Alles war wie immer, doch vieles ist diesmal auch ganz anders. Am Freitag, den 26. Juli 2024 werden die 30. Olympischen Spiele feierlich eröffnet. Mehr als 10.000 Athleten¹ in mehr als 30 Sportarten haben sich auf diese Spiele vorbereitet. In schwierigen Qualifikationsrunden wurden sie ausgewählt, um für Ihr Nationales Olympisches Komitee anzutreten und als Olympiamannschaft ihrer Nation sich mit den besten Athletinnen und Athleten der Welt zu messen.
Angesichts eines übervollen Sport-Kalenders ist es dabei zumindest in Deutschland nur erst sehr spät gelungen, die Bevölkerung Deutschlands auf diese Spiele einzustimmen. Hatte zunächst die Fußballeuropameisterschaft Priorität, so folgte danach die Tour de France. Und wie nicht anders zu erwarten begann das öffentlich-rechtliche Fernsehen wenige Tage vor den Spielen mit einer „Doku-Serie“, um sich als kritisches Medium darzustellen, das nicht nur die schönen Seiten der Olympischen Spiele beleuchtet, sondern auch deren Schattenseiten. Der Blick richtet sich dabei auf die Vergangenheit der Olympischen Spiele und auf angebliche oder tatsächliche Skandale, die es in Verbindung mit den Spielen gegeben hat. Neu ist dabei jedoch gar nichts, denn die als Sensation verkauften Dokumentationen behandeln hinlänglich offengelegte und längst diskutierte Dopingskandale der Vergangenheit, den Korruptionsmissbrauch von längst ausgeschiedenen bzw. ausgeschlossenen IOC-Mitgliedern und die Umweltsünden vergangener Spiele. Im Rampenlicht solcher Berichterstattung steht dann auch das bestens „gepflegte“ Feindbild, der deutsche IOC-Präsident Dr. Thomas Bach, dem unterstellt wird, der Freund aller Diktatoren dieser Welt zu sein. Peinlicher kann öffentlich-rechtliche Sport-Berichterstattung wohl kaum sein.
Die im Vorfeld häufig negative Olympia-Berichterstattung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens und deutscher „Leitmedien“ ist in Teilen längst zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung geworden. Kritik muss um der Kritik willen ausgeübt werden, auch dann, wenn man einfach nur schlecht recherchiert hat, oder der Sachverhalt nicht einmal „kritikwürdig“ ist. Angesichts dieser Vor-Berichterstattung auf die Spiele kann es kaum überraschen, dass man in Deutschland in diesen Tagen nur ganz selten von einer Vorfreude auf die Olympischen Spiele von Paris sprechen kann.
Eigentlich hätten es die Athleten und Athletinnen, die nach langjähriger Vorbereitung ihr Ziel erreicht haben bei den Spielen 2024 in Paris dabei zu sein, verdient, dass sie ganz anders von einer interessierten Öffentlichkeit begleitet werden. Sie hätten es auch verdient, dass die Bevölkerung in Deutschland über das „Besondere“, das Olympische Spiele auszeichnet, regelmäßig aufgeklärt wird und dass die Ideen des modernen Olympismus auch während einer Olympiade, also in der Zeit zwischen zwei Olympischen Spielen, sorgfältig gepflegt werden. Doch dies ist in Deutschland schon seit längerer Zeit nicht mehr der Fall und so werden olympische Spiele in der deutschen Öffentlichkeit häufig nur wie ein Sportereignis unter vielen wahrgenommen. Sorgen sie für Sensationen, so werden sie eine kurzfristige Aufmerksamkeit erzielen. Gleiches gilt für Skandale, die möglicherweise auch bei diesen Olympischen Spielen angetroffen werden können. Doch auch für die Berichterstattung über diese Spiele gilt, was generell für unsere Massenmedien Gültigkeit besitzt: Das, was gestern war, ist zu vergessen. Die Neuigkeiten von morgen lösen jene von heute ab, was gestern noch als wichtig galt, ist morgen meist bereits ohne Bedeutung.
