Fußball WM in Saudi-Arabien – Die arabische Welt auf dem Weg zum Zentrum der Macht im Weltsport.

von Helmut Digel

Die Gier nach Geld hat schon manches kaputt gemacht, doch schon immer ermöglichte sie auch unvorhersehbare Veränderungen. Beides ist in der internationalen Sportentwicklung der vergangenen Jahrzehnte zu beobachten gewesen und entsprechende Veränderungen finden auch in diesen Tagen statt. Diejenigen, die über das meiste Geld verfügen, sind in der Lage, den „Geldgierigen“ Möglichkeiten zu eröffnen, die sie ohne die „Superreichen“ nicht hätten. Die „Superreichen“ wiederum können sich die „Geldgierigen“ zu eigen machen, um mit dem Ausnützen von deren Gier ganz neue Machtverhältnisse in der Welt hervorzurufen und eine ganz neue ökonomische Welt zu schaffen. Zu den „Superreichen“ zählen die meisten politischen Diktatoren, IT-Milliardäre, Energie-Oligarchen und nicht zuletzt die sich selbst zum Adel dieser Welt zählenden Oberhäupter von arabischen Staaten und von mehreren Emiraten im Nahen Osten.

Nirgendwo sonst kann man das Streben nach neuer Macht so offensichtlich beobachten, wie dies bei den „Superreichen“ der arabischen Welt der Fall ist. Mit Katar hat dabei alles begonnen: Der Familienclan des Scheichs Al Thani von Katar hat den Weg vorgezeichnet, der zu gehen ist, wenn man ein kleines Land wie Quatar auf der Weltkarte des Sports platzieren möchte. Katar hat gezeigt, welche Kosten dabei zu erbringen sind und welchen Nutzen man daraus ziehen kann. Die Vereinigten Arabischen Republiken (UAR) sind dem Vorbild von Katar gefolgt und haben nicht weniger erfolgreich den internationalen Sport als ein geeignetes Feld für wichtige finanzielle Investments entdeckt. Nun ist in jüngster Zeit auch der größte arabische Staat, Saudi-Arabien in das Machtspiel der „arabischen Sportmogule“ eingestiegen. Wie in keinem anderen arabischen Staat wurden in kürzester Zeit die notwendigen Voraussetzungen geschaffen, um aller Voraussicht nach ihr Streben nach Macht in der Welt des Sports erfolgreich in die Tat umzusetzen.
In diesen Tagen wurde dieser Weg von „Play the Game“ zum ersten Mal einer systematischen Analyse unterworfen und die Ergebnisse, die dabei offengelegt wurden, sind wohl kaum noch überraschend, doch in ihrem Ausmaß dennoch außergewöhnlich und bemerkenswert. Für den Aufstieg zur neuen Sportmacht hat Saudi-Arabien einen Public Investment Fund (PIF) von mehr als 800 Milliarden Euro bereitgestellt. Mit diesem Geld hat sich Saudi-Arabien in kürzester Zeit eine Führungsrolle bei der Gestaltung der zukünftigen internationalen Sportentwicklung erobert. Die Fußballweltmeisterschaft wird 2034 in Saudi-Arabien stattfinden. Das Internationale Olympische Komitee hat Saudi-Arabien die Austragung der ersten Olympischen E-Sportspiele 2025 angetragen, Saudi-Arabien hat die Absicht, die Olympischen Spiele 2040 auszutragen und hierfür wird ihm von den unzähligen geldgierigen aus der Welt des organisierten Sports bereits der „rote Teppich“ ausgerollt.

Die offizielle Begründung für das vermehrte finanzielle Engagement Saudi-Arabiens zu Gunsten der internationalen Sportentwicklung lautet dahingehend, dass mit den massiven Investitionen die Wirtschaft Saudi-Arabiens weniger abhängig vom Öl- und Gasgeschäft werden kann. Hierzu wurde bereits 2013 ein Reformprogramm von der Regierung Saudi-Arabiens verabschiedet. In der „Vision 2030“, die 2016 der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, spielen der Tourismus, der Sport und die Unterhaltungsindustrie eine zentrale Rolle.
Seit der Präsentation ihrer „Vision 2030“ hat Saudi-Arabien das Engagement im Bereich des Sports nahezu jährlich gesteigert. Mittlerweile hat Saudi-Arabien mehr als 900 Sponsoring-Verträge mit einem Bezug zum Sport abgeschlossen. Mehr als ein Drittel dieser Verträge wird aus dem Investmentfond PIF finanziert. Die drei wichtigsten saudi-arabischen Topsponsoren sind dabei der staatliche Ölkonzern Aramco und die beiden Airlines Riyadh Air und Saudia.
