Der Zeitplan – nicht nur in der Leichtathletik ein schwieriger Schlüssel zum Erfolg

von Helmut Digel

Zeitpläne haben im Sport eine außergewöhnliche Bedeutung. Der Beginn einer sportlichen Veranstaltung, die Dauer eines Wettkampfes, Wettkampfende und Wettkampfpausen haben im Hochleistungssport eine besondere Bedeutungsfülle aufzuweisen. Je nach Interessen, die an sportliche Wettkämpfe herangetragen werden, kann sich dabei die Bedeutung verändern. Für das Fernsehen sind lange Pausen ein Problem, für den Athleten möglicherweise die Zeit für die notwendige Regeneration Der Zuschauer¹, der in einer Halle oder in einer Freiluft-Sportstätte einer sportlichen Auseinandersetzung beiwohnt, hat ein anderes Verhältnis zur zeitlichen Struktur einer Sportveranstaltung als der Zuschauer, der zuhause dasselbe Ereignis im Fernsehen betrachtet. Nirgendwo wird die Bedeutung von Zeitplänen so offensichtlich, wie das in der Leichtathletik der Fall ist. Die Leichtathletik ist bereits mehr als 100 Jahre alt und dennoch ist sie immer noch auf der Suche nach dem idealen Zeitplan. Die Leichtathletik war und ist die „Königin“ bei den Olympischen Spielen. Diese fanden nun bereits 33-mal, zuletzt in Paris 2024 statt.

Bei jedem dieser Olympischen Ereignisse nahm die Leichtathletik unter zeitlichen Gesichtspunkten den größten Raum ein, konnte die meisten Zuschauer im Olympiastadion an sich binden und konnte auch bei den Fernsehübertragungen und in den sozialen Medien höchste Einschaltquoten und eine hohe Resonanz aufweisen. Man könnte annehmen, dass nach einem Zeitraum von mehr als 100 Jahren, während dem die Leichtathletik bei den Olympischen Spielen präsent war, die für diese olympische Sportart Verantwortlichen einen idealen Zeitplan für die wichtigste olympische Sportart gefunden haben. Doch dies ist nicht der Fall. Denn bei all diesen Olympischen Spielen gab es jeweils sehr unterschiedliche Zeitpläne. Kein Zeitplan, der sich bei der Durchführung der Leichtathletik Wettkämpfe bei den letzten Olympischen Spielen bewährt hatte, konnte bei den nächsten Olympischen Spielen wiederholt werden. Die Gründe hierfür sind sehr vielfältig. Zum einen wurde immer wieder das leichtathletische Programm verändert. Meist kamen neue Disziplinen dazu. Es mussten aber auch einige alte Disziplinen gestrichen werden. Mittlerweile müssen in einem zeitlich begrenzten Zeitraum, vorgegeben durch das IOC, 47 Einzelwettbewerbe untergebracht werden, bei denen man als Leichtathletin oder Leichtathlet eine Goldmedaille gewinnen kann. In keiner anderen olympischen Sportart können vergleichbar viele Medaillen gewonnen werden. Ginge es nach World Athletics, dem Internationalen Verband der Leichtathletik, so würde dieser der bereits viel zu hohen Zahlen an Einzelentscheidungen noch weitere hinzufügen. Lediglich zwölf Einzelentscheidungen sind seit 1896 ununterbrochen Bestandteil des Olympischen Leichtathletik-Programms. Die Anzahl der Wettkämpfe für Frauen wurden immer mehr der Anzahl der Männerwettkämpfe angeglichen. Ihre Premiere hatten die Leichtathletinnen bei den Olympischen Spielen 1928. Dabei wurden fünf Einzelentscheidungen ausgetragen. Bei den Olympischen Spielen in Tokio und Paris wurden bei den Leichtathletikwettkämpfen für Männer und Frauen die gleiche Anzahl der Einzelentscheidungen angeboten. Unter dem Aspekt der Gleichberechtigung kann dies als eine großartige Errungenschaft in der Welt des Sports bezeichnet werden. Mit Blick auf die zeitliche Organisation der Sportart Leichtathletik hat diese Angleichung jedoch beabsichtigte und unbeabsichtigt Folgen, was den Umfang und die Größe der Olympischen Sportart Leichtathletik betrifft. Die Frage nach der angemessenen zeitlichen Gestaltung der Leichtathletikwettkämpfe bei Olympischen Spielen muss deshalb erneut gestellt werden.
Auch das Klima, in dem die jeweiligen Spiele stattgefunden hatten, spielte und spielt für den geeigneten Zeitplan eine wichtige Rolle. Davon besonders abhängig war und ist die Durchführung von Marathonläufen bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften. Angesichts des weltweiten Klimawandels kann man schon seit längerer Zeit beobachten, dass der zeitliche Beginn der jeweiligen Wettkämpfe auch in Abhängigkeit der Tagestemperaturen erfolgt und die Wettkämpfe immer mehr bis hinein in den späten Abend beziehungsweise ganz früh am Morgen durchgeführt werden.