Für die deutsche Öffentlichkeit unterscheiden sich somit die Spiele von Paris so gut wie nicht von den Spielen in Tokio 2020 (2021) oder in Rio de Janeiro im Jahr 2016.
Und doch werden die Spiele von Paris ganz andere Spiele als die genannten Vorgänger- Spiele sein. Gerade unter dem Aspekt des modernen Olympismus werden diese Spiele die wohl wichtigsten für die nähere Zukunft sein, weil sie hoffentlich friedliche Spiele sind, die inmitten zahlloser kriegerischer Auseinandersetzungen stattfinden und sich dabei durch eine Friedensbotschaft auszeichnen, wie sie kein anderes Sportereignis der Welt an uns richten kann.
Selten zuvor war die weltpolitische Lage derart angespannt, wie es wenige Tage vor der Eröffnungsfeier in Paris der Fall ist. Der terroristische Angriffskrieg Russlands gegenüber der Ukraine ist noch im vollen Gange und kostet täglich unschuldige Menschenleben. Auch in Israel müssen wir längst von einem Krieg zwischen Israel und der Hamas sprechen, der täglich unschuldige Opfer zur Folge hat. Darüber hinaus werden in Afrika, Asien, Südamerika und Lateinamerika „Konflikte“ ausgetragen, die Kriegen gleichkommen und bei denen ebenfalls durch den Gebrauch von tödlichen Waffen, Frauen zu Witwen werden, Kinder ihre Väter verlieren und ein nicht enden wollendes Leid zurückbleibt.
Hinzu kommen erhebliche innenpolitische Auseinandersetzungen im Gastgeberland und die unübersichtliche Führungs-Situation in den USA und deren zukünftige weltpolitische Rolle.
Erschütternd ist, dass nirgendwo ernsthafte Friedensbemühungen zu erkennen sind. Vielmehr muss man den Eindruck haben, dass es Interessengruppen gibt, die an der Verlängerung von Kriegen interessiert sind. In diesen Tagen werden mehr Waffen produziert als jemals zuvor. Auf dem Rücken unschuldiger Menschen werden Konflikte ausgetragen, die unter ethisch-moralischen Gesichtspunkten von niemandem akzeptiert werden dürfen.
In dieser Situation ist es ein Glücksfall, dass Papst Franziskus bereits mehrfach den modernen Olympismus als eine Philosophie der Hoffnung interpretiert hat, dass er die Idee des olympischen Friedens als die in diesen Tagen wichtigste Idee hervorgehoben hat und dass er alle an den weltweiten Konflikten Beteiligten dazu aufgefordert hat , die „Olympic Truce Idee“ zu befolgen und sich zumindest für die Zeit während der Spiele auf einen Waffenstillstand einzulassen, ganz gleich, um welchen kriegerischen Konflikt es sich dabei handelt.
Die Friedenshoffnung des Papstes wird möglicherweise nicht in Erfüllung gehen und die „militaristischen Scharfmacher“ , die es vermehrt ja auch in Deutschland gibt, werden die Initiative des Papstes als „naiv“ und „pazifistisch“ bezeichnen. Doch solche Kritik kann die Friedenspolitik des IOC und deren Fundamente in der Olympischen Charta nicht im Geringsten infrage stellen. Eher das Gegenteil ist der Fall.
Nicht zuletzt deshalb verdient es Anerkennung, dass das IOC unter seinem Präsidenten Dr. Thomas Bach in den vergangenen Monaten darauf insistierte, dass an den Olympischen Spielen in Paris „neutrale“ Athleten teilnehmen können, wenn sie die einvernehmlich definierten Kriterien für den Status eines „neutralen“ Athleten bzw. einer Athletin erfüllen. Die Spiele in Paris sind gerade auch deshalb etwas Besonderes, weil nunmehr wenige russische und weißrussische Athletinnen und Athleten, deren Überprüfung durch die jeweils zuständigen Weltsportverbände erfolgte, ohne nationalen Embleme als „neutrale“ Athleten teilnehmen können, um auf diese Weise den olympischen Friedensauftrag des IOC zu untermauern. Dass dies gegen den Widerstand – u. a. auch von deutschen Politikern – durchgesetzt werden konnte, die ohne Respekt vor dem Prinzip der sportpolitischen Autonomie des IOC und des DOSB und ohne Anerkennung der zwingend erforderlichen politischen Neutralität der nationalen und internationalen Sportverbände die Teilnahme „neutraler“ Athleten in Paris verhindern wollten, kann als ein großer Erfolg gewertet werden.