Zur Popularisierung des modernen Sports in der arabischen Bevölkerung, für die der aus der westlichen Welt kommende moderne Sport nach wie vor eher noch etwas Fremdes ist, hat Saudi-Arabien vor allem den Fußballsport entdeckt. Der Fußball hat in Saudi-Arabien anders als in Katar und den Emiraten durchaus bereits auf eine Tradition zu verweisen. Seine Nationalmannschaften waren im asiatischen Raum bereits erfolgreich. Und bei Kindern und Jugendlichen ist das Fußballspiel äußerst beliebt; mit Fußball kann man in Saudi-Arabien sogar eine Euphorie erzeugen. Deshalb wurde zunächst die völlig unbedeutende arabische Fußballiga aufgewertet, indem ausländische Fußballstars wie Ronaldo und Neymar mit gigantisch hohen Honoraren angelockt wurden. In Saudi-Arabien selbst werden die „Supercups“ von führenden europäischen Fußballnationen wie Spanien und Italien ausgetragen. Gleichzeitig hat sich Saudi-Arabien auf eine internationale „Einkaufstour“ begeben. So gehört beispielsweise der englische Premier League Club Newcastle United dem saudi-arabischen Investmentfond PIF.
Ein weiteres wichtiges Investment wurde in der Formel 1 getätigt. Im „Jeddah Corniche Circuit“ in Dschidda fahren seit 2021 die Formel 1 Stars ihre Runden. In Riyadh finden die wichtigsten internationalen Box- Wettkämpfe statt, so unter anderem der Weltmeisterschaftskampf zwischen Oleksandr Usyk und Tyson Fury am 21. Dezember 2024. Gleiches gilt für den Internationalen Tennisprofisport, dessen WTA- Finale ebenfalls in Riyadh ausgetragen wurde. Mit den „LIV Golf Invitational Series“ hat Saudi-Arabien der nordamerikanisch geprägten „PGA-Tour“ den „Fedehandschuh“ hingeworfen. Mit dreistelligen Millionen -Beiträgen hat sie Topstars wie Mickelson abgeworben und ein zweites Internationales Golfsystem kreiert.
Bei alldem ist zu erkennen, dass auch in der Welt des Sports mitunter Geld Ethik und Moral schlägt und dass sich die Reaktionen der westlichen Welt auf diese Veränderungen in erster Linie durch eine gewisse Hilflosigkeit auszeichnen. Kritiker unterstellen Saudi-Arabien, dass ihre Führermit ihrem Engagement im Sport von den Verstößen gegen die Menschenrechte ablenken wollen. Diese Absicht ist meines Erachtens ohne Zweifel im gesamten arabischen Raum anzutreffen. Doch gleichzeitig müssen die Kritiker konstatieren, dass gerade auch durch die internationalen Sportveranstaltungen, die in den Emiraten und in Saudi-Arabien stattfinden, es immer auch zu Reformen in diesen Ländern gekommen ist. Dies lässt sich vor allem auf dem Gebiet der Arbeitsrechte beobachten.
Die Massenmedien einiger westlicher Demokratien weisen nun nahezu ritualisiert aus Anlass eines jeden größeren, internationalen Sportereignisses auf die Menschenrechtsverletzungen in den arabischen Staaten hin. Mit Suggestivfragen von Journalisten werden einzelne Athletinnen und Athleten veranlasst einen Boykott bestimmter Wettkämpfe zu fordern. Human Rights Watch und Amnesty International melden sich in gewohnter stereotypischer Weise nahezu halbjährlich zu diesem Thema zu Wort. Allerdings wird dabei verkannt, dass viele der angeprangerten Menschenrechtsverletzungen, insbesondere in der Industrie und im Bauwesen, auch von europäischen, asiatischen und US-amerikanischen Unternehmen zu verantworten sind, die auf diesem Gebiet mit der arabischen Welt Milliarden Umsätze tätigen. Nicht zuletzt deshalb kann man die im Zusammenhang mit der FIFA- WM- Vergabe erneut aufkommende Menschenrechtsdiskussion im Teilen als eine von westlichen Medien groß angelegte, inszenierte Heuchelei bezeichnen.
Um keinen Zweifel aufkommen zu lassen: die Menschenrechtsverletzungen in Saudi-Arabien bleiben nach wie vor Anlass für Proteste. Es sind allerdings in erster Linie politische Interventionen und Sanktionen der demokratisch verfassten Welt erforderlich, die von den Medien dann allerdings auch im Rahmen von bestehenden und angestrebten Wirtschaftsbeziehungen gefordert werden müssen, will man in seinen Forderungen nach Einhaltung der Menschenrechte glaubwürdig sein.
