 1923 kam die Box-Abteilung hinzu, die allerdings immer wieder mangels Mitglieder in Schwierigkeiten gerät. Erfolgreicher war die 1924 gegründete Radsport-Abteilung und 1927 kam es zur Gründung einer Damen- Handballmannschaft, die auch sehr schnell regionale Erfolge aufweisen konnte. Besonders aktiv war die 1928 gegründete Ski-Abteilung, die bis heute noch das Vereinsleben des TSV Marquartstein prägt.
Abteilungsvielfalt
Einstmals hat es 1970 auch eine sehr erfolgreiche, von Georg Menter gegründete Schwimm-Abteilung des TSV Marquartstein gegeben, deren Ende jedoch mit der Schließung des Hallenbads in Unterwössen absehbar war. Erfolgreich war und ist auch die relativ spät gegründete Fußball-Abteilung, die sich sehr schnell zur größten Abteilung im TSV Marquartstein entwickeln konnte. Einen ähnlich großen Erfolg hat die Tennis-Abteilung aufzuweisen, die 1983 gegründet wurde.
1933 wurde eine Faltboot-Abteilung gegründet, und die Faltbootwettbewerbe bereicherten die ersten Sommerfeste des TSV Marquartstein. Die Eisschützen kamen 1971 zu einer eigenen Abteilung zusammen. Diese hat bis heute ihre Fortsetzung in der sehr erfolgreichen Stockschützen-Abteilung gefunden. 1972 kam eine Tischtennis-Abteilung hinzu, und das Portfolio des TSV Marquartstein wurde 1981 mit Volleyball und später auch noch mit Badminton ergänzt. Zwischenzeitlich wurde noch neben der Alpinen Ski-Abteilung eine Nordische Ski-Abteilung gegründet.
Die Abteilung, der ich angehöre, hat einen ganz besonderen Namen. Sie nennt sich „Montags- Turner“ und resultiert aus der langen Tradition der Turner im TSV Marquartstein. Diese „Turner“ sind Senioren, der jüngste ist um die 70 Jahre alt, der älteste weist 98 Lebensjahre auf. Sie treffen sich montags im Winter in der Turnhalle der Realschule einmal in der Woche zur Gymnastik, und im Sommer sind es Mountainbikefahrten, die sie wöchentlich zu gemeinsamen und lustvollen Stunden auf den Bergen des Chiemgaus zusammenführen.
Schwierige Zeiten und Blütezeiten
Heute weist der TSV Marquartstein 997 Mitglieder auf. Dabei sind 300 Frauen, 300 Männer und 400 Kinder und Jugendliche zu verzeichnen.
Die hier skizzierte Mitglieder- und Abteilungsentwicklung kann zeigen, wie offen der TSV Marquartstein für neue Entwicklungen im vergangenen Jahrhundert gewesen ist und wie vielfältig mittlerweile sich sein Sportangebot an die sich wandelnden Interessen der Bürgerinnen und Bürger von Marquartstein angepasst hat.
Dabei war diese Entwicklung durchaus auch von bestimmten Zeiträumen geprägt, an die man sich nur sehr ungern erinnert. Dies gilt für die Zeit des Nationalsozialismus, in der die turnerischen Ideale von den Nationalsozialisten okkupiert wurden und anstelle der früheren Satzung die Einheitssatzung des NS-Regimes treten musste. Von einem aktiven Widerstand gegenüber der Übernahme des Vereins durch die Nationalsozialisten kann dabei wohl kaum gesprochen werden. Selbst auf der Agergschwendt Alm wurde die Hakenkreuzfahne gehisst.
Die sportlichen Angebote der „Hitlerjugend“ (HJ) war unter sportlichen Gesichtspunkten ganz offensichtlich attraktiv und hatten in dieser Zeit viele Kinder und Jugendliche in die Sportgruppen des TSV Marquartstein hineingeführt. Die Urkundenauswahl des Ski Club Marquartstein aus den Jahren 1931-1934 ist hierzu ein bemerkenswertes Dokument.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Entwicklung des TSV Marquartstein von der allgemeinen Not geprägt, die von 1945 bis zur Währungsreform 1948 am größten war. Die Beschaffung von Sportkleidung war mit großen Schwierigkeiten verbunden.