Die Spiele von Paris sind aber auch noch aus einem weiteren Grund ganz besondere Spiele, und es bleibt dabei zu hoffen, dass die in sie gesetzten Erwartungen erfüllt werden. Es sind jene Spiele, bei denen die vom IOC-Präsidenten Dr. Bach und der IOC-Exekutive entwickelte „Olympic Agenda 2020“ und „2020 +5“ zum ersten Mal in die Tat umgesetzt werden. Es sind innovative Spiele, in denen Experimente gewagt werden, um die Spiele noch intensiver an die Jugend der Welt heranzuführen. Neue Sportarten werden zum ersten Mal vorgestellt. Die Eröffnungsfeier findet in aller Öffentlichkeit statt und die Spiele sind bemüht, sich gegenüber der Bevölkerung des Gastgeberlandes und den zahlreichen Gästen aus aller Welt, die während der Spiele anwesend sind, zu öffnen. Teilweise werden sie sogar in die Ereignisse aktiv mit einbezogen. Zum ersten Mal werden bei diesem Spielen auch genauso viele Männer wie Frauen teilnehmen. Dank des Olympic Solidarity Programms wird es auch erneut ein Refugee-Team geben und unter dem Aspekt der ökologischen Nachhaltigkeit wurde vom Gastgeber alles getan, um den Spielen vor dem Hintergrund eines weltweiten Klimawandels eine verantwortungsvolle Ausrichtung zu ermöglichen. Wenn kontaminierte Industriebrachen wie in London 2012 und wenn ein verseuchter Fluss wie die Seine in Paris 2024 zu neuen, lebenswerten Wohn- oder Freizeiträumen saniert werden, so sind dies genau die Signale, die uns zeigen, dass Olympische Spiele auch einen besonderen Auftrag neben den Sport-Wettkämpfen erfüllen. Dazu gehört auch, dass die Olympischen Spiele sich in ihrer Kommerzialisierung selbst Grenzen gesetzt haben und diese auch einhalten. Die Spiele in Paris sind wie alle früheren Spiele „werbefreie Spiele“, was die Olympischen Sportstätten betrifft. Das IOC lobt für die Olympischen Sieger bei den Spielen keine Geldpreise aus. 90% seiner Einnahmen werden vom IOC vielmehr solidarisch an die über 200 Nationalen Olympischen Komitees und an alle olympischen Sportverbände ausgeschüttet. Die große Mehrheit der Olympischen Verbände und der Nationalen Olympischen Komitees wäre ohne diese finanzielle Hilfe durch das IOC nicht existenzfähig.
Jeder, der versteht, dass Olympische Spiele etwas Besonderes sind, dass sie keine Ansammlung von Weltmeisterschaften verschiedener Sportarten darstellen, sondern seit mehr als 100 Jahren den Ideen von Pierre de Coubertin folgen und damit einen Auftrag haben, der immer wieder von neuem erfüllt werden muss, der kann dem IOC und dem französischen Gastgeber der Olympischen Spiele 2024 in Paris nur alles Gute und viel Erfolg wünschen. Den Sportlerinnen und Sportlern ist zu wünschen, dass sie ihre selbstgesteckten Ziele erreichen und dabei ihr Bestes geben. Für alle Besucherinnen und Besuchern mögen es freudvolle Spiele und erlebnisreiche Tage werden!
In diesem Sinne: Die Spiele können beginnen!
¹ Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf „gendergerechte“ Sprachformen – männlich weiblich, divers – verzichtet. Bei allen Bezeichnungen, die personenbezogen sind, meint die gewählte Formulierung i.d.R. alle Geschlechter.