Die Montagsturner und ihr „Bader“

Helmut Digel

Ärzte, die sich gleichzeitig als Spezialisten der Sportmedizin ausweisen können, sind für den heutigen Hochleistungssport unverzichtbar geworden. Mit ihrer sportwissenschaftlichen und sportmedizinische Zusatzausbildung und mit ihren regelmäßigen Fortbildungen sind sie vor, während und nach den Trainingsmaßnahmen und Wettkämpfen neben den Trainern die wichtigsten Bezugspersonen für Athletinnen und Athleten. Doch nicht nur Spitzensportler sind regelmäßig auf medizinische Hilfen angewiesen. Gleiches gilt auch für die unzähligen Freizeitsportler, die in Vereinen oder informell in kleinen Freizeitgruppen ihre geliebten Sportarten und Fitnessübungen ausüben. Für die Seniorengruppe der „Montagsturner“ des TSV Marquartstein, die in den Wintermonaten jeden Montagabend sich zur Gymnastik und zum Fitnesstraining in der Sporthalle der örtlichen Realschule treffen und in den Sommermonaten mit ihren Mountainbikes den Chiemgau „unsicher“ machen und Jahr ein Jahr aus schon seit Jahrzehnten die schönsten Almen des Achentals und der Chiemgauer Alpen zum besonderen Ziel ihrer Radtouren auserkoren haben, gilt dies gleichermaßen.
Sportler und Sportlerinnen, die die Chiemgauer Alpen als „ihre Sportarena“ auserwählt haben, benötigen einen ganz besonderen medizinischen Beistand. Viele von ihnen vertrauen dabei auf ihren „Bergdoktor“, der alles mitbringt, was moderne Sportmediziner auszeichnet, der selbst ein aktiver Sportler ist und auf eine jahrelange Bergerfahrung verweisen kann.


Es ist ein Glücksfall, dass die Marquartsteiner Montagsturner einen „Bader“ im doppelten Sinne haben, der ihnen bei allen möglichen körperlichen Problemen, bei Sportverletzungen, bei Stürzen mit dem Radl, bei Knochenbrüchen und vielem mehr nahezu täglich an ihrer Seite ist.

Nur wenige wissen heute noch, was ein „Bader“ ist und welche Bedeutung ein Bader für frühere Gesellschaften gehabt hat. Schlagen wir in einem Lexikon nach, so können wir erfahren, dass das Wort „Bader“ eine Berufsbezeichnung darstellt, die es glücklicherweise heute auch noch gibt, jedoch schon längst von einer modernen Terminologie abgelöst wurde.
Im Mittelalter waren die Bader die „Ärzte der kleinen Leute“, die sich einen medizinischen Rat bei den studierten Ärzten nicht leisten konnten. Der Beruf des Baders war hochgeachtet, auch wenn er von der Wissenschaft nicht akkreditiert wurde. Er umfasste das Badewesen, die Körperpflege und Kosmetik und vor allem waren die Bader die Vorreiter der modernen Chirurgie. Nachdem beim Konzil von Tours im Jahr 1163 durch die  Kleriker die Chirugie wegen einer angeblichen „geistigen Blutschuld“ untersagt wurde, vermieden akademisch ausgebildete Ärzte die Chirurgie. Die Bader hatten daraufhin die Versorgungslücke im damaligen Gesundheitswesen zu schließen. Sie waren verantwortlich für die sog. „Kleine Chirurgie“, das heißt, sie versorgten kleine Wunden und richteten Knochenbrüche. Sie waren auch für das Aufschneiden und Ausbrennen der äußerst schmerzhaften Pestbeulen zuständig. Ihre Hauptaufgabe bestand im Anwenden von „Aderlass“ und „Schröpfen“ auf der Grundlage der antiken Lehre der Körpersäfte. In Bayern gab es noch im 19. Jahrhundert „Bader- Schulen“, unter anderem in Würzburg und in Landshut. Den Badern der „neuen Ordnung“ war ab 1899 auch erlaubt als Zahnbehandler tätig zu sein und Zähne zu ziehen. Durch die im 18. Jahrhundert einsetzende Errichtung von Krankenhäusern auch für Nichtreiche ging die Bedeutung der Bader im Bereich der Heilkunde zurück. Doch selbst das Sanitätswesen hat sich aus dem Baderwesen heraus entwickelt und professionalisiert. Auch die Charité in Berlin hat ihren Ursprung im Baderwesen. Der Beruf des Baders wurde in Deutschland bis in die 1950 er Jahre ausgeübt und war gesetzlich geregelt.  Mittlerweile wurde das Arbeitsspektrum der ehemaligen Bader von verschiedenen medizinischen Berufen, von Hausärzten und den verschiedensten Fachärzten übernommen.

Silberguss Medaille der Bader und Chirurgen, Blaubeuren 1732

Ein „Bader“ war in früheren Zeiten somit ein Allgemeinmediziner, der über das notwendige medizinische Wissen verfügte, um allen Menschen, die in seiner Umgebung lebten, die schnellstmögliche Hilfe zu gewähren, wenn diese gesundheitliche Probleme hatten, erkrankt waren oder gar gerettet werden mussten.