Immer wieder gab es auch Heizprobleme in den kalten Wintern und der Transport der Sportler zu ihren Wettkämpfen war mit großen Schwierigkeiten verbunden. Eine große Hilfe für die Fußballmannschaft war es daher, dass sie ein kleinbusähnliches Fahrzeug mit Holzvergaser für ihre Fahrten zu den Auswärtsspielen zur Verfügung hatten. Zunächst musste man sogar bei den Alliierten eine Genehmigung einholen.
Auch danach musste man in der Vereinsarbeit manches improvisieren und leider ist dabei auch eine gewisse Katastrophe nicht ausgeblieben. Der Verein war zahlungsunfähig geworden und war ohne Führung und so kam es zum vorläufigen Ende des TSV Marquartstein. Im Jahr 1954 wurde er aus dem Vereinsregister des Amtsgerichts Traunstein gestrichen. Doch 1969 konnte er neu gegründet werden und es begann dann eine zweite Blütezeit, die bis heute anhält.
Das Landerziehungsheim – ein Glücksfall für das Dorf
Für die positive Entwicklung des TSV Marquartstein hat dabei eine Institution eine ganz zentrale Rolle gespielt: Das Landerziehungsheim, das 1929 im Marquartsteiner Schloss eingerichtet wurde, und dessen erster Studiendirektor Hermann Harless ganz wesentlich Einfluss auf die positive sportliche Entwicklung des TSV Marquartstein genommen hat.
Gleiches gilt für seine Sportlehrer. Allen voran, Hans Krinner, zu dessen Erinnerung lange Zeit mit einem Gedächtnis- Pokal gedacht wurde.
Erinnerungswürdige Ereignisse
Blicken wir auf die über 100-jährige Geschichte des TSV Marquartstein, so ist es angebracht, dass man eine ganze Reihe von ausgewählten Ereignissen noch einmal Revue passieren lässt.
Zur Zeit der Gründung sind es die „Reigenfeste“, die jährlich stattgefunden haben und bei denen bereits sichtbar wurde, dass der Verein mehr als nur ein Sportverein ist.
Er ist immer auch ein Kulturverein gewesen, wozu auch der Gesang und Theateraufführung gehört haben. Besonders gut besucht waren die jährlichen Sommerfeste. Als Höhepunkt aller Sommerfeste muss wohl jenes aus dem Jahr 1978 bezeichnet werden, bei dem der FC Bayern München sich mit den Fußballspielern des TSV Marquartstein messen musste.
Unter sportlichen Gesichtspunkten sind die Nachttorläufe der Sparte Ski zu erwähnen. Herausragende Ereignisse waren auch die Abfahrtsläufe und Riesenslalomrennen am Geigelstein und die Slalomwettkämpfe am Balsberg. Ein einmaliges Ereignis war der Olympische Staffellauf im Jahr 1972, der durch die Straßen von Marquartstein führte. Erwähnenswert ist auch der erste Berglauf aus dem Jahr 1934, der bis heute mit dem Berglauf auf die Hochplatte ein Höhepunkt im Sportler-Jahr von Marquartstein bildet. In den schneereichen Wintern waren es die Bob- und Rodelwettbewerbe, die auf der längsten Rodelbahn Deutschlands vom Hochgern bis hinunter ins Tal nach Marquartstein ausgetragen wurden.
Für die Tennis-Abteilung war der Bau von neun Tennisplätzen, die mehr als 300.000 DM kosteten, das historisch wohl bedeutsamste Ereignis. Gekrönt wurde es mit der vereinseigenen Tennishütte und zu Recht konnte diese Abteilung jährlich das von vielen begehrte Waldfest feiern. Dank des ehrenamtlichen Engagements konnte deshalb die Tennis-Abteilung wohl am schnellsten wachsen und konnte während ihrer Hochzeit mehr als 200 Mitglieder aufweisen.
Zu den zahlreichen Festen zählten auch die jährlichen Faschingspartys. Es wurden aber auch elegante Sportlerbälle durchgeführt. Die jährliche Weihnachtsfeier in der Alpenrose war ebenfalls immer etwas Besonderes. Ein Höhepunkt bildete dabei das Krippenspiel, wie es 1969 aufgeführt wurde.
Ein weiterer Anlass zum Feiern war die Einweihung der neuen Turnhalle, die ja auch mit vielen Eigenleistungen erstellt wurde. Leider ist der Bau der bereits geplanten Sprungschanze für die Jugendlichen angesichts zu hoher Kosten gescheitert, doch die dafür vorgesehenen Reißbrett- Pläne sind in der Chronik einzusehen.