Tages-Zeitplan einer Leichtathletik-WM – Präzise und verwirrend zugleich

Tag 1

  1. August 2023

Morgens

  • 8.50 Uhr: 20 Kilometer Gehen (Herren), Finale
  • 10.30 Uhr: Kugelstoßen (Herren), Qualifikation
  • 10.35 Uhr: 100 Meter Hürdenlauf (Frauen), Siebenkampf
  • 11.05 Uhr: 4×400 Meter Staffel (Mixed), Vorlauf
  • 11.35 Uhr: 3000 Meter Hindernis (Herren), Vorlauf
  • 11.45 Uhr: Hochsprung (Frauen), Siebenkampf
  • 12 Uhr: Hammerwerfen (Herren), Qualifikation Gruppe A
  • 12.25 Uhr: Weitsprung (Frauen), Qualifikation
  • 12.35 Uhr: 100 Meter (Herren), Qualifikationslauf
  • 13.15 Uhr: 1.500 Meter (Frauen), Vorlauf
  • 13.40 Uhr: Hammerwerfen (Herren), Qualifikation Gruppe B

Abends

  • 18.30 Uhr: Eröffnungsfeier
  • 19.02 Uhr: 1.500 Meter (Herren), Vorlauf
  • 19.05 Uhr: Kugelstoßen (Frauen), Siebenkampf
  • 19.10 Uhr: Diskuswerfen (Herren), Qualifikation Gruppe A
  • 19.35 Uhr: Dreisprung (Herren), Qualifikation
  • 19.43 Uhr: 100 Meter (Herren), Vorläufe
  • 20.30 Uhr: 200 Meter (Frauen), Siebenkampf
  • 20.35 Uhr: Kugelstoßen (Herren), Finale
  • 20.40 Uhr: Diskuswerfen (Herren), Qualifikation Gruppe B
  • 20.55 Uhr: 10.000 Meter (Frauen), Finale
  • 21.47 Uhr: 4×400 Meter Staffel (Mixed), Finale

Immer häufiger war der Zeitplan auch von den unterschiedlichen ökonomischen Interessen abhängig, so vor allem von den erwünschten Übertragungszeiten amerikanischer oder europäischer Fernsehsender. Aber auch Sponsoreninteressen können dabei eine einflussreiche Rolle spielen. In einigen olympischen Sportarten konnten diese Interessen sogar einen Einfluss auf die Regeln der Sportarten ausüben, was zumindest indirekt auch einen Einfluss auf den Zeitplan der Spiele hatte. So wurden unter anderem in einigen Ballsportarten und Rückschlagspielen die Anzahl der in den Regeln vorgegebenen Sätze, die Zählweise und die Dauer der Sätze in Abhängigkeit zu den dramaturgischen Interessen verändert, die bei den Fernsehübertragungen von deren Rechteinhabern als besonders geeignet erachtet werden.
So wie die zu Recht erreichte Angleichung der Anzahl der weiblichen und männlichen Wettbewerbe in fast allen olympischen Sportarten zu einer zeitlichen Verlängerung des Gesamtprogramms der Sportart geführt hat, so haben auch fast alle anderen Innovationsvorschläge und Fremdinitiativen zur Folge, dass sich die Dauer der Wettkämpfe und damit die Länge der Zeitpläne meist vergrößert. Ganz offensichtlich fällt es den Verantwortlichen schwer, zeitliche Reduktionen, die möglicherweise sogar mit einer Attraktionssteigerung ihrer Wettkämpfe einhergehen könnten, bei ihren internationalen Meisterschaften durchzusetzen.
All diese Merkmale sind auch bei Leichtathletikweltmeisterschaften zu beobachten. Obgleich man 2025 in Tokyo bereits die 20. Leichtathletikweltmeisterschaften (13. – 21. September) ausrichten wird, hat es sich bis heute als unmöglich erwiesen, einen Zeitplan, der sich bewährt hat, bei den folgenden Weltmeisterschaften erneut anzuwenden. Es wiederholt sich also immer wieder das, was auch bei Olympischen Spielen zu beobachten ist.
Wie ist dies möglich, obgleich die Disziplinen, die zur Austragung gelangen, nahezu dieselben geblieben sind? In Tokio werden es 47 Einzelentscheidungen sein. Es werden dabei jeweils 23 Goldmedaillen bei Männer- und Frauenwettbewerben und eine Goldmedaille bei der gemischten Staffel über 4 × 400 m vergeben.  Betrachtet man die Leichtathletik auf nationaler Ebene, so gibt es bei einer deutschen Freiluftmeisterschaft in der Regel 40 und bei einer deutschen Hallenmeisterschaft 20 Einzelentscheidungen.
Die Frage wie viel Einzelentscheidungen bei einer Meisterschaft den Zuschauern präsentiert werden hängt auch davon ab, welche Leichtathletik Disziplinen in das Meisterschaftsprogramm aufgenommen werden und welche aus dem Meisterschaftsprogramm ausgegliedert werden und als Einzelmeisterschaften stattfinden. So werden mittlerweile auf internationaler Ebene Staffel – Weltmeisterschaften – die nächsten finden am 10./11.5. 2025 in Ghuanzhou/China statt – durchgeführt und bei diesen Weltmeisterschaften wurden nach und nach auch gemischte Staffeln in das Wettkampfprogramm aufgenommen, die jedoch mit einer Ausnahme nicht in das Wettkampfprogramm der traditionellen Weltmeisterschaft in der Leichtathletik integriert wurden.
Die häufig wechselnde Zahl der Einzelentscheidungen ist es also, die unter anderem bewirkt, dass Zeitpläne aus vorherigen Meisterschaften nicht auf die folgenden übernommen werden können. Besonders einflussreich auf Zeitpläne sind auch die Sportstätten, die in der Regel nicht identisch sind. Trotz aller Standardisierung zeigt es sich, dass es Schwierigkeiten gibt, Würfe und Läufe gleichzeitig auszutragen und die Wurf- und Sprunganlagen nicht an gleicher Stelle lokalisiert werden können, wie dies bei den folgenden Ereignissen möglich ist.

Ein weiterer Faktor sind die Teilnehmerzahlen. Die Frage, wie viele Athleten und Athletinnen sich für eine Meisterschaft qualifiziert haben, stellt sich bei jeder nationalen und internationalen Leichtathletikmeisterschaft von neuem. Wie viele Vor- und Zwischenläufe, wie viele Vorkämpfe hat die Anzahl der qualifizierten Teilnehmer zufolge? Welche Vorlaufzeiten, Vorkampfhöhen und Vorkampfweiten sind also notwendig, um die limitierte Zahl an Finalisten zu bestimmen. Diese Frage hängt mit der Leistungsentwicklung der Athletinnen und Athleten in den einzelnen Disziplinen zusammen, bei denen es überraschende Veränderungen geben kann. Einige leichtathletische Disziplinen stagnieren, andere weisen eine positive dynamische Entwicklung auf, andere „verlieren“ zunehmend Athleten. In Disziplinen, in denen es in früheren Zeiten noch mehrere Vorläufe und Zwischenläufe gegeben hat, ist die Teilnehmerzahl in den vergangenen Jahrzehnten ständig kleiner geworden und in manchen Disziplinen ziehen die gemeldeten Athleten und Athletinnen direkt in den Endkampf ein. Ganz besonders beklagenswert sind dann die Verhältnisse, wenn in einer Laufentscheidung nicht einmal alle Laufbahnen besetzt werden können.

Grundlegenden Einfluss auf die Zeitplanung hat die Dauer des einzelnen Wettbewerbes selbst. Diese Dauer hängt von den Wettkampfregeln ab, die den unterschiedlichen Disziplinen zugrunde liegen. Hat man bei einer Einzelentscheidung in einer technischen Disziplin wie zum Beispiel dem Diskuswurf oder bei den Sprüngen 3, 4 oder 6 Versuche, so verändert sich die Dauer dieser Wettbewerbe erheblich. Lässt man einen, zwei oder drei Fehlstart(s) zu, so kann sich die Dauer einer Sprintentscheidung oder einer Entscheidung bei den kürzeren Hürdenwettbewerben erheblich verlängern. Wird auf Fehlstartregeln prinzipiell verzichtet, so kann man damit eine sehr viel exaktere Zeitplanung erreichen, so wie dies beispielsweise beim Schwimmen der Fall ist. Sind 8 Athleten im Finale oder 12 und wird die Teilnehmerzahl nach einer bestimmten Anzahl von Versuchen reduziert oder beibehalten, so hat dies ebenfalls Auswirkungen auf die Dauer des Wettkampfes. Wenig kalkulierbar ist z.B. derzeit die Dauer der Stabhochsprungwettbewerbe. Hier ist die Anzahl der Versuche, die ein Stabhochspringer bei einem Wettkampf haben kann, bzw. hat nicht verbindlich festgelegt. Über die Einstiegshöhe entscheidet jeder Athlet selbst. Festgelegt ist lediglich, dass für jede aufgelegte Höhe nur drei Versuche erlaubt sind. Die Offenheit der Regeln führt dazu, dass sich Stabhochsprungwettbewerbe über einen langen Zeitraum hinziehen. Sie können bis zu 2 Stunden dauern und je nach Positionierung im Gesamtprogramm unterliegen sie sehr häufig der Gefahr, dass die eigentliche Wettkampfentscheidung bei der der Sieger des Wettkampfes festgestellt wird, sich außerhalb des vorgesehenen Zeitplans ereignet und ein großer Teil der Zuschauer die Wettkampfstätte bereits verlassen hat.

Auch das Wetter und die Räumlichkeiten der Wettkampfstätte selbst können Einfluss auf die zeitliche Wettkampfplanung haben. Ein starker Regenfall kann zur Unterbrechung eines Wettkampfes führen. Oft bedarf es noch einer gewissen Trockenzeit, um den Wettkampf in einer technischen Disziplin wie zum Beispiel dem Stabhochsprung oder dem Hochsprung weiterführen zu können. Auch überraschende Windverhältnisse können zu Pausen führen und sind die natürlichen Einwirkungen noch dramatischer, so können große Pausen oder gar ganze Tage ohne Wettkämpfe die Folge sein.

Wir können also erkennen, dass die Entwicklung eines Zeitplanes eine höchstkomplexe Herausforderung darstellt, in der es vermutlich nur selten gelingt, einen idealen Zeitplan in der Praxis umzusetzen. Man muss sich wohl von der Hoffnung – die oftmals Außenstehende in Bezug auf die Leichtathletik haben – verabschieden, dass es einen prototypischen Zeitplan für diese Sportart gibt, der bei jeder Weltmeisterschaft oder bei Olympischen Spielen zur Anwendung kommt. Nicht nur die Zeit- und Wettkampfpläne der Leichtathletik haben sich in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder verändert. Solche Veränderungen sind auch bei allen anderen olympischen Sportarten zu beobachten. Auch in der weiteren Zukunft werden deshalb die Zeitpläne der Sportarten flexibel an die jeweiligen Bedingungen angepasst werden müssen, die ja häufig auch einem gesellschaftlichen Wandel unterliegen und auch von ökonomischen und politischen Einflüssen tangiert werden. Die entsprechenden Auswirkungen lassen sich bereits heute zum Beispiel bei der Durchführung zukünftiger Olympischer Spiele, aber auch bei der Organisation von zukünftigen Fußball- und Handballweltmeisterschaften beobachten. Werden derartige internationale Sportgroßereignisse nicht mehr nur in einem Land, sondern über mehrere Länder verteilt, nicht mehr nur in einer Stadt, sondern in mehreren Städten bzw. Orten mit räumlicher und zeitlicher Distanz zueinander veranstaltet, so hat dies alles Auswirkungen auf den Zeit- und Wettkampfplan des jeweiligen Sportereignisses. Nicht zuletzt entscheidend wird sein wie viele Nationen oder Mannschaften bei einem Turnier oder bei einer Meisterschaft teilnehmen und wie die Qualifikationswettkämpfe zu diesen Turnieren und Meisterschaften ausgetragen werden.

Der Zeitplan bei den Leichtathletik- Weltmeisterschaften den World Athletics und früher die IAAF zu verantworten haben bzw. hatten, stellt jedoch ein ganz eigenes und vor allem ein hausgemachtes Problem dar. Es gibt keine andere Sportart, bei der man seine globale Bedeutung bei jeder Weltmeisterschaft erneut dadurch demonstrieren möchte, dass nicht nur die Besten in der eigenen Sportart anwesend sind, sondern dass jeder Mitgliedsverband mit mindestens einem Athleten an den Meisterschaften teilnehmen kann. World Athletics geht es wie zuvor der IAAF also nicht um Qualität, sondern um Quantität, was sich notwendigerweise auf die zeitliche Dauer einer Weltmeisterschaft und auf große Teile der Qualifikations-Wettkämpfe sehr negativ auswirkt. In den meisten anderen Olympischen Sportarten werden diese ausgelagert und finden im Vorfeld der jeweiligen Weltmeisterschaft statt. Damit sind deren Weltmeisterschaften zeitlich sehr viel genauer kalkulierbar, als dies bei Word Athletics der Fall ist.

Eine besondere Herausforderung wird dabei von den Verantwortlichen darin gesehen, die genaue Anzahl der Wettkampftage festzulegen. Dabei muss es überraschen, dass bei einem nahezu identischen Programm der europäische Leichtathletikverband, die European Athletic Association (EAA), seine Europameisterschaften in sechs Tagen durchführt, hingegen der Weltverband für die Durchführung desselben Programms zwischen acht und elf Tagen benötigt und dabei ganz offensichtlich nicht in der Lage ist, an jedem Wettkampftag ein interessantes Final- Programm mit ausreichend vielen Final- Entscheidungen seinen Zuschauern zu präsentieren. Waren es bei der WM in Eugene noch zehn Wettkampftage, so waren es in Budapest neun Tage, wobei an jedem Tag mindestens vier Final- Entscheidungen den Zuschauern garantiert wurden. Betrachtet man die notwendigen Verweilzeiten, die ein Zuschauer jeweils im Stadion anwesend sein muss, will er alle vier Finale an jedem Tag miterleben, so kann man sehr schnell erkennen, dass diese Programmgestaltung, bzw. der Zeitplan dieser Leichtathletikveranstaltung nur bedingt den Zuschauerinteressen insbesondere der jüngeren Zuschauer entspricht. Werden 47 Entscheidungen auf sechs Tage verteilt, so kann man pro Tag 7-8 Final- Entscheidungen erleben. Dies bedeutet für ein gut organisiertes Abendprogramm, dass die Zuschauer in einem Zweieinhalbstunden-Programm „Schlag auf Schlag“ spannende Wettkämpfe erleben können und ein Höhepunkt dem nächsten folgt. Die zehn Wettkampftage von Eugene 2021 waren hingegen zehn Tage, die sich durch viel Leerlauf, durch eine „organisierte Langeweile“ und durch nur wenige Höhepunkte auszeichneten. Bei der WM in Budapest konnte sich die Weltleichtathletik dank eines kundigen Heimpublikums und einer Leichtathletikkultur, wie sie in Ungarn schon seit langem zu Hause ist, einigermaßen erholen.

Es ist zu vermuten, dass in Tokio 2025 es kaum sehr viel besser sein wird als in Eugene 2021. Diesmal wird die WM neun Tage andauern. An fünf Tagen gibt es Morgenveranstaltungen („Morning Sessions“), die teilweise sich bis zu 7 Stunden hinziehen und nur für Fachleute von Interesse sein werden. Eine Ausnahme machen die Final- Entscheidungen in den Marathonläufen (Beginn jeweils 7.00Uhr), da Marathonläufe bei den japanischen Zuschauern auf höchstes Interesse stoßen. Aber auch die Abendveranstaltungen („Evening Sessions“) werden wie bei den früheren Leichtathletik-Weltmeisterschaften im Durchschnitt mehr als 3 Stunden dauern. Am ersten Tag erreichen sie sogar eine Dauer von 5 Stunden und 30 Minuten. An jedem Abend beginnen die Final- Entscheidungen zu einem anderen Zeitpunkt. Der Veranstaltungsanfang für die Abendveranstaltungen variiert von 17:33 Uhr über 17:40 Uhr, 18:05 Uhr, 18:35 Uhr, 19:05 Uhr bis hin zu 19:35 Uhr. Die Abendwettbewerbe gehen an keinem Abend zur selben Zeit zu Ende. Für die vom Gastgeber erwünschten Stadionbesucher ist dies ganz gewiss nicht kundenfreundlich. Aber auch die Fernsehzuschauer – ganz gleich, aus welchem Land sie diesem Ereignis zuschauen möchten – werden dadurch orientierungslos.

Für einen derartigen Zeitplan einer Leichtathletik Weltmeisterschaft hat der Internationale Leichtathletikverband World Athletics, der dies zu verantworten hat, einen hohen Preis zu bezahlen. Er verfolgt ganz offensichtlich bei seinen Weltmeisterschaften nicht das Ziel, dass sich nur die besten Athletinnen und Athleten der Welt präsentieren, wie es bei fast allen medienattraktiven Weltsportarten der Fall ist. Die Qualifikation zu einer Weltmeisterschaft wird nicht im Vorfeld der Weltmeisterschaft durchgeführt, sondern die Qualifikation wird selbst zu einem – meist sehr langatmigen – Programmteil der Weltmeisterschaft, was jedoch einen ständigen Verlust an Attraktivität zur Folge hat. Nicht zuletzt deshalb hat die internationale Leichtathletik seit längerer Zeit einen Zuschauerschwund zu beklagen und die Attraktivität der Sportart hat – insbesondere bei jüngeren Zuschauern – kontinuierlich abgenommen. Erschwerend kommt hinzu, dass der Verband seine Wettkampfregeln für die einzelnen Disziplinen wohl alle zwei Jahre bei den Kongressen des Verbandes auf der Grundlage von eingereichten Anträgen immer wieder um kleine Nuancen verändert, eine grundlegende Regelreform von den technischen Experten des Verbandes jedoch bis heute nicht auf den Weg gebracht werden konnte. Die schon seit längerer Zeit dringend notwendige Modernisierung der Olympischen Sportart Leichtathletik scheitert auf diese Weise immer wieder von neuem. War lange Jahre der mittlerweile verstorbene IAAF Präsident Diack jene Person, die jede wirkliche Reform verhinderte, so ist auch unter Coe, der jetzigen Führung von World Athletics, nicht zu erkennen, dass sie sich mit ernsthaften Reformen der krisenhaften Entwicklung der wichtigen Olympischen Sportart Leichtathletik entgegenstellt. Dies kann angesichts der nach wie vor herausragenden Leistungen von jungen Athletinnen und Athleten, die diese in den einzelnen Disziplinen der Leichtathletik präsentieren, nur Bedauern aber auch bei manchem Freund der schönen Sportart Leichtathletik Verärgerung hervorrufen.

Letzte Bearbeitung: 31.10.2024

¹ Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf „gendergerechte“ Sprachformen – männlich weiblich, divers – gelegentlich verzichtet. Bei allen Bezeichnungen, die personenbezogen sind, meint die gewählte Formulierung i.d.R. alle Geschlechter, auch wenn überwiegend die männliche Form steht.