Von einer Gleichberechtigung von Frauen und Männern, von einer Geschlechtervielfalt und von einer gerechten Verteilung des erwirtschafteten Wohlstands sind die arabischen Staaten vermutlich noch mehr als ein weiteres Jahrzehnt entfernt.
Dennoch muss auch erwähnt werden, dass gerade der Sport in der arabischen Welt zu einem ganz neuen öffentlichen Raum, zu neuen Familienstrukturen und zu einer völlig neuen Partizipation des weiblichen Geschlechts in der arabischen Gesellschaft geführt hat. Noch vor wenigen Jahren gab es in Saudi-Arabien nahezu keine Möglichkeiten für Frauen, sich im öffentlichen Raum „aktiv“ zu bewegen. Es gab keinerlei Sportangebote für Mädchen und Frauen. Der Wahhabismus dominierte den Alltag. Frauen standen unter männlicher Vormundschaft, mussten in Cafés und Einkaufszentren eigene Eingänge benutzen und der Besuch von Kinos und Konzerten war untersagt.
In westlichen Medien wird die Sportoffensive des saudi-arabischen Staates als „Sport-Washing“ bezeichnet. D.h. man sieht darin eine Strategie, um von den aktuellen Menschenrechtsverletzungen abzulenken. Dabei ist die Instrumentalisierung von internationalen Sportveranstaltung durch Staaten keineswegs eine Ausnahme, sondern die Regel. Bei dem pauschalen Urteil über das „Sport-Washing“ wird zudem auch verkannt, dass gerade in Bezug auf die Einhaltung der Menschenrechte in den letzten Jahren viele positive Veränderungen im arabischen Raum möglich geworden sind. So ist in Saudi-Arabien die Abaya, das schwarze Überkleid, nicht mehr eine Pflicht. Frauen. sind längst auch in der arabischen Welt zu einem bedeutenden „Wirtschaftswachstumsfaktor“ geworden. 70 % der Bevölkerung Saudi-Arabiens sind jünger als 30 Jahre.
Die Schlüsselfigur dieser politischen Strategie ist der derzeitige Premierminister, der designierte König Saudi-Arabiens, Kronprinz Mohammed Bin Salman. Ihm zur Seite steht AL – Rumayyan, Chef des PIF und Vorstandsvorsitzender von Aramco, dem staatseigenen Ölgiganten. Zur Führungselite ist auch Prinzessin Reema Bint Bandar zu rechnen. Sie war nicht nur erste saudi-arabische Botschafterin in den Vereinigten Staaten. Sie ist auch IOC- Mitglied und mittlerweile bereits sehr einflussreich in den Gremien des Weltsports. Es ist dabei geradezu auffällig, dass sämtliche hohe Positionen im Sport von Persönlichkeiten aus höchsten staatlichen Positionen Saudi-Arabiens besetzt sind.
Prinz Mohammed Bin Salman ist sich der problematischen, demographischen Entwicklung der arabischen Gesellschaft bewusst. Deshalb ist es eines seiner vorrangigen Ziele, den Arbeitsmarkt zu reformieren. Er weiß, dass Saudi-Arabien auf eine vielseitig ausgebildete Belegschaft angewiesen ist. Seit längerer Zeit   werden  große Investitionen in das Bildungswesen getätigt. 1990 waren nur 11 % der Frauen in Saudi-Arabien erwerbstätig. Heute sind es bereits 40 %. Die Regierung will diese Entwicklung beschleunigen. Dafür benötigt sie sichtbare Vorbilder. Diese sucht man auch im Frauensport. Mittlerweile gibt es deshalb auch eine höchste Fußballliga der Frauen in Saudi-Arabien, die „Premier League“. Es läuft bereits deren dritte Saison. Hat man zunächst nur in den Männerfußball investiert und für viel zu viel Geld Ikonen wie Ronaldo und Neymar für die großen Multisportclubs  verpfichtet, so werden nun auch ausländische weibliche Fußballstars wie Lea Le Garrec aus Frankreich, Sara Gunnarsdottir aus Island und Ashleigh Plumptre aus England eingekauft.
Seit 2018 dürfen Frauen in Saudi-Arabien Autofahren und Sportveranstaltungen von Männern besuchen. Seit 2024 überträgt das Staatsfernsehen auch Spiele von Fußballerinnen.
Mittlerweile werden vermehrt auch Frauen zu Trainerinnen ausgebildet. Der Saudi- arabische Fußballverband weist an seiner Spitze eine Vizepräsidentin auf und 20 % der Verbandsangestellten sind Frauen. Von einer sportlichen Teilhabe der Frauen kann heute also durchaus gesprochen werden.