Ehrenamtliche Mitarbeit war und ist das Fundament
Wenn man sich der 115-jährigen Geschichte des TSV Marquartstein erinnert, so muss man sich auch an die zahlreichen Ehrenamtlichen erinnern, die den Kindern und Jugendlichen und den Bürgerinnen und Bürgern von Unterwössen in all den Jahren als Trainer, Übungsleiter, Kampfrichter, Kassierer, als Geschäftsführer und Vorstand dieses vielfältige Sportangebot ermöglicht haben. Heute ist es Steffi Althammer, die als erste weibliche Vorsitzende in diesem Zusammenhang besonders hervorzuheben ist. Ihre Vorgänger im Amt waren so verdiente Vereinsmitglieder wie Georg Menter, Theo Breit, Willy Stein, Heinz Hammerschmidt. Diese Reihe müsste fortgesetzt werden, zu erwähnen wären die erfolgreichen Trainerinnen und Trainer, aber auch die Platzwarte und Hallenwarte und die vielen Helfer im Hintergrund, die man benötigt, wenn man das kulturell bedeutsame Vereinsleben pflegen möchte. Stellvertretend sollen Dieter Furch und Michi Heiler erwähnt werden. Der eine hat jahrelang die Skimannschaft von Marquartstein trainiert und auch als Abteilungsleiter der Skiabteilung eine erfolgreiche Arbeit hinterlassen. Der andere ist bei den Montags- Turnern über mehr als zwei Jahrzehnte in die Fußstapfen des „Turnvater“ Jahn getreten.
Die „Hall of Fame“ des TSV Marquartstein
Für einen Turn- und Sportverein muss es eine Selbstverständlichkeit sein, dass er seine eigene „Hall of Fame“, seine „Ruhmeshalle“ aufweist, in der die guten sportlichen Leistungen ausgewählter Mitglieder gegenüber der Nachwelt in Erinnerung behalten werden. Genau dies leistet auch die Chronik von Hans Vent, den man wohl als aller ersten in diese „Hall of Fame“ aufnehmen sollte.
Die ersten Erfolge von Marquartsteiner Athletinnen und Athleten stellten sich bereits während der Weimarer Zeit ein. Zu nennen ist dabei Michael Bärmeyer, der beim Gau- Jugendtag 1923 im Stemmen/Leichtgewicht erfolgreich war. Die ersten Sporthelden des Dorfes waren wohl Gustl Fricke und Max Koch. Besonders zu erwähnen ist Josef Stöttner mit seinem bayerischen Meistertitel im Gewichtheben 1932, Rosa Hundhammer und Karl Gregory mit ihren Erfolgen beim deutschen Jugendfest 1934.
Nach dem Zweiten Weltkrieg sind die Erfolge der Damen Handballmannschaft erwähnenswert. Sie gewannen die Chiemgau Meisterschaft 1947. Nicht weniger bedeutsam sind die Erfolge der Eisstockschützen. 1963 waren sie Meister der B-Klasse, 1964 der A- Klasse, 1976 stiegen sie in die Oberliga auf, 1977 in die Bayernliga und 1978 in die Regionalliga. Dies war die höchste bayerische Spielklasse. 1975 nahm sie am Europacup in Frankfurt teil. Erfolgreich war auch Toni Menter, der 1976 die bayerischen Jugendmeisterschaften im Schwimmen gewann.
Zu erwähnen ist auch Heinz Hammerschmidt, der fünfmal den „Marquartsteiner Winter Fünfkampf“ (Schwimmen, Schießen, Eisstockschießen, Riesenslalom, Langlauf) gewinnen konnte. Dieser Wettkampf wurde zum ersten Mal 1978 ausgetragen. Alois Schleipfner war mehrfach beim Achentaler Nachttorlauf erfolgreich. Besonders erwähnenswert sind die „Deutschen Gehörlosen Meisterschaften“ im Langlauf, die 1982 in Marquartstein ausgetragen wurden.
Zum Schmunzeln und Nachdenkliches
Abschließend sollen einige Ereignisse und Dokumente erwähnt werden, die man heute nur noch bestaunen kann. Manche rufen Bewunderung und ein Lächeln hervor. Andere sind vor allem historisch bedeutsam. Zu erwähnen ist zum Beispiel, dass es bereits 1928 für die Turnvereine eine verpflichtende Unfallversicherung gegeben hat.