Für mich ist es geradezu der glücklichste Zufall, dass jener „Bader“, auf den die Montagsturner vertrauen können und der ihnen Tag und Nacht mit seiner Hilfsbereitschaft zur Verfügung steht, nicht nur ein „Bader“ ist, sondern auch „Bader“ heißt. Es ist hier von Christoph Bader zu sprechen, Arzt in zweiter Generation, der die Praxis seines Vaters Anton Bader übernommen hat und nun seit mehreren Jahrzehnten die Bürgerinnen und Bürger von Marquartstein mit seinem außergewöhnlichen medizinischen Know-how betreut und wo immer es erforderlich ist, mit seinem ärztlichen Rat zur Seite steht. Wie selbstverständlich gehört er dem Team der Chiemgauer Notärzte an. Wie selbstverständlich betreut er den jährlichen Hochgern- Berglauf und die immer populärer werdenden Gebirgstrial-Wettbewerbe in den Chiemgauer Alpen. Wie selbstverständlich hat er eine Bergrettungsausbildung aufzuweisen und zählt zu den erfahrensten Bergrettern im Chiemgau. Wie selbstverständlich verfügt er über ein besonderes Können als Bergsteiger und Kletterer und kann auch noch im sechsten Lebensjahrzehnt in höheren Schwierigkeitsgraden verunglückte Bergsteiger seine erste Hilfe zukommen lassen. Schon als Kind war er mit seinem Vater in den Chiemgauer und Tiroler Alpen unterwegs. Der „Wilde Kaiser“ war seine Kinderstube. Herausfordernde Skitouren im Winter und ganz besondere Klettertouren mit höchstem Schwierigkeitsgrad im Sommer gehörten und gehören zum Freizeitalltag der Familie Bader. Der Vater von Christoph Bader war nicht nur der beliebte Dorfbader und Bergdoktor. Er war auch ein herausragender Kunstmaler. Seine Aquarelle schmücken heute noch die Praxis von Christoph Bader und zeugen von unzähligen anspruchsvollen Bergtouren und noch schöneren Ausblicken auf die Wunder der alpinen Bergwelt. Seine Aquarelle sind nicht nur für Alpinisten bewundernswert. Wo immer Vater Bader seine beiden Söhne auf Bergtouren mitgenommen hat, war neben Seil und Haken vor allem auch eine zusammenklappbare Staffelei und eine klug ausgewählte Sammlung von Aquarellfarben der besondere Inhalt ihrer Rucksäcke. Manche nachhaltige Herausforderung mussten die drei Bader bei ihren Touren in den deutschen und österreichischen Alpen bestehen. Unvergessliche Erlebnisse sind dabei zurückgeblieben. Angesichts einer solchen Kindheit kann es kaum überraschen, dass Christoph sich auch sehr früh für „schnelle Abenteuer“ interessierte. Dazu gehörte der Alpine Skilauf, der ihm als Student ermöglichte, dass er als Skilehrer der Skischule Achental eine kleine Aufbesserung seines Taschengeldes möglich machen konnte. Dazu gehört aber vor allem auch seine Begeisterung für den Motorsport und für das Motorrad. Über viele Jahrzehnte betreute er medizinisch unzählige Autorennfahrer, die an der Deutschen Tourenwagenmeisterschaft (DTM) teilnahmen, so unter anderem das Audi- Rennteam. Er selbst konnte sich für das Motorradfahren begeistern. Noch in diesen Tagen fährt er mit einer BMW gemeinsam mit seiner Frau als Copilotin Tandemtouren, die schöner wohl kaum sein können. Mountainbiking ist eine seiner besonderen Leidenschaften.

Während ich diesen Essay schrieb, machte er sich gemeinsam mit seiner Frau auf den Weg zu einer Alpenüberquerung mit einem Tandem Mountainbikebis nach Grado an der italienischen Adria. Sardinien haben die beiden ebenso eine Woche lang mit ihrem Motorrad durchkreuzt wie auch immer wieder Korsika ihr Ziel war.
Diese Begeisterung für fremde Länder, die Begeisterung für Bergtouren, Skilaufen, Mountainbiking und Motorradfahren, haben Christoph Bader als Quell gedient, um in seiner Arztpraxis –gemeinsam mit einer ganz besonderen Arzthelferin – Woche für Woche, Jahr für Jahr mit einem außergewöhnlichen medizinischen Können nicht nur den Menschen von Marquartstein mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Claudia, seine Arzthelferin, die schon bei seinem Vater in die Lehre ging, ist nunmehr bereits 30 Jahre an seiner Seite und ist seine rechte und linke Hand zu zugleich. Mancher Montagsturner hat in den vergangenen Jahren mehrmals seine Praxis aufsuchen müssen, nachdem ihm ein Sturz mit dem Mountainbike schmerzhafte Sorgen bereitet hat. Ich war allein dreimal auf seine Dienste angewiesen und habe dabei seine fundierten Kenntnisse und seine langjährige Erfahrung bewundert. Seine Einsatzbereitschaft und seine besondere Hilfsbereitschaft machen es ihm möglich, seine Patienten auch in Notfällen direkt zu behandeln und Eingriffe durchzuführen die bei vielen anderen Ärzten allenfalls zu einer Überweisung an einen Facharzt oder an eine Klinik geführt hätten. Für die Montagsturner ist es ein Glücksfall, dass ihre Sportarztpraxis „Bader“ nunmehr auch sehr bald eine dritte Generation zur kooperativen Leitung dieser besonderen Arztpraxis in Marquartstein aufweisen wird. Die Tochter von Christoph Bader hat die Medizin als ihre Profession gewählt und wird im nächsten Jahr gemeinsam mit ihrem Vater diese besondere Praxis übernehmen und damit eine Tradition fortführen, die für Marquartstein etwas ganz Besonderes ist. Wir Montagsturner sind dankbar und froh, dass die Erfolgsgeschichte des Marquartsteiner „Baders“ fort geschrieben wird.