Ob daraus auch eine politische Teilnahme erwächst ist allerdings fraglich.

Auch bemüht sich der Staat vermehrt um eine Sport- Infrastruktur zu Gunsten des  Breitensports. Es entstanden und entstehen vermehrt Laufgruppen, Fitnesszentren und Yoga Studios. Seit 2022 findet in Riad auch ein Marathon mit mehreren 10.000 Teilnehmern statt. Das Ziel der Regierung ist es, dass bis 2030 die Anzahl der Menschen, die einmal pro Woche Sport treiben, von 13 auf 40 % ansteigt. Sie hofft, dass sie dadurch ihr immer teurer werdendes Gesundheitssystem entlasten kann. In Saudi-Arabien gibt es seit einigen Jahren auch vermehrt Karriere- Netzwerke für Frauen an den Universitäten.  Heute sind bereits 60 % der Studierenden weiblichen Geschlechts.

Trotz dieser Fortschritte muss allerdings immer wieder darauf hingewiesen werden, dass in Bezug auf die Einhaltung der Menschenrechte Saudi-Arabien weiterhin jene Nation ist, die sich an der Spitze der Rangliste der Menschenrechtsverletzungen befindet. Die Todesstrafe wird nach wie vor vollstreckt. Allein 2024 sind bereits mehr als 200 Hinrichtungen zu beklagen. In der Pressefreiheit liegt Saudi-Arabien von 180 bewerteten Staaten auf Platz 166.  Gewerkschaften, Streiks und Demonstrationen sind verboten. Die Kriminalisierung von LGBT- Personen ist nach wie vor im gesamten arabischen Raum anzutreffen. Von einer Demokratie ist Saudi-Arabien noch meilenweit entfernt. Parteigründungen sind untersagt. Gesetzlich sind Frauen immer noch schlechter gestellt als Männer.
In der Fachsprache der Politikwissenschaft nennt man einen Staat wie Saudi-Arabien einen „Rentierstaat“. Gemeint ist damit ein Staatswesen, das seine Einnahmen zum größten Teil durch den Verkauf von Ressourcen ins Ausland bezieht und seine Bevölkerung mit diesen Einnahmen alimentiert.  Für die arabischen Staaten war dies bislang mit den Milliardenerlösen aus Erdöl und Gas möglich. Die neue Führung von Saudi-Arabien hat jedoch sehr früh erkannt, dass sie von diesen Energieträgern unabhängiger wrden muss. Dazu wird nun in unterschiedliche Wirtschaftsbereiche investiert, so unter anderem in den Bereich der digitalen Technologien, in Bildung, den Tourismus und den Bereich des Sports. Auf diese Weise soll der Wohlstand der Bevölkerung insgesamt  nachhaltiger werden.
Im Bereich des Sports geht es dabei ganz bewusst um den Aufbau einer nationalen Sportindustrie, um ein attraktives Ausbildungsangebot für Jugendliche, um die Schaffung neuer Arbeitsplätze im Bereich des Sportmanagements, des Sportmarketings, der Trainer- und der Sportlehrerausbildung.
Die bevorstehende Fußball-WM in Saudi-Arabien ist zentraler Teil dieser durchaus durchdachten sportpolitischen Strategie. Die WM in Saudi-Arabien wird für viele Menschen in Asien und in Afrika eine Projektionsfläche bieten, um der Welt zu zeigen, dass sie einen berechtigten Platz nicht nur auf der Weltlandkarte des Sports einnehmen. Es wird dabei gezeigt, dass der Fußball ein globaler Sport ist, der nicht allein dem „Westen“ gehört. Saudi-Arabien wird dabei ähnlich selbstbewusst und stolz sein wie Katar, seine Interessen gegenüber der westlichen Welt offensiv vertreten und sich auch entschieden gegen jegliche überhebliche Bevormundung durch den Westen wehren.
Angesichts der Größe des Landes und seiner mehr als 40 Millionen Einwohner macht eine WM in Saudi-Arabien vermutlich auch mehr Sinn als die bereits durchgeführte WM in Katar. Für die arabische Welt wird diese WM ohne Zweifel zu einem  Meilenstein in ihrer Sportentwicklung werden.
Für einen Weltfußballverband wie die FIFA wird diese WM zu einem „Goldesel“werden, mit dessen Hilfe die weit verbreitete Geldgier vieler Verantwortlicher des Fußballsports – allen voran des Präsidenten Infantino – besonders üppig befriedigt werden kann.