Überraschen muss wohl auch, dass unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg der TSV Marquartstein auch einen englischen Namen hatte. Er hieß „Sporting Club of Marquartstein“.
Die amerikanische Besatzungsmacht verfügte damals bei ihren Bemühungen um eine Entnazifizierung des Vereins über eine neue Satzung in englischer Sprache.
Auch in den schwierigen Zeiten des Vereinslebens wussten die Mitglieder des TSV Marquartstein wie wichtig das Feiern von Festen für das Gemeinschaftsleben gewesen ist. Für die Bewirtung hatte man dabei noch kein Geld, und so wurden die Gäste in einer Einladung aufgefordert, ihre eigenen Gabeln zu dem Fest mitzubringen.
Man kann bei der Lektüre der Chronik auch in Erfahrung bringen, dass der „Heil Hitler“ Ruf der nationalsozialistischen Zeit bereits bei den bürgerlichen Turnern der Weimarer Republik, denen auch die Marquartsteiner Turner angehörten, seinen Vorläufer hatte. In der Weimarer Republik konkurrierte ja noch die Deutsche Turnerschaft (DT) mit dem Arbeiter Turn- und Sportbund (ATSB), der seine eigenen Vereine aufwies.
Besonders wichtig war in all den Jahren die Führung der Vereinskasse. In der Chronik sind sehr viele Dokumente ausgewiesen, mit denen gezeigt wird, wie das „Conto“ des Vereins bis auf den Pfennig genau ausgewiesen wurde und man bei den Veranstaltungen des Vereins immer bemüht war, möglichst die Einnahmen höher zu gestalten als die Ausgaben. Wenn es allerdings um Zahlungen an „die da oben“ ging, an die Deutsche Turnerschaft oder an den Bayerischen Turnerbund, so war der TV Achental- Marquartstein meist im Verzug. Die zahlreichen Rückstände bei der Zahlung an die übergeordneten Verbände wären eine eigene Geschichte wert. Gleiches gilt für die vielen Mahnungen, die der Verein erhalten hat.
Die Kasse des TV Marquartstein war wohl zu allen Zeiten klamm. Manchmal war die Not ganz besonders groß, so, als man 1934 auf eine Ofenspende angewiesen war, damit im damals sehr kalten Winter der Sportbetrieb überhaupt aufrechterhalten werden konnte. Schon immer waren Spenden von Mäzenen und die Beiträge von Sponsoren für die Finanzierung der Vereinsarbeit von großer Bedeutung. Ein besonderer Dank muss den vielen Handwerksbetrieben Marquartsteins ausgesprochen werden, deren Spenden unerlässlich für die Vereinsarbeit gewesen sind. Dies ist auch heute noch der Fall.
Etwas skurril erscheint es uns heute, wenn wir in der Chronik lesen, dass für den Kauf der ersten Fußball- Trikots die Rechnung mit einer Holzlieferung beglichen wurde. Nicht weniger muss man staunen über das Dokument über eine Rechnung, bei der ein so genannter „Einsager“ für seine Arbeit vergütet wurde. Damals war es die Aufgabe des „Einsagers“, zum Besuch der Mitgliederversammlung aufzufordern, die ja immer auch eine Schule der Basisdemokratie gewesen ist, und an der möglichst viele Mitglieder teilnehmen sollten.
Das 115-jährige Jubiläum steht bevor
In diesem Jahr kann der TSV Marquartstein sein 115-jähriges Jubiläum feiern. Manche werden die Auffassung vertreten, dass angesichts der großen Jubiläen des Vereins in der mehr als 100-jährigen Geschichte dieses Jubiläum kaum eine große Bedeutung haben kann. Wer die Chronik jedoch liest, muss anderer Meinung sein. Dort kann man lernen, wie wichtig das Feiern von Festen für das Gemeinwesen ist und dass bei solchen Festen immer auch die in der Satzung selbst gesetzten Ziele zum Ausdruck kommen. Deshalb möchte ich dem TSV Marquartstein ein großes Fest aus Anlass seines kleinen Jubiläums in diesem Jahr wünschen.
Letzte Bearbeitung: 17. April